Ortsgeschichte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts
Das Bauerndorf Hiltrup erhielt um 1160 für ca. 80 Gläubige seine erste Kirche, Alt-St. Clemens, auf einem Grundstück des Hofs Schulze Hiltrup (die Datierungen liegen zwischen 1120 und 1180).
Eine ähnliche Kirche entstand in dieser Zeit in Alverskirchen, hier ist von dem romanischen Ursprungsbau nur der Turm erhalten (St. Agatha).
In den folgenden Jahrhunderten wuchs Hiltrup nur sehr langsam, um 1500 wohnten hier ca. 180 Personen. St. Clemens wurde 1518 etwas erweitert, der romanische Chor und die romanische Apsis wurden durch spätgotische Bauteile ersetzt. Die St. Anna-Glocke von 1521 trägt die Inschrift: Sancta Anna het ick, de lewendigen rop ick, de doden beschrei ick. Anno domini M D XX I.
Die Alverskirchener St. Agatha-Kirche erhielt möglicherweise zur gleichen Zeit ihr neues gotisches Kirchenschiff, ihre Maria-Glocke wurde 1513 gegossen.
1534 wurde in Hiltrup der Kampf gegen die Wiedertäufer in Münster organisiert. In einer Urkunde vom 22.7.1534 im Archiv Lembeck heißt es: „Franz, Bischof von Münster und Osnabrück, Domdechant, Kapitel, Ritterschaft, Städte und Landschaft des Stifts Münster bekunden, dass auf einem Landtag zu Hiltrup beschlossen sei, je zwei Vertretern des Kapitels, der Ritterschaft und der Städte die Vollmacht zu geben, mit dem Bischof den Kampf gegen die aufständigen Wiedertäufer zu Münster zu leiten. Gleichzeitig soll Bernd van Westerholt, ihr Bürge für größere Summen Geldes, die zu diesem Kampfe aufgenommen wurden, schadlos gehalten werden.“
Ende des 16. Jahrhunderts litt auch Hiltrup unter dem spanisch-niederländischen Krieg. Mal waren es Niederländer, mal suchten spanische Truppen den Ort heim, und auch umherziehendes Gesindel („wilde goese“) stahl und raubte.
Aus dem Jahr 1614 ist ein Bericht über eine Visitation der Hiltruper Pfarre erhalten. Es gab keine Schule und keinen regelmäßigen Unterricht. Kirche und Messgerät waren in gutem Zustand, Pfarrer Stawingh ernährte sich von eigenem Acker, er hielt 6 Kühe. Er wurde ausdrücklich über das Wirken der Hebamme befragt: Hebammen standen in der Zeit der Hexenverfolgungen oftmals im Verdacht, mit dem Teufel verbündet zu sein und sich der ungetauften Kinder habhaft zu machen. Alle Gläubigen hatten Ostern kommuniziert mit Ausnahme eines Adeligen. Der Armenfond der Gemeinde verfügte über ein Kapital von 50 Talern. Zum Zeitpunkt der Visitation lebte in der Gemeinde keiner in „wilder Ehe“ – nur der Pfarrer selbst wurde angehalten, seine Konkubine innerhalb von 2 Wochen wegzuschicken. Er fügte sich zunächst den Anweisungen des Bischofs, nahm sie aber später als Dienstmagd wieder in den Pfarrhof auf.
Im Jahr 1499 als „Hilttorp“ (Dorf des Hillo) erwähnt (1528: Hiltorppe,1558: Hylterpe, 1621: Hiltorpf), ist der Ort – anders als Amelsbüren – in der Mercator-Karte von 1627 noch nicht verzeichnet, wohl aber in der Pauluskarte des Fürstbistums Münster von Dr. Johann Gigas. 1650 ist Hiltrup in der Karte Tabula nova… von Peter Schenck verzeichnet.
Hiltrup liegt am alten Hellweg von Köln nach Münster. 1679 versammelte sich hier das hohe Domkapitel mit Ehrenformationen, um Fürstbischof Ferdinand von Fürstenberg in Münster zu begrüßen. Der Festzug begann an „Stertmanns Schloet“, dem heutigen Hof Hackenesch an der Hohen Geest, und bestand aus mehr als 2000 Teilnehmern. Auch aus 1784 ist eine ähnliche Begrüßung in Hiltrup überliefert für den Fürstbischof Maximilian Franz.
Das Kirchspiel Hiltrup verschuldete sich im 17. und 18. Jahrhundert für den Unterhalt der Landwehren und der Kirche mit den Pfarrgebäuden, erst mit dem Wachstum im 19. Jahrhundert konnten diese Schulden abgetragen werden.
Im 18. Jahrhundert hatte der Ort um 500 Einwohner. Im Status Animarum von 1749/1750 listet Pastor Richter 472 Personen in 76 Haushalten auf: 30 landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe über 50 Morgen (darunter auch der Pastor), 21 Kleinbauern (Kötter und Pächter, die auf weitere Verdienstmöglichkeiten angewiesen waren; darunter auch die Gastwirte Böhmer / Dicke Weib und Hoffmann) und 20 Haushalte von Landlosen und Landarmen bis 5 Morgen Pachtland (Matthias M. Ester, Das Kirchspiel Hiltrup um 1750, Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld 1997). Um 1750 gab es vier Gasthöfe in Hiltrup: „Zum reitenden Jäger“, „Zum Engel“, „Zum weißen Pferd“ und Zum Dickenwiewer.
Mit der Kirchspielschatzung wurden im Fürstbistum Münster Steuern erhoben von allen Eingesessenen, die älter als 12 Jahre waren und nicht als arm galten. Die Kirchspielschatzung (Steuerliste) von 1780 nennt 20 Erbhöfe und 10 Kotten als Steuerpflichtige in Hiltrup.
Die Hiltruper Pfarrer des 18. Jahrhunderts waren recht wohlhabend, ihr Inventar war wertvoller als das der meisten Bauern. Das Pastorat für den Pfarrer von St. Clemens war im dreißigjährigen Krieg 1622 von den Truppen Christian von Braunschweigs niedergebrannt worden; im Siebenjährigen Krieg plünderten 1761 französische Truppen das Dorf, das 1622 neu gebaute Pastorat brannte mit allen Kirchenbüchern erneut nieder und wurde wieder neu gebaut (heutiger „Alter Pfarrhof“).
Die Bebauung bestand aus den verstreut liegenden Bauernhöfen und Kotten sowie 11 Wohnhäusern rund um den Kirchplatz, die vom Küster, von Tagelöhnern, Handwerkern usw. bewohnt wurden. 1804 gab es 22 Handwerksbetriebe mit 31 Beschäftigten, darunter 5 Schneider, 5 Weber, 3 Schuhmacher, 3 Bierbrauer, 2 Schmiede, 2 Zimmerleute, 1 Fassbinder. Der Küster erteilte Schulunterricht in der Küsterei, 1811 wurde nach Süden hin an die Küsterei ein eigenes Schullokal angebaut. Lehrerküster Potthoff erhielt 1833 die formelle Anstellung als Lehrer und schwor den Eid auf den preußischen König.
Mit der Ausbildung der Lehrer (meist waren es die Küster) war es nicht weit her. Overberg gründete 1783 in Münster die „Normalschule“. Sie war ein Vorläufer der späteren Lehrerseminare und diente zur Qualifizierung bereits amtierender Lehrer, die nach seinen Worten „wenig oder noch gar keine Vorkenntnisse hatten“. Der münstersche Fürstbischof Maximilian Franz schrieb 1788 mit der erneuerten und erweiterten Schul-Verordnung für die Land- und deutschen Schulen solche Qualitätsstandards für alle Lehrer vor und regelte Schulpflicht, Lerninhalte und Besoldung der Lehrer.
Die überörtlichen Wegeverbindungen liefen am alten Ortskern von Hiltrup rund um Alt-St. Clemens vorbei.
Die Karte des vormaligen Oberstifts Münster von 1800 zeigt, dass die alte Landstraße Münster-Hamm damals innerhalb des heutigen Hiltrup identisch war mit dem Breiten Weg, heute: Hohe Geest / Am Klosterwald.
Die Landstraße führte am Nordrand des heutigen Hiltrup nach Süd-Osten und gabelte sich erst kurz vor dem Emmerbach: Ein heute nicht mehr vorhandener Zweig führte geradeaus direkt nach Drensteinfurt, der andere zunächst nach Westen zum Dicken Weib und dann nach Süden in Richtung Herbern (heutige Bundesstraße B 54). (Ähnlich – mit etwas anderer Straßenführung – die Karte von Karl Ludwig von Le Coq aus dem Jahr 1805.)
Hiltrup hatte teilweise schweren Boden, aber auch Sandboden. Nach einer Bereisung im Juli 1846 schrieb Landrat Clemens von Bönninghausen über die in diesem Jahr zu erwartende Roggenernte: „… befriedigend bis Hiltrup, wo auf dem flachen, dürren Sandboden niemals viel zu erwarten ist, …“ (Westfälischer Merkur 31.7.1846). Hiltrup war deutlich kleiner als das Nachbardorf Amelsbüren, das auf gutem Ackerboden um 1800 1.300 Einwohner hatte. Amelsbüren brannte 1816 bis auf die Kirche vollständig ab, für den Wiederaufbau verwendete man die Steine des alten fürstbischöflichen Gefängnisses auf der Galgheide (in der Karte oben links, heute Kappenberger Damm / Hünenburg).
In HIltrup gab es 1804 drei Krämer, darunter Schulte Hiltrup, der auch Bier und Branntwein verkaufte (Vorgänger der späteren Gastwirtschaft Scheller?). Für das Jahr 1834 ist ein Armenhaus in Hiltrup verbürgt (im benachbarten Rinkerode war schon 1628 ein Armenhaus gestiftet worden, 1824 durch einen Neubau ersetzt, heute im LWL-Freilichtmuseum Detmold). In Amelsbüren lebten im 19. Jahrhundert auch einige Juden. Das Judenbuch verzeichnet für das Jahr 1829 einige jüdische Familien in Amelsbüren, Telgte und Wolbeck, nicht aber in Hiltrup.
Einen Überblick gibt die Generalstabskarte von 1835.
Die Karte zeigt auch, dass 1819 die Wegeverbindung Münster-Hamm als Chaussee über die heutige Westfalenstraße ausgebaut wurde; die „alte Landstraße“ über den Breiten Weg (heutige Hohe Geest / Am Klosterwald) verlor ihre Funktion als überörtliche Verbindung.
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde ungefähr ein Drittel der gesamten Fläche des Kirchspiels Hiltrup gemeinschaftlich bewirtschaftet. Die Bauern waren in Markengenossenschaften zusammengeschlossen, die die Bewirtschaftung regelten: Viehweide, Schweinemast, Holzentnahme und Plaggenstechen (zur Düngung der Äcker) in der Hohen Ward, Hüls-, Mertens-, Alberts-, Teigel-, Grollen- und Mühlenbecksheide. Diese Marken wurden im wesentlichen bis 1830 aufgeteilt (Wort und Vennheide erst 1847). Die Waldflächen im Kirchspiel Hiltrup wurden als Mittelwald bewirtschaftet, wie man den zahlreichen Verkaufsanzeigen zum Beispiel im Westfälischen Merkur (erschienen von 1822 bis 1929) entnehmen kann: Wenige Bäume blieben als Oberholz länger stehen und wurden als Bau- und Konstruktionsholz verkauft. Das dünnere Unterholz oder Reisig wurde in kürzeren Abständen geschlagen und als Stangenholz in Buschen oder als Reisig in Wellen (abgemessenen Einheiten) als Brennholz verkauft (später, z.B 1884, andere Maßeinheit: 3200 Buschen = 10 Brennholzklafter).
Für die Vennheide („s. g. Vennheide an der Frankfurter Straße diesseits des Dorfes Hiltrup“) kündigte der Verein zur Veredelung der Pferdezucht 1836 ein Pferderennen an (es fand dann tatsächlich „auf dem Exercier-Platze, auf der Loddenheide“ statt) – 1898 baute der Westfälische Reiterverein seine Rennbahn in der Vennheide.
Die Eisenbahnlinie Münster-Hamm wurde im März 1846 planfestgestellt. Das Material für den Bahnkörper wurde aus den Kiesgruben bei Hiltrup herangeschafft. 1848 wurde die Strecke feierlich eröffnet, der Anhaltspunkt „Dieke Wief“ (Dickes Weib) für Hiltrup, Wolbeck und Albersloh lag inmitten der Heide der Hohen Ward. Diese Betriebsstelle wurde aufgrund der umliegenden Kies- und Sandgruben eingerichtet, da die Bahn mit höheren Frachteinnahmen rechnete. Kritisiert wurde dies schon kurz nach der Eröffnung (Westfälischer Merkur 3.6.1848). Täglich fuhren drei Züge, das Verkehrsaufkommen war gering. Die Münster-Hammer Eisenbahngesellschaft wurde wegen finanzieller Schwierigkeiten 1855 verstaatlicht, die Bahnstation wurde in „Hiltrup“ umbenannt.
1813 war in Amelsbüren die St. Sebastian Schützenbruderschaft gegründet worden, Präses war und ist der katholische Pfarrer.
Vor dem Hintergrund der Revolution von 1848 gründeten der Hiltruper Pfarrer Theißing und Lehrer Voß 1848 den Männergesangverein Hiltrup 1848, 1849 folgte der Kirchenchor „Cäcilia“. Aus dem Männergesangverein entstand 1851 auch der Bürgerschützenverein Hiltrup von 1851, Wirt Bäumer lud 1851 zum Schützenfest in das Dicke Weib: Ein „guter Katholik“ war Mitglied in mindestens einem kirchlichen Verein, hieß es; Pfarrer Theißing gab den ersten Schuss auf den Vogel ab. Theißing erhielt 1852 vom preußischen König den „Rothen Adler-Orden vierter Classe“ – der Pfarrer des größeren Ortes Amelsbüren erhielt den „Rothen Adler-Orden dritter Classe“ (Westfälischer Merkur 23.12.1852).
Pfarrer Theissing starb 1854 als wohlhabender Mann. „Für die Armen zu Hiltrup“ hinterließ er ein Sparguthaben von 50 Talern. Sein Nachfolger Pfarrer Kersting wandelte den Bürgerschützenverein um in die „Sodalität zu Hiltrup 1855“, eine katholische Vereinigung mit dem Zweck, „den Gottesdienst durch Gesang mehr zu heben“. Dadurch schrumpfte auch der Männergesangverein auf nur noch 20 Mitglieder. Alt-St. Clemens erhielt zu Weihnachten 1856 eine vom Orgelbauer Kersting in Münster gebaute Orgel.
Zur Bekämpfung der „gefährlichen Fastnachtslustbarkeiten, welche so oft in sündhafte Ausschweifungen ausarten“, organisierte Pfarrer Kersting in Hiltrup ab 1856 jeweils ab dem Fastnachtssonntag ein Vierzigstündiges Gebet, das mit einem Ablass verbunden war. Zur „Fundation“ des vierzigstündigen Gebets wurden Spenden in bedeutender Höhe gesammelt. 1862 wurde Pfarrer Kersting versetzt. Sein Nachfolger Pfarrer Spinn setzte diese Tradition fort. Spinn war Jäger, er förderte Männergesang- und Schützenverein.
1862 erwarb August Bernhard Schencking (1827-1903) von der Witwe des Münsteraners Franz Joseph Coppenrath, eines Sohns des münsterschen Juristen, Buchhändlers, Verlegers und Unternehmers Joseph Heinrich Coppenrath (1764-1853) das Gut Hülsebrock in Hiltrup. Joseph Heinrich Coppenrath hatte das Gut 1836 gekauft. Mit 463 Morgen Fläche war es der mit Abstand größte Vollerwerbsbetrieb im Kirchspiel. Es war ein alter westfälischer Gräftenhof, 1386 urkundlich erwähnt als Schulte Hulsbroke, 1528 als Hof tho Hulsbrocke.
Hiltrup war zu dieser Zeit ein vergleichsweise armes Dorf: Aus einem Zeitungsartikel über die Finanzierung der Chaussee Münster-Wolbeck (Westfälischer Merkur 9.9.1864) geht hervor, dass Hiltrups Steuerkraft 1.868 Talern nur halb so groß war wie die von Amelsbüren und auch deutlich niedriger als die von Rinkerode.
Bis 1865 stieg Hiltrups Einwohnerzahl auf 665.
Schencking machte Hülsebrock zu einer landwirtschaftlichen Musterwirtschaft. Als umsichtiger Kaufmann setzte er sich für den zweigleisigen Ausbau der Münster-Hammer Eisenbahnstrecke ein und für die Verlegung der Haltestelle. „Die Haltestelle Dickeweib ist wohl die einzige in Europa, welche keinen öffentlichen Fahrweg hat und sich zudem noch in der unmittelbaren Nähe einer menschenlosen Heide der Hohewart befindet.“ Dieser Brief an die „Königliche Direction der Westfälischen Eisenbahn“ war eine Sammeleingabe und trug „neben vielen Anderen“ diese Unterschriften: Husmann (?), Lieutnant und Gutsbesitzer, von Amelunxen, Amtmann von Wolbeck, Alverskirchen, Rinkerode, Albersloh und Angelmodde, Klüsener, Pfarrer zu Wolbeck, Brinkjann, Vikar zu Wolbeck, Thier, Post?? zu Wolbeck, Thier, Gastwirt und Posthalter zu Wolbeck, Vogelmann, Ortsvorsteher Hiltrup, von Notz, Ortsvorsteher Ottmarsbocholt, Harling, Auctions-Commissar, Freiherr von Heeremann, Greve, Stadtrath und Ziegeleibesitzer, Anton Schencking zu Amelsbüren, Kuhlmann, Besitzer des Gutes Kannen bei Amelsbüren, Schencking, Toulon.
In dem Brief von ca. 1865 an die Eisenbahndirektion heißt es auch: „Eine andere Chaussee von Wolbeck und Angelmodde nach Hiltrup ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.“
Schencking stellte Grund und Boden für die Verlegung des Bahnhofs nach Hiltrup zur Verfügung. Im Jahr 1868 wurde die Bahnstation an ihre heutige Stelle verlegt, hier wurde ein Zweigpostamt eingerichtet. Schenckings Gut Hülsebrock verfügte nun über einen Gleisanschluss.
Schencking betrieb den Bau der Bahnhofstraße (heute: Marktallee), die bis dahin nur ein einfacher Sandweg mit Wacholder-Büschen war, und stellte das Grundstück dafür zur Verfügung. Die Bezeichnung„Brumkämpe“ in der Karte von 1868 südlich der heutigen Marktallee weist darauf hin, dass hier sandiger und schlechter Boden mit Besenginster („Braom“) bewachsen war. Mit der Stadt Münster wurde über einen Zuschuss zum Straßenbau verhandelt. 1877/1878 baute die Gemeinde Hiltrup die Chaussee vom Dorf zum neuen Bahnhof (mit wassergebundener Steinbahn und Sommerweg); die Fortsetzung nach Osten bis zum Albersloher Weg wurde erst 1914 ausgebaut.
Nach den Kriegen von 1866 und 1871/1872 vermerkt die Chronik des Männergesangvereins 1848 Hiltrup eine „volksbeglückende, finanzreiche Zeit“ – die Reparationszahlungen Frankreichs führten zu einer Spekulationsblase am Kapitalmarkt, 1873 folgte der Gründerkrach.
Es war eine Aufbruchssituation. Schencking kandidierte 1871 als unabhängiger Bewerber für die Wahl zum ersten Reichstag. Er unterlag zwar mit nur 2 Stimmen dem Landrat von Landsberg-Velen und Steinfurt, im Reichstag wurde aber der Liberalismus stärkste politische Bewegung.
Zusammen mit Ökonomierat Winkelmann (Haus Köbbing), Ökonomierat Herold (Lövelingloh) und Bauern aus Hiltrup und Amelsbüren gründete Schencking 1876 den „Landwirtschaftlichen Lokalverein“, der in seinen Versammlungen in erster Linie der Schulung der Landwirte zur Verbesserung der Land- und Viehwirtschaft diente. Dünger und anderer landwirtschaftlicher Bedarf wurde gemeinsam eingekauft. Schencking machte auf Hülsebrock Versuche zum Anbau von Grünmais (Westfälischer Merkur 10.12.1881), für den Antrieb der Häckselmaschinen wurde Dampfkraft eingesetzt; politische Forderungen nach Senkung der Steuerbelastung für Landwirte wurden erhoben (1883).
Die Bevölkerung teilte sich noch in Pferdehalter und „Kuhspänner“. Ob einer über Zugtiere verfügte oder nicht, ob sein Bauernhof die Haltung von Pferden erlaubte oder nicht, entlang dieser Frage verlief die Grenze zwischen Vollbauern und den kleinen „Krauterern“, die von ihrem Land allein nicht leben konnten. Wer kein eigenes Pferdegespann hatte, musste eins vom Nachbarn leihen und als Gegenleistung für diesen arbeiten – oder musste seine Kuh vorspannen. In Hiltrup hatten sich um 1870 die „Kuhspänner“ zu einem Verein zusammengeschlossen. Sie veranstalteten alljährlich ihr „Kuhspännerfest“. Sie spannten die stärksten Kühe vor mit Ziegelsteinen beladene Wagen und veranstalteten auf dem „Breiten Weg“, der heutigen Hohen Geest, ein Wettrennen.
1878/1879 setzte Schencking sich für den Ausbau des Hiltruper Bahnhofs zu einer Güterstation ein. Bei der Stadt Münster beantragte er einen Zuschuss behufs Erweiterung der Eisenbahn-Haltestelle Hiltrup zu einer Güterstation, die Stadt lehnte aber ab (Westfälischer Merkur 28.3.1879). Im Oktober 1879 wurde der separate Güterbahnhof für Wagenladungs- und Stückgutverkehr in Hiltrup geschaffen. Sofort stieg die Zahl der Fahrgäste und Verladegüter. Im November 1879 wurde in der Wirtschaft Stähler (später: Rohrkötter) an der Hammer Straße eine Postagentur („Postanstalt“) eingerichtet.
Zur Reichstagswahl 1881 trat Schencking nicht an. Das katholische Zentrum wurde stärkste Kraft im Reichstag, die größten Gewinner der Wahl waren die linksliberalen Parteien (Wikipedia). In Hiltrup gingen alle 76 Stimmen an den Freiherrn von Heeremann, und vor dem Hintergrund der ersten Wahlergebnisse ringsum triumphierte der Westfälische Merkur am 29.10.1881: „Der eiserne Ring des Liberalismus ist durchbrochen.“
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde im Westfälischen Merkur wiederholt zu Spenden aufgerufen für die Opfer von Naturkatastrophen. Als 1882/1883 ein Jahrhunderthochwasser das Rheintal verwüstete, sammelte der Männer-Gesang-Verein Hiltrup bei einem Benefiz-Konzert 550 Mark Spenden (Bericht des Westfälischen Merkurs vom 24.12.1882; in Kaufkraft von 2024 ungefähr 5.000 Euro).
1883 wurden unter dem Vorsitz Schenckings die Hiltruper Spar- und Darlehnskasse gegründet. Als Genossenschaft Hiltruper Bürger sollte sie auch Darlehen geben zu günstigeren Konditionen als die Geldverleiher („die Geldbedürftigen den Händen des Wucherers entreißen“). Schencking war der erste Vorsitzende und stellte Kassenraum und Geldschrank unentgeltlich zur Verfügung, jedem neugeborenen Hiltruper schenkte er ein Sparbuch mit einer Einlage von 1 Taler. Pfarrer Spinn gehörte dem Aufsichtsrat an und führte dort das Protokollbuch.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestand eine Wassermühle am Hof Bornemann. Der Zufluss zum Mühlenteich reichte nicht aus, 1884 beantragte Familie Bornemann eine Konzession für eine Lokomobile als Antrieb der Mühle. Der Mühlenteich musste dem Dortmund-Ems-Kanal weichen. Eine Windmühle stand bis zur Jahrhundertwende im „Himmelreich“ auf dem Geestrücken im Bereich der heutigen Straßen Friedhofstraße / Hummelbrink. Auf der Ostseite des Bahnhofs an der Wolbecker Straße (heute: Osttor) kaufte Josef Lütke Wentrup im Jahr 1886 das Sägewerk Krummacher und gliederte ihm 1887 die Korndampfmühle an; als Antrieb diente zunächst eine Lokomobile, ab 1890 eine stationäre Dampfmaschine. Später kam auch eine Holz- und Kohlenhandlung dazu. Im Sägewerk wurden heimischer Hölzer für den Ruhr-Bergbau eingeschnitten (nach dem I. Weltkrieg umgestellt auf die Produktion von Bauholz mit Werkshafen am Kanal, 1967 wegen mangelnder Rentabilität stillgelegt; stattdessen wurde die Verarbeitung von Tropenhölzern ausgeweitet, 1981 stillgelegt).
Der kleine dörfliche Kern von Hiltrup rund um die Alte Clemenskirche wuchs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst langsam entlang der Nord-Süd- und Ost-West-Achse (heutige Westfalenstraße und Marktallee) bei einem sehr überschaubaren Gemeinde-Etat 1889/1890 (4920 Goldmark „pro 1889/1890“). Die Industrialisierung ließ noch auf sich warten. Im südlichen Münsterland wurde zwar Strontianit gefunden, das ab 1871 von der Zuckerindustrie verwendet wurde. Für kurze Zeit verbreitete sich Goldgräberstimmung, rund um Ascheberg / Drensteinfurt entstand eine Vielzahl von Gruben und Schächten bis hin nach Rinkerode; 1887 wurden auf Rinkeroder Gebiet 40 Strontianitgruben betrieben (die Grube Wickesack bei Ascheberg förderte zuletzt von 1941 bis 1945 Strontianit für die Rüstungsindustrie). Aber Hiltrup blieb davon unberührt.
(Goldrausch im Youtube-Film des LWL: Strontianitbergbau im Münsterland – Der Strontianit-Rausch der 1870er.)
Auch Hiltrup wurde vom Kulturkampf zwischen Staat und katholischer Kirche berührt. Das Schulaufsichtsgesetz von 1872 hatte die Aufsicht über die Volksschulen von der Kirche auf den Staat übertragen. Der Hiltruper Pfarrer Spinn war 1879 Mitunterzeichner einer dagegen gerichteten Petition des Klerus der Bistümer Münster und Paderborn (Westfälischer Merkur 26.10.1879). Mit Gesetz vom 11.05.1873 (Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen, erstes Maigesetz) hatte der Staat Voraussetzungen aufgestellt für einen Anstellungsvertrag: Geistliche mussten von nun an ein Reifezeugnis eines deutschen Gymnasiums, das Studium an einer deutschen Universität, die Ablegung eines „Kulturexamens“ in Philosophie, Geschichte und Literatur nachweisen. Diese Voraussetzungen erfüllten nicht alle, so wurde zum Beispiel für den Hiltruper Geistlichen Bernard Gunsthövel genannt Münstermann 1884 vom königlichen Oberpräsidium eine Ausnahmegenehmigung erteilt (Westfälischer Merkur 25.1.1884). Erst als Bismarck sich auf die Bekämpfung der Sozialdemokratie konzentrierte, arrangierte er sich mit dem Papst, Hiltrup feierte am 20.2.1884 die Rückkehr des Bischofs; die „Maigesetze“ wurden zum größten Teil aufgehoben, zuletzt 1885 das „Kulturexamen“ (Roerkohl, Anne: Der Kulturkampf in Westfalen).
Das von Bismarck 1878 initiierte Sozialistengesetz lief 1890 aus. Katholische Kreise beklagten „schwere Irrtümer und bedenkliche Umsturzpläne“ der Sozialdemokraten und sahen „die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung in ihrer Grundlage bedroht“. Auch Konsul a.D. Schencking schloss sich 1891 einem Aufruf an, der Gegenbewegung Volks-Verein für das katholische Deutschland beizutreten, und rief zur Katholiken-Versammlung im Rathaus von Münster auf (verbunden mit Angriffen auf den Protestantismus).
Aus der von Bismarck initiierten Sozialversicherung wurde in Hiltrup 1891 die erste Altersrente ausgezahlt: Für die ersten drei Monate des Jahres 1891 erhielt eine Tagelöhnerin 26,70 Mark (in Kaufkraft von 2024: 213,60 Euro). Bismarck schrieb dazu: „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte.“
Pfarrer Spinn war Nothelfer, wenn es um die gesundheitliche Versorgung ging. Da es in Hiltrup keinen Arzt gab, kurierte er mit (homöopathischen) „Pülverchen“; als 1881 ein Fußgendarm von einem Kriminellen angeschossen wurde, brachte man ihn zu Spinn.
Hiltrup lieferte Brennholz, Kies und Sand für Münster, seit 1880 auch Wasser aus dem Pumpwerk Geist. Es wurde mehrfach umgebaut, 1887 zum Beispiel fürchteten Hiltruper Bauern um ihre „Provinzial-Chaussee“, in deren Gräben Röhren verlegt werden sollten, und um den Wasserstand in ihren Brunnen (Westfälischer Merkur 14.8.1887).
Lange Ketten nebeneinander stehender Einzelhäuser entstanden entlang der Hiltruper Nord-Süd- und Ost-West-Achse, um die Jahrhundertwende vor allem an der „Dorfstegge“ / Bahnhofstraße (heute: Marktallee).
Schencking forcierte die Entwicklung. Einen Teil seines Grundbesitzes südlich der Bahnhofstraße hatte er an die Forstbaumschule Hanses-Ketteler verkauft. Der größere Teil zwischen der heutigen Marktallee und Max-Winkelmann-Straße war laut Flurkarte von 1900 auf den Namen seines späteren Erben Paul Schencking eingetragen und in gleich breite Flurstücke aufgeteilt. Schencking verkaufte sie an Bauwillige; viele Grundstücke verschenkte er an Familien, um das Bauen zu fördern.
Amelsbüren hatte im Jahr 1895 1960 Einwohner, Hiltrup nur 1105. Hiltrups Einwohner um 1900: 24 Bauernfamilien, mehrere Kötter, Handwerker (zum Beispiel die Schuster Schlingmann) und Kaufleute, Arbeiter der entstehenden Betriebe, Pfarrer Spinn (1827-1906, 1902 mit dem Rothen Adlerorden IV. Klasse ausgezeichnet), der Küster und der Lehrer.
Der Hiltruper Bahnhof war um diese Zeit ein vergleichsweise bescheidenes Gebäude. Er wurde wenige Jahre später durch einen Neubau ersetzt (1907).
Von 1885 bis 1895 wuchs Hiltrups Einwohnerzahl um die Hälfte auf 1.013 (davon 92 evangelische). Im Vergleich: Amelsbüren hatte 1895 1.960 Einwohner. Mit dem Ortswachstum wuchs auch der Bedarf an Infrastruktur. 1851 hatte Hiltrup von der Aachen-Münchener Feuerversicherungs-Gesellschaft 200 Taler zur Beschaffung einer Brandspritze erhalten (Westfälischer Merkur 28.5.1851). Dafür wurde im selben Jahr auf dem Kirchplatz an der Wirtschaft Schmidtmann (später: Ackermann, danach Heithorn) ein Spritzenhaus gebaut. 1892 gründeten 32 Mitglieder die Freiwillige Feuerwehr Hiltrup, erster Leiter war der Schornsteinfegermeister Heinrich Seiler.
1893 wurde der erste hölzerne Steigeturm an der Amelsbürener Straße gebaut, ein Schlauchturm zur Trocknung der aus Hanffasern bestehenden Schläuche; er hatte fensterartige Öffnungen in mehreren Etagen, die im Übungsbetrieb zum Besteigen des Turms mit Hakenleitern dienten.
Der Hiltruper Pfarrer Spinn hatte bereits 1875 einen Kirchbaufonds eingerichtet: Die Einhaltung des Sonntagsgebotes für die gesunde katholische Bevölkerung ab dem Erstkommunionalter war selbstverständlich. Es galt der Pfarrbann, d. h. die Ortsansässigen erfüllten die Sonntagspflicht nur, wenn sie in ihrer eigenen Pfarrkirche den Gottesdienst besuchten. In Hiltrup wie in den meisten Gemeinden gab es auch keine andere erreichbare Ausweichmöglichkeit. Ein Geistlicher durfte zudem nur ein Meßopfer am Tag feiern. Nur in Ausnahmefällen erhielt ein Geistlicher vom Bischof die Erlaubnis, an Sonn- und Festtagen zu binieren, d.h. zweimal am Tag die hl. Messe zu feiern. Für den Frühgottesdienst und das Hochamt am Sonntag reichte das Fassungsvermögen der Alten Kirche in Hiltrup nicht mehr aus. Viele Gläubige fanden während des sonntäglichen Gottesdienstes nur auf dem Vorplatz des alten Dorfkirchleins Platz. Sie bildeten den sogenannten „Kirchenvorstand“.
Die Diskussion über den Bau einer neuen Kirche in Hiltrup ist in August Bernhard Schenckings Testament von 1897 erwähnt, indem er sich zum Standort äußert und eine Schenkung verfügt: „a. Zwei Tausend Mark an die Katholische Kirche zu Hiltrup zur Errichtung eines Holzfußbodens von Nadelholz, welches wärmer hält, und zur Einrichtung der Heitzung darunter in der neuprojectierten Katholischen Pfarrkirche zu Hiltrup, und stelle ich hierbei die Bedingung, daß diese neue Kirche nicht wieder in dem zu engen Platze der alten Kirche ausgeführt werden darf, sondern auf dem schönen Hofgelände am Breiten Wege [heute: Hohe Geest] zwischen der neuen Missionsanstalt vom H. Herzen Jesu und dem … „Große Himmelreich“ gebaut wird, wo das Gotteshaus nach allen Seiten sichtbar gemacht werden kann. b.Sollte zu diesem Bau der neuen Kirche Grund vom Gute Hülsebrok etwa bei Jasper oder anderswo gewünscht werden, so schenke dazu um 2 à 4 Morgen Fläche.“
Die Hiltruper Bebauung hatte keinen Zusammenhang mit der Stadt Münster.
Im Bereich der heutigen Straße „An der alten Reitbahn“ legte 1898 der Westfälische Reiterverein seine Rennbahn an; die Vennheide diente als Parade-Gelände des Militärs und später als Startplatz für Flugzeuge.
Anstelle der Rennbahn wurde hier 1914 ein großes Kriegsgefangenenlager angelegt.
Nach Kriegsende diente es als Durchgangslager für rückkehrende deutsche Soldaten. Erst später wurde die Umgehungsbahn durch dies Gelände gebaut, 1933 begann die Besiedlung (Vennheidesiedlung).
Im Jahre 1901 zählte die Gemeinde Hiltrup 1.197 Einwohner (1157 katholische und 40 evangelische) und verfügte über ein Areal von 1969 ha. 131 der im Jahr 1901 vorhandenen 140 Haushaltungen hatten Viehbesitz.
Wie die Postkarte „Gruss aus Hiltrup / Hiltrup im Jahr 1898“ (s.o.) zeigt, bestand Hiltrup um die Jahrhundertwende neben den verstreut liegenden Bauernhöfen aus einer kleinen Ansammlung von Häusern rund um Alt-St. Clemens. Die Ansichten auf historischen Postkarten zeigen die in dieser Zeit beginnende rasche Entwicklung. Es gab eine Reihe von Gastwirtschaften in Hiltrup. An der Chaussee Münster-Hamm waren es von Nord nach Süd: Zunächst die heute (2025) noch bestehende Gastwirtschaft Vennemann.
Die Gaststätte Vennemann lag seit ungefähr 1870 isoliert zwischen der münsterschen Geist und Hiltrup. Das Kartenmotiv legt nahe, dass Vennemann um diese Zeit schon Ausflugsziel für die Münsteraner war. Über Generationen hießen die Wirte mit Vornamen Anton nach der Antoniuskapelle, die früher in der Nähe stand.
Danach kam die Kaffee-Wirtschaft Buermann. Der Hof Buermann betrieb bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine Kaffeewirtschaft als beliebtes Ausflugsziel der Münsteraner, 1854 war in der Nähe eine Ferienwohnung angeboten „für Damen oder Herren, die die Landluft noch genießen wollen“ (Westfälischer Merkur 27.8.1854). Buermann hatte „Curgäste“ (1863) und war Ausflugsziel von Gruppen aus Münster, die mit der Eisenbahn nach Hiltrup fuhren (zum Beispiel die Liedertafel im Jahr 1873), 1890 wurde eine Omnibus-Verbindung von Münster zu Buermann eröffnet. 1899 stellte Buermann die Flächen für den Bau des Missionshauses der Hiltruper Schwestern zur Verfügung (heute: Missionshaus und Krankenhaus). Die Kaffeewirtschaft bestand bis ungefähr 1940.
Auch in Haus Herding wurde eine Ferienwohnung angeboten (Westfälischer Merkur 6.6.1858: „eleganteste Sommerwohnung unter günstigen Bedingungen“; 1860: „bestehend aus 10 geräumigen Zimmern, Küche, Keller“; 1863 „auf dem herrschaftlichen Hause Hiltrup… möblirte Zimmer zu Sommerwohnungen“). Eine „Familien-Wohnung für den Sommer“ wurde auf Hülsebrock angeboten (Westfälischer Merkur 23.6.1869).
Am Kirchplatz von Alt-St. Clemens gab es die „Gastwirtschaft von Wwe. Theodor Scheller“ (Anschrift: Dorf 8, heute: Westfalenstr. 148).
Scheller war um diese Zeit offensichtlich etwas einfacher. Auf der Postkarte aus dem Jahr 1901 präsentiert der Bauer auf der heutigen Westfalenstraße vor der Gastwirtschaft Scheller als Blickfang den Stier. Die Straße ist noch nicht gepflastert, zur Gastwirtschaft gehören Wirtschaftsgebäude mit Scheunentor und Stallfenstern – eine recht ländliche Szene. 1804 war bereits ein Kramladen Schulte Hiltrup bekannt, 1860 (laut Hannelore Scheller, nach anderer Quelle 1848) hatte der „Kiepenkerl“ Christoph Theodor Scheller die Gastwirtschaft mit dem anhängenden Kramladen in zwei alten Kötterhäusern des Hofs Schulze-Hiltrup gegründet.
Nebenan gab es eine weitere, seit 1754 bestehende Wirtschaft. Zwischen 1838 und 1870 ist sie erwähnt als „Wirtschaft Schmidtmann“, spätestens ab 1876 als „Garthenwirthschaft B. Ackermann“ mit Altbierbrauerei und Bäckerei, ab 1903 Gastwirtschaft Heithorn. Die Gäste kamen nach der Postkarten-Darstellung zu Fuß, zu Pferde, mit dem Fahrrad oder der Kutsche. Beschreibung in einem Wanderführer von 1893: „An der Kunststraße gelegen, schöne Räume, Garten und Kegelbahn, gute Speisen und Getränke, Altbier“. (Eine Tochter des Bierbrauers Ackermann ist die Mutter von Carl Pinkus Müller, Namensgeber der Brauerei Pinkus Müller in Münster.)
Wenige Jahre später zeigt das Foto der Gastwirtschaft Heithorn (vormals Ackermann) die Zeichen des kommenden Umbruchs: Neben dem Pferde-Futterkasten und dem Fahrrad lehnt schon ein Motorrad.
Vier Häuser weiter (Westfalenstraße 158) warb Rohrkötter (vormals Stähler): „Säle mit Klavier / Schöner Garten / Kegelbahn / Gute Speisen und Getränke / Aufmerksame Bedienung“; Rohrkötter hatte eigene Landwirtschaft und Brennerei, 1893 „Postagentur mit Telegraphen-Betrieb und Landpostverbindung (mit Personenbeförderung)“.
Zum Dicken Weib am Rande der Hohen Ward mit Kegelbahn, eigener Brennerei und Brauerei ist 1563 erwähnt als Herberge „thom dicken wyve“ und war schon im 19. Jahrhundert Ausflugsziel der Münsteraner. 1829 gründeten einige Kaufleute aus Münster die gesellige Vereinigung „Dicke-Wiever-Peter“, und mindestens ab 1849 feierten die Abiturienten des Paulinum hier ihren Kommers. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hieß es, die Wirtschaft habe „im Sommer hübsche Plätze im Garten vor dem Hause“, dazu gute Speisen und Getränke. Besonders an Sonntagnachmittagen soll Hochbetrieb gewesen sein, auch münstersche Studenten zählten hier zu den regelmäßigen Gästen (sie wurden angeblich bei Bedarf abends ins Stroh gelegt und am nächsten Tag mit dem Wagen nach Münster zurückgebracht). Das Herdfeuer zierten zwei Pferdeköpfe, die angeblich vom tollen Bomberg gestiftet wurden. Die Postkarte aus der Zeit um 1910 zeigt noch einen Kaffeegarten und das Pumpwerk in der Hohen Ward als Besucherattraktion.
Auch in der Nähe des Hiltruper Bahnhofs hatte sich zur selben Zeit schon Tagestourismus etabliert. Die „Wirthschaft Herm. Vogt“ an der Bahnhofstraße (heute: Marktallee 73) bot ab 1899 neben einem Saal bereits Außengastronomie an, die Postkarte zeigt überdachte Sitzplätze in einer offenen Remise, im Musikpavillon spielten Militärkapellen.
Die Münsteraner kamen mit der Eisenbahn (auch Sonderzüge nach Hiltrup) oder auch mit dem Rad. (Es gab eine Vielzahl von Ausflugslokalen rund um Münster: Maikotten, Pleistermühle, Hugerlandshof, Weiligmann, Sebon, Nobiskrug, nur wenige existieren heute noch.)
Einige Jahre später präsentierte Vogt sich als „Café, Restaurant und Bäckerei von Herm Vogt“: Ein großer Brotwagen steht vor dem Haus, mit dem die Bäckereiprodukte ausgeliefert werden.
Auf der anderen Seite der Bahnhofstraße gegenüber dem Bahnhof war die Schenkwirtschaft von Wilhelm Soetkamp schon vor 1900 Ausflugsziel der Münsteraner und der Studenten (später „Restauration von Josef Elfering – Bahnhofs-Restaurant mit Garten!“, abgebrochen im Jahr 2011).
Hiltrup war um diese Zeit (1905) ein Dorf mit 1.447 Einwohnern. Handwerksbetriebe deckten den örtlichen Bedarf: 2 Zimmerleute, 1 Fassbinder, 1 Spinnraddreher, 2 Schmiede, 5 Schneider, 5 Weber, 3 Schuhmacher und 3 Bierbrauer (1904). Bauern prägten noch das Bild. Die Mechanisierung der Landwirtschaft begann gerade. Maschinen übernahmen Erntearbeiten, Arbeitsplätze von Tagelöhnern fielen weg.
Mähbinder, zunächst noch von Pferden gezogen, machten die Handarbeit mit der Sense überflüssig.
Der Getreidedrusch hatte den Tagelöhnern den Winter über Beschäftigung und Einkommen gesichert. Diese Arbeit übernahmen nun in wenigen Wochen die Dreschmaschinen, mit denen Lohnunternehmer von Hof zu Hof zogen. Sie wurden zunächst von einer Dampfmaschine (Lokomobile) angetrieben.
Wäschewaschen war und blieb zunächst Handarbeit. Der Emmerbach war 1910 noch so sauber, dass darin die Wäsche gespült werden konnte.
VerkehrsprojekteEs war eine Zeit der großen Projekte. Die Reichsregierung plante den Bau des Rhein-Weser-Elbe-Kanals für Schiffe bis 600 Tonnen. Schencking warb für das Projekt und erhielt zunächst Zustimmung. Im Juni 1882 fand auf Veranlassung der Stadt Dortmund in Münster eine Versammlung von Interessenten statt. Sie wählte ein Canalbau-Comité, darin auch Schencking. Er war Mitglied einer Deputation mit Vertretern von Emden, Leer, Lingen, Münster und Dortmund, die in Berlin mit Vertretern der Staatsregierung verhandelte. Im April 1883 wurde in einer weiteren Versammlung in Münster darüber berichtet und über den nötigen Grunderwerb sowie die Vorteile des Kanals diskutiert: Vorteile für die Wirtschaft allgemein, die Anlieger, den Transport von Holz, die Entwässerung auch von Hiltrup. Schencking warb für das Projekt: Für die Landwirte werde es keine Nachteile durch Getreideimport bringen, und Deutschland müsse sich vom Ausland, namentlich von Holland emanzipieren.
Die Beschlussvorlage für den Bau des Kanals passierte das Abgeordnetenhaus, scheiterte 1883 aber im preußischen Herrenhaus. Im November 1883 trafen sich darauf in Münster Oberpräsident von Hagemeister und die (Ober)Bürgermeister von Münster, Dortmund, Emden, Oldenburg, Rheine, Lingen und Meppen, um eine Petition an Bismarck zu formulieren. Den Vorsitz führte der Dortmunder Oberbürgermeister Lindemann. Erörtert wurde die Konkurrenz zwischen Kanal und Güterbahn; Hauptproblem war die Frage, wer die Kosten des Grunderwerbs für den Kanal tragen sollte. Hauptmann Schöningh (Meppen) bemerkte, für die Landwirte werde bei Güterbahnen sehr wenig Nutzen abfallen, beim Kanal dagegen könne vielerlei transportiert werden; die Moorkanäle seien gern gesehen, und er meine, auch die Landwirte dortiger Gegend würden ihren Beitrag zum Grunderwerb liefern. Schencking forderte, die vom Canalbau-Comité aufzubringende Summe zu begrenzen, die verabschiedete Petition wurde in diesem Punkt weicher formuliert (Bericht im Westfälischen Merkur vom 17.11.1883).
Später lehnte der Westfälische Bauernverein die Planungen ab. Schencking setzte sich bei jeder Gelegenheit für den Kanalbau ein. Als Vorsitzender des Kreis-Canalbau-Comités gewann er 1887 den Kreistag, die Amtsvertretungen Greven und St. Mauritz sowie die Gemeinderäte der betroffenen Gemeinden dafür, sich an den Kosten für den Grunderwerb zu beteiligen. Nur Hiltrup lehnte ab. Schencking übernahm daraufhin persönlich und „bedingungslos“ die Garantie für den erforderlichen Kapitalbetrag.
Der „Hiltruper Bogen“ des Kanals wurde am 30.9.1892 planfestgestellt.
Im Frühjahr 1893 begannen die Arbeiten. Im Mai 1894 waren in der Strecke Hiltrup 575 Arbeiter im Einsatz.
Aus dem Münsterland standen kaum Arbeitskräfte zur Verfügung. So kamen Saisonarbeiter. An der gesamten Kanalstrecke waren bis zu 4500 Mann beschäftigt, darunter etwa 20% Italiener, Holländer und Polen. Italiener galten als besonders qualifiziert für Maurer- und anspruchsvolle Steinmetzarbeiten. An der Strecke Hiltrup arbeiteten bis zu 800 Mann, darunter viele Holländer; für sie wurde ein evangelisches Feldgotteshaus zwischen Hiltrup und Amelsbüren eingerichtet.
Ein Streckenbaumeister verdiente bis zu 300 Mark im Jahr, die Erdarbeiter verdienten im Durchschnitt 2,75 Mark am Tag, für Kost und Logis mussten sie 1,30 Mark am Tag rechnen. Sie wohnten in „Mannschaftsbaracken mit Cantine“, die nach Vorschrift der Bauverwaltung errichtet und oft in schlechtem Zustand waren. Aus Hiltrup wurde berichtet, der Fußboden im Gebäude sei genauso verschmutzt wie der Platz vor dem Eingang. Die Cantinenwirte verkauften Speisen und Alkohol. Manche Arbeiter wohnten auch in Privatquartieren, zum Beispiel im Haus Groen (heutige Marktallee 67). In den Wintermonaten erhielten sie nur eine geringe oder keine Unterstützung; im Winter gab es in Lüdinghausen „von allen Seiten Klagen über Überhandnehmen der Bettelei“ (Kessemeier, Arbeitsplatz Kanal, Münster 1989). Die überwiegend ausländischen Arbeiter der Stadtstrecke siedelten in der Arbeiterkolonie Werse-Delstrup, dem heutigen Herz-Jesu-Viertel, auch „Klein Muffi“ genannt; nach Eröffnung des Kanals fanden viele Arbeit im Stadthafen.
Für den Transport von Kanalbau-Material wurde 1897 vorübergehend eine Schiffswerft im Hiltruper Stichhafen eingerichtet. Der Schiffsbauer B. Sibum aus Haren baute für die münstersche Firma Hessel zwei Lastkähne, sie transportierten Steine für die Kanalböschungen. Auch ein kleiner Personendampfer war unterwegs, der vorher kurze Zeit auf der Werse eingesetzt war („Der kleine Günther“). Der Kanalbau (feierliche Eröffnung am 11.8.1899 in Dortmund) brachte durch den Grunderwerb viel Geld in die Gemeinde und setzte damit ein verstärktes Baugeschehen in Gang, zwei öffentliche und zwei Privathäfen entstanden. Hiltrup machte seinen Frieden mit Schencking und wählte ihn 1894 wieder in die Gemeindevertretung.
Parallel zum Bau des Kanals (siehe Karte) wurden auch neue Eisenbahnlinien geplant. Schencking hatte schon1886 vom Bau einer „Vollbahn Münster-Beckum-Lippstadt“ gesprochen (Westfälischer Merkur 17.10.1886) und auch in den Folgejahren für das Projekt geworben. Dahinter stand auch die Idee eines Kanalhafens in Hiltrup mit Gleisanschluss. 1889 sprach sich der Verein der Kaufmannschaft Münster für eine direkte Linienführung zwischen Münster und Albersloh aus (an Hiltrup vorbei). Schencking wurde 1891 zum stellvertretenden Vorsitzenden eines aus 50 Personen bestehenden Geschäftsausschusses gewählt. Dahinter standen wirtschaftliche Interessen der Beckumer Kalk- und Zementindustrie und ihrer Kohlelieferanten sowie der Sendenhorster Schnapsbrennereien. Schencking propagierte auch eine militärische Bedeutung der Strecke.
1895/1896 war noch offen, ob es zu einer Linienführung über Hiltrup kommen würde oder zu einer direkte Linienführung zwischen Münster und Albersloh (an Hiltrup vorbei). Für diesen Fall entwickelte der „Geschäftsausschuss für direkte Bahn Beckum-Hiltrup-Münster i/W.“ 1895 einen Plan für eine Zweig-Bahnverbindung von Albersloh nach Hiltrup. Die Strecke sollte abzweigen vom Bahnhof Albersloh der Bahnstrecke Beckum-Münster durch die Hohe Ward zum „Staatsbahnhof Hiltrup“. Ein Alternativentwurf enthielt eine zusätzliche Bahnlinie östlich des Kanals von Hiltrup nach Münster, dieser Plan sah auch einen „Militair Bahnhof“ und einen „Militair Hafen“ vor sowie „Weitere Hafen Projecte“ im Bereich der heutigen Halle Münsterland. Konsul Schenckings Villa und Gut Hülsebrock sind im Plan eingezeichnet. Die Stadt Münster beteiligte sich an den Kosten der Vorarbeiten. Schencking hatte sich auch vergeblich für den Bau einer 16 Meter breiten neuen Verbindungsstraße Hiltrup-Münster auf der Ostseite des Dortmund-Ems-Kanals eingesetzt (Kanalpromenade).
Bei der Reichstagswahl im Juni 1898 wuchs der Stimmanteil der Sozialdemokraten, sie lagen weit vor dem Zentrum mit 27 Prozent auf Platz 1. Der Volksverein für das katholische Deutschland agitierte darauf im Oktober 1898 in Hiltrup. In einer Versammlung traten Pfarrer Spinn, Landtagsabgeordneter Leppelmann, Pater Heines und Domvikar Groll auf, warben für die Zentrumspartei und warnten vor den „Irrlehren der Socialdemokratie“ und „Umsturz-Bestrebungen“; es gelte, „in diesem Kampfe … die heiligsten Güter zu retten“.
1899 setzte Schencking sich für ein weiteres Eisenbahnprojekt ein, die „80 Kilometer nähere Bahnverbindung zwischen Münster i. W. – Frankfurt a. M.“. Als „Vorsitzender des Sonderausschusses für die Anfangsstrecke Münster-Camen“ legte er unter dem 1.11.1899 eine Denkschrift vor. Die neue Verbindung sollte zunächst die bestehende Strecke Münster-Hamm bis südlich der Hiltruper Kanalbrücke nutzen und von hier aus über Ascheberg, Herbern, Werne nach Kamen führen. (Ab 1914 wurde die Bahnstrecke Münster-Dortmund über Amelsbüren und Davensberg verwirklicht.)
1900 führte die Stadt Münster Gespräche mit den Landgemeinden St. Mauritz, Überwasser und St. Lamberti über eine Eingemeindung (Westfälischer Merkur 23.10.1900). Um 1890 hatten die Landgemeinden vergeblich für eine Eingemeindung geworben, Münster hatte abgelehnt. 1900 warb Münster mit den Vorteilen, die ein Anschluss an die städtische Infrastruktur bot, und Schencking unterstützte die Eingemeindung: Die Preise für Grund und Boden seien schon gestiegen, aber eine bedeutende Steigerung sei zu erwarten, wenn die Städter nach draußen aufs Land zögen. Schencking wird dabei die Wertentwicklung seiner eigenen Grundstücke im Auge gehabt haben (Gut Hülsebrock und das 1894 erworbene Haus Geist). Der Abgeordnete Herold aus Amelsbüren vertrat die Landgemeinden und lehnte die Eingemeindung entschieden ab. Lamberti und Überwasser kamen zu Münster, Hiltrup und die übrigen Gemeinden des Amtes St. Mauritz blieben selbständig.
Wer oft und schnell kurze Wege zurücklegen musste und das nötige Geld hatte, nutzte eine Kutsche, den Stanhope Gig (Tilbury). In Hiltrup verfügte zum Beispiel der Hof Hackenesch genannt Stertmann noch 1920 über so ein Fahrzeug. Die Motorisierung des Individualverkehrs stand noch in weiter Ferne.
(Dieser Artikel wurde zuletzt am 02.03.2025 aktualisiert.)