Schwein gehabt?

Der Hiltruper Schweinestreit, eine unendliche Geschichte

Von den Schweinen in Hiltrup hatten wir lange nichts mehr gehört. Ernüchterung war angesagt im Streit um den neuen Stall in der Hohen Ward, auch im Wahlkampf durften sie nur noch eine Statistenrolle spielen. Jetzt hat sich die Hiltruper Bürgerinitiative mit einem Knall zurückgemeldet und den Oberbürgermeister bei der Regierungspräsidentin angezeigt: Ein „Primat der Politik“ fordert die Bürgerinitiative ein, gegen ihren Willen habe der Oberbürgermeister die Baugenehmigung für den Schweinestall nicht erteilen dürfen.

In der Wahl ihrer Worte liebt die Bürgerinitiative den großen Auftritt. „Chaos in der Stadtverwaltung“, „vorsätzliche Missachtung“, „Verstoß gegen das Kommunalverfassungsrecht“, „rechtswidrig erteilte Baugenehmigung“, „Kaltschnäuzigkeit“ – darunter tun die Sprecher der Bürgerinitiative es nicht. Sie fordern die Rücknahme der Genehmigung, die Regierungspräsidentin soll es richten, den genauen Wortlaut ihrer Beschwerde enthalten sie der Hiltruper Öffentlichkeit allerdings vor.

Was die Bürgerinitiative öffentlich macht, ist der Wortlaut ihres Bürgerantrags vom 10.9.2021. Den kann und muss man sich ansehen, wenn man sich ein Bild machen will von der causa Schweinestall.

Der Bürgerantrag gemäß § 24 Gemeindeordnung („Anregungen und Beschwerden“) ist das Mittel der Wahl, wenn man sonst nichts in der Hand hat und trotzdem eine Reaktion erzwingen will. Die Zuständigkeiten der Ausschüsse, der Bezirksvertretungen und des Bürgermeisters werden hierdurch nicht berührt, sagt die Gemeindeordnung. Der Antragsteller ist über die Stellungnahme zu den Anregungen und Beschwerden zu unterrichten, mehr nicht. Anders gesagt: Er muss irgendeine Antwort bekommen – aber er hat keinen Anspruch, dass Rat oder Oberbürgermeister die im Bürgerantrag formulierte Forderung erfüllen.

So weit zur formellen Seite. Inhaltlich findet sich viel Bedenkenswertes im Bürgerantrag. Wer würde nicht die Forderung von Klimaschutz unterstützen? Wer will Schweinegestank atmen und die Landschaft verschandelt sehen?

In ihrer Abstraktheit wird niemand Einwände gegen diese drei Stichworte erheben. Im Gegenteil, wer ärgert sich nicht über das inhaltslose Wortgeklingel, das mit der Verkündung des Klimanotstands in Münster verbunden ist? Billige Phrasendrescherei, wir wollen endlich Taten sehen!

Also fangen wir mal an mit dem Klimaschutz. Wir tun etwas, da, wo man etwas tun kann: Wir ändern unser eigenes Umfeld. Denn hier sind wir alle entscheidungs- und handlungsbefugt. Für die Mitglieder der Bürgerinitiative wie für alle MünsteranerInnen heißt das, wir haben alle das Auto abgeschafft oder die Nutzung wenigstens stark eingeschränkt und fahren auch nicht mehr über den Bült. Wir haben unsere Häuser umgebaut: Neue Dächer mit neuer Wärmedämmung, Wärmeverbundsysteme an den Außenwänden oder eine innen liegende Wärmedämmung, neue Fenster und Lüftungssysteme, Wärmepumpen statt Gasheizungen, Solarkollektoren fürs warme Duschen, Photovoltaik, und viel Verständnis für Windräder in der Nachbarschaft. Das haben wir erledigt. Ganz diskret sogar; so diskret, dass man auf den wenigsten Dächern am Emmerbach neue Wärmedämmung und Kollektoren sehen kann. Aber Google Earth sieht ja auch nicht alles. Und auf den Teller kommt nur Biokost, egal woher.

Die nächsten Taten sollen „die Anderen“ liefern. Also der Bauer in der Hohen Ward. Und bist du nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt? Im Erlkönig hat das ein schlimmes Ende. Im Rechtsstaat gibt es Normen, die regeln, was man dem Nachbarn vorschreiben kann. Da ist eine gewisse Ernüchterung angesagt. Nicht alles, was man missbilligt, kann man dem Nachbarn verbieten. Auch der Nachbar darf im Rahmen der Rechtsordnung tun und lassen, was ihm gefällt. Hält er die Regeln des Bau- und Immissionsrechts ein, hat er Anspruch auf eine Genehmigung und darf bauen. Verschandelung? Wer setzt die Maßstäbe? Wollen wir die Einfamilienhäuser am Emmerbach wegen Verschandelung abreißen? Es würden nicht allzu viele stehen bleiben. „Grob unangemessen“ nach den Maßstäben der Rechtsprechung müsste die „natürliche Eigenart der Landschaft und ihr Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet“ sein, um gemäß § 35 Absatz 3 Nr. 5 Baugesetzbuch die Baugenehmigung zu verweigern – in der Rechtsprechung gibt es schöne Beispiele, welche Verrenkungen es erfordert, eine „Verschandelung“ festzustellen. Allein die Ausweisung als Landschaftsschutzgebiet reicht nicht für eine solche Einstufung. Und auch für die Beurteilung, wie viel Abstand ein Schweinestall zur Wohnbebauung halten muss, gibt es Regelwerke.

Der Bürgerinitiative ist dies wohl bewusst. Mit dem Recht ist dem Schweinestall nicht beizukommen. Die Bürgerinitiative wählte mit dem Bürgerantrag deshalb einen anderen Weg, sie wollte die Entscheidung politisieren: Der Rat sollte die Entscheidung gemäß § 41 Absatz 3 der Gemeindeordnung an sich ziehen, sich „für einen Einzelfall die Entscheidung vorbehalten“.

Man ist versucht, diese Forderung der Bürgerinitiative dem Motto „der Zweck heiligt die Mittel“ zuzuordnen. Wenn der Bauer einen Anspruch auf die Baugenehmigung hat, sollte der Rat mit seiner grün-roten Mehrheit die Entscheidung an sich ziehen und den Bauantrag gegen das Gesetz ablehnen, so wollte es offensichtlich die Bürgerinitiative. Und bis der Bauer sich dann die Baugenehmigung vor dem Verwaltungsgericht erstritten hat, sollten Veränderungssperre und Bebauungsplanverfahren auf den Weg gebracht werden und ihn ausbremsen. Soll er doch sehen, wie lange das dauert?

Ob den Mitgliedern der Bürgerinitiative bewusst ist, dass sie damit den Rechtsstaat in Frage stellen?

Denken wir den Ansatz der Bürgerinitiative einmal weiter. Klimaschutz endet ja bekanntlich nicht bei den Themen Auto und Heizung, auch das Reisen ist höchst schädlich: All die vielen überflüssigen und schädlichen Flugreisen könnte man doch recht einfach unterbinden, indem die Verwaltung den beantragten Personalausweis oder Reisepass nicht ausstellt. Der Rat behält sich die Entscheidung vor: Dieser Nachbar war schon in Namibia, der bleibt jetzt mal zu Hause, kein Pass mehr. Und jener Nachbar will an seinem Einfamilienhaus anbauen? Die neuen Ziegelsteine und der Zement kosten in der Herstellung viel CO2, das ziehen wir als Rat an uns und lehnen es ab? Der Anbau wäre doch sowieso eine Verschandelung?

Die Ziele der Hiltruper Bürgerinitiative werden von Vielen unterstützt. Der Kampf der Bürgerinitiative gegen einen Schweinestall verspricht keinen Erfolg, er führt immer weiter in Frustration und Staatsverdrossenheit und lenkt ab von dem tatsächlich Nötigen und Möglichen. Lokale Aktivitäten in bürgerschaftlicher Verantwortung können ein konstruktiver Teil der Lösung sein, die Bestandsaufnahme der Dächer zum Beispiel sollte eine Flut privater Investitionen auslösen. Den neu gewählten Bundestagsabgeordneten aber sollten wir den Rücken stärken. Wenn es ernst werden soll mit dem Klimaschutz, sind unpopuläre Entscheidungen fällig. Verhaltensänderung geht über Geld. Emissionszertifikate für Gas und Benzin tun weh – und zwingen zu Änderungen, für Kollektoren und Wärmepumpen sind noch interessantere Förderprogramme denkbar, der Übergang muss gestaltet werden.

Wie wäre es denn, wenn die Bürgerinitiative allen Bundestagsabgeordneten aus Münster eine Resolution mit auf den Weg gibt: Tut was fürs Klima, auch wenn es weh tut – und wir halten zu euch, wenn es Gegenwind gibt!

(Siehe auch: Schweine-Empörung, diskret entsorgt)