Das Unterhaus der Marktallee
Beim Klima gibt es Kipp-Punkte: Von hier an geht’s bergab. Die Hiltruper Marktallee hat ihren eigenen Kipp-Punkt. Er liegt zurzeit ziemlich genau gegenüber der Sparkasse.
Veränderungen gehen schleichend vor sich, man muss in regelmäßigen Abständen genauer hinschauen. Am besten geht man einfach die Marktallee in regelmäßigen Abständen entlang. Die letzte Besichtigung im August 2020 liegt schon lange zurück.
Wer von der Westfalenstraße kommt, durchwandert im November 2022 im ersten Drittel der Marktallee bis St. Clemens einen kleinteiligen Bereich mit eigenem Charme. Ab Clemens-Kirche erlebt man im mittleren Drittel eine einigermaßen lebendige Einkaufsstraße. Das Textilhaus Grosche, takko gegenüber und Blumen-Risse bilden die durchaus ansehnliche Startposition. Dann kommt eine kurze Durststrecke. Die Augenarztpraxis neben Grosche in Hausnummer 34 mit ihren blinden Schaufenstern ist nicht gerade der Hingucker. Die Baustelle Hausnummer 29 auf der anderen Straßenseite …
… und die Brachfläche Hausnummer 36 muss man erst einmal überwunden haben.
Die Brachfläche Hausnummer 36 wirkt wie eine Erinnerung an steigende Finanzierungskosten. Friseur Heßling und Annettes Weinkeller sind längst Vergangenheit, dann kamen Leerstand, Abriss und eine Delle in der Immobilienblase. Wann wird die Lücke geschlossen? Wer wird hier mieten, wieder ein Frisör oder ein Pflegebüro?
Der Drogeriemarkt dm nebenan sorgt für Leben. So viel, dass extra Parkplätze für Fahrräder umgewidmet werden mussten (zum Leidwesen der Autofahrer): An den neuen Radbügeln und auf dem Gehweg drängeln sich die Räder.
Dies gute Bild reicht, bis man zur Fußgängerampel kommt, links das Zeitungsgeschäft, rechts der Biosupermarkt.
Lange genug hatte das ehemalige Café Klostermann öde dagelegen, jetzt zeigen der ehemalige Schusterladen (Hausnummer 49) und der ehemalige Klostermann-Eingang nur blinde Augen.
Wenige Schritte weiter zeigt Hausnummer 55 heftige Spuren von Gammel. Noch blühen die Geranien der früheren Zahnarztpraxis, aber die Räume stehen leer. Bei näherem Hinsehen ist nicht zu übersehen, dass hier ein potemkinsches Dorf droht. Das alte Haus ist nur auf der Straßenseite mit Farbe aufgehübscht, aber der Vorgarten verlottert.
Nebenan sieht es nicht viel besser aus. In Hausnummer 57 residierte einmal ein wichtiges Geschäft, bei Brintrup gab es Kinderwagen und Spielzeug. Das ist lange her, seitdem geben sich wechselnde Mieter die Klinke in die Hand. Lazarus Networks steht jetzt auf der Reklametafel, im Inneren des geschlossenen Ladenlokals herrscht offensichtlich Auflösung.
Zwei denkmalgeschützte Häuser weiter trifft man auf eine recht spezielle Schlicht-Immobilie. Anders ist das Gebäude Hausnummer 67 kaum zu bezeichnen; wo früher eine Aldi-Filiale nicht den elegantesten Eindruck machte, war jahrelang Billig-Plastik vor dem Haus gestapelt. Jetzt hat tedi die Segel gestrichen, die Konkurrenz von Woolworth und Kodi war offensichtlich zu stark. Schaut man hoch, wirken die Fenster der zwei Stockwerke darüber recht tot, und nur an zwei von sechs Briefkästen klebt überhaupt ein Namensschild.
Aber dem Nachbarn geht es nicht viel besser. Dunkel ist es in Hausnummer 71 hinter den Schaufenstern der Stadtbäckerei.
Und wie sieht es gegenüber aus? Der Eck-Laden in der Marktallee 68 ist nie so recht in Schwung gekommen. Der Bauträger unterhielt hier einige Zeit lang ein Büro, jetzt kann man hier angeblich Handys reparieren lassen – dunkel ist der Laden, genauso wie die Stadtbäckerei, innen steht nichts mehr.
Hausnummer 78 hat seine eigene Geschichte, lange lag Asia Quick wüst. Die Tische und Stühle vor dem Haus sind im Jahr 2022 selten besetzt. Wie viele andere verkauft auch dieser Laden per Lieferdienst. Zur gastfreundlichen Belebung, Stichworte: Flaniermeile, Aufenthaltsqualität, trägt das nur wenig bei.
Das war einmal anders. Das Foto aus dem Jahr 2017 zeigt an dieser Stelle noch eine florierende Eisdiele. Aber wie gesagt, das war 2017, die Eröffnung von Wiewel am Bahnhof lag erst wenige Monate zurück, und ringsum war die Situation damals schon kritisch. Die Lage ist seitdem in wenigen Jahren drastisch abgestiegen.
Hausnummer 81 „glänzt“ mit einem ganz besonders öden Vorplatz. Blumenkübel und eine Schranke sind der Schutzwall gegen die Postkunden, die verzweifelt einen Parkplatz suchen. Abweisend wirken die blinden Schaufenster der Spielothek, hinter einer Schamwand stehen Müllcontainer.
Ihre Zukunft hat die Spielothek hinter sich, scheint die seit Jahren zeigerlose Uhr zu sagen.
Papa George sucht man jetzt vergeblich in Hausnummer 83. Wie konnte der Laden sich hier so lange halten? Jetzt versuchen es zwei Neue. Die Musti Kebab sind angeblich „Made in Berlin“, ob die es wohl frisch bis nach Hiltrup schaffen?, und statt Papa George macht jetzt pizzamax die Pizzen.
Ach, was ist das für ein Elend, scheinen die beiden etwas verblichenen Herren in der Grünanlage dazu zu sagen. Sie wenden sich ab, im Rücken hinter sich lassen sie auch die recht lieblos hier geparkte Metallskulptur. Ihr Blick ruht in aller Ruhe – die Rente ist uns sicher – auf Kodi und Wiewel gegenüber. Vielleicht würden sie aber doch ein paar Sorgenfalten zeigen, wenn sie den nächsten Billigladen in der Nachbarschaft sehen könnten? Der ist nicht weit. An der Glasuritstraße 2-4 gegenüber dem Stroetmann-Areal steht die nächste problematische Gewerbeimmobilie. Lidl ist hier nicht lange geblieben, der Billig-Laden Action ist als Nachfolger eingezogen, ein Sonnenstudio nebenan.
Haben wir hier das arme Drittel der Marktallee?
Als vor Jahren über die Planung des Stroetmann/Wiewel-Supermarktes am Bahnhof gestritten wurde, gab es Warnungen. Die SPD richtete an die Verwaltung die Frage, ob hier auf der Marktallee ein schwarzes Loch zu entstehen drohe. Harling Immobilien wandte sich 2010 an Bezirksbürgermeister Schmidt: „Ein ruinöser Wettbewerb durch ein neues Einkaufszentrum würde größere Leerstände an der Marktallee nach sich ziehen und die Straße somit als Einkaufsmeile unattraktiv machen.“
Im Einzelhandelsgutachten sagte der Gutachter, der Supermarkt und die anderen neuen Geschäfte am Bahnhof werden der Marktallee nicht weh tun. Allen war dabei aber klar, dass das neue Bahnhofsareal viele Kunden anziehen würde, Kunden mit Autos. Steigen die auch aus und gehen die Marktallee herunter, generieren sie Umsatz auf der Marktallee? Oder wird der Kernbereich der Marktallee von St. Clemens bis Sparkasse einigermaßen überleben, das letzte Drittel bis zum Bahnhof aber noch einen Dämpfer bekommen?
Den Kaufleuten im Kernbereich kann es nicht egal sein, wenn die Nachbarschaft herunterkommt. Hiltrups BürgerInnen kann es genauso wenig gefallen. Die Wirtschaftsförderung der Stadt hat die Situation angeblich im Blick. Wie viel Zeit darf man sich noch lassen? Die beginnende wirtschaftliche Rezession wird den Niedergang, der sich jetzt abzeichnet, spürbar beschleunigen.
(Zum nächsten Spaziergang über die Marktallee im August 2024 geht es hier.)
Kommentare
Klaus Celustek #
Sehr guter Blick auf den Zustand der Marktallee! Dazu kommt, dass nichts getan wird um die Marktallee ein bisschen aufzuhübschen (s. Geranien) oder auch nur für Weihnachtsstimmung zu sorgen. Das geht auch mit wenig Energie mit aufgestellten Weihnachtsbäumen und LED Ketten. Oder sogar mit einem kleinen Weihnachtsmarkt an der Clemenskirche für ein Wochenende? Die bedeutend kleineren Stadtteile machen es vor!
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