Plombières-les-Bains: Verblichener Glanz
So schön das Touristen-Leben an den Seen Lothringens auch ist, die Reisenden hatten sich vorgenommen, noch mehr Provinz zu erfahren. Die Landschaft am Westrand der Vogesen war das nächste Ziel. Lange schon war diese „Expedition“ vorgemerkt, denn bei allen eiligen Reisen vom kühlen Norden in die warme Provence war diese Gegend Niemandsland geblieben: Entweder fuhr man durchs Rheintal nach Süden oder über Metz nach Dijon, viel weiter westlich.
Die letzten Croissants des Bäckers aus Bourdonnaye waren verzehrt, sie waren – ehrlich gesagt – kein besonderer Genuss, da zu trocken, zu ähnlich den trockenen Croissants des Hunsrück. Das Navi führte noch einmal am alten und noch älteren Schloss von Réchicourt-le-Château vorbei und dann über allerschmalste und rumpelige Sträßchen nach Baccarat. Da hatten es sogar die französischen Straßenbauer für nötig gehalten, Warnschilder aufzustellen, selbst bei 40kmh eine Marterstrecke für Wohnwagen und Inhalt. Bis Baccarat war das eine weiträumige, leicht hügelige (überspitzt ausgedrückt) Agrarwüste, danach waren die Ausläufer der Vogesen zu bewältigen.
Plombières-les-Bains liegt schmal-eingezwängt in einem Tal des Regionalen Naturparks Ballons des Vosges. Um Platz zu gewinnen, hat man das Flüsschen im Ort unter die Erde verlegt. Die Straße nach Ruaux, wo ein ganzjährig geöffneter kleiner Campingplatz auf die Reisenden wartet, führt gleich hinter der Kirche steil am Hang hinauf, oben ist die Landschaft hügelig-idyllisch und der Campingplatz angenehm.
Sieht man sich das kleine Städtchen Plombières-les-Bains näher an, fühlt man sich ein wenig an Fénétrange erinnert. Beide hatten eine bessere Geschichte, beide müssen sehen, wie sie mit dem architektonischen Erbe umgehen.
Am Place Napoléon III in Plombières-les-Bains fallen auf den ersten Blick die hölzernen und auch die eisernen Balkonbrüstungen der Häuser aus dem 19. Jahrhundert ins Auge, aber die Geschäftsräume im Erdgeschoss stehen leer. Die Kirche gegenüber, auch aus dem 19. Jahrhundert, ist eingerüstet, um wenigstens das Dach zu erneuern und die Gewölbebögen zu untersuchen. Die Kirche ist Eigentum der Stadt, sie muss auch diese Last stemmen.
Blickt man vom Place Napoléon III in die Avenue Louis Français, meint man eine Geisterstadt zu sehen. Wie tot stehen die ungepflegten Häuser da, Fußgänger meiden diesen Weg.
Das „historische Zentrum“ liegt in der Parallelstraße Rue Stanislas. Formal ist sie Fußgängerzone, ein großer Umbau des Stadtzentrums ist geplant, aber jetzt ist sie wenig einladend.
Im 18. Jahrhundert wurde das Bain Stanislas rekonstruiert. Das Bade- und Wohnhaus schmückt sich mit einer Tafel, auf der die Herrschaften aufgezählt werden, die sich hier schon einmal aufgehalten haben. Unwillkürlich fühlt man sich an Herrstein im Hunsrück erinnert, da war das schlichte Emailschild nur kleiner und trug die Aufschrift „Goethe war hier“.
In der Mitte des Ortes stößt man auf eine merkwürdige kleine Grünanlage, eine Art Rasenstück mit Kanaldeckeln. Hier befand sich im 2. Jahrhundert das Römerbad, belehrt ein kleines Schild. Das Gebäude im Hintergrund ist eine der Badeeinrichtungen, die hier in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Dem ganzen Ort ist anzusehen, dass hier vor über 150 Jahren eine Kurstadt für wohlhabendes Publikum aus dem Boden gestampft wurde – und dass dieses Publikum heute nicht mehr kommt.
In der Trinkhalle des Bain National (Centre Balnéo Romain Calodaé) rauscht das heilkräftige Wasser aus den Röhren – nur nach ärztlicher Anweisung zu trinken! -, im Hintergrund schaut man in eine Geisterwelt von Menschen, die in weißen Bademänteln ruhig liegen oder durch die Gänge wandeln.
Gegen Durchfall hilft die Source des Dames, die Source des Savonneuses hat angeblich gegenteilige Wirkung; der Fliege ist die Kur nicht bekommen, man hat es nur nicht bemerkt.
Einige Schritte weiter müht sich eine Gruppe in Gewändern der alten Badeherrlichkeit, der schäbigen Umgebung etwas Glanz zu verleihen. Ein Auto drängelt sich hupend an ihnen vorbei – nicht allen Einwohnern ist klar, was die Stunde geschlagen hat.
Das alte Waschhaus liegt direkt neben den Badehäusern, es wurde früher von einer warmen Quelle gespeist.
Am Ende der ehemaligen Flanier-Straße Rue Liétard ist das Haus in prominenter Lage zu verkaufen. Das Hotel nebenan kämpft mit Kampfpreisen (Menü 18 Euro) ums Überleben. Gegenüber kämpft das Touristenbüro um Touristen. Es residiert in einem überdimensionierten Raum eines überdimensionierten herunter gekommenen Gebäudes, vielleicht einmal der Kursaal, in dem jetzt ein Kino residiert. Ein Kino in einem 1700-Einwohner-Ort!
Für seine Bewohner bietet der Ort einen Mini-Supermarkt, für die wenigen Touristen mindestens vier Antiquitätenläden. In der Gesamtschau ist das bedrückend, hier sind zu wenige Bürger mit einer zu großen Aufgabe belastet. Zurück nach Ruaux, wo auch die Croissants und das Baguette so schmecken wie sie müssen!
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