Museum Hiltrup

Vom Heimatverein zum Museum

Fahne mit dem Hiltruper Wappen vor dem Hiltruper Museum (4.10.2021; Foto: Henning Klare)

Fahne mit dem Hiltruper Wappen vor dem Hiltruper Museum (4.10.2021; Foto: Henning Klare)

Heimat hat Konjunktur. In Bayern, Nordrhein-Westfalen und der Bundesregierung wurden ab 2013 Heimatministerien geschaffen. Rechtsextreme benutzen „Volk“ und „Heimat“ als Kampfbegriffe in der Agitation gegen Mitbürger. Kaufleute versprechen sich Umsätze vom „Heimatshoppen“.

In Hiltrup wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe Vereine gegründet (siehe Beiträge Dorf Hiltrup und Industrialisierung und Aufschwung in Hiltrup). Neben den überwiegend gesellschaftlichen, kulturellen, religiösen und ganz praktischen Vereinszwecken dien(t)en sie auch der Traditionspflege. Einige dieser Vereine führten Aufzeichnungen in Form von Vereinschroniken. Die folgende Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit (in Klammern das Gründungsjahr):

• Männergesangverein (1848) • Kirchenchor Cäcilia (1849) • Bürgerschützenverein (1851) • Sodalität (1855) • Landwirtschaftlicher Lokalverein (1876) • Feuerwehr (1892) • Kirchbauverein St. Clemens (1893) • Kriegerverein (1896) • SPD (1909) • zwei Konsumvereine (Unitas und SPD) • Katholischer Arbeiter-Verein (1914) • Christlicher Mütterverein (1916).

Nach dem I. Weltkrieg kamen Sportvereine und politische Vereinigungen hinzu (siehe Beiträge Weimarer Republik und 1933-1945 NS-Zeit):

DJK Blau-Weiß Hiltrup (1920) • Ortsgruppe des Reichsbund Schwarz-Rot-Gold (1924) • Musikkapelle Schwarz-Rot-Gold (1925) • Seeclub Heidhorn (1925) • DJK Grün Weiß Amelsbüren (1928; 1934 umbenannt: SC Grün-Weiß Amelsbüren) • Turnverein Hiltrup (1930; 1934 Zusammenschluss mit DJK Blau-Weiß) • NSDAP-Ortsgruppe (1930) • Reichsbahn-Wasserfreunde (1932).

Abgesehen von der Traditionspflege in vielen dieser Vereine gab es bis zum II. Weltkrieg in Hiltrup keinen Heimatverein. Im deutschen Reich hatte es nach der Reichsgründung 1871 eine Welle von Heimatverein-Gründungen gegeben. Aus dem Bürgertum war der Impuls gekommen, sich der Dynamik wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen entgegenzustellen. Der Westfälische Heimatbund wurde 1915 gegründet, die Zahl der Heimatvereine in Westfalen stieg nach dem I. Weltkrieg von 30 auf ca. 150, häufig getragen durch das Engagement von Lehrern. Die in den Heimatvereinen dieser Zeit verbreitete gesellschaftspolitische Idealvorstellung eines sesshaften, bodenverbundenen Volkes, eines „Volksorganismus“ (als Gegenbild zur „Kultur- und Rassenverderbnis“ durch eine vielfältige krisenhafte Bedrohung Deutschlands von außen; Karl Ditt, Die Westfälische Heimatbewegung 1871-1945; ders.: Mit Westfalengruß und Heil Hitler, in: Antimodernismus und Reform), war vielleicht in vielen bürgerlichen Köpfen. Die unteren und mittleren Angestellten, die Handwerksmeister und die Arbeiter des aufstrebenden Industriestandorts Hiltrup hatten zunächst wohl wenig dafür übrig.

Die Zeit nach dem I. Weltkrieg war gekennzeichnet durch wirtschaftliches und politisches Chaos. Für die „Pflege von Heimaterinnerungen“ fehlten die Mittel, aber auch das Interesse. Ein Beispiel ist das Schicksal der Hiltruper Kirche Alt-St. Clemens im historischen Ortskern. Nach dem Bau der neuen St. Clemens-Kirche 1913 lehnte es die katholische Kirche ab, die alte Kirche den Evangelischen zu überlassen und damit die sakrale Nutzung fortzuführen. Es wurde aber auch kein schlüssiges Nutzungskonzept für die Zeit nach der Profanierung entwickelt. Die historische St. Anna-Glocke von 1521 wurde 1926 verkauft, das Gebäude verfiel (und wurde erst ab 1961 renoviert).

Der Ansatz der westfälischen Heimatvereine, in einer Krise Identität zu stiften und abzugrenzen gegen „Volksfremde“, namentlich „Fremdrassige“ (Karl Ditt a.a.O.), überschnitt sich mit der Programmatik der NSDAP; diese erweiterte das Bedrohungsszenario um den „Kampf gegen den Bolschewismus“.

Nach dem II. Weltkrieg nahm auch Hiltrup eine große Zahl von Flüchtlingen auf. 1950 machten Flüchtlinge ungefähr ein Zehntel der Einwohner aus. Das Sozialministerium NRW förderte die Kulturarbeit der Vertriebenen, ab 1950 wurden „Volkstumswochen“ organisiert, in denen die Flüchtlinge ihr Brauchtum pflegen konnten. Die westfälische Heimatbewegung diskutierte, ob sich die Flüchtlinge in separaten eigenen Heimatvereinen organisieren oder in die örtlichen Vereine aufgenommen werden sollten. In der Tradition des völkischen Denkens wurde sogar darauf verwiesen, Westfalen hätten im Hochmittelalter im Osten gesiedelt, die Flüchtlinge seien damit praktisch Heimkehrer. In den 1950er Jahren gab es eine Welle von Heimatverein-Gründungen.

Das Hiltruper Vereinsleben belebte sich. Der Bürgerschützenverein feierte 1951 sein hundertjähriges Jubiläum. Die Festschrift hebt die „heimatverbundene Vereinsarbeit“ hervor: Seid weiterhin treue und vorbildliche Heger und Pfleger der Heimaterinnerungen Hiltrups. Der Aufruf an Hiltrups Heimatfreunde in der Festschrift fordert, „alles von jetzt ab zusammenzutragen, was an Heimaterinnerungen in unserem Heimatbereich noch zusammengetragen werden kann“. Ziel war der Aufbau eines Heimatarchivs für das Amt St. Mauritz in Hiltrup nach dem Vorbild des Heimathauses Telgte [1934 als Wallfahrts- und Heimatmuseum gegründet].

Ob diese (Rück)Besinnung auf Heimatkunde eine Abgrenzungsreaktion war auf den massiven Zuzug nach Hiltrup, lässt sich aus heutiger Sicht nicht beurteilen: Lokale Tradition gegen die Zuwanderung der Fremden mit ihrem fremden Brauchtum? Vielleicht war es aber auch eine Reaktion auf die hautnah erlebten Schrecken und Zerstörungen des Krieges, den die Nazis von Anfang der 1930er Jahre an ganz offen vorbereitet hatten: Ein ganz bewusstes Heimisch-Werden in heiler Welt, auch für die Zugezogenen? Heimattreu rustikal und nicht urban (Christian Graf von Krockow: Bleierne, große Zeit. Die fünfziger Jahre – Aufbau und Verdrängung), Verlässlichkeit und Entspannung?

Welche Aktivitäten der Aufruf der Bürgerschützen in den folgenden Jahren ausgelöst hat, ist nicht überliefert. Erst für das Jahr 1961 ist die Gründung des Vereins „Heimatfreunde Hiltrup“ belegt. Die Westfälischen Nachrichten berichten am 8.5.1961 über die erste Vorstandswahl:

• 1. Vorsitzender (Baas): August Buller (1905-1995), von 1924 bis 1970 Angestellter der Max Winkelmann AG und zuletzt Produktionsleiter Lackfarben • 2. Vorsitzende: Alma Neisemeyer (1886-1962), pensionierte Schulrektorin und Kommunalpolitikerin • Schriftführer: Theodor Schräder • Chronist: Dr. Peter H. Keulers (1896-1963), Psychologe und Schriftsteller • Kassenwart: Heinz Vielmeyer • Beiräte: Lieselotte Nübel (ihr Vater war bis in die 1930er Jahre Motor der kleinen evangelischen Gemeinde in Hiltrup) • Maria Mockel • Dipl.-Handelslehrer Josef Borgdorf • Bernhard Hagemann • Gerhard Lange (1916 in Polen-2010), Gärtnermeister, Vertreter der Heimatvertriebenen, 1978 Gründer der Hiltruper Polenhilfe • Hauptlehrer Alfke als Lehrervertreter, evangelische Paul-Gerhardt-Schule.

Zu den Mitgliedern der ersten Stunde (1963-1974 2. Vorsitzende) gehörte auch Alma Neisemeyers Schwester Virginie Hölling (*1891); ihre Mutter Emilie Neisemeyer hatte von 1902 bis 1924 an der Hiltruper Mädchenschule unterrichtet. Frau Hölling schrieb Plattdeutsch und eine kleine Heimatgeschichte: „Alt-Hiltrup / Heiteres und Besinnliches“ (1973).

In der ersten Versammlung der Heimatfreunde Hiltrup im Jahr 1961 wurden das Westfalenlied und das Riesengebirgslied gesungen, anschließend verschiedene Volkslieder. Geplant wurden Rundgespräche, Wanderungen und Ausflüge; die „junge Generation“ sollte durch „Volkstanz, Lied, Brauchtum und Sprache“ angesprochen werden.

Es war offensichtlich (abgesehen von Gerhard Lange) ein Zusammenschluss der „alten Hiltruper“. Sie waren zunächst recht aktiv, luden monatlich zu öffentlichen Zusammenkünften ein im Vereinslokal Heithorn (bis 1945 Stammlokal der NSDAP). Dort wurde aus vergangenen Zeiten erzählt, Zeitzeugen traten auf, Plattdeutsch wurde gepflegt.

Im Jahr 1965 verlieh der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen der Gemeinde Hiltrup ein Wappen, vermutlich aufgrund einer Initiative der Heimatfreunde.

Vorstand der Heimatfreunde Hiltrup: (v.l.) Else Kisker, Heinz Vielmeyer, Theodor Schräder, Maria Mockel, Virgini a Hölling, Bernhard Hagemann, Sophia Georges, August Buller (14.11.1970; Foto: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

Vorstand der Heimatfreunde Hiltrup: (v.l.) Else Kisker, Heinz Vielmeyer, Theodor Schräder, Maria Mockel, Virginia Hölling, Bernhard Hagemann, Sophia Georges, August Buller (14.11.1970; Foto: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

1971 gelang es dem Heimatverein, die 1926 verkaufte St. Anna-Glocke von 1521 aus dem Landesmuseum zurückzuholen in den Turm von Alt-St. Clemens. 1971 setzten die Heimatfreunde sich bei Innenminister Weyer dafür ein, im Rahmen der kommunalen Gebietsreform die Selbständigkeit Hiltrups zu erhalten; gegenüber dem Gemeinderat nahmen sie Stellung zur Bauleitplanung und machten Umweltschutz-Aspekte geltend.

Das Umfeld des Heimatvereins änderte sich. In den 1960er Jahren stagnierte allgemein die Heimatbewegung. Die Nachkriegskrise wurde bewältigt, im Wirtschaftswunder hatte „Heimat“ kein Standing mehr und wurde leicht anrüchig.

Anfang der 1980er Jahre drohte der Verein Heimatfreunde einzugehen. Eine neue Generation engagierte sich. Die Lehrerinnen Bärbel Reisener (Vorsitzende von 1982 bis 1990) und Elisabeth Egger (1936-2009; Konrektorin der Ludgerusschule) traten ein, 1983 veröffentlichten sie das „Hiltruper Lesebuch“. 1990 hatte der Verein 300 Mitglieder. Bei einem Treffen am 28.1.1983 stellte Pater Bernhard Trilling ein barockes Messgewand und wertvolle alte Kelche vor. Die Idee kam auf, eine Heimatstube einzurichten.

Das Team Egger / Reisener stürzte sich in die Vorbereitung. Bärbel Reisener sprach heimatkundlich interessierte Hiltruper an. Annette und Ludger Wentrup stellten unentgeltlich die frühere Wohnung in ihrer ehemaligen Dampfmühle am Osttor als Museumsräume zur Verfügung. Die Satzung für ein „Kuratorium Hiltruper Museum e.V.“ wurde ausgearbeitet, am 19.6.1983 fand im Hause Wentrup die Gründungsversammlung statt:

• Bärbel Reisener, Vorsitzende • Elisabeth Egger • Rudolf Bartling • Heinz-Wilhelm Harling • Marianne Hoppenberg • Hans Muschinski, Unternehmer • Dr. Eckard Paust, niedergelassener Arzt • Dr. Franz Tölle, ehemaliger Bürgermeister • Annette und Ludger Wentrup, Unternehmer

Schwerpunkte des Museum sollten Alt-St. Clemens / Hiltrup um 1900 sein. Neben der Hiltruper Öffentlichkeit sollten auch die Schulen angesprochen werden, als didaktischer Schwerpunkt wurden die drei historischen Mühlenformen in Hiltrup angesprochen (mit Modell-Nachbauten).

OB Pierchalla eröffnet das Hiltruper Museum in Wentrups ehemaliger Dampfmühle am Osttor (1.9.1984; Foto: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

OB Pierchalla eröffnet das Hiltruper Museum in Wentrups ehemaliger Dampfmühle am Osttor (1.9.1984; Foto: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

Am 1.9.1984 eröffnete Oberbürgermeister Pierchalla das Museum in der alten Dampfmühle. Leiterin war Bärbel Reisener, die Schlüsselgewalt als „Museumsvater“ hatte Schneidermeister August Krause (1907-1996). Führungen für Schulen boten Karl Schmidt und Hildegard Luig an.

Elisabeth Egger, Herr Hufnagel (LV-Verlag), Bärbel Reisener (29.8.1987; Foto: Hiltruper Museum)

Elisabeth Egger, Herr Hufnagel (LV-Verlag), Bärbel Reisener (29.8.1987; Foto: Hiltruper Museum)

Nach einigen Jahren meldete der Betrieb Wentrup Eigenbedarf an, ein neues Quartier musste für das Museum gefunden werden. Hier kam die alte Feuerwache ins Gespräch.

Feuerwache Hiltrup mit Steigeturm, im Hintergrund St. Clemens (1944; Foto: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

Feuerwache Hiltrup mit Steigeturm, im Hintergrund St. Clemens (1944; Foto: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

Das Gerätehaus der freiwilligen Feuerwehr war 1934 in bürgerschaftlicher Selbsthilfe gebaut und 1935 mit einem Steigeturm vervollständigt worden. Nach einem Bombenschaden war im Januar 1945 über der Wagenhalle auch eine Wohnung für die Familie des Gerätewartes Heini Rösmann geschaffen worden. 1966 bezog die Feuerwehr eine neue Wache an der Friedhofsstraße, 1977 zog auch Frau Rösmann aus.

Der Künstler Klaus Möllers zog mit seiner Familie ein, von 1979 an nutzte er das Haus zunächst als Atelier und nach seinem Auszug als Ausstellungsfläche.

Der Museumsverein wandte sich an die Stadt Münster als Eigentümerin des Gebäudes. 1997/1998 wurde es für das Museum Hiltrup umgebaut und am 23.8.1998 eröffnet. Der Museumsverein hat seit 2006 die Rechtsform eines eingetragenen Vereins (e.V.). Der Heimatverein (Heimatfreunde Hiltrup) ist 2006 (?) im Museumsverein aufgegangen.

Eine Vielzahl von wechselnden Ausstellungen und sonstigen Veranstaltungen hat seit der Gründung im Hiltruper Museum stattgefunden.

Museum Hiltrup: Eröffnung der Ausstellung "Die 60er Jahre" (17.3.2019; Foto: Henning Klare)

Museum Hiltrup: Eröffnung der Ausstellung "Die 60er Jahre" (17.3.2019; Foto: Henning Klare)

Auf dem Vorplatz des Museums steht die Bronzeplastik „Die Diskuswerferin“ von Marietta Hanses-Koering (1903-1995).

Vorsitzender des Museumsvereins und Leiter des Museums ist seit ??? das Gründungsmitglied Hans Muschinski. Das Ehepaar Muschinski leistet – unterstützt von einem Kuratorium – den größten Teil der umfangreichen ehrenamtlichen Arbeit:

• Technischer Betrieb des Hauses • Öffentlichkeitsarbeit • Konzeptionierung, Detailplanung und Realisierung der Wechselausstellungen im Erdgeschoss • Koordinierung von kulturellen Veranstaltungen in den Museumsräumen (VorLeseClub Hiltrup und andere) • Weiterentwicklung der Dauerausstellung im Obergeschoss • Sichtung, Systematisierung und laufende Ergänzung des umfangreichen Sammlungsbestandes an Fotos, Urkunden, Möbeln, Einrichtungsgegenständen, Textilien und sonstigen Archivalien • Konzeptionierung und Herausgabe von Veröffentlichungen • Betreuung der Anfragen Externer für Forschungs- und Schülerarbeiten und ähnliche Projekte • Einwerbung von Spenden

Die Kosten der Gebäudeunterhaltung trägt die Stadt Münster als Eigentümerin. Die laufenden Betriebskosten des Museums werden aus Spenden und aus einem Zuschuss der Bezirksvertretung finanziert.

Webseite: Hiltruper Museum, Kontakt: Hans Muschinski.

(DIeser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 12.12.2024.)