Abenteuer in der Service-Wüste der Bahn
Spätzle, Äpfel und Wein: Dieses Jahr soll die Radtour der zwei Freunde durch Schwaben zum Bodensee gehen. Der Donau-Bodensee-Radweg lockt, eine Runde um den Bodensee soll sich anschließen. Für die Anreise zum Startpunkt in Ulm waren Eisenbahn-Tickets gebucht. Nicht ganz einfach, Radfahren ist in, und Fahrrad-Stellplätze in den Fernzügen sind in der Ferienzeit besonders knapp. So musste der Starttermin denn auch verschoben werden, statt am Wochenende gab es erst Mitte der Woche noch eine Reservierungsmöglichkeit. Und das zum absoluten Kampfpreis: 29,15 Euro für einen Weg über 500 Kilometer.
Angenehm frisches Urlaubswetter empfängt den Reisenden auf Münsters Bahnhof. Schön, dass es inzwischen Aufzüge gibt und man das schwer beladene Rad nicht mehr die Treppe herauf schleppen muss! Denn wer in der Hauptreisezeit ins Blaue aufbricht, ohne vorher Zimmer zu buchen, muss zusätzlich noch Zelt und Schlafsack mitnehmen, das wiegt. Der Reisende ist früh dran und guter Laune. Bis er auf die Anzeigetafel sieht. Dieser Zug fällt aus, steht da. Sonst nichts.
Dem Reisenden ist klar, was das bedeutete: Alle Fahrradabteile der Fernzüge ausgebucht, also vielfach umsteigen mit Nahverkehrszügen, oder Auto. Die Servicemitarbeiterin in Münsters Bahnhof versteht, worum es geht, und bemüht sich. „Gehen Sie erst mal einen Kaffee trinken“ – den Gutschein akzeptiert das Bahnhofscafé zwar nicht, aber die Idee ist nicht schlecht. Nach ein paar Minuten kommt die Mitarbeiterin ins Café hinterher; sie hat sich ans Telefon gehängt und versucht, den Zugchef des nächsten Fernzugs zu erreichen; nach ihren Worten steht es in der Entscheidung des Zugchefs, ob er ein Fahrrad zusätzlich mitnimmt. Aber er war nicht zu erreichen. So bleibt ein Rat: Den Nahverkehrszug nehmen, in Köln wieder zur Bahn-Information gehen, neuer Anlauf. Was ist, wenn nichts geht? „Natürlich bekommen wir Sie dann schon irgendwie nach Münster zurück!“
Im Kölner Hauptbahnhof gibt es drei Informationsschalter. Am ersten im Bahnhofstunnel ist man nicht zuständig. Am zweiten in der Bahnhofshalle kann man nicht helfen. Am dritten stehen die Verzweifelten Schlange, 20 bis 25 Minuten Wartezeit, es ist nicht nur ein Zug ausgefallen. Und dann? Eine Mitarbeiterin am Schalter, die zweifelnd die Augenbrauen hebt. Die Kollegin in Münster habe den Zugchef anrufen wollen, sie in Köln möge doch bitte jetzt die Weiterfahrt organisieren? Nein, das geht alles nicht. Nein, freie Fahrradplätze gebe es nicht (aber das weiß man auch schon). „Gehen Sie auf den Bahnsteig, warten Sie auf den Zug, hier wird noch ein Waggon angehängt; fragen Sie den Zugchef, ob er das Fahrrad mitnimmt.“
Die einzige Freundlichkeit, zu der die Dame bereit ist, ist eine kostenlose Reservierung für den Anschlusszug von Stuttgart nach Ulm. Dafür gibt es eine Spezial-Fahrkarte: alles XXX.
Verspätung ist angesagt für diesen Zug. Ein technisches Problem liege vor; ein Reisender sei erkrankt; ein technisches Problem; ein kranker Reisender – immer im Wechsel plärrt der Lautsprecher unglaubwürdige Ausreden. Der Zug kommt und steht. Alle raus, am Gleis gegenüber ein Ersatzzug. Ohne zusätzlichen Waggon. Dafür ein Rudel von Radfahrern davor, die sich im Getümmel in das Fahrradabteil stürzten. Ein Zugchef nicht in Sicht.
Was macht man in einer solchen Situation? In Ulm wartet der Freund, um gemeinsam auf Radtour zu gehen – man nimmt sein Rad und steigt ein. Der Zug fährt an, die anderen Radfahrer sortieren ihre Räder in ihre reservierten Plätze. Man packt sein Rad in eine Ecke, wo es niemandem im Wege ist.
Und dann kommt das Servicepersonal des Zuges. Der erste ist freundlich und verspricht, in einem anderen Waggon nach Platz fürs Rad zu suchen. Das dauert eine Weile. Er findet natürlich keinen freien Rad-Platz, aber er findet etwas anderes. Die Klimaanlage! Gestern sei sie noch in fünf Waggons dieses Zuges kaputt gewesen, heute nur noch in zwei, auch in diesem. Der Waggon muss deshalb von den Reisenden geräumt werden, Flatterband wird um die Sitze gespannt, und das Beste: Wenn keine Reisenden mehr im Waggon sind, darf auch das überzählige Fahrrad mitfahren.
Alles könnte so schön sein. Kein Klima, Menschen raus, Räder rein, ein Sitzplatz im nächsten Waggon. Bis der Zugchef kommt. Der ist König seines kleinen rollenden Reichs. Ein ungnädiger König. Wie, dieser nichtsnutzige Bittsteller will einfach so mitfahren? Und hat den kleinen König nicht um Erlaubnis gefragt? Was fällt dem ein? So schaltet er den obrigkeitlich-überheblichen Amtston ein und weist den Bittsteller zurecht: Eigentlich habe er den mit seinem Rad aus dem Zug werfen müssen. Basta. Statt mal einfach den Mund zu halten und sich zu schämen. Für den Zugausfall, für den Nicht-Service der Kölner Information, für das endlose Klimaanlagen-Desaster der Bahn.
Nein, man darf sich nicht als Kunde fühlen, wenn man eine Fahrkarte gekauft hat. Man darf überhaupt nicht erwarten, dass man die versprochene und bezahlte Dienstleistung erhält und irgendwie von A nach B transportiert wird. Man soll immer daran denken, dass dies ein rollendes Buch von Vorschriften ist, und dass die Reisenden nur Sand im Getriebe sind.
Der Reisende hat die Nase gestrichen voll. Natürlich hat auch dieser Zug Verspätung. In Stuttgart steht der Anschlusszug abfahrtbereit, ein Hitze-Spurt klappt gerade noch.
Ja dann: Ist der Reisende im Reich süddeutscher Gastlichkeit. Der Zug ist voll. Kein Mensch fragt, ob all die schnell herein geschobenen Räder angemeldet, registriert und legal sind. Auch hier ist eine Klimaanlage defekt. Dem Reisenden ist inzwischen Alles egal: Er fährt, er wird an diesem Tag noch ankommen! Und nach einigen Stationen werden Plätze im gekühlten Nachbarwaggon frei.
Das war’s mit dem Bahn-Rad-Reise-Chaos?
Nein, natürlich nicht. Die Rückfahrt von Lindau nach Münster ist auch spannend. Dem Zug der österreichischen Bahn, für den die Deutsche Bahn das Ticket verkauft hat, fehlen zwei Waggons. Der Waggon mit dem reservierten Sitz- und Fahrradplatz hat keine Fahrradplätze. Hier zeigt sich das Personal von besserer Seite. Das Rad im Gang wird zunächst geduldet, kann an einem Haltebahnhof in den Packwagen umgeladen werden: Den gibt es noch in dem Zug aus Österreich! Da fällt es kaum ins Gewicht, dass das Rad in Münster deutliche Spuren von Misshandlung zeigt, der Mann im Packwagen murmelt etwas von „Notbremsung“, der Lenker ist verdreht, der Griff abgeschabt: Tonnen von anderen Fahrrädern müssen dagegen gefallen sein, oder das Rad ist quer durch den Packwagen geflogen. Aber es fährt noch bis vor die eigene Haustür. Und der Reisende seufzt: So ist Bahn.
Nachtrag:
Der zweite Radreisende bekommt auch sein Abenteuer. Hinfahrt mit Rad in der Bahn nach Ulm problemlos? Da wird wenigstens auf der Rückreise nach Hannover eine Abreibung fällig. Das Muster kennt man schon aus dem vorstehenden Text: Der gebuchte ICE fährt nicht, und der Ersatz-ICE hat keine Fahrradplätze.
Im Unterschied zu dem ersten Reisenden aus Münster trifft die Bahn hier allerdings auf weniger Kompromissbereitschaft und Duldsamkeit. Dieser Reisende muss an diesem Tag noch in Hannover zurück sein und ist energischen Auftritt gewohnt. Er geht zur Information des Bahnhofs Stuttgart, und hier wird tatsächlich geholfen. „Hotelzimmer oder Taxi?“ wird er gefragt (wie andere gestrandete Rad-Reisende auch), und so dauert seine Rückreise nur zwei Stunden länger als geplant. Mit zerlegtem Rad im Taxi von Stuttgart nach Hannover. Macht 980 Euro auf dem Taxameter, Miese für die Deutsche Bahn. Ob auch der Münsteraner auf der Hinfahrt diese Lösung hätte einfordern sollen? Und ob nicht auch die freundliche Dame an der Information des Bahnhofs Münster (und die unfreundliche Dame an der Information des Bahnhofs Köln) diese Lösung hätte anbieten müssen?
Es hat doch einen Grund, dass dies Unternehmen nicht so recht Geld verdient. Und einen hundsmiserablen Ruf hat.
Fragt man die Bahn nach einem solchen Desaster schriftlich, welche Rechte man als Kunde eigentlich hat – Anspruch auf Taxi-Beförderung zum Ziel bei Ausfall des vorreservierten Fahrrad-Zuges? -, bekommt man: Keine Antwort. Sowohl die DB Vertrieb GmbH als auch die DB Fernverkehr AG schweigen sich zunächst aus. Am 1. und am 13.8.2018 hat der Kunde schriftlich angefragt. Am 7.9.2018 – mehr als einen Monat später – kommt vom Servicecenter Fahrgastrechte ein auf den 31.8.2018 datiertes höchst skurriles Schreiben, und die erbetene Auskunft kommt dann telefonisch erst am 8.10.2018, mehr als zwei Monate später. Der Inhalt lautet kurz gefasst: Wenn Du mit Fahrrad in die Ferne willst, verlass dich nicht auf die Deutsche Bahn.
(Den Bericht über die Radreise nach diesem missglückten Start finden Sie hier.)
(Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 09.10.2018.)