Von Überlingen nach Kressbronn
(Fortsetzung von Rad-Reisen: Donau-Bodensee IX. Zum Startpunkt der Reise in Ulm geht es hier.)
70 Kilometer haben die beiden Radler heute vor sich. Kressbronn ist das Tagesziel, und auch die Übernachtung ist schon geregelt; das Zimmer bei Familie Bucher in Hüttmannsdorf am Rande von Kressbronn ist telefonisch für zwei Nächte reserviert. Angenehm zu fahrende ruhige Teilstrecken ohne Verkehr wechseln sich ab mit Radwegen entlang von Autostraßen; der erste schöne Abschnitt verläuft bis Uhldingen zwischen einer eingleisigen Bahnstrecke und dem Seeufer.
Das Kloster Birnau liegt auf dem Weg, es zu besuchen ist ein absolutes Muss. Die Barockkirche ist ein Höhepunkt, den man auf keinen Fall versäumen sollte.
Über die Bahn geht es einen steilen Schotterweg bergauf, mitten in den Weinbergen liegt die Kirche vor den Radwanderern.
Ein hinreißendes, überwältigendes Gesamtkunstwerk erwartet die Besucher, wenn sie den Vorraum innerhalb des vorgelagerten Ordensgebäudes durchquert haben. Diese Anordnung – Ordensgebäude direkt vor der Kirche – ist ein architektonischer Kunstgriff, er ermöglichte es den Zisterziensern als Bauherren der Kirche, die Ordensregel zu umgehen: Diese verbot eigentlich aufwendige Kirchtürme; so ist der Turm Bestandteil des Ordensgebäudes, dort ist er erlaubt.
Die Kirche ist wie ihre Vorgängerbauten Ort der Marienverehrung rund um das Gnadenbild aus dem 15. Jahrhundert. Die Rokoko-Innenausstattung ist darauf abgestimmt; sie wirkt außerordentlich stimmig und harmonisch, die Helligkeit und Leichtigkeit des Raums schaffen eine außerordentliche Atmosphäre.
Außerordentlich ist auch die gesamte Anlage. Das Gebäude steht frei in der Landschaft, ein Signal an alle, die sich ihm nähern. Die Ausrichtung auf den See hin ignoriert die übliche West-Ost-Ausrichtung von Kirchen, der Vorplatz erhebt die Kirche optisch über das Gelände, gedacht als Zwischenstation zwischen Himmel und Erde.
Erscheint das Ordensgebäude mit dem Kirchturm aus der Nähe noch mächtig, …
…, überzeugt im Blick von unten die Einbettung in die umgebende Natur mit Bäumen und Weinbergen.
Unterhalb der Kirche liegt das „Schloss“ Maurach mit Wirtschaftsgebäuden, es gehört zu der Zisterzienserabtei.
Gegenüber am anderen Ufer des Bodensees leuchtet die Mainau in der Sonne. Von Uhldingen an fahren die beiden Radler an einer Autostraße entlang bis Meersburg. In der Erinnerung hat einer der Radler einen früheren Besuch von Schloss Meersburg, wo Annette von Droste-Hülshoff bis zu ihrem Tod bei ihrer Schwester Jenny und ihrem Schwager verbrachte, in ruhiger Atmosphäre – das touristisch geflutete Örtchen macht jetzt einen ganz anderen Eindruck.
Buden und Gedränge auf der Seepromenade, Touristenströme auf der Unterstadtstraße.
Die Schiffe von und nach Konstanz sorgen für ständigen Betrieb.
Auf der Spitze des Anlegers steht die Magische Säule, eine Skulptur, die als Gegenstück zur schönen Imperia im Hafen von Konstanz wirkt. Derselbe Künstler hat hier recht drastisch Persönlichkeiten aus der Stadtgeschichte von Meersburg dargestellt.
Am Fuß der Skulptur ist das gaffende Volk versammelt.
Darüber tummeln sich historische Persönlichkeiten, Annette von Droste-Hülshoff, ihr Schwager von Laßberg, Franz Anton Mesmer, der Exorzist Gassner, und – auf den Trauben ihrer Weinberge sitzend – Wendelgard von Halten. Eine bucklige und „schweinsrüsselige“ Jungfer sei sie gewesen, die als Gegenleistung für sonntägliche Gesellschaft ihre Weinberge an die Konstanzer vererbte; die Meersburger seien ihr nicht gefällig gewesen, heißt es.
Nach so viel bemühter Kunst schnell noch einen Blick hoch zur Meersburg und schnell weiter!
Der Weg führt noch ein kurzes Stück am See entlang, dann geht es lange an Autostraßen entlang bis Friedrichshafen. Auf der Uferstraße wartet hier der nächste Rummel, das Seehasenfest.
Radwanderer in der Hitze brauchen Schatten und ein ruhiges Plätzchen für eine Pause – keine Chance zwischen all den Possenreißern und Biertrinkern! Ein Stück weiter am Aussichtsturm ist es nicht viel ruhiger.
Die große Entschädigung für diese Straßen- und Rummeltour gibt es, sobald Friedrichshafen verlassen ist. Ein schöner Wanderweg geht durchs Naturschutzgebiet Eriskircher Ried.
Die Route quert die Argen und ist bis Kressbronn weiter angenehm zu fahren.
Der Sattel lockert sich an einem der Räder, die Spannschraube wird noch einmal kräftig nachgezogen, und nach der schon bekannten Steigung von Kressbronn hoch erreichen die Radwanderer ihr Quartier, noch einmal für zwei Nächte bei den Buchers in Hüttmannsdorf (siehe Etappe IV). Vor Buchers Haustür werden die Räder abgepackt, und mit dem Gepäck fliegt nach einem letzten Knack auch der Sattel herunter. Nach fest kommt ab, diese Schraube hat aufgegeben. Das bringt erst Ratlosigkeit, dann Suchen; aber auch in Buchers Kramkiste mit Schrauben und Muttern von vielerlei längst verschrotteter Landtechnik findet sich nichts Passendes. Es bleibt nichts anderes übrig, als am späten Nachmittag mit dem verbliebenen Rad wieder nach Kressbronn herunter zu fahren. Im Fahrradladen findet sich zum Glück die passende Schraube; wieder rauf nach Hüttmannsdorf, Schraube montieren, duschen, Trikots waschen – und wieder runter! In Gattnau Zum Forst, die Radler kennen das Lokal schon, gibt es endlich Essen.
Es ist noch nicht spät, die Radwanderer sind inzwischen ausgeruht, und auf dem Rückweg nach Hüttmannsdorf nehmen sie plötzlich ein Schild wahr: Gasthof zur frohen Aussicht, nur 1 Kilometer. Hier vielleicht noch einen Wein trinken?
Es ist keine schöne Aussicht, sondern eine frohe, das muss doch etwas Besonderes sein! Aussichten liegen immer oben, also geht es die Straße weiter hoch, dann rechts ab zu einer winzigen Siedlung, nur wenige Häuser groß. An einem Bauernhof vorbei verläuft das asphaltierte Sträßchen schließlich zur frohen Aussicht; die Terrasse ist klein und fast voll, aber in der Ecke gibt es noch einen freien Tisch unter einem Sonnenschirm.
Hinter Sonnenschirm und Geranien geht die Sonne unter, auf dem Tisch steht ein einfacher Hauswein. Kein großes Gewächs, dafür eigenes Erzeugnis von den Reben, die ringsum wachsen, kürzer kann der Transportweg vom Erzeuger zum Konsumenten nicht sein. Zur frohen Aussicht in Kümmertsweiler gehören auch Ferienwohnungen und Zimmer, das muss man sich mal merken.
In der Dunkelheit zurück nach Hüttmannsdorf: Erst herauf, dann herab, dann steil herauf, und dann war es genug für diesen Tag.
(Die vorhergehende Etappe dieses Reiseberichts finden Sie hier, und hier geht es zur Fortsetzung.)