Spekulation reißt Lücken
Ein nichtssagendes Foto von irgendeiner nichtssagenden Straße – erst bei näherem Hinsehen erschließt sich: Das ist die Marktallee in Hiltrup. Es gab mal einen Bezirksbürgermeister, der redete gern von Hiltrups „Flaniermeile“, aber inzwischen ist diese Straße eher ein kurzes Elend.
Zwei Jahre lang hat die Eigentümergemeinschaft dieses Klotzes an der Marktallee 34 das Erdgeschoss fast komplett leer stehen lassen. Die Marktallee 34 ist nicht eine beliebige Adresse in einem beliebigen Gewerbegebiet. Hier liegt der Mittelpunkt Hiltrups. Ringsum Geschäfte mit viel Publikum, Gastronomie, Kirchplatz. Zwei Jahre lang öder Leerstand, und dann das: Eine Arztpraxis mit optimal öde verhangenen Fenstern. Dabei wäre durchaus möglich gewesen, hier einen weiteren Publikumsmagneten anzusiedeln; das Café Extrablatt interessierte sich dem Hörensagen nach, aber wir wollen doch bitte unsere Mittagsruhe nicht durch ein Café gestört haben, nicht wahr?
Diese Entscheidung der Eigentümer ist dem zentralen Bereich der Marktallee nicht gut bekommen. Denn auch das gute alte Café Klostermann einige Häuser weiter ist uns abhanden gekommen. Fragt man Alt-Hiltruper, was sie von dem Selbstbedienungsbetrieb halten, der sich jetzt in einem Teilbereich des alten Café Klostermann befindet, hört man wenig Schmeichelhaftes. Ins Café? Dann – inzwischen – eher zu Schrunz, begrenzter Charme an der Marktallee 62, gelungener Charme an der Westfalenstraße.
Als ob die öden Fenster der Arztpraxis nicht schon schlimm genug wären, breitet sich nebenan eine Trümmerwüste aus. Ältere erinnern sich an abenteuerliche Kinderspiele auf den Trümmerbergen nach dem II. Weltkrieg, aber hier ist keine Bombe eingeschlagen, hier wütet nur die Spekulation. Links der Frisör, rechts der Weinladen, das war mal Dienstleistung und gehobener Bedarf. Sieben Jahre ist es her, dass der Weinladen ausziehen musste. Dann stand der Laden lange Zeit leer, dann wurde das Haus abgerissen. Das war 2022. Seitdem „schmückt“ die Marktallee sich mit einem Trümmergrundstück. NENNO-Architektur hatte ein Banner am Bauzaun, dann platzte die Immobilienblase. Ein „Wohlfühlhaus mit Sonnenbalkon“ verspricht jetzt die Volksbank – nur ist das mit dem Wohlfühlen in Wohnungen an der Marktallee so eine Sache; vor allem wenn es ringsum ruhig wird, lassen die Biker und Möchtegern-Rennfahrer es hier gern krachen. Baubeginn also in weiter Ferne?
Die Probleme dieser Lage spüren auch die Investoren der Marktallee 29. Bis 2023 stand hier ein zumindest auf den ersten Blick ordentlich erhaltenes Mehrfamilienhaus aus den 1960er Jahren, auch im Erdgeschoss Wohnraum statt Laden. Das waren wahrscheinlich bezahlbarer Wohnraum und bescheidene Rendite.
Jetzt steht hier ein properes Wohn- und Geschäftshaus, aber halt, was macht denn jetzt das Werbebanner am Haus?
„Jetzt einziehen und wohlfühlen“ steht auf dem Banner, das die Volksbank am Haus hängen hat (die Bank mit dem Trümmergrundstück). Das Ladenlokal im Erdgeschoss ist zum Glück vermietet, aber mit dem Wohlfühl-Wohnen hapert es doch. Die manchmal laute Marktallee beschallt ausgerechnet die Südseite des Hauses – diese Balkone sind genauso wertlos wie die der Nachbarhäuser.
Ein Blick auf Briefkästen und Klingelschilder zeigt das Desaster: Drei Wohnungen sind immer noch nicht verkauft. Wer will schon eine halbe Million Euro oder mehr ausgeben, nur um immer die Fenster geschlossen zu halten?
Drei Häuser weiter gähnt an der Marktallee 37 ein schwarzes Loch. Die 1971 eröffnete Rosenapotheke ist geschlossen, an der Fassade erscheint wieder der alte Schriftzug der Drogerie Säger. Der Apotheker hat keinen Nachfolger gefunden: Anderswo wird über ein Apotheken-Sterben geredet, in Hiltrup haben sich die Apotheken in den letzten Jahren drastisch vermehrt. Es ist ein Verdrängungswettbewerb, die Einzel-Apotheker weichen den Filialisten. Das Ladenlokal steht leer: Muss hier wie nebenan Nr. 35 investiert werden, damit ein Einzelhändler eine Chance hat? Auch der Auftritt des Nachbarhauses Marktallee 39 ist nicht hilfreich. Nach dem Betreiberwechsel konnte das Nachfolge-Lokal nicht an den Erfolg von Papageno anknüpfen, nun werden Bauschäden saniert; die Bretterbude auf dem Balkon von Nr. 39 trägt nicht gerade zu einem vorzeigbaren Ortsbild bei.
Auf dem weiteren Weg zum Einkaufen – ja, noch gibt es Lebensmittel auf der Marktallee! – kommt man schnell zum nächsten Problemfall. In der Marktallee 46a gab es zwanzig Jahre lang eine Foto-Drogerie: Eine inzwischen ausgestorbene Spezies, kleiner Laden, kleines Angebot, persönliche Beratung durch den Drogisten Rüschhoff und Annahme von Fotoarbeiten. Dann kamen nacheinander Mode für Männer und Mode für Kinder, zuletzt Afro Beauty Münster – auch das ist demnächst Geschichte. Der nächste Leerstand also: Wer versucht demnächst sein Glück in dem engen Raum?
Schräg gegenüber in der Marktallee 49 gab es über Jahrzehnte einen glücklichen Nischenanbieter. Von 1984 bis Juni 2022 arbeitete hier im Haus des Bäckers Klostermann (Tradition seit 1910!) ein Schuhmachermeister. Meister Hullmann wäre gern geblieben, aber Bäcker Klostermann machte Kasse: Verkaufen, raus mit dem Schuster, Abbrechen und neu Bauen waren angesagt.
Zwei Jahre gammelt dies Haus jetzt vor sich hin im armen Drittel der Marktallee, die geplatzte Immobilienblase lässt grüßen?
Und noch ein Problemfall, Marktallee 54a: Ein winziges Ladenlokal, der Charme der 1960er Jahre. Der Hörgerätehändler ist ausgezogen, aber wer will den Mini-Laden mieten?
Schräg gegenüber ist auch die Marktallee 57 schon lange schwer zu vermieten. Über viele Jahrzehnte ist dieses Ladenlokal gewachsen, mehrere Um- und Anbauten haben ihre Spuren hinterlassen. Eingang nicht barrierefrei, innen versetzte Ebenen, ein Anbau im tiefer liegenden Hof – das ist schwierig zu nutzen. 1922 startete Brüntrup hier mit Fahrrädern, Nähmaschinen, Kinderwagen und Spielzeug, zwischendurch sogar mit Tankstelle vor dem Haus. Seit 20 Jahren ist nicht mehr wirklich Leben im Haus, jetzt steht der Laden wieder leer.
Wieder sind es nur wenige Schritte bis zum nächsten Abbruchkandidaten. Die Marktallee 60 gehörte einmal zu den Häusern an Marktallee und Am Klosterwald, die Anfang des 20. Jahrhunderts als aufwendige Einfamilienhäuser gebaut wurden und an den Giebeln schmückendes Balkenwerk trugen. Daran erinnert das jetzige Haus nicht mehr, schon lange gibt es hier keinen Einzelhandel mehr. Nun steht das Haus leer, der nächste Abbruch kommt. Ein schönes neues leer stehendes Ladenlokal mehr, zusammen mit teuren Eigentumswohnungen? In allerschlichtester Allerweltsarchitektur?
Wer sich Gedanken über die Zukunft der Marktallee macht, hat natürlich auch die Nr. 67 zusammen mit Nr. 69 im Kopf. Das Dixi-Klo steht dort schon so lange vor der offensichtlich dauerhaft stillgelegten Baustelle, dass man es eigentlich unter Denkmalschutz stellen sollte. Falls die WN einmal einen Wettbewerb ausloben sollte, welches Grundstück in Hiltrup am schlimmsten aussieht, wäre das mein Tipp!
Der Marktallee geht es nicht gut. Als Einzelhandelsstandort hat sie offensichtlich viel Attraktivität verloren, und der Trend zu Krankenstation und Haarsalon konnte nicht verhindern, dass immer mehr Ladenlokale und Grundstücke leer stehen.
Verschieben sich langsam die Problemzonen? Amelsbüren hat mit Erfolg den Ortskern ruiniert, mit dem Netto-Markt hat der Ort 2024 ein Schmerzpflaster bekommen. Sind jetzt die Hiltruper dran, sich Gedanken über ihren Ortskern zu machen? Vielleicht sollten Kaufleute, Eigentümer und Wirtschaftsförderung sich darüber einmal zusammensetzen; auch ein wenig Rückenwind aus der Politik würde nicht schaden.