Reichskonsul August-Bernhard Schencking (1827 - 1903)

August Bernhard Schencking (um 1900; Foto: Hiltruper Museum)
August Bernhard Schencking (um 1900; Foto: Hiltruper Museum)

August-Bernhard Schencking stammte von einem Bauernhof in Ascheberg. Er besuchte das Paulinum in Münster und schloss mit dem Einjährigen ab. Bei seinem Schwager Heinrich Ehring, der in Münster auf der Rothenburg ein Textilgeschäft betrieb, lernte er Textilkaufmann. Später ging er nach Lyon, gründete eine Seidenfabrik und eine Seidenraupen-Zucht und kam als Kaufmann zu Wohlstand, ab 1852/1853 in Toulon.

Auf einer Eisenbahnfahrt lernte er Micheline Comtesse de Cassis-Faraone aus Friaul kennen. Sie heirateten 1861 in Ascheberg, die Ehe blieb kinderlos. Schencking wurde in Toulon Konsul der Vereinigten Staaten von Nordamerika und des norddeutschen Bundes.

1862 erwarb Schencking von dem münsterschen Buchhändler und Verleger Franz Joseph Coppenrath das Gut Hülsebrock in Hiltrup (Coppenrath hatte das Gut 1836 gekauft). Mit etwa 500 Morgen Fläche war es der mit Abstand größte Vollerwerbsbetrieb im Kirchspiel. Es war ein alter westfälischer Gräftenhof, 1386 urkundlich erwähnt als Schulte Hulsbroke, 1528 als Hof tho Hulsbrocke. Das Haupthaus und die große Scheune waren aus Fachwerk errichtet, die einzelnen Gefache weiß gekalkt. Mehrere kleine Ställe gehörten ebenfalls zum Gehöft. Drei Kotten befanden sich in der Nähe des Gutes, die Kötter arbeiteten in der Landwirtschaft. (Das Haupthaus brannte 1912 nach Blitzschlag nieder. Reste der Gräfte sind noch erhalten, der Straßenname „An der Gräfte“ leitet sich davon ab.) Zeitweilig besaß Schencking auch das Gut Geist (Berg Fidel) und den Hölten-Kotten (heute: Gewerbegebiet am Höltenweg). In Hülsebrock wohnte er nur im Sommer, den Hof ließ er durch einen Verwalter (von Verth) bewirtschaften.

Villa Schencking in Hiltrup (historische Postkarte, um 1910; Hiltruper Museum)

Villa Schencking in Hiltrup (historische Postkarte, um 1910; Hiltruper Museum)

1864 baute Schencking an der Bahnhofstraße die Villa Hülsebrock (Villa Schencking). Es war ein stattliches Haus mit italienischen Stilelementen, wertvollen Parkettfußböden und Ebenholzmöbeln. Als erstes Haus in Hiltrup wurde fließendes Wasser mit Waschbecken und ein Wasserklosett installiert. (1978 mußte es der Rampe für die neue Brücke der Landesstraße über Eisenbahn und Kanal weichen und wurde abgebrochen.)

Als umsichtiger Kaufmann setzte sich Schencking für den zweigleisigen Ausbau der Münster-Hammer Eisenbahnstrecke ein und für die Verlegung der Haltestelle.

Brief an die "Königliche Direction der Westfälischen Eisenbahn zu Münster": Vorschlag, die Bahnstation Dickeweib zu verlegen (um 1865, Abschrift; Hiltruper Museum)

Brief an die „Königliche Direction der Westfälischen Eisenbahn zu Münster“: Vorschlag, die Bahnstation Dickeweib zu verlegen (um 1865, Abschrift; Hiltruper Museum)

„Die Haltestelle Dickeweib ist wohl die einzige in Europa, welche keinen öffentlichen Fahrweg hat und sich zudem noch in der unmittelbaren Nähe einer menschenlosen Heide der Hohewart befindet.“ Dieser Brief an die „Königliche Direction der Westfälischen Eisenbahn“ war eine Sammeleingabe und trug „neben vielen Anderen“ diese Unterschriften: Husmann (?), Lieutnant und Gutsbesitzer, von Amelunxen, Amtmann von Wolbeck, Alverskirchen, Rinkerode, Albersloh und Angelmodde, Klüsener, Pfarrer zu Wolbeck, Brinkjann, Vikar zu Wolbeck, Thier, Post?? zu Wolbeck, Thier, Gastwirt und Posthalter zu Wolbeck, Vogelmann, Ortsvorsteher Hiltrup, von Notz, Ortsvorsteher Ottmarsbocholt, Harling, Auctions-Commissar, Freiherr von Heeremann, Greve, Stadtrath und Ziegeleibesitzer, Anton Schencking zu Amelsbüren, Kuhlmann, Besitzer des Gutes Kannen bei Amelsbüren, Schencking, Toulon.

Schencking stellte Grund und Boden für die Verlegung des Bahnhofs nach Hiltrup zur Verfügung. Bis 1865 stieg Hiltrups Einwohnerzahl auf 665. Im Jahr 1868 wurde die Bahnstation an ihre heutige Stelle verlegt, Schenckings Gut Hülsebrock verfügte nun über einen Gleisanschluss. Sofort stieg die Zahl der Fahrgäste und Verladegüter.

Schencking betrieb den Bau der Bahnhofstraße (heute: Marktallee), die bis dahin nur ein einfacher Sandweg mit Wacholder-Büschen war, und stellte Grund und Boden dafür zur Verfügung. In dem Brief von ca. 1865 an die Eisenbahndirektion heißt es auch: „Eine andere Chaussee von Wolbeck und Angelmodde nach Hiltrup ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.“ 1874 baute die Gemeinde Hiltrup die Chaussee vom Dorf zum neuen Bahnhof (mit wassergebundener Steinbahn und Sommerweg).

1868 wurde Schencking zum Konsul des Norddeutschen Bundes in Toulon ernannt. Im Juli 1870 musste er nach Beginn des französisch-deutschen Krieges nach Hiltrup fliehen. Die Chronik des Männergesangvereins 1848 Hiltrup vermerkt danach eine „volksbeglückende, finanzreiche Zeit“ – die Reparationszahlungen Frankreichs führten zu einer Spekulationsblase am Kapitalmarkt, später folgte der Gründerkrach. Schencking nahm nach dem deutschen Sieg über Frankreich die Interessen von 49 aus Frankreich geflüchteten Deutschen wahr und machte eine hohe Schadenersatzforderung beim Bundeskanzleramt in Berlin geltend. 1872 wurde er zum Konsul des Deutschen Reiches in Nizza ernannt, bis 1876 residierte er in Cannes und Nizza.

In dieser Zeit lernte er auf Vermittlung seines Jugendfreundes Hinzpeter den damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm Albert Viktor von Preußen kennen (ab 1888 Kaiser Wilhelm II.). Laut Wilhelms Memoiren Aus meinem Leben organisierte Schencking für ihn eine Führung durch den Kriegshafen Toulon. Der Kontakt blieb danach bestehen, Schencking wusste ihn zu nutzen.

Das Gut Hülsebrock machte er zu einer landwirtschaftlichen Musterwirtschaft. Er ließ eine stattliche Esskastanien-Allee pflanzen, die auf den Hof führte, die ersten Bäume dieser Art in Hiltrup (der Straßenname „Kastanienallee“ erinnert daran). Er baute Mais an – damals etwas völlig Ungewöhnliches -, ließ Grünsilos anlegen und führte den Kunstdünger ein, um die Erträge auf dem mageren Sandboden zu steigern. Sein Kuhstall war mustergültig und viel bewundert. Er zeigte den Hiltrupern die Gründüngung mit Lupinen und machte erste Kulturversuche mit dem Dampfpflug. Für die Arbeiten holte er Gefangene aus Münster, die er in einem besonderen Wohnraum unterbrachte.

Zusammen mit Ökonomierat Winkelmann (Haus Köbbing), Ökonomierat Herold (Lövelingloh) und Bauern aus Hiltrup und Amelsbüren gründete Schencking 1876 den „Landwirtschaftlichen Lokalverein“, der in seinen Versammlungen in erster Linie der Schulung der Landwirte zur Verbesserung der Land- und Viehwirtschaft diente. 1883 wurde unter dem Vorsitz Schenckings die Hiltruper Spar- und Darlehnskasse gegründet. Schencking stellte Kassenraum und Geldschrank unentgeltlich zur Verfügung, jedem neugeborenen Hiltruper (nach anderer Quelle: jedem Erstkommunikanten) schenke er ein Sparbuch mit einer Einlage von 1 Taler. Pfarrer Spinn gehörte dem Aufsichtsrat an und führte dort das Protokollbuch.

Es war eine Zeit der großen Projekte. Die Reichsregierung plante den Bau des „Rhein-Weser-Elbe-Kanals“. Schencking warb Anfang 1882 für das Projekt und erhielt zunächst Zustimmung. Später lehnte der Westfälische Bauernverein die Planungen ab. Schencking setzte sich bei jeder Gelegenheit für den Kanalbau ein. Als Vorsitzender des Kreis-Canalbau-Comités gewann er 1887 den Kreistag, die Amtsvertretungen Greven und St. Mauritz sowie die Gemeinderäte der betroffenen Gemeinden dafür, sich an den Kosten für den Grunderwerb zu beteiligen. Nur Hiltrup lehnte ab. Schencking übernahm daraufhin persönlich und „bedingungslos“ die Garantie für den erforderlichen Kapitalbetrag. Der „Hiltruper Bogen“ des Kanals durch Schenckingsche Grundstücke auf Amelsbüren zu (siehe Karte) wurde am 30.9.1892 planfestgestellt, im Frühjahr 1893 begannen die Arbeiten. Für den Transport von Kanalbau-Material wurde 1897 vorübergehend eine Schiffswerft in Hiltrup eingerichtet für den Bau von zwei Lastkähnen; auch ein kleiner Personendampfer war unterwegs, der vorher kurze Zeit auf der Werse eingesetzt war. Der Kanalbau (feierliche Eröffnung am 11.8.1899 durch Kaiser Wilhelm II. in Dortmund) brachte durch den Grunderwerb viel Geld in die Gemeinde und setzte damit ein verstärktes Baugeschehen in Gang. Zwei öffentliche und zwei Privathäfen entstanden, Hiltrup machte seinen Frieden mit Schencking und wählte ihn 1894 wieder in die Gemeindevertretung.

Als Franz Anton Hanses Ketteier 1892 nach Hiltrup kam und Land für eine Baumschule kaufen wollte, wusste angeblich der Wirt am Bahnhof: „Schencking verkauft wohl. Der kann immer Geld gebrauchen.“ Die Baumschule entwickelte sich auf dem Hiltruper Sand sehr gut, Hanses Ketteler pachtete nach und nach fast das ganze Gelände des Gutes Hülsebrock.

Herz-Jesu-Missionshaus in Hiltrup (historische Postkarte, Hiltruper Museum von 1912)

Herz-Jesu-Missionshaus in Hiltrup (historische Postkarte von 1912, Hiltruper Museum)

Das Missionshaus der Hiltruper Missionare kam 1896 auf Anregung Schenckings nach Hiltrup, er verkaufte den Patres das Grundstück.

1898 ernannte die Gemeinde Hiltrup ihn zum Ehrenbürger.

Flurkarte von Hiltrup, Flur 6, im Jahr 1900: Heutige Marktallee von Am Klosterwald / Hohe Geest (links im Bild) bis Bahnhof (Quelle: Hiltruper Museum)

Flurkarte von Hiltrup, Flur 6, im Jahr 1900: Heutige Marktallee von Am Klosterwald / Hohe Geest (links im Bild) bis Bahnhof (Quelle: Hiltruper Museum)

Schencking forcierte die Entwicklung Hiltrups durch das Angebot von Baugrundstücken. Einen Teil seines Grundbesitzes südlich der Bahnhofstraße hatte er an die Forstbaumschule Hanses-Ketteler verkauft. Der größere Teil zwischen der heutigen Marktallee und Max-Winkelmann-Straße war laut Flurkarte von 1900 auf den Namen seines späteren Erben Paul Schencking eingetragen und in gleich breite Flurstücke aufgeteilt. Schencking verkaufte sie an Bauwillige; viele Grundstücke verschenkte er an Familien, um das Bauen zu fördern.

Ein Fußleiden zwang August Bernhard Schencking plötzlich zur Ruhe, er starb 1903. Kaiser Wilhelm II. kondolierte der Witwe per Telegramm. In seinem Testament hatte Schencking seinen Nachkommen aufgetragen, Bauwilligen Land zu verkaufen, um Industrie- und Wohnsiedlungen in Hiltrup zu ermöglichen:

Von dem Wunsche beseelt, recht bald das Dorf Hiltrup mit dem Bahnhof Hiltrup zu verbinden und die Zahl der Hauseigentümer zu vermehren, wodurch am besten der Anarchismus bekämpft und Staat und Religion besser erhalten werden, wie bei der vornehmlich im Osten bestehenden Latifundien-Wirthschaft, ertheile ich meiner Gemahlin das Recht, nach meinem Tode fortzufahren, Theile von meinem Gute Hülsebrock nach vorheriger Berathung mit meinem Adoptivsohn Paul Schencking, zu verkaufen, vornehmlich zu Ansiedlungen im Bramkamp, am Breitenweg und an dem nun projectierten Wege von der Münster-Hammer-Chaussee bei Wilbrenners bis zur Hanse’schen Forstkultur-Anstalt.

Totenzettel "Aug. B. Schencking" (1903)

Totenzettel „Aug. B. Schencking“ (1903)

Erbe wurde der 1893 adoptierte Neffe Paul Schencking (1854-1934), der Pächter auf dem Gut Brückhausen in Alverskirchen gewesen war. Dessen Sohn Leo Schencking (1901-1979) gründete 1928 das Hiltruper Kalksandsteinwerk.

Zur Person August Bernhard Schenckings heißt es in der mündlichen Überlieferung, er sei freundlich gegen jedermann gewesen, habe alle mit „Du, Kerlken“ angeredet, diesen Spitznamen habe er selbst dann auch erhalten.

Die Familie Schencking bewahrte seine (selbst entworfene?) offizielle Kleidung auf: Ein schwarzer Frack, dessen Kragen und Manschetten mit Silber- und Goldfäden kostbar bestickt sind; goldverzierte Epauletten mit Fransen; dazu eine wollweiße Hose mit Goldbordüre, Säbel und Dreispitzhut (jetzt im Hiltruper Museum).

(Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 06.03.2024.)