Ortsgeschichte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts
Das Bauerndorf Hiltrup erhielt um 1160 für ca. 80 Gläubige seine erste Kirche, Alt-St. Clemens, auf einem Grundstück des Hofs Schulze Hiltrup (die Datierungen liegen zwischen 1120 und 1180).
In den folgenden Jahrhunderten wuchs Hiltrup nur sehr langsam, um 1500 wohnten hier ca. 180 Personen. St. Clemens wurde 1518 etwas erweitert, der romanische Chor und die romanische Apsis wurden durch spätgotische Bauteile ersetzt. Die St. Anna-Glocke von 1521 trägt die Inschrift: Sancta Anna het ick, de lewendigen rop ick, de doden beschrei ick. Anno domini M D XX I.
1534 wurde in Hiltrup der Kampf gegen die Wiedertäufer in Münster organisiert. In einer Urkunde vom 22.7.1534 im Archiv Lembeck heißt es: „Franz, Bischof von Münster und Osnabrück, Domdechant, Kapitel, Ritterschaft, Städte und Landschaft des Stifts Münster bekunden, dass auf einem Landtag zu Hiltrup beschlossen sei, je zwei Vertretern des Kapitels, der Ritterschaft und der Städte die Vollmacht zu geben, mit dem Bischof den Kampf gegen die aufständigen Wiedertäufer zu Münster zu leiten. Gleichzeitig soll Bernd van Westerholt, ihr Bürge für größere Summen Geldes, die zu diesem Kampfe aufgenommen wurden, schadlos gehalten werden.“
Aus dem Jahr 1614 ist ein Bericht über eine Visitation der Hiltruper Pfarre erhalten. Es gab keine Schule und keinen regelmäßigen Unterricht. Kirche und Messgerät waren in gutem Zustand, Pfarrer Stawingh ernährte sich von eigenem Acker, er hielt 6 Kühe. Er wurde ausdrücklich über das Wirken der Hebamme befragt: Hebammen standen in der Zeit der Hexenverfolgungen oftmals im Verdacht, mit dem Teufel verbündet zu sein und sich der ungetauften Kinder habhaft zu machen. Alle Gläubigen hatten Ostern kommuniziert mit Ausnahme eines Adeligen. Der Armenfond der Gemeinde verfügte über ein Kapital von 50 Talern. Zum Zeitpunkt der Visitation lebte in der Gemeinde keiner in „wilder Ehe“ – nur der Pfarrer selbst wurde angehalten, seine Konkubine innerhalb von 2 Wochen wegzuschicken. Er fügte sich zunächst den Anweisungen des Bischofs, nahm sie aber später als Dienstmagd wieder in den Pfarrhof auf.
Im Jahr 1499 als „Hilttorp“ (Dorf des Hillo) erwähnt (1528: Hiltorppe,1558: Hylterpe, 1621: Hiltorpf), ist der Ort – anders als Amelsbüren – in der Mercator-Karte von 1627 noch nicht verzeichnet; erst 1650 taucht Hiltrup in der Karte Tabula nova… von Peter Schenck auf.
Hiltrup liegt am alten Hellweg von Köln nach Münster. 1679 versammelte sich hier das hohe Domkapitel mit Ehrenformationen, um Fürstbischof Ferdinand von Fürstenberg in Münster zu begrüßen. Der Festzug begann an „Stertmanns Schloet“, dem heutigen Hof Hackenesch an der Hohen Geest, und bestand aus mehr als 2000 Teilnehmern. Auch aus 1784 ist eine ähnliche Begrüßung in Hiltrup überliefert für den Fürstbischof Maximilian Franz.
Das Kirchspiel Hiltrup verschuldete sich im 17. und 18. Jahrhundert für den Unterhalt der Landwehren und der Kirche mit den Pfarrgebäuden, erst mit dem Wachstum im 19. Jahrhundert konnten diese Schulden abgetragen werden.
Im 18. Jahrhundert hatte der Ort um 500 Einwohner. Im Status Animarum von 1749/1750 listet Pastor Richter 472 Personen in 76 Haushalten auf: 30 landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe über 50 Morgen (darunter auch der Pastor), 21 Kleinbauern (Kötter und Pächter, die auf weitere Verdienstmöglichkeiten angewiesen waren; darunter auch die Gastwirte Böhmer / Dicke Weib und Hoffmann) und 20 Haushalte von Landlosen und Landarmen bis 5 Morgen Pachtland (Matthias M. Ester, Das Kirchspiel Hiltrup um 1750, Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld 1997).
Mit der Kirchspielschatzung wurden im Fürstbistum Münster Steuern erhoben von allen Eingesessenen, die älter als 12 Jahre waren und nicht als arm galten. Die Kirchspielschatzung (Steuerliste) von 1780 nennt 20 Erbhöfe und 10 Kotten als Steuerpflichtige in Hiltrup.
Die Hiltruper Pfarrer des 18. Jahrhunderts waren recht wohlhabend, ihr Inventar war wertvoller als das der meisten Bauern. Das Pastorat für den Pfarrer von St. Clemens war im dreißigjährigen Krieg 1622 von den Truppen Christian von Braunschweigs niedergebrannt worden; im Siebenjährigen Krieg plünderten 1761 französische Truppen das Dorf, das 1622 neu gebaute Pastorat brannte mit allen Kirchenbüchern erneut nieder und wurde wieder neu gebaut (heutiger „Alter Pfarrhof“).
Die Bebauung bestand aus den verstreut liegenden Bauernhöfen und Kotten sowie 11 Wohnhäusern rund um den Kirchplatz, die vom Küster, von Tagelöhnern, Handwerkern usw. bewohnt wurden. 1804 gab es 22 Handwerksbetriebe mit 31 Beschäftigten, darunter 5 Schneider, 5 Weber, 3 Schuhmacher, 3 Bierbrauer, 2 Schmiede, 2 Zimmerleute, 1 Fassbinder. Der Küster erteilte Schulunterricht in der Küsterei, 1811 wurde nach Süden hin an die Küsterei ein eigenes Schullokal angebaut. Lehrerküster Potthoff erhielt 1833 die formelle Anstellung als Lehrer und schwor den Eid auf den preußischen König.
Mit der Ausbildung der Lehrer (meist waren es die Küster) war es nicht weit her. Overberg gründete 1783 in Münster die „Normalschule“. Sie war ein Vorläufer der späteren Lehrerseminare und diente zur Qualifizierung bereits amtierender Lehrer, die nach seinen Worten „wenig oder noch gar keine Vorkenntnisse hatten“. Der münstersche Fürstbischof Maximilian Franz schrieb 1788 mit der erneuerten und erweiterten Schul-Verordnung für die Land- und deutschen Schulen solche Qualitätsstandards für alle Lehrer vor und regelte Schulpflicht, Lerninhalte und Besoldung der Lehrer.
Die überörtlichen Wegeverbindungen liefen am alten Ortskern von Hiltrup rund um Alt-St. Clemens vorbei.
Die Karte des vormaligen Oberstifts Münster von 1800 zeigt, dass die alte Landstraße Münster-Hamm damals innerhalb des heutigen Hiltrup identisch war mit dem Breiten Weg, heute: Hohe Geest / Am Klosterwald.
Die Landstraße führte am Nordrand des heutigen Hiltrup nach Süd-Osten und gabelte sich erst kurz vor dem Emmerbach: Ein heute nicht mehr vorhandener Zweig führte geradeaus direkt nach Drensteinfurt, der andere zunächst nach Westen zum Dicken Weib und dann nach Süden in Richtung Herbern (heutige Bundesstraße B 54). (Ähnlich – mit etwas anderer Straßenführung – die Karte von Karl Ludwig von Le Coq aus dem Jahr 1805.)
Hiltrup hatte teilweise schweren Boden, aber auch Sandboden, und war deutlich kleiner als das Nachbardorf Amelsbüren, das auf gutem Ackerboden um 1800 1.300 Einwohner hatte. Amelsbüren brannte 1816 bis auf die Kirche vollständig ab, für den Wiederaufbau verwendete man die Steine des alten fürstbischöflichen Gefängnisses auf der Galgheide (in der Karte oben links, heute Kappenberger Damm / Hünenburg).
In HIltrup gab es 1804 drei Krämer, darunter Schulte Hiltrup, der auch Bier und Branntwein verkaufte (Vorgänger der späteren Gastwirtschaft Scheller?). Für das Jahr 1834 ist ein Armenhaus in Hiltrup verbürgt (im benachbarten Rinkerode war schon 1628 ein Armenhaus gestiftet worden, 1824 durch einen Neubau ersetzt, heute im LWL-Freilichtmuseum Detmold). In Amelsbüren lebten im 19. Jahrhundert auch einige Juden. Das Judenbuch verzeichnet für das Jahr 1829 einige jüdische Familien in Amelsbüren, Telgte und Wolbeck, nicht aber in Hiltrup.
Einen Überblick gibt die Generalstabskarte von 1835.
Die Karte zeigt auch, dass zwischen 1800 und 1835 die Wegeverbindung Münster-Hamm als Chaussee über die heutige Westfalenstraße ausgebaut wurde; die „alte Landstraße“ über den Breiten Weg (heutige Hohe Geest / Am Klosterwald) verlor ihre Funktion als überörtliche Verbindung.
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde ungefähr ein Drittel der gesamten Fläche des Kirchspiels Hiltrup gemeinschaftlich bewirtschaftet. Die Bauern waren in Markengenossenschaften zusammengeschlossen, die die Bewirtschaftung regelten: Viehweide, Schweinemast, Holzentnahme und Plaggenstechen (zur Düngung der Äcker) in der Hohen Ward, Hüls-, Mertens-, Alberts-, Teigel-, Grollen- und Mühlenbecksheide. Diese Marken wurden im wesentlichen bis 1830 aufgeteilt.
Die Eisenbahnlinie Münster-Hamm wurde 1848 feierlich eröffnet, die Haltestelle „Dieke Wief“ (Dickes Weib) für Hiltrup, Wolbeck und Albersloh lag inmitten der Heide der Hohen Ward. Diese Betriebsstelle wurde aufgrund der umliegenden Sandgruben eingerichtet, da die Bahn mit höheren Frachteinnahmen rechnete. Täglich fuhren drei Züge, das Verkehrsaufkommen war gering. Die Münster-Hammer Eisenbahngesellschaft wurde wegen finanzieller Schwierigkeiten 1855 verstaatlicht, die Bahnstation wurde in „Hiltrup“ umbenannt.
Vor dem Hintergrund der Revolution von 1848 gründeten Pfarrer Theißing und Lehrer Voß 1848 den Männergesangverein Hiltrup 1848. Daraus entstand 1851 auch der Bürgerschützenverein Hiltrup von 1851, Wirt Bäumer lud 1851 zum Schützenfest in das Dicke Weib: Ein „guter Katholik“ war Mitglied in mindestens einem kirchlichen Verein, hieß es. Der Männergesangverein wurde 1855 umgewandelt in die „Sodalität zu Hiltrup 1855“, eine katholische Vereinigung mit dem Zweck, „den Gottesdienst durch Gesang mehr zu heben“.
Zur Bekämpfung der „gefährlichen Fastnachtslustbarkeiten, welche so oft in sündhafte Ausschweifungen ausarten“, organisierte Pfarrer Kersting in Hiltrup ab 1856 jeweils ab dem Fastnachtssonntag ein Vierzigstündiges Gebet, das mit einem Ablass verbunden war. Zur „Fundation“ des vierzigstündigen Gebets wurden Spenden in bedeutender Höhe gesammelt. Pfarrer Spinn setzte diese Tradition fort.
1862 erwarb August Bernhard Schencking (1827-1903) von dem münsterschen Buchhändler und Verleger Coppenrath das Gut Hülsebrock in Hiltrup. Mit etwa 500 Morgen Fläche war es der mit Abstand größte Vollerwerbsbetrieb im Kirchspiel. Es war ein alter westfälischer Gräftenhof, 1386 urkundlich erwähnt als Schulte Hulsbroke, 1528 als Hof tho Hulsbrocke. Schencking machte ihn zu einer landwirtschaftlichen Musterwirtschaft. Als umsichtiger Kaufmann setzte er sich für den zweigleisigen Ausbau der Münster-Hammer Eisenbahnstrecke ein und für die Verlegung der Haltestelle.
Bis 1865 stieg Hiltrups Einwohnerzahl auf 665.
„Die Haltestelle Dickeweib ist wohl die einzige in Europa, welche keinen öffentlichen Fahrweg hat und sich zudem noch in der unmittelbaren Nähe einer menschenlosen Heide der Hohewart befindet.“ Dieser Brief an die „Königliche Direction der Westfälischen Eisenbahn“ war eine Sammeleingabe und trug „neben vielen Anderen“ diese Unterschriften: Husmann (?), Lieutnant und Gutsbesitzer, von Amelunxen, Amtmann von Wolbeck, Alverskirchen, Rinkerode, Albersloh und Angelmodde, Klüsener, Pfarrer zu Wolbeck, Brinkjann, Vikar zu Wolbeck, Thier, Post?? zu Wolbeck, Thier, Gastwirt und Posthalter zu Wolbeck, Vogelmann, Ortsvorsteher Hiltrup, von Notz, Ortsvorsteher Ottmarsbocholt, Harling, Auctions-Commissar, Freiherr von Heeremann, Greve, Stadtrath und Ziegeleibesitzer, Anton Schencking zu Amelsbüren, Kuhlmann, Besitzer des Gutes Kannen bei Amelsbüren, Schencking, Toulon.
Schencking stellte Grund und Boden für die Verlegung des Bahnhofs nach Hiltrup zur Verfügung. Im Jahr 1868 wurde die Bahnstation an ihre heutige Stelle verlegt, hier wurde ein Zweigpostamt eingerichtet. Schenckings Gut Hülsebrock verfügte nun über einen Gleisanschluss. Im Oktober 1879 folgte der separate Güterbahnhof für Wagenladungs- und Stückgutverkehr. Sofort stieg die Zahl der Fahrgäste und Verladegüter.
Schencking betrieb den Bau der Bahnhofstraße (heute: Marktallee), die bis dahin nur ein einfacher Sandweg mit Wacholder-Büschen war, und stellte das Grundstück dafür zur Verfügung. In dem Brief von ca. 1865 an die Eisenbahndirektion heißt es auch: „Eine andere Chaussee von Wolbeck und Angelmodde nach Hiltrup ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.“ 1874 baute die Gemeinde Hiltrup die Chaussee vom Dorf zum neuen Bahnhof (mit wassergebundener Steinbahn und Sommerweg); die Fortsetzung nach Osten bis zum Albersloher Weg wurde erst 1914 ausgebaut.
Zusammen mit Ökonomierat Winkelmann (Haus Köbbing), Ökonomierat Herold (Lövelingloh) und Bauern aus Hiltrup und Amelsbüren gründete Schencking 1876 den „Landwirtschaftlichen Lokalverein“, der in seinen Versammlungen in erster Linie der Schulung der Landwirte zur Verbesserung der Land- und Viehwirtschaft diente. Dünger und anderer landwirtschaftlicher Bedarf wurde gemeinsam eingekauft.
Die Bevölkerung teilte sich noch in Pferdehalter und „Kuhspänner“. Ob einer über Zugtiere verfügte oder nicht, ob sein Bauernhof die Haltung von Pferden erlaubte oder nicht, entlang dieser Frage verlief die Grenze zwischen Vollbauern und den kleinen „Krauterern“, die von ihrem Land allein nicht leben konnten. Wer kein eigenes Pferdegespann hatte, musste eins vom Nachbarn leihen und als Gegenleistung für diesen arbeiten – oder musste seine Kuh vorspannen. In Hiltrup hatten sich um 1870 die „Kuhspänner“ zu einem Verein zusammengeschlossen. Sie veranstalteten alljährlich ihr „Kuhspännerfest“. Sie spannten die stärksten Kühe vor mit Ziegelsteinen beladene Wagen und veranstalteten auf dem „Breiten Weg“, der heutigen Hohen Geest, ein Wettrennen.
1883 wurden unter dem Vorsitz Schenckings die Hiltruper Spar- und Darlehnskasse gegründet. Als Genossenschaft Hiltruper Bürger sollte sie auch Darlehen geben zu günstigeren Konditionen als die Geldverleiher („die Geldbedürftigen den Händen des Wucherers entreißen“). Schencking stellte Kassenraum und Geldschrank unentgeltlich zur Verfügung, jedem neugeborenen Hiltruper schenkte er ein Sparbuch mit einer Einlage von 1 Taler. Pfarrer Spinn gehörte dem Aufsichtsrat an und führte dort das Protokollbuch.
Nach den Kriegen von 1866 und 1871/1872 vermerkt die Chronik des Männergesangvereins 1848 Hiltrup eine „volksbeglückende, finanzreiche Zeit“ – die Reparationszahlungen Frankreichs führten zu einer Spekulationsblase am Kapitalmarkt, später folgte der Gründerkrach.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestand eine Wassermühle am Hof Bornemann, der Mühlenteich musste dem Dortmund-Ems-Kanal weichen. Eine Windmühle stand bis zur Jahrhundertwende im „Himmelreich“ auf dem Geestrücken im Bereich der heutigen Straßen Friedhofstraße / Hummelbrink. Auf der Ostseite des Bahnhofs an der Wolbecker Straße (heute: Osttor) kaufte Josef Lütke Wentrup im Jahr 1886 das Sägewerk Krummacher und gliederte ihm 1887 die Korndampfmühle, später auch eine Holz- und Kohlenhandlung an. Im Sägewerk wurden heimischer Hölzer für den Ruhr-Bergbau eingeschnitten (nach dem I. Weltkrieg umgestellt auf die Produktion von Bauholz mit Werkshafen am Kanal, 1967 wegen mangelnder Rentabilität stillgelegt; stattdessen wurde die Verarbeitung von Tropenhölzern ausgeweitet, 1981 stillgelegt).
Der kleine dörfliche Kern von Hiltrup rund um die Alte Clemenskirche wuchs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst langsam entlang der Nord-Süd- und Ost-West-Achse (heutige Westfalenstraße und Marktallee) bei einem sehr überschaubaren Gemeinde-Etat 1889/1890 (4920 Goldmark „pro 1889/1890“). Die Industrialisierung ließ noch auf sich warten. Im südlichen Münsterland wurde zwar Strontianit gefunden, das ab 1871 von der Zuckerindustrie verwendet wurde. Für kurze Zeit verbreitete sich Goldgräberstimmung, rund um Ascheberg / Drensteinfurt entstand eine Vielzahl von Gruben und Schächten bis hin nach Rinkerode; 1887 wurden auf Rinkeroder Gebiet 40 Strontianitgruben betrieben (die Grube Wickesack bei Ascheberg förderte zuletzt von 1941 bis 1945 Strontianit für die Rüstungsindustrie). Aber Hiltrup blieb davon unberührt.
https://www.youtube.com/watch?v=NpBv5raWP5Q
(Goldrausch im Youtube-Film des LWL: Strontianitbergbau im Münsterland – Der Strontianit-Rausch der 1870er.)
Lange Ketten nebeneinander stehender Einzelhäuser entstanden entlang der Hiltruper Nord-Süd- und Ost-West-Achse, um die Jahrhundertwende vor allem an der „Dorfstegge“ / Bahnhofstraße (heute: Marktallee).
Schencking forcierte die Entwicklung. Einen Teil seines Grundbesitzes südlich der Bahnhofstraße hatte er an die Forstbaumschule Hanses-Ketteler verkauft. Der größere Teil zwischen der heutigen Marktallee und Max-Winkelmann-Straße war laut Flurkarte von 1900 auf den Namen seines späteren Erben Paul Schencking eingetragen und in gleich breite Flurstücke aufgeteilt. Schencking verkaufte sie an Bauwillige; viele Grundstücke verschenkte er an Familien, um das Bauen zu fördern.
Amelsbüren hatte im Jahr 1895 1960 Einwohner, Hiltrup nur 1105. Hiltrups Einwohner um 1900: 24 Bauernfamilien, mehrere Kötter, Handwerker (zum Beispiel die Schuster Schlingmann) und Kaufleute, Arbeiter der entstehenden Betriebe, Pfarrer Spinn (+1906), der Küster und der Lehrer.
Der Hiltruper Bahnhof war um diese Zeit ein vergleichsweise bescheidenes Gebäude. Er wurde wenige Jahre später durch einen Neubau ersetzt (1907).
Von 1885 bis 1895 wuchs Hiltrups Einwohnerzahl um die Hälfte auf 1.013 (davon 92 evangelische). Im Vergleich: Amelsbüren hatte 1895 1.960 Einwohner. Mit dem Ortswachstum wuchs auch der Bedarf an Infrastruktur. 1892 gründeten 32 Mitglieder die Freiwillige Feuerwehr Hiltrup, erster Leiter war der Schornsteinfegermeister Heinrich Seiler.
1893 wurde der erste hölzerne Steigeturm an der Amelsbürener Straße gebaut, ein Schlauchturm zur Trocknung der aus Hanffasern bestehenden Schläuche; er hatte fensterartige Öffnungen in mehreren Etagen, die im Übungsbetrieb zum Besteigen des Turms mit Hakenleitern dienten.
Der Hiltruper Pfarrer Spinn hatte bereits 1875 einen Kirchbaufonds eingerichtet: Die Einhaltung des Sonntagsgebotes für die gesunde katholische Bevölkerung ab dem Erstkommunionalter war selbstverständlich. Es galt der Pfarrbann, d. h. die Ortsansässigen erfüllten die Sonntagspflicht nur, wenn sie in ihrer eigenen Pfarrkirche den Gottesdienst besuchten. In Hiltrup wie in den meisten Gemeinden gab es auch keine andere erreichbare Ausweichmöglichkeit. Ein Geistlicher durfte zudem nur ein Meßopfer am Tag feiern. Nur in Ausnahmefällen erhielt ein Geistlicher vom Bischof die Erlaubnis, an Sonn- und Festtagen zu binieren, d.h. zweimal am Tag die hl. Messe zu feiern. Für den Frühgottesdienst und das Hochamt am Sonntag reichte das Fassungsvermögen der Alten Kirche in Hiltrup nicht mehr aus. Viele Gläubige fanden während des sonntäglichen Gottesdienstes nur auf dem Vorplatz des alten Dorfkirchleins Platz. Sie bildeten den sogenannten „Kirchenvorstand“.
Die Hiltruper Bebauung hatte keinen Zusammenhang mit der Stadt Münster.
Im Bereich der heutigen Straße „An der alten Reitbahn“ wurde 1898 die Rennbahn des Westfälischen Reitvereins angelegt, die Vennheide diente als Parade-Gelände des Militärs und später als Startplatz für Flugzeuge.
Anstelle der Rennbahn wurde hier 1914 ein großes Kriegsgefangenenlager angelegt.
Nach Kriegsende diente es als Durchgangslager für rückkehrende deutsche Soldaten. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Umgehungsbahn durch dies Gelände gebaut und begann die Besiedlung.
Im Jahre 1901 zählte die Gemeinde Hiltrup 1.197 Einwohner (1157 katholische und 40 evangelische) und verfügte über ein Areal von 1969 ha. 131 der im Jahr 1901 vorhandenen 140 Haushaltungen hatten Viehbesitz.
Wie die Postkarte „Gruss aus Hiltrup / Hiltrup im Jahr 1898“ (s.o.) zeigt, bestand Hiltrup um die Jahrhundertwende neben den verstreut liegenden Bauernhöfen aus einer kleinen Ansammlung von Häusern rund um Alt-St. Clemens. Die Ansichten auf historischen Postkarten zeigen die in dieser Zeit beginnende rasche Entwicklung. Es gab eine Reihe von Gastwirtschaften in Hiltrup. An der Chaussee Münster-Hamm waren es von Nord nach Süd: Zunächst die heute (2024) noch bestehende Gastwirtschaft Vennemann.
Die Gaststätte Vennemann lag seit ungefähr 1870 isoliert zwischen der münsterschen Geist und Hiltrup. Das Kartenmotiv legt nahe, dass Vennemann um diese Zeit schon Ausflugsziel für die Münsteraner war. Über Generationen hießen die Wirte mit Vornamen Anton nach der Antoniuskapelle, die früher in der Nähe stand.
Danach kam die Kaffee-Wirtschaft Buermann. Der Hof Buermann hatte die Flächen für den Bau des Missionshauses der Hiltruper Schwestern 1899 zur Verfügung gestellt (heute: Missionshaus und Krankenhaus) und betrieb bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Kaffeewirtschaft als beliebtes Ausflugsziel der Münsteraner (aufgegeben ungefähr 1940).
Am Kirchplatz von Alt-St. Clemens gab es die „Gastwirtschaft von Wwe. Theodor Scheller“ (Anschrift: Dorf 8, heute: Westfalenstr. 148).
Scheller war um diese Zeit offensichtlich etwas einfacher. Auf der Postkarte aus dem Jahr 1901 präsentiert der Bauer auf der heutigen Westfalenstraße vor der Gastwirtschaft Scheller als Blickfang den Stier. Die Straße ist noch nicht gepflastert, zur Gastwirtschaft gehören Wirtschaftsgebäude mit Scheunentor und Stallfenstern – eine recht ländliche Szene. 1804 war bereits ein Kramladen Schulte Hiltrup bekannt, 1860 (laut Hannelore Scheller, nach anderer Quelle 1848) hatte der „Kiepenkerl“ Christoph Theodor Scheller die Gastwirtschaft mit dem anhängenden Kramladen in zwei alten Kötterhäusern des Hofs Schulze-Hiltrup gegründet.
Nebenan kamen die Gäste der „Garthenwirthschaft B. Ackermann“ (vormals Schmidtmann; mit Altbierbrauerei und Bäckerei, ab 1903: Gastwirtschaft Heithorn) nach der Postkarten-Darstellung zu Fuß, zu Pferde, mit dem Fahrrad oder der Kutsche. Beschreibung in einem Wanderführer von 1893: „An der Kunststraße gelegen, schöne Räume, Garten und Kegelbahn, gute Speisen und Getränke, Altbier“. (Eine Tochter des Bierbrauers Ackermann ist die Mutter von Carl Pinkus Müller, Namensgeber der Brauerei Pinkus Müller in Münster.)
Wenige Jahre später zeigt das Foto der Gastwirtschaft Heithorn (vormals Ackermann) die Zeichen des kommenden Umbruchs: Neben dem Pferde-Futterkasten und dem Fahrrad lehnt schon ein Motorrad.
Vier Häuser weiter (Westfalenstraße 158) warb Rohrkötter (vormals Stähler): „Säle mit Klavier / Schöner Garten / Kegelbahn / Gute Speisen und Getränke / Aufmerksame Bedienung“; Rohrkötter hatte eigene Landwirtschaft und Brennerei, 1893 „Postagentur mit Telegraphen-Betrieb und Landpostverbindung (mit Personenbeförderung)“.
Zum Dicken Weib am Rande der Hohen Ward mit Kegelbahn, eigener Brennerei und Brauerei ist 1563 erwähnt als Herberge „thom dicken wyve“ und war schon im 19. Jahrhundert Ausflugsziel der Münsteraner. 1829 gründeten einige Kaufleute aus Münster die gesellige Vereinigung „Dicke-Wiever-Peter“, und mindestens ab 1849 feierten die Abiturienten des Paulinum hier ihren Kommers. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hieß es, die Wirtschaft habe „im Sommer hübsche Plätze im Garten vor dem Hause“, dazu gute Speisen und Getränke. Besonders an Sonntagnachmittagen soll Hochbetrieb gewesen sein, auch münstersche Studenten zählten hier zu den regelmäßigen Gästen (sie wurden angeblich bei Bedarf abends ins Stroh gelegt und am nächsten Tag mit dem Wagen nach Münster zurückgebracht). Das Herdfeuer zierten zwei Pferdeköpfe, die angeblich vom tollen Bomberg gestiftet wurden. Die Postkarte aus der Zeit um 1910 zeigt noch einen Kaffeegarten und das Pumpwerk in der Hohen Ward als Besucherattraktion.
Auch in der Nähe des Hiltruper Bahnhofs hatte sich zur selben Zeit schon Tagestourismus etabliert. Die „Wirthschaft Herm. Vogt“ an der Bahnhofstraße (heute: Marktallee 73) bot ab 1899 neben einem Saal bereits Außengastronomie an, die Postkarte zeigt überdachte Sitzplätze in einer offenen Remise, im Musikpavillon spielten Militärkapellen.
Die Münsteraner kamen mit der Eisenbahn (auch Sonderzüge nach Hiltrup) oder auch mit dem Rad. (Es gab eine Vielzahl von Ausflugslokalen rund um Münster: Maikotten, Pleistermühle, Hugerlandshof, Weiligmann, Sebon, Nobiskrug, nur wenige existieren heute noch.)
Einige Jahre später präsentierte Vogt sich als „Café, Restaurant und Bäckerei von Herm Vogt“: Ein großer Brotwagen steht vor dem Haus, mit dem die Bäckereiprodukte ausgeliefert werden.
Auf der anderen Seite der Bahnhofstraße gegenüber dem Bahnhof war die Schenkwirtschaft von Wilhelm Soetkamp Ausflugsziel der Münsteraner und der Studenten (später „Restauration von Josef Elfering – Bahnhofs-Restaurant mit Garten!“, abgebrochen im Jahr 2011).
Hiltrup war um diese Zeit (1905) ein Dorf mit 1.447 Einwohnern. Handwerksbetriebe deckten den örtlichen Bedarf: 2 Zimmerleute, 1 Fassbinder, 1 Spinnraddreher, 2 Schmiede, 5 Schneider, 5 Weber, 3 Schuhmacher und 3 Bierbrauer (1904). Bauern prägten noch das Bild. Die Mechanisierung der Landwirtschaft begann gerade. Maschinen übernahmen Erntearbeiten, Arbeitsplätze von Tagelöhnern fielen weg.
Mähbinder, zunächst noch von Pferden gezogen, machten die Handarbeit mit der Sense überflüssig.
Der Getreidedrusch hatte den Tagelöhnern den Winter über Beschäftigung und Einkommen gesichert. Diese Arbeit übernahmen nun in wenigen Wochen die Dreschmaschinen, mit denen Lohnunternehmer von Hof zu Hof zogen. Sie wurden zunächst von einer Dampfmaschine (Lokomobile) angetrieben.
Wäschewaschen war und blieb zunächst Handarbeit. Der Emmerbach war 1910 noch so sauber, dass darin die Wäsche gespült werden konnte.
VerkehrsprojekteEs war eine Zeit der großen Projekte. Die Reichsregierung plante den Bau des „Rhein-Weser-Elbe-Kanals“ für Schiffe bis 600 Tonnen. Schencking warb Anfang 1882 für das Projekt und erhielt zunächst Zustimmung. Später lehnte der Westfälische Bauernverein die Planungen ab. Schencking setzte sich bei jeder Gelegenheit für den Kanalbau ein. Als Vorsitzender des Kreis-Canalbau-Comités gewann er 1887 den Kreistag, die Amtsvertretungen Greven und St. Mauritz sowie die Gemeinderäte der betroffenen Gemeinden dafür, sich an den Kosten für den Grunderwerb zu beteiligen. Nur Hiltrup lehnte ab. Schencking übernahm daraufhin persönlich und „bedingungslos“ die Garantie für den erforderlichen Kapitalbetrag.
Der „Hiltruper Bogen“ des Kanals wurde am 30.9.1892 planfestgestellt.
Im Frühjahr 1893 begannen die Arbeiten. Im Mai 1894 waren in der Strecke Hiltrup 575 Arbeiter im Einsatz.
Aus dem Münsterland standen kaum Arbeitskräfte zur Verfügung. So kamen Saisonarbeiter. An der gesamten Kanalstrecke waren bis zu 4500 Mann beschäftigt, darunter etwa 20% Italiener, Holländer und Polen. Italiener galten als besonders qualifiziert für Maurer- und anspruchsvolle Steinmetzarbeiten. An der Strecke Hiltrup arbeiteten bis zu 800 Mann, darunter viele Holländer; für sie wurde ein evangelisches Feldgotteshaus zwischen Hiltrup und Amelsbüren eingerichtet.
Ein Streckenbaumeister verdiente bis zu 300 Mark im Jahr, die Erdarbeiter verdienten im Durchschnitt 2,75 Mark am Tag, für Kost und Logis mussten sie 1,30 Mark am Tag rechnen. Sie wohnten in „Mannschaftsbaracken mit Cantine“, die nach Vorschrift der Bauverwaltung errichtet und oft in schlechtem Zustand waren. Aus Hiltrup wurde berichtet, der Fußboden im Gebäude sei genauso verschmutzt wie der Platz vor dem Eingang. Die Cantinenwirte verkauften Speisen und Alkohol. Manche Arbeiter wohnten auch in Privatquartieren, zum Beispiel im Haus Groen (heutige Marktallee 67). In den Wintermonaten erhielten sie nur eine geringe oder keine Unterstützung; im Winter gab es in Lüdinghausen „von allen Seiten Klagen über Überhandnehmen der Bettelei“ (Kessemeier, Arbeitsplatz Kanal, Münster 1989). Die überwiegend ausländischen Arbeiter der Stadtstrecke siedelten in der Arbeiterkolonie Werse-Delstrup, dem heutigen Herz-Jesu-Viertel, auch „Klein Muffi“ genannt; nach Eröffnung des Kanals fanden viele Arbeit im Stadthafen.
Für den Transport von Kanalbau-Material wurde 1897 vorübergehend eine Schiffswerft in Hiltrup eingerichtet. Der Schiffsbauer B. Sibum aus Haren baute für die münstersche Firma Hessel zwei Lastkähne, sie transportierten Steine für die Kanalböschungen. Auch ein kleiner Personendampfer war unterwegs, der vorher kurze Zeit auf der Werse eingesetzt war („Der kleine Günther“). Der Kanalbau (feierliche Eröffnung am 11.8.1899 in Dortmund) brachte durch den Grunderwerb viel Geld in die Gemeinde und setzte damit ein verstärktes Baugeschehen in Gang, zwei öffentliche und zwei Privathäfen entstanden. Hiltrup machte seinen Frieden mit Schencking und wählte ihn 1894 wieder in die Gemeindevertretung.
Parallel zum Bau des Kanals (siehe Karte) wurden auch neue Eisenbahnlinien geplant.
Der „Geschäftsausschuss für direkte Bahn Beckum-Hiltrup-Münster i/W.“ entwickelte 1895 einen Plan für eine Bahnverbindung von Albersloh nach Hiltrup. Ein Abzweig wurde geplant vom Bahnhof Albersloh der Bahnstrecke Beckum-Münster durch die Hohe Ward zum „Staatsbahnhof Hiltrup“. Ein Alternativentwurf enthielt eine zusätzliche Bahnlinie östlich des Kanals von Hiltrup nach Münster, dieser Plan sah auch einen „Militair Bahnhof“ und einen „Militair Hafen“ vor sowie „Weitere Hafen Projecte“ im Bereich der heutigen Halle Münsterland. Vielleicht hatte auch hier Konsul Schencking seine Finger im Spiel, dessen Villa und Gut Hülsebrock im Plan eingezeichnet sind? Schencking hatte sich auch vergeblich für den Bau einer 16 Meter breiten neuen Verbindungsstraße Hiltrup-Münster auf der Ostseite des Dortmund-Ems-Kanals eingesetzt.
1899 setzte Schencking sich für ein weiteres Eisenbahnprojekt ein, die „80 Kilometer nähere Bahnverbindung zwischen Münster i. W. – Frankfurt a. M.“. Als „Vorsitzender des Sonderausschusses für die Anfangsstrecke Münster-Camen“ legte er unter dem 1.11.1899 eine Denkschrift vor. Die neue Verbindung sollte zunächst die bestehende Strecke Münster-Hamm bis südlich der Hiltruper Kanalbrücke nutzen und von hier aus über Ascheberg, Herbern, Werne nach Kamen führen. (Ab 1914 wurde die Bahnstrecke Münster-Dortmund über Amelsbüren und Davensberg verwirklicht.)
Wer oft und schnell kurze Wege zurücklegen musste und das nötige Geld hatte, nutzte eine Kutsche, den Stanhope Gig (Tilbury). In Hiltrup verfügte zum Beispiel der Hof Hackenesch genannt Stertmann noch 1920 über so ein Fahrzeug. Die Motorisierung des Individualverkehrs stand noch in weiter Ferne.
(Dieser Artikel wurde zuletzt am 15.11.2024 aktualisiert.)