Mit dem Hereinbrechen der Weltwirtschaftskrise ab 1930 erstarkten die extremen Kräfte in der deutschen Politik. Die Arbeitslosigkeit nahm ein nie gekanntes Ausmaß an. Begünstigt durch konservative und reaktionäre politische Kreise, die bis weit in das bürgerliche Parteienspektrum hinein reichten, gewann die extreme Rechte in der Hitler-Bewegung ungemein an Einfluss. Die anhaltende Spaltung der deutschen politischen Arbeiterbewegung, die sich alltäglich in scharfen Auseinandersetzungen dokumentierte, begünstigte diesen Aufstieg, verursachte ihn aber nicht.
In Hiltrup gründete sich am 1.9.1930 die „älteste Ortsgruppe der NSDAP im Landkreis Münster“. Der aktive Ortsgruppenleiter Gustav Fiegenbaum (1901-1980) war 1925 als Maschinist zum Sauerstoffwerk Westfalen gekommen und stieg in der NS-Zeit in der Personalabteilung von Glasurit zum Betriebsinspektor auf (1939-1945 auch Bürgermeister).
1932 durfte Hitler in der Halle Münsterland sprechen, Ende Januar 1933 wurde Hitler Reichskanzler. Bei den Kommunalwahlen am 12.3.1933 folgte Münster dem Reichstrend: die NSDAP wurde mit 20 Sitzen erstmals stärkste Partei (die SPD fiel von 5 Sitzen auf 3).
In Hiltrup hatte Albert Gröver als Vorsitzender der Zentrumspartei vor der Kommunalwahl zu einer allgemeinen Bürgerversammlung eingeladen. Die Versammlung hatte einmütig beschlossen, für die Wahl eine parteiübergreifende Einheitsliste zu bilden unter dem Namen „Bürgerfriede Hiltrup“; sie sollte die „Politik aus dem Gemeindehaus fernhalten“. Diese Einheitsliste gewann die Kommunalwahl mit acht Sitzen gegen vier Sitze der NSDAP. In der ersten Sitzung der neu gewählten Gemeindevertretung am 12.3.1933 wurde der Landwirt Josef Grüter (1876-1958) als Kandidat der NSDAP mit sieben gegen vier Stimmen zum Gemeindevorsteher („Gemeindeschulze“) gewählt – „der erste NSDAP-Ortsvorsteher im Münsterland“.
Handwerkerumzüge waren eine Tradition in Hiltrup, die Betriebe präsentierten sich mit Wagen und Fußgruppen. Im Handwerkerumzug des Jahres 1933 zeigte das abgebildete bäuerliche Gespann fünf Hakenkreuzsymbole, die Pferde trugen Fähnchen in den alten (und neuen) Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot anstelle des Schwarz-Rot-Gold der Weimarer Republik – auf anderen Fotos der Handwerkerumzüge 1933 und 1935 sind keine NS-Symbole zu sehen.
Am 24.4.1933 beschloss die Hiltruper Gemeindevertretung auf Antrag des NSDAP-Ortsgruppenführers Fiegenbaum die Umbenennung von Straßen in Hiltrup: Adolf-Hitler-Straße, Hindenburgstraße, Horst-Wessel-Straße, Albert-Leo-Schlageter-Straße und Jahnstraße. Fiegenbaum führte umgehend das Führerprinzip in allen Hiltruper Vereinen ein: Er veranlasste die Vorstände zurückzutreten, ernannte darauf neue „Vereinsführer“, und diese ernannten ihrerseits die Vorstandsmitglieder. Da es meist dieselben Personen wie vorher waren, gab es dagegen keinen Widerstand.
Gegen die NSDAP traten in der Hiltruper Gemeindevertretung zu Anfang der NS-Zeit namentlich zwei Sozialdemokraten ein, Josef Rüller und Hermann Feldmann.
1933 begann auch in Münster die intensive Verfolgung der jüdischen MitbürgerInnen, über rechtliche Diskriminierung bis zur Ermordung. Nur wenige stellten sich dem offen oder verdeckt entgegen wie zum Beispiel der Polizist Caspar Brinkmann.
Unter dem Motto Wider den undeutschen Geist errichtete die Deutsche Studentenschaft auf Münsters Domplatz einen „Schandpfahl“ und rief dazu auf, „undeutsche Bücher“ zu verbrennen (Münsterischer Anzeiger vom 7.5.1933).
Der Terror der Nationalsozialisten gegen Kommunisten und Sozialdemokraten, später auch gegen bürgerliche Kräfte, setzte ein. In der Abstimmung im Reichstag über das Ermächtigungsgesetz, mit dem alle bürgerlichen Parteien Hitler formell zum Diktator machten, bäumte sich die deutsche Sozialdemokratie unter Führung von Otto Wels als einzige politische Kraft gegen diese furchtbare Entwicklung auf. Am 22. Juni 1933 wurde die SPD im Reich verboten, mit Gesetz vom 14.7.1933 wurde ihr Vermögen eingezogen.
In Münster regte sich seitens der SPD aktiver und versteckter Widerstand, zwar mutig, aber nicht sehr heftig, dazu war die SPD zu schwach. Unter dem Druck des NS-Regimes sanken die früher vorhandenen Barrieren nicht nur zwischen SPD und KPD, sondern auch zwischen den „Roten“ und „Bürgerlichen“. Auch in Hiltrup wurde die Zeit des Nationalsozialismus die dunkelste in der Geschichte. Nicht nur Sozialdemokraten wurden verfolgt, auch an die Verfolgung der Hiltruper Missionare sei erinnert. Das war die Zeit, als die Marktallee (vormals Bahnhofstraße) Adolf-Hitler-Straße hieß und die Hohe Geest (vormals Breiterweg, später Münsterstraße) Horst-Wessel-Straße.
In den Archiven findet man durchaus Protokolle von Gemeinderatssitzungen. Wie wenig demokratisch die Abstimmungen waren und wie sehr die Gemeinderatsmitglieder unter „Aufsicht“ standen, kann man daran ablesen, dass seit dem 22.3.1934 unter der Anwesenheitsliste der Vermerk stand:
>>Außerdem anwesend Korber [Amtsbaumeister des Amtes St. Mauritz] als rangältester Führer der SA.<<
Die Hiltruper Wirtschaft wuchs auch in dieser Zeit weiter.
Das Hiltruper Glasurit-Werk wurde 1933 um einen Neubau mit 4.320m² Nutzfläche zur größten Lackfabrik Europas erweitert und beschäftigte über 1.000 Arbeiter. Größter Kunde wurde die aufstrebende Rüstungsindustrie, während des II. Weltkriegs wurden mit Zwangsarbeitern Tarnfarben hergestellt.
Die NS-Landwirtschaftsgesetze von September 1933 unterstellten auch die Hiltruper Spar- und Darlehenskasse, 1883 unter Mitwirkung von Schencking gegründet, der neuen Monopolorganisation Reichsnährstand. Mitglieder der Kreditgenossenschaft konnten nur noch „arische und unbescholtene Personen“ werden. Entsprechend den Vorgaben wurde die Geschäftspolitik auf den landwirtschaftlichen Kredit ausgerichtet. Zur Entschuldung verschiedener der 22 Hiltruper „Erbhöfe“ (im Sinne von § 1 Reichserbhofgesetz) wurden die von der Spar- und Darlehenskasse vergebenen Kredite zunächst eingefroren, dann vom Reich mit einem Abschlag aufgekauft – den Abschlag von 15-20% musste die Spar- und Darlehenskasse übernehmen und als Verlust abschreiben.
Die Gründung eines katholischen Kindergartens in Hiltrup wird verboten; mehrere hundert Hiltruper treten im April 1934 mit ihrer Unterschrift für die Errichtung einer katholischen Einrichtung ein.
Aber auch innerhalb der katholischen Volksschule Hiltrup zeigt sich schnell der NS-Einfluss.
Rektor Nabbe ist ab 1933 Mitglied der SA. 1934 sind Hiltruper Schüler zum Gruppenfoto vor der Jugendherberge Nottuln aufgebaut: Junglehrer Harbaum (1958 bis 1968 Vorsitzender der CDU Hiltrup, Rektor der Volksschule) und Lehrerin Brüggemann stellen die mit Diensthose, Lederkoppel mit Koppelschloss, Braunhemd, Halstuch mit Lederknoten und Schulterriemen uniformierten Mitglieder des Deutschen Jungvolks (Pimpfe) als erste Reihe in den Vordergrund.
Auf einem Gruppenfoto aus demselben Jahr 1934 trägt Junglehrer Harbaum (wie Lehrer Himmelmann im Jahr 1938) ein kleines rundes Abzeichen am Revers – das NSDAP-Mitgliedsabzeichen? Der auf demselben Foto sichtbare ältere Lehrer Zeidler trägt 1934 kein Abzeichen, 1940 ist er Funktionär des NS-Lehrerbundes; Harbaum trägt auf einem Foto von 1932 noch kein Abzeichen.
Nur eins der im Hiltruper Museum erhaltenen Gruppenfotos zeigt einen Lehrer der Hiltruper Volksschule in SA-Uniform. Die übrigen Lehrer scheinen sich arrangiert zu haben oder dem NS-Druck entzogen zu haben. Lehrerin Alma Neisemeyer wurde zwangspensioniert. Erst nach Kriegsende kehrte sie in den Schuldienst zurück und war aktiv am Wiederaufbau des Schulwesens in Hiltrup beteiligt.
Offener NS-Terror wirkte schon 1934 auch auf Hiltruper Vereine ein: Der Reichsführer des katholischen Sportverbandes DJK (Deutsche Jugendkraft), Adalbert Probst, wurde am 1. Juli 1934 von der Gestapo im Zuge des sogenannten „Röhm-Putschs“ verhaftet und am 2. Juli erschossen. Um der Auflösung zu entgehen, schloss sich der Hiltruper DJK Blau-Weiß im Jahr 1934 mit dem Turnverein Hiltrup zusammen unter dem Namen TuS Hiltrup 1930 e.V. (Vorsitzender war bis 1945 Dieter Rommeswinkel).
Nach dem Tod des Reichspräsidenten von Hindenburg organisierte das NS-System am 19.8.1934 eine Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches. Hitler wurde Reichspräsident und Kanzler in Personalunion. Die Opposition war ausgeschaltet, die undemokratische Volksabstimmung sollte den Akt formal legitimieren.
In den vom NS-System kontrollierten Medien wurde massiv für die Zustimmung geworben, der NS-Oberbürgermeister von Münster veröffentlichte einen Aufruf in der Nationalzeitung (19.8.1934). Mit der Überschrift „Das „Ja!“ eine selbstverständliche Pflicht!“ warben in derselben Ausgabe auch Hiltruper Vereine für ein „Ja“ bei der Volksabstimmung. Der Vereinsführer des TV Hiltrup 1930 (heute: TuS) berief sich auf „Turnvater Jahn“ und forderte in der Nationalzeitung vom 19.8.1934 dazu auf, „freudig mit „Ja“ zu stimmen“; ähnliche Aufrufe erließen – in Klammern die Vertreter – der MGV Hiltrup (Königs), Bürgerschützenverein Hiltrup (Strobend), Quartett-Verein Hiltrup (Wegmann) und Kriegerverein Hiltrup (Goerding).
Die Volksabstimmung hatte nicht das von den Nazis gewünschte Ergebnis, d.h. es gab noch ungefähr 10% Nein-Stimmen, in Westfalen-Nord sogar 15% Nein-Stimmen. Göring bedrohte darauf offen die „Unbelehrbaren oder gar Böswilligen“: „Wir werden sie nicht dafür bestrafen, daß sie mit Nein gestimmt haben. Sie mögen es sich aber gesagt sein lassen, daß wir es auf keinen Fall dulden werden, daß sie mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der nationalsozialistischen Staatsführung irgendwie und irgendwann im Volke Propaganda treiben. Wir werden mit eiserner Faust zuschlagen …“ (Nationalzeitung vom 22.8.1934, eingemauert bei der Grundsteinlegung zum Feuerwehrgerätehaus).
„Mit eiserner Faust“ verfolgte das NS-System Andersdenkende. In Münster verteilte 1934 eine kleine Gruppe Flugblätter, die sich zum Beispiel gegen die Kriegsvorbereitungen der Nazis wandten, und druckte eine Zeitung („Der rote Arbeiter“). Die Mitglieder kamen aus der KPD und aus bürgerlichen Gruppen, einige wie Arnold Münster wurden 1935 verhaftet und zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt.
Die Freiwillige Feuerwehr Hiltrup weihte im August 1934 ihr neues Gerätehaus ein (heute: Hiltruper Museum, Zur Alten Feuerwache 26). Finanziert war der Bau durch Spenden von Feuerversicherungen, Hiltruper Privatleuten und der Kommune. Kreisfeuerwehrführer und Amtsbürgermeister Parteigenosse Dr. Lürken betonte in seiner Ansprache „das machtvolle Regiment unseres Führers und dessen nicht zu übertreffende Sorge für Volk und Nation“ und brachte „auf den Führer, auf das Deutsche Vaterland und auf den Ministerpräsidenten Hermann Göring ein dreifaches Sieg Heil aus, in das die 150 Wehrmänner mit Begeisterung einstimmten“; Landrat Parteigenosse Dr. Böckenhoff erklärte, das Motto der Feuerwehr „Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr“ müsse heute „in geringer Abänderung, aber in gleichen Grundgedanken in das ganze Volk hineingetragen werden“ (aus dem Bericht der Nationalzeitung vom 23.8.1934).
1933 gab es reichsweit verstärkte Eintritte von SA-Leuten in die Feuerwehren. Der unbedingte Vorrang des Ausbildungs- und Einsatzdienstes im System „Feuerwehr“ ließ sich jedoch häufig nicht mit den Anforderungen des SA-Dienstes vereinbaren, so dass der Innenminister die Unvereinbarkeit anordnete. Die Mitgliedschaft in der Freiwilligen Feuerwehr konnte deshalb 1934 ein Ausweg sein, um sich dem Druck zum Eintritt in SA oder SS zu entziehen (siehe Rolf Schamberger, Deutsches Feuerwehrmuseum Fulda).
Schon 1934 waren die Feuerwehren eingebunden in die Vorbereitung des II. Weltkriegs. Im September 1934 fand im gesamten deutschen Reich eine „Feuerschutzwoche“ statt. In diesem Rahmen wurden Hauseigentümer und Mieter aufgefordert, die Dachböden zu entrümpeln und „die Häuser in der Weise herzurichten, daß sie im Falle eines Luftangriffes den Bewohnern eine möglichst weitest gehende Sicherheit bieten“. Polizei und Amtsträger des Reichsluftschutzbundes führten Kontrollen durch (Nationalzeitung vom 19.8.1934). Die Feuerwehren wurden später als „Feuerschutzpolizei“ in den Polizeiapparat eingegliedert und militarisiert, sie unterstanden den Polizei- und SS-Gerichten; Feuerwehren wurden militärisch ausgebildet, bewaffnet und eingesetzt (Beispiel: Berufsfeuerwehr Hannover). Auch die Freiwillige Feuerwehr Hiltrup erhielt im September 1944 10 Gewehre mit Munition (und lieferte sie nach Kriegsende wieder an die Polizei ab).
An vielen Stellen wurde Druck auf die Menschen ausgeübt, der „Bewegung“ beizutreten.
Bei der Bewerbung um eine Lehrstelle in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben wurden Lehrlinge „aus der Bewegung“ bevorzugt, d.h. die Jugendlichen wurden zu einem Heer von Mitläufern erzogen.
Das NS-System versuchte in dieser Zeit, die katholische Kirche und ihre Organisationen gegenüber der Bevölkerung zu diskreditieren. Neben den Sittlichkeitsprozessen gegen katholische Geistliche dienten dazu auch die Devisenprozesse. Tatsächliche oder nur angebliche Verstöße gegen verschärfte Devisenbestimmungen waren Ausgangspunkt für die juristische und publizistische Verfolgung von Ordensleuten. Davon waren im Jahr 1935 auch die Hiltruper Missionare und die Hiltruper Missionsschwestern betroffen, einige wurden vorübergehend verhaftet. Das Amtsgericht Münster beschlagnahmte in diesen Verfahren vorübergehend das gesamte Vermögen der Orden – vom „Sozialdemokrat“ (Zentralorgan der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik, Prag) am 10.4.1935 berichtet mit der spöttischen Schlagzeile „Heilige Devisen“.
Bischof von Galen zeigte demgegenüber Präsenz, zur Firmung im Jahr 1938 wurde er in Hiltrup mit großem Aufwand begrüßt.
Die Begrüßung für Bischof von Galen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das öffentliche Leben in Hiltrup sehr weitgehend vom NS-System durchdrungen war. Die Mitglieder des Männergesangvereins Hiltrup von 1848 tragen auf dem Gruppenfoto von 1938 einen Hakenkreuz-Wimpel an der Vereinsfahne.
Zu dieser Zeit wurden die Arbeiter-Gesangsvereine im Deutschen Arbeiter-Sängerbund systematisch unterdrückt und aufgelöst. Für die bürgerlichen Gesangsvereine im Deutschen Sängerbund galt der Aufruf ihres Bundesführers von Januar 1934: „Alle Anordnungen für den Ausbau und die Zielsetzung unserer Sängergemeinschaft gehen allein von hier aus, und ich erwarte genaueste und pünktliche Befolgung derselben. Über alle kleinlichen Unterschiede hinweg finden wir uns zu echter Sängergemeinschaft. Über dieser steht uns die Volksgemeinschaft als höchste Idee unseres neuen Staates und unseres Führers.“
Viele Mitglieder des Hiltruper Kriegervereins, 1896 auf Initiative von Pater Hubert Linckens gegründet, bekennen sich auf dem Gruppenfoto aus den 1930er Jahren mit Hakenkreuz-Armbinde zum NS-System (unten v.l.: Bernhard Reinker, Elkendorf, Görtz, Schneider Elbers, Bornemann-Gerdemann, Bloech, Scheller; oben v.l.: Heinrich Averesch, Bernhard Lördemann, Alfons Große-Wentrup, Anton Everding, Bürgermeister Josef Grüter, August Mühlenberg, Josef Mense, Heßling, Bernhard Jasper, August Hölling, Wesseler).
Das öffentliche Leben war geprägt vom NS-System. Ein historisches Foto von einer Ausfahrt der Hiltruper Feuerwehr ist in diesem Zusammenhang zu sehen.
Die Freiwillige Feuerwehr Hiltrup posiert für den Fotografen. Das Schild „Jede Stimme dem Führer!“ ist an prominenter Stelle über der Gruppe im Bild arrangiert. In den Unterlagen ist das Foto kommentiert als „Fahrt ins Blaue„ („in geschlossener Formation mit Fahrzeugen Benz und Fiat“) und auf das Jahr 1937 datiert. Aus dem Zusammenhang ist allerdings eher darauf zu schließen, dass es sich um eine Aktion der NS-Wahlpropaganda im März 1936 handelt: Ein ähnliches erhaltenes Foto ist in den Unterlagen auf 1936 datiert mit demselben Kommentar „Fahrt ins Blaue“. Am 19.3.1936 fand eine vorgezogene Reichstagswahl statt, nachdem das Saarland ins deutsche Reich zurückgekehrt war. Das NS-System intensivierte seine Propaganda zugunsten einer Stimmabgabe für die NSDAP und eine Wahlteilnahme; „Jede Stimme dem Führer!“ dürfte darauf hinweisen.
Auch das Hiltruper Nationalsozialistische Kraftfahrkorps (NSKK, eine paramilitärische Unterorganisation der NSDAP ) macht 1936 eine „Fahrt ins Blaue“; ob zusammen mit der Feuerwehr, ist nicht bekannt. Das NS-System nutzt geschickt die Sogkraft der beginnenden Motorisierung: 1936 sind mit dem NSKK auch Hiltruper unterwegs, die (wegen der vorübergehenden Aufnahmesperre?) erst später in die Partei eintraten (2. Fahrzeug von links) oder gar nicht (3. Fahrzeug von rechts).
Zwang und Wahlfälschungen waren neben Propaganda die Mittel, mit denen 1936 das „Wahlergebnis“ von 99,1 Prozent Zustimmung erreicht wurde, anschaulich beschrieben zum Beispiel in der Geschichte der Grafschaft Bentheim.
Im Juli 1936 fand der NSDAP-Kreisparteitag in Hiltrup statt. Vorher trafen sich die Feuerwehren von Amelsbüren, Hiltrup und Loevelingloh in Hiltrup und übten gemeinsam den „Paradeschritt“; die Wehr Hiltrup erhielt bei dieser Gelegenheit ihre SA-Sportabzeichen. Der Ort versank laut Pressebericht „in einem Meer von Hakenkreuzfahnen“.
Die Häuser hatten Fahnenhalter oder Fahnenmasten in den Vorgärten: Bereit, NS-Fahnen aufzuziehen (in der Klosterstraße Nr. 7 wohnte der stellvertretende NS-Bürgermeister).
Am 9. November 1938 organisierte das NS-System auch in Münster ein Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung der Stadt. Einen Eindruck von den Verbrechen geben zum Beispiel die polizeilichen Ermittlungsakten der Jahre 1948/1949.
Siedlungswesen
Das Kabinett Brüning hatte 1931 nach Mitteln gesucht, um die hohe Arbeitslosigkeit zu verringern. Eine Initiative des Finanzministeriums war das Unternehmen der Stadtrandsiedlung. Es zielte darauf ab, „einen möglichst großen Teil der jetzt und wahrscheinlich auch künftig Arbeitslosen dauernd in Arbeit zu bringen“. Die vorstädtische Kleinsiedlung verbunden mit weiteren Maßnahmen zur bäuerlichen Siedlung wurde als das „typische Arbeitsbeschaffungsprogramm“ angesehen. Im Herbst 1931 wurde es als Nebenform der landwirtschaftlichen Siedlung mit beachtlichen finanziellen Mitteln in Gang gesetzt (Dritte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 6. Oktober 1931; Quelle: Henning Köhler, Arbeitsbeschaffung, Siedlung und Reparationen in der Schlussphase der Regierung Brüning). „Ein eigenes Heim auf freier Scholle“ war das Ziel der Siedlergemeinschaften, die (auch nach dem II. Weltkrieg) gegründet wurden. In Münster wurde zum Beispiel 1931 die Siedlergemeinschaft Gievenbeck gegründet, 1937 die Siedlergemeinschaft Düesbergweg.
Ab 1933 entstand die Vennheidesiedlung. Nördlich des Vennheidewegs mussten die Siedler Eigenleistungen erbringen für kleine schlichte Doppelhäuser, die Grundstücke waren Eigentum der Stadt Münster und zum kleineren Teil der Gemeinnützigen Wohnstättengesellschaft Münsterland. (Nach 1948 verkaufte die Stadt die Grundstücke an die Bewohner.)
In der Siedlergemeinschaft Hiltrup Ost 1938 fanden sich Beschäftigte von Glasurit und des Röhrenwerks zusammen. Als Anfangskapital musste jeder Siedler 1050 Reichsmark aufbringen. Im Februar 1939 wurden östlich des Kanals Flächen des Landwirts Schulze Holsen enteignet, um hier die Kleinsiedlung Holsenkamp zu schaffen. Die Siedler bauten hier Siedlerhäuser. Dabei wurden sie in unterschiedlichem Maß durch die Arbeitgeber unterstützt. Für 65 Siedlerstellen mit je 1.000m² übernahm Glasurit Patenschaften, das Röhrenwerk für 21 Siedlerstellen; die Firmen erhielten dadurch das Recht, die Siedlerstellen an Werksangehörige zu vergeben. Die Aufsicht hatte die Provinzial-Treuhandgesellschaft für Kleinwohnungen und Siedlungsbauten “Westfälische Heimstätte”. Für die Siedlerstellen des Röhrenwerks begann der Bau im Mai 1939. Nach mehrfachen Unterbrechungen während der Kriegszeit wurden bis zum Jahr 1943 „dank der Initiative von Direktor Stein (Hiltruper Röhrenwerke) 36 Siedlungshäuser fertiggestellt“, die Röhrenwerke führten die unter ihrer Patenschaft stehenden Siedlungsbauten restlos zu Ende (Bericht der Westfälischen Nachrichten vom 14.12.1949).
Es waren sehr einfache Häuschen für Selbstversorger: Schwein, Ziegen, Kaninchen, Hühner und Menschen lebten auf einer Etage. Der Abort entleerte in eine Grube ohne Abfluss, die gesammelten Fäkalien wurden als Dünger im Gemüsegarten verwendet. Im Hauswirtschaftsraum stand ein großer Kessel, der mit Kohle beheizt werden konnte. Das heiße Wasser wurde benötigt zum Wäschewaschen, für ein Bad in der Familie, aber auch für das jährliche Schlachten eines Schweins (siehe Bernd Bischof: Siedlergemeinschaft Hiltrup Ost 1938). So bescheiden dieser Grundriss, so einfach das Leben in diesen Häuschen auch war: Sie unterscheiden sich bereits deutlich von den Arbeiterhäusern, die Anfang des 20. Jahrhunderts an der Marktallee gebaut wurden (siehe „Haus Röwekamp“ in Industrialisierung und Aufschwung in Hiltrup).
In den Siedlerhäuschen oder im Stall hinter dem Haus gehörten ein oder zwei Schweine zum Haushalt. Sie wurden das Jahr über fett gefüttert und im Winter für die Selbstversorgung mit Speck, Fleisch und Wurst geschlachtet. Zum Schlachten kam Metzger Rinker ins Haus.
Etwas aufwendiger sahen nebenan in der Rohrkampstraße die Häuser aus:
Einfache kleine Doppelhäuser, Erdgeschoss und Dachgeschoss für zwei Parteien mit je zwei Zimmern, von denen das größere im Erdgeschoss ca. 15m² hatte, zwei Toiletten auf halber Treppe für die zwei Parteien im Haus. Gewohnt wurde in der ca. 12m² großen Wohnküche, die vom Kohleherd in der angrenzenden Nische beheizt wurde. Die Häuser waren voll unterkellert, für die Tiere gab es vermutlich einen gesonderten Stall im Garten.
Die Siedlerhäuser wurden nicht nur in konventioneller Bauweise errichtet, sondern auch als Holzhäuser. Ab 1942 lieferte Finnland als Gegenleistung für Getreide und Waffen sogenannte Finnenhäuser. In der Straße Geierhorst (bis 1975: Habichthorst) sind einige noch erhalten (auf einem Luftbild von März 1945 sind 13 Häuser zu erkennen). Laut Elisabeth Egger (Westfälische Nachrichten 29.7.1999) wurde eine weitere Finnenhäuser-Siedlung hinter der Gaststätte Prinz-Brücke im II. Weltkrieg zerstört (M. Kuznecov, bis 1945 als Zwangsarbeiter im Sägewerk Wentrup eingesetzt, berichtet von der Herstellung von Holzhäusern im Sägewerk Wentrup).
Einige dieser „Finnenhäuser“ sind später ausgebaut / modernisiert worden, wie das Foto aus 2023 zeigt.
1937/1938 entstand im Bereich Westfalenstraße / Zum Roten Berge gegenüber dem alten Paterkloster eine Kaserne für eine Einheit der neu aufgestellten motorisierten Gendarmerie.
Von 1939 bis 1943 war hier die „Kleine Gendarmerie-Kompanie (mot.)“ stationiert als „Reichsstraßenpolizei“ zur Verkehrsüberwachung im Münsterland. Die Truppe unter dem Kommando des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei im Reichsministerium des Inneren sollte von vornherein auch für besondere Verwendungszwecke im gesamten Reichsgebiet eingesetzt werden. Angehörige dieser Einheit wurden 1942 und 1943 abgeordnet zum „I./Gendarmerie-Bataillon. (mot)“, das an zahlreichen Verbrechen im besetzten Polen beteiligt war, siehe Dr. Stefan Klemp, Die kleine Gendarmerie-Kompanie (mot.) Münster in Hiltrup 1942 – 1945, I/2008 der Schriftenreihe der Deutschen Hochschule der Polizei. (1945 wurde hier die „Zentral-Polizeischule“ eingerichtet, 1972 Polizei-Führungsakademie, heute Deutsche Hochschule der Polizei).
Hiltrup nahm einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung. Bilder aus der Zeit zeigen, dass der Ort zu Geld kam:
Die 1913 zusammen mit der neuen St. Clemens-Kirche gebaute Gaststätte Bröcker wurde umgebaut. Auf der rechten Seite des Fotos aus dem Jahr 1934 ist zu erkennen, dass dort jetzt ein Schaufenster eingebaut ist für die Firma „Wilhelm Haumer, Uhren, Gold- und Silberwaren, Optik“.
Auch am Gasthaus Scheller lässt sich die schnelle Entwicklung Hiltrups ablesen. Von 1927 bis 1936 hat es weitere Veränderungen gegeben, die die Postkarte zeigt: Das zur Gastwirtschaft gehörende Wirtschaftsgebäude ist jetzt eher städtisch anmutend aufgestockt, im Obergeschoss sind 8 Hotelzimmer entstanden, „Restaurant Café Scheller“ steht über der Tür. Am Giebel des alten Restaurants ist unter dem alten Schriftzug „Restaurant und Café zum Nordpol“ ein neuer Schriftzug zu lesen: „Fremdenzimmer“ – Scheller ist in den Hotelbetrieb eingestiegen. Sonnenschirme markieren die Entwicklung der Außengastronomie. Vor dem Giebel posiert man lässig mit einem neuen Auto (Opel P4, Produktionszeitraum: 1935-1937). Noch gehört zu Scheller eine Bäckerei mit Laden, im Adressbuch stehen unter der Hausnummer 148 um 1940 „Heinrich Scheller, Wirt und Bäcker“ und „August Scheller, Bufettier“. Der Laden wurde 1959 aufgegeben.
Auch Heithorn betrieb nebenan neben der „Schenkwirtschaft“ eine Bäckerei und Konditorei mit einem Lebensmittel- und Feinkostladen, im Adressbuch stehen 1940 „Anton Heithorn sen., Wirt“ und „Anton Heithorn jun., Konditorei und Kolonialwarenladen“.
Auch die „Schenkwirtschaft Anton Heithorn“ florierte offensichtlich. Das Dach des ursprünglich einstöckigen Gebäudes war ausgebaut worden mit einem Fachwerkgiebel zur Hammer Straße hin.
Die Hakenkreuzfahne auf dem Foto von 1936 war späteren Generationen sehr peinlich. Im Hiltruper Museum befinden sich zwei Versionen des Fotos, in denen die Fahne mehr oder weniger wegretuschiert ist. Links vor dem Haus steht die Zapfsäule der Tankstelle BV-Aral-Benzol.
Wieder einige Jahre später macht die Hammerstraße (heute Westfalenstraße) mit den blumengeschmückten Gasthöfen Heithorn und Scheller um 1940 einen völlig städtischen Eindruck. Heithorn hat umgebaut, im Erdgeschoss sind große Fenster im Querformat eingebaut worden mit großen Scheiben.
Dazu passt die Shell-Tankstelle einige Häuser weiter an der Hammerstraße 156 vor der Gaststätte Rohrkötter. Unter der Hausnummer 156 führt das Adressbuch von 1940 „Franz Rohrkötter, Metzger“ als Eigentümer auf sowie „Franz Aulenkamp, Mechaniker, Rundfunkspezialgeschäft und Gastwirtschaft“.
Etwas später ist genauso wie vor Scheller auch vor Heithorn die einfache Zapfsäule vom Straßenrand verschwunden. Stattdessen ist zwischen Bäckerei / Conditorei (links) und Gastschenke Heithorn (Mitte) ein modernes Tankstellengebäude gebaut.
In Hiltrup gab es 13 Gastwirtschaften. Die Bilder lassen nichts mehr ahnen von dem alten Bauerndorf Hiltrup.
Erhalten hat sich bis dahin das Ensemble rund um Alt-St. Clemens. Das Luftbild von 1935 zeigt östlich von Alt St. Clemens Scheller, südlich aneinander gebaut Mühlenberg und Wesseler, südwestlich die alte Küsterei und ehemalige Schule, nordwestlich der Kotten Kroos/Kleine Wilke und nördlich Spritzenhaus und Schellers Stall. Ein Bombenangriff im Jahr 1944 riss hier später große Lücken.
Die Bahnhofstraße (heute: Marktallee) stand in den 1930er Jahren erst am Anfang ihrer Entwicklung. Die Bebauung war noch von kleinen Einzelhäusern geprägt, zwischen denen unbebaute Flächen lagen. Prägende Gebäude waren die Villa Burmann (Nr. 52, 1944 durch Bomben zerstört, heute Sparkasse), die bis heute erhaltene Villa Brüning, Jugendstilvilla mit neobarocken Elementen (Nr. 54, „1908“ an der Fassade, seit 1986 unter Denkmalschutz, 2023: Dr. Beermann und Partner), die beiden denkmalgeschützten Häuser Marktallee 63 (von Looz-Corswarem) und 65 (Dr. med. Wiese) und die Villa Dalhoff, Marktallee 83 (später: Restaurant Wildsau,1980 abgebrochen). Vor dem Haus des Fahrradhändlers Brüntrup (Nr. 57) wurde eine Benzin-Zapfsäule aufgestellt.
Der 1899 eröffnete Dortmund-Ems-Kanal war schon vor dem I. Weltkrieg an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gekommen. Das Frachtaufkommen (insbesondere Eisenerz und Kohle zum bzw. vom Ruhrgebiet) hatte sich stärker als erwartet entwickelt. Noch vor dem I. Weltkrieg waren neue Schleusen gebaut worden, um auch 9 Meter breite Flussschiffe zuzulassen. Die Dortmunder Schwerindustrie drängte auf eine Kanalverbreiterung für 1000-Tonnen-Schiffe, 1926 ging in Münster eine weitere noch breitere Schleuse in Betrieb (225 × 12 Meter).
Auch der „Hiltruper Bogen“ war zu eng, Schleppzüge durften sich nicht begegnen. In Hiltrup wurde deshalb 1936 mit dem Bau der II. Fahrt begonnen. Die erste Prinzbrücke von 1897 (auf dem Foto links) wurde deshalb 1936 durch einen Neubau mit größerer Spannweite ersetzt, der vor Ort zusammengeschweißt wurde.
Für die Kanalarbeiten wurden auch jüdische Zwangsarbeiter aus Münster und anderen Orten als billige Arbeitskräfte eingesetzt, es gab „im geschlossenen Einsatz“ eine jüdische Kolonne (Grottendieck, Die billigen Arbeitskräfte der jüdischen Kolonne, WN 8.11.2021; Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe).
Die Erdarbeiten wurden Anfang 1940 eingestellt. Fertiggestellt wurde die II. Fahrt erst nach dem II. Weltkrieg im Jahr 1952, am 23.1.1952 wurde sie feierlich freigegeben. 1959 wurde der Kanal für das 1000-Tonnen-Schiff freigegeben, 1963 für das „Europaschiff“ mit 1350 Tonnen.
Die Hiltruper Bevölkerung wurde 1936 schon auf den kommenden Krieg vorbereitet. Der Münsterische Anzeiger berichtete am 9.12.1936 über eine Luftschutzbrandübung auf dem Schulplatz unter Beteiligung des Landrats Dr. Böckenhoff: „Die Hiltruper Bevölkerung bewies durch zahlreiche Beteiligung ihr Interesse an den Fragen des Luftschutzes. … Die zahlreichen Zuschauer … erhielten einen Einblick über die verheerende Wirkung der verschiedenen Brandbombenarten und wurden von der Notwendigkeit des Luftschutzes restlos überzeugt. … Pg Friedrich sprach über die Bedeutung des Luftschutzes auf dem Lande. Bei einem kommenden Kriege sei die Luftwaffe der ausschlaggebende Faktor.“
Die Freiwillige Feuerwehr (später: Feuerschutzpolizei) war in diese Kriegsvorbereitungen eingebunden. Als Maßnahme des „vorbeugenden Luftschutzes“ baute sie zwischen Friedhof und Hammer Straße (heute: Westfalenstraße) gegenüber den Gaststätten Scheller und Heithorn einen Erdbunker (an dieser Stelle wurde 1951 das Ehrenmal für die Gefallenen errichtet).
Die Militarisierung der gesamten Gesellschaft begann schon bei den zehnjährigen Pimpfen im Deutschen Jungvolk, bevor sie Hitlerjungen wurden. Das 1938 erschienene Handbuch Pimpf im Dienst beschreibt Geländeübungen (Seiten 204 folgende) für die Pimpfe, die nichts anderes sind als eine infanteristische Grundausbildung.
An diese „Geländeübungen“ erinnert das Schulfoto der Hiltruper Volksschule von 1938. „Pimpf im Dienst“ lehrt mit Zeichnungen „laufen, dann springen, kriechen, robben, gleiten“ im Gelände, um sich ungesehen dem Gegner zu nähern – auf dem Hiltruper Schulhof robbt der 3. und 4. Jahrgang durch ein Holzfass ohne Boden genauso wie der Entlassjahrgang 1938 auf einem anderen Foto.
Die HIltruper DRK-Einheit erhielt von der Familie des 1935 verstorbenen Max Winkelmann (Gründer der Glasuritwerke) als Geschenk einen PKW Mercedes-Benz 370 „Typ Mannheim“ (Baureihe W10, Baujahr 1930-1935), ein Sechssitzer der Oberklasse. Die Hiltruper KFZ-Firma Stein baute den Wagen zum ersten Krankentransporter („Sanka“) in Hiltrup um. Mit Kriegsbeginn 1939 wurden viele Männer zur Wehrmacht einberufen. Sie fehlten an ihren Arbeitsstellen und auch im Krankentransport der 1936 gegründeten DRK-Einheit. Frauen übernahmen die Aufgabe.
In diese Zeit fallen die meisten Parteieintritte in die NSDAP. Nicht vollständig zuverlässige Unterlagen, die ohne Datierung nach dem 2. Weltkrieg erstellt worden sind, weisen für Anfang 1945 543 Personen in Hiltrup als Mitglieder der NSDAP aus. 20 Personen sind als „verstorben“ gekennzeichnet; sie sind in der Auswertung zunächst mit berücksichtigt, da das Todesdatum in den Unterlagen nicht angegeben ist, also auch nach 1945 liegen könnte. Für 430 Parteimitglieder ist ein Eintritt zwischen 1930 und 1945 angegeben. Zwei weitere Personen sind als Inhaber des goldenen Parteiabzeichens aufgeführt, d.h. sie sind höchstwahrscheinlich vor 1929 in die NSDAP eingetreten. Der „harte Kern“ der bis 1933 Eingetretenen umfasst damit – soweit bekannt – 68 Personen.
Als die Mitgliederstärke der NSDAP zwischen Januar und April 1933 anschwoll, verhängte die Parteileitung am 1. Mai 1933 eine fast vollständige Aufnahmesperre. Nach deren Aufhebung 1937 stieg die Zahl der Parteimitglieder bis 1939 auf 5,3 Millionen an. Die große Welle der Opportunisten und Mitläufer trat in den Jahren 1937 bis 1939 in die NSDAP ein, in Hiltrup 306 Personen. Hiltrup dürfte 1945 ungefähr 5000 Einwohner gehabt haben, ungefähr 10 Prozent der Einwohner (einschließlich Kinder und Jugendliche) war also Parteimitglied – Akademiker, Handwerksmeister (drei als Parteifunktionäre), Unternehmer, Arbeiter, … Zum Vergleich: In ganz Deutschland (ungefähr 70 Millionen Einwohner) waren 1945 ungefähr 12 Prozent (8,5 Millionen) Parteigenossen.
Soweit Angaben zu Beruf / Tätigkeit der Hiltruper NSDAP-Mitglieder verfügbar sind (auch diese Angaben sind mit Vorbehalt zu betrachten), sind zu nennen: Selbständige Handwerksmeister (30), andere Selbständige (24), Ärzte (5), andere Akademiker (14), Polizisten (13), Bauern (9), Lehrer (5) – ein Großteil der „Oberschicht“ im dörflichen Hiltrup.
Bei oberflächlicher Betrachtung war Hiltrup also nicht außergewöhnlich „braun“, dürfte ungefähr im westfälischen Durchschnitt gelegen haben: Das katholisch geprägte Nordwestfalen hatte schon bei der Volksabstimmung 1934 (siehe oben) unterdurchschnittlich für Hitler gestimmt. Hiltrup war nur früher „braun“ geworden als andere.
5 der für das Jahr 1945 in Hiltrup als Parteigenossen gelisteten Personen waren danach Mitglieder der SS. 29 waren danach Mitglieder der SA; 12 von ihnen waren in den Jahren 1932 bis 1934 in die SA eingetreten, aber erst 1937 bis 1939 in die NSDAP. Auch diese Angaben stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Unterlagen nicht vollständig zuverlässig sind; zum Beispiel ist der oben auf einem Foto in SA-Uniform gezeigte Lehrer Koch nicht aufgeführt (er ist im II. Weltkrieg gefallen, könnte aber auch einer anderen, benachbarten Ortsgruppe angehört haben). 11 Hiltruper Parteigenossen waren Mitglieder des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK); nach Einschätzung von Wikipedia möglicherweise ein Weg, sich der völligen Vereinnahmung durch das NS-System zu entziehen; nur für eine dieser 11 Personen ist auch die Mitgliedschaft in der SA gelistet.
Nicht alle Hiltruper Parteimitglieder blieben bis 1945 in der Partei. Die Zahl ist zwar klein, verdient aber Erwähnung: Eine Person trat 1943 aus der NSDAP aus. Drei Personen wurden aus der Partei ausgestoßen bzw. die Mitgliedskarte wurde entzogen (das konnte die verschiedensten Gründe haben, z.B. wegen kritischer Äußerungen). Zwei weitere Personen wurden nach Unterbrechung der Mitgliedschaft wieder aufgenommen. Die Gründe sind in diesen fünf Fällen nicht bekannt.
1939 wurde aus politischen Gründen der Rücktritt des 1933 gewählten Bürgermeisters Grüter veranlasst, der als Kandidat der NSDAP angetreten war. Er trat erst 1939 in die NSDAP ein, als Oberscharführer war er 1940 laut Heimat- und Einwohnerbuch für den Landkreis Münster Repräsentant der SS in Hiltrup. Als Bürgermeister wurde er abgelöst durch den NSDAP-Ortsgruppenleiter Gustav Fiegenbaum. Grüter blieb bis 1951 im Vorstand der Hiltruper Spar- und Darlehenskasse. Fiegenbaum war von 1939 bis 1947 (!) Schützenkönig des Bürgerschützenvereins von 1851 Hiltrup (Quelle: Festschrift zur 100jährigen Jubelfeier des Bürgerschützenvereins von 1851 Hiltrup).
Das Röhrenwerk von Hoesch an der Industriestr. 4 (jetzt: Nobelstraße) erweiterte sein Sauerstoffwerk 1937 um eine Acetylenanlage zur Versorgung der Schweißmaschinen, 1938 beschäftigte es 228 Mitarbeiter. Während des Krieges wurde es noch erweitert, nach einer Quelle produzierte es in dieser Zeit Geschützrohre. In Hoesch-Unterlagen der Nachkriegszeit heißt es, es sei kein Rüstungsbetrieb gewesen; die Fertigung im Kriege habe das Erzeugungsprogramm der Vorkriegszeit umfasst (Präzisionsrohre für die verschiedensten Verwendungszwecke, Rohre für die Elektroindustrie, Rohre für den Stahlleichtbau, Dachkonstruktionen aus Rohren eigener Fertigung). Das Röhrenwerk beschäftigte ab 1942 Zwangsarbeiter / ausländische Zivilgefangene, hauptsächlich Frauen. Laut einer Liste der in Hiltrup beschäftigten Ausländer, die vom Landkreis Münster am 21.2.1949 der britischen Militärverwaltung übergeben wurde, arbeiteten in den Hiltruper Röhrenwerken 181 ausländische Arbeitskräfte, 118 Männer und 63 Frauen. 1945 wurde das Werk weitgehend zerstört.
Der nach dem 1. Weltkrieg gegründete „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ hatte sich 1933 schnell in den Dienst der nationalsozialistischen Heldenehrung gestellt. 1934 hatte er durch direkte Intervention bei Göbbels erreicht, dass der Volkstrauertag in „Heldengedenktag“ umbenannt wurde. Die Überschrift „Gräberwall um Deutschland“ und der Text der um 1940 verteilten Broschüre wirken aus heutiger Sicht wie eine makabre Prophezeiung.
Die Rüstungsproduktion benötigte Kupfer und Zinn. Die Behörden des NS-Staats organisierten eine reichsweite Sammlung von Metallgegenständen aus öffentlichen Gebäuden und aus privaten Haushalten, zum Beispiel die „Metallspende des Deutschen Volkes zum Geburtstag des Führers“ im April 1940. 1941 wurde begonnen, auch Kirchenglocken abzunehmen, nur eine kleine Läuteglocke durfte jeweils bleiben.
Im Oktober 1942 verlor die St. Clemens-Pfarre so zum zweiten Mal fast alle Glocken. Wie schon 1917 mussten Glocken für die Kriegswirtschaft abgeliefert werden, sie wurden eingeschmolzen. Nur eine der vier Glocken durfte bleiben.
Kriegswirtschaft regelte auch die Versorgung der Bevölkerung, viele Lebensmittel und sonstiger Bedarf waren nicht mehr frei verkäuflich, sondern nur auf Karten oder gar nicht mehr zu bekommen.
Viele Hiltruper starben „im Kampf um die Freiheit Großdeutschlands“; wie schon im 1. Weltkrieg erhielten die Angehörigen ein Gedenkblatt zum Heldentod für Führer-Volk und Vaterland.
Für den Antrieb der neu entwickelten Waffen V1 und V2 wurde flüssiger Sauerstoff und flüssiger Stickstoff benötigt. Die Firma Linde errichtete auf Anweisung des Reichsluftfahrtministeriums am Hiltruper Sauerstoffwerk ein großes Maschinengebäude. Vor Inbetriebnahme wurden die Maschinen wieder abgebaut und nach Osten transportiert, um sie vor Luftangriffen zu schützen.
Das Hamburger Glasurit-Werk wurde 1944 komplett zerstört. Die Hiltruper Niederlassung musste einige Bombentreffer hinnehmen.
Kriegsgefangene und andere Zwangsarbeiter mussten auch in anderen Bereichen die wegen des Krieges fehlenden Arbeitskräfte ersetzen. Aufgabe der Ortsbauernführer war es zum Beispiel, landwirtschaftliche Betriebe mit solchen Arbeitskräften zu „versorgen“ (Originalton des Artikels „Der Landwirtschaftliche Ortsverein Hiltrup“, Hiltruper Anzeiger November 1985).
In der Hiltruper Gärtnerei Gebrüder Hanses waren zum Beispiel etwa 40 Russinnen und Russen eingesetzt, darunter der „Ostarbeiter“ Nikolai Chmilewski. Er stammte aus Mykolajiw (russisch: Nikolajew) in der Ukraine und war offensichtlich 1943 im Alter von 46 Jahren nach Deutschland verschleppt worden. Eine Zeitzeugin erinnert sich (WN vom 18.11.2000): „Es war furchtbar. Die russischen Frauen hatten ihre Babys am Rand des Feldes auf die Erde gelegt. Wie Skelette sahen sie aus. Und die Frauen hatten die Babys in Säcke gepackt, um sie ein bisschen gegen die herbstliche Kälte zu schützen.“
Weitere Informationen zum Schicksal der Zwangsarbeiter finden Sie bei Dr. Gisela Schwarze (kurze Zusammenfassung bei Dr. Bernd Weber).
In die Kriegswirtschaft wurden die Schulen einbezogen. An vielen Stellen wurden Maulbeersträucher gepflanzt, und der NS-Lehrerbund erließ 1940 einen Aufruf an die Schulen zur Mitarbeit am Seidenbau. Die Kokons wurden (zum Beispiel von einer Schule in der Grafschaft Bentheim) an die Mitteldeutsche Spinnhütte geschickt; die daraus gewonnene Seide wurde für Artilleriemunition und Fallschirme verwendet.
Auch die Hiltruper Missionsschwestern begannen 1940 eine Seidenraupenzucht, um Seide für Fallschirme zu gewinnen. 1941 wurden sie aufgefordert, in der Näherei des Klosters möglichst 400 Betttücher pro Tag für die Wehrmacht herzustellen.
Das Kloster der Hiltruper Missionare wurde am 12.7.1941 beschlagnahmt, die Mönche wurden aus Westfalen ausgewiesen. In den Tagen zuvor hatte es fünf schwere Bombenangriffe auf Münster gegeben; sie dienten als Vorwand, Unterkunftsmöglichkeiten für Ausgebombte zu schaffen. Tatsächlich quartierte der Reichsarbeitsdienst sich hier ein. Rund um die Beschlagnahme wurden Gerüchte gestreut („Fake News“), im Kloster seien eine Geheimdruckerei und ein Schwarzsender gefunden worden.
„In Hiltrup gab es keine Juden“, viele Jahre nach der NS-Zeit behaupteten das noch Alt-Nazis in Hiltrup. Das Schicksal mehrerer Juden in Hiltrup ist bekannt:
Der Frisör und Metzger Josef Salomon und seine Familie lebten 1934/1935 vorübergehend in Hiltrup, sie wurden in Riga ermordet; vor dem Haus Westfalenstr. 174 erinnern Stolpersteine an sie. Die Jüdin Frieda Wagener war mit dem katholischen Kohlenhändler Bernhard Wagener (*20.06.1906) aus Münster verheiratet. Der Hiltruper Arzt Dr. Tillmann bewahrte sie zunächst vor Zwangsarbeit, indem er ihr gesundes Bein in Gips legte (Frau Wagener hatte ein steifes Bein). Später beherbergte der Hiltruper Bauer Anton Everding-Rothland das Ehepaar Wagener einige Zeit in seinem Hof in der Hohen Ward. Danach wechselten sie aus Sicherheitsgründen das Versteck und lebten bis zum Kriegsende in einem Versteck bei einem anderen Bauern in der Nähe von Ascheberg. Während dieser Zeit wurde Herrn Wageners Familie mehrfach von der Gestapo bedrängt, den Aufenthaltsort der beiden anzugeben. Nach dem Krieg wohnten sie bis zu ihrem Tod 1981 in Hiltrup an der Marktallee 55 (Westfälische Nachrichten 8.5.1985 und 25.1.2020; Gemeindebrief der Ev. Kirchengemeinde Hiltrup und Amelsbüren, November 2006); Bernhard Wagener kandidierte 1956 als FDP-Vertreter für den Kreistag (WN 16.10.1956). Einen weiteren Hinweis auf jüdische Mitbürger enthält eine tabellarische Zeittafel „Werden und Wachsen“ mit dem Eintrag „1938 Jüdischer Mitbürger in Hiltrup ermordet“.
Die Postkarte von 1943 „Hiltrup – Altes Dorf“ zeigt noch einen unzerstörten Ort: Rechts das Spritzenhaus (heute Hiltruper Museum) mit dem Steigeturm, in der Mitte die alte Clemensschule, dahinter Alt-St. Clemens, links im Vordergrund die Clemensstraße (heute Patronatsstraße).
In Hiltrup fielen Bomben auch entfernt von den Industriebetrieben. Schon 1941 wurde Haus Maser beschädigt. Münster wurde bombardiert, nachts kamen bis zu 500 Flüchtlinge zu den Missionsschwestern. An der Klosterstraße (heute: Am Klosterwald) wurden mehrere Häuser getroffen, rund um Alt-St. Clemens wurde der alte Dorfkern zerstört, an der Albertsheide die Gärtnerei Lange.
Ende November 1943 bezog auf dem Acker zwischen Münsterstraße (heute: Hohe Geest) und dem Hof Hackenesch die Flakbatterie 3/324 „Vogelmann“ Stellung. Die Bedienmannschaften waren nahe am Kreuz (Ecke Hohe Geest / Im Dahl) in Baracken untergebracht, darunter neben den Soldaten 50 Oberschüler der münsterschen Wasserturmschule als Luftwaffenhelfer in einer Sondereinheit der Hitlerjugend. 20 bis 30 Ukrainer (sogenannte Hiwis, Hilfsfreiwillige) dienten als Munitionsträger, sie lebten in Rundzelten aus Holz und Teerpappe. Die Flakbatterie „Vogelmann“ war wie die Eisenbahnflakbatterie auf dem Verschiebegleis Ziel von Bombenangriffen. Einer der abgeschossenen Bomber landete am 21.2.1944 im Hiltruper Jesuiterbrook (1990 besuchten zwei Besatzungsmitglieder Hiltrup).
Allein am 7.5.1944 fielen mehr als 300 Bomben auf Hiltrup, 9677 insgesamt bis zum Ende des Krieges laut Kriegstagebuch der Missionsschwestern.
Mit der fortschreitenden Zerstörung der Städte durch die Luftangriffe entwickelte sich neben der NS-Bürokratie der systematischen Unterdrückung und Ermordung eine Bürokratie der Bombenschäden. Die polizeiliche Bescheinigung („Bombenschein“) war Grundlage für die Zuweisung einer anderen Wohnung und Auszahlung von 500 Reichsmark Entschädigung. In diesem Fall wurde auch diese zweite Wohnung 1944 durch Bomben zerstört, die Bewohner mussten sich wieder eine neue Bleibe suchen. Einen Eindruck von den fortschreitenden Zerstörungen vermitteln der Bericht eines Pfarrers über den Ordenseintritt seiner Schwester in Münster im Oktober 1944 und die Chronik der Freiwilligen Feuerwehr Hiltrup.
Die Bombenangriffe zerstörten ab 1941 auch in Münster und Umgebung immer mehr Häuser. Für die Aufräum- und Reparaturarbeiten wurden immer mehr Arbeitskräfte benötigt. Dafür wurden mit mäßigem Erfolg Arbeitskräfte und Firmen aus den Nachbarländern angeworben. Im Übrigen wurden Zwangsarbeiter eingesetzt.
Eine Vielzahl von Zwangsarbeiterlagern war in der Stadt und im Landkreis verteilt (siehe Karte). Allein im Bereich des heutigen Stadtbezirks Hiltrup gab es eine ganze Reihe von Kriegsgefangenen- und Fremdarbeiterlagern (nach: Marcus Weidner, Nur Gräber als Spuren: Das Leben und Sterben von Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern in Münster in den Jahren 1939-1945; Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte Beitrag 1981-1017; WN vom 18.11.2000): • Lager Gremmendorf (Loddenheide, bis 600 Personen), • A. 19 Sandgrube (nördlich der Eisenbahn/Berg Fidel), • A.21 Lager Berg Fidel (nahe der Straße Am Berg Fidel), • Gaststätte „Bernard Vogt“ (Kriegsgefangenenlager 817: 90 Personen für Glasurit) • Gaststätte „Josef Elfering“ (Bahnhofstraße, heute: Marktallee; Organisation Todt, 130 Italiener), • Hof „Stertmann Hackenesch“: Ab 1943 30 ukrainische Zwangsarbeiter als Flakhelfer, 1945 300 Russen, Italiener und Polen, • „Paterkloster“, • alte Mädchenschule an der Burchardstraße (heute: An der Alten Kirche) und Jungenschule an der Clemensstraße (heute: Patronatsstraße): Im Jahr 1945 100 Niederländer zur Reparatur zerbombter Gleisanlagen, • Gaststätte „Freitag“, • B.17 Gaststätte „Hof zur Geist“ der Organisation Todt: 130 Zwangsarbeiter für die Tiefbaufirma Reckmann aus Cottbus, • Lager „Waldfrieden“ (bis 480 Personen), • „Kantine für Kanalarbeiter [der stillgelegten Kanalbaustelle] / Frau Rabe“: Von 1942 bis 1945 50 französische Zivilarbeiter, • dazu die Lager auf Firmengelände („Gemeinschaftslager“ auf dem Werksgelände der Hoesch Röhrenwerke von 1942 bis 1945: 2 Baracken, 110 Personen) • sowie Gleisbauzüge und Kanalschiffe.
Das Lager „Waldfrieden“ wurde 1940 im Auftrag des nationalsozialistischen Einheitsverbandes der Arbeitnehmer und Arbeitgeber Deutsche Arbeitsfront (DAF) östlich des Kanals unweit der Prinz-Brücke errichtet (heute Waldpark). Es bestand 1943 aus mehreren (Erd-)Bunkern, Baracken und Schuppen und wies diverse Schutz- und Splittergräben auf. Im Hiltruper „Handwerkerlager“ Waldfrieden waren bis zum 31.8.1943 rund 80 französische Zwangsarbeiter einer Dachdecker-Kompanie untergebracht (Dr. Gisela Schwarze und Marcus Weidner). Mit der Massendeportation aus der Sowjetunion ab ca. 1943 zum Zwecke der Zwangsarbeit wurde das Gelände umzäunt und verstärkt bewacht. Die Insassen arbeiteten bei der Trümmerräumung in Münster, bei Hiltruper Bauern oder Industriebetrieben. Den zunehmenden Luftangriffen waren sie ungeschützt ausgeliefert. Zahlreiche Menschen verloren wegen der teilweise unmenschlichen Bedingungen ihr Leben.
Zu den im Hiltruper Lager “Waldfrieden” untergebrachten “Ostarbeitern” zitiert Weidner Quellen dahingehend, es sei oft vorgekommen, dass sich die (halb verhungerten) Russen nur noch gegenseitig schleppen und stützen konnten und, da es nur langsam vorwärts ging, mit Gewehrkolben vorwärts getrieben wurden. Besonders schlimm solle dies beim Lager „An den Loddenbüschen“ gewesen sein, das vermutlich ein Konzentrationslager für Ausländer gewesen sei.
Durch Evakuierungen aus Münster und aus anderen Städten wuchs in Hiltrup die Schülerzahl auf 780 Kinder im Jahr 1944, sie wurden in mehreren Schichten unterrichtet. Ein geordneter Unterricht war wegen des häufigen Fliegeralarms nicht mehr möglich. Die Schule an der Clemensstraße, die bis 1940 auf 10 Klassenräume erweitert worden war, wurde am 30.9.1944 durch eine Bombe beschädigt und am 6.11.1944 von der Organisation Todt mit Zwangsarbeitern belegt; nur der 7. und 8. Jahrgang wurde noch unterrichtet in Alt St. Clemens, im übrigen ruhte der Schulbetrieb.
Im September 1944 wurde die Freiwillige Feuerwehr Hiltrup noch bewaffnet – wie andere Feuerwehren. Sie erhielt 10 Gewehre mit Munition (und lieferte sie nach Kriegsende vollständig wieder an die Polizei ab).
1944 war nicht zu übersehen, dass die alliierten Truppen weit überlegen waren. Die SS-Standarte Kurt Eggers, eine Propagandatruppe der Waffen-SS, startete Mitte 1944 das Sonderunternehmen „Südstern“. Die »Skorpion«-Flugblätter sollten unter dem Titel: „Willst Du die Wahrheit wissen, Kamerad, frage den Skorpion!“ die Bevölkerung zum Durchhalten motivieren. In Skorpion Nr. 9 wurde zur Zerstörung der eigenen Heimat aufgerufen: „Wo der Feind auf deutschem Boden vorrückt, da muss er im vollsten Sinn des Wortes eine Wüste vorfinden, und sonst nichts.“
Gedrucktes Propaganda-Material setzten auch die Alliierten ein, z.B. Luftpost-Flugblätter. Ab April 1944 wurden täglich bis zu 1 Million Exemplare der in England hergestellten Nachrichten für die Truppe aus Flugzeugen über Deutschland abgeworfen. Als vierseitige Zeitung im Kleinformat aufgemacht enthielten sie eine Mischung von Berichten über den Kriegsverlauf, bunten Nachrichten aller Art und Propaganda. Die Nachrichten für die Truppe 30. März 1945 berichteten, dass die englischen Panzerverbände am Vorabend dicht vor Münster gemeldet wurden.
Der NSDAP-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister Gustav Fiegenbaum hatte gesagt, er würde auf den Trümmern von Hiltrup seinem Leben ein Ende machen. Im März 1945 flüchtete er mit seiner Familie. (Er kehrte später nach der Entlassung aus britischer Internierung zurück.)
Am 2.4.1945 (Ostermontag) wurden im letzten Gefecht um Hiltrup noch einmal 24 deutsche und 4 amerikanische Soldaten getötet (siehe Kriegstagebuch der Missionsschwestern und 1945: Letzte Kämpfe an der Prinzbrücke).
(Dieser Artikel wurde zuletzt am 15.11.2024 aktualisiert.)