Lob der Provinz IX

Auf der Spur des Verbrechens: Gedenkkreuz für ein Mordopfer (Ruaux, 23.9.2019; Foto: Klare)
Auf der Spur des Verbrechens: Gedenkkreuz für ein Mordopfer (Ruaux, 23.9.2019; Foto: Klare)

Seitenwechsel ins Markgräflerland

Der kleine Campingplatz in Ruaux ist wenige Kilometer vom verblichenen Charme von Plombières-les-Bains entfernt, er liegt deutlich höher in dörflicher Umgebung. Der Camping-Laden versorgt auch die Dorfbewohner mit Brot und frischem Gemüse, hier trifft man sich. Holländer machen hier Ferien, aber auch Franzosen, die keine Lust auf Stadtleben haben. An der Weide hinter dem Campingplatz erinnert ein steinernes Kreuz daran, dass hier vor 300 Jahren ein junger Mann ermordet wurde. Die französischen Camping-Nachbarn kommen schon das 23. Jahr aus der Nähe von Paris hier her, sie sind den Spuren des Verbrechens im Archiv in Epinal nachgegangen, aber die Akten sind verbrannt. Man kann nur mutmaßen, ob es vielleicht eine Schlägerei am Rande eines Dorffestes gewesen ist – jedenfalls muss der junge Mann aus einer so wohlhabenden und angesehenen Familie gestammt haben, dass man ihm das Denkmal errichtet hat.

Der Wetterbericht verheißt weder für Ruaux noch für benachbarte Regionen Gutes, da fällt der Abschied nicht schwer. 150 Kilometer sind es von hier bis ins Markgräflerland auf der anderen Seite der Vogesen, und auf dem Campingplatz der Kurgäste und Pensionäre in Badenweiler ist reichlich Platz – viele Gäste sind vor dem schlechten Wetter geflohen. Eine gute Gelegenheit, noch etwas Ruhe zu genießen und sich wieder an Deutschland zu gewöhnen: Die frisch gestrichenen Häuser, die sorgfältig gepflegten Weinberge und Hecken sind schön anzusehen – vergleicht man diese Landschaft mit der Westseite der Vogesen, hat es beinahe schon etwas Künstliches.

Im Ortsteil Oberweiler von Badenweiler haben die Besucher am Mittag Lust, essen zu gehen. Das bronzene Schwein steht noch immer vor dem Metzgerladen, wo es guten Schinken und Herbstkäse gibt, danach der Wilde Mann – nein, auf keinen Fall noch einmal in dies Restaurant, zu billig, zu schlecht das Essen im vorigen Jahr, zu lang die Wartezeiten, zu schlecht der Service. Weiter, aber der Bären ist schon lange kein Restaurant mehr, die schlunzigen Fensterdekorationen sehen inzwischen eher nach Notunterkunft aus. Noch weiter: Zur Blume, Rindfleisch aus eigener Zucht steht auf der Karte. Ja, die Rindfleischsuppe schmeckt, aber die Rinderleber ist durchwachsen, und die Zwiebeln oder was auch immer in der Soße haben teuflische Wirkung, stundenlang erinnern sie die Gäste an das Mahl.

Nächster Versuch am nächsten Tag in Staufen. Touristenort, da muss mehr los sein, da muss es besseres Essen geben! Nach kurzer Besichtigung entscheidet man sich für den Hirschen. Da habe man nicht so gute Erfahrungen gemacht, diese Warnung aus vertrauenswürdiger Quelle ist noch im Ohr – und wird überhört. Das stellt sich als Fehler heraus. Das Lokal ist ungefähr zur Hälfte besetzt, auf die Frage nach einem Platz für zwei Personen heißt es, man habe freie Auswahl. Ein Tisch trägt ein „Reserviert“-Schild, daneben ein freier Fünfertisch, angenehm zum Essen eingedeckt, die Besucher entscheiden sich für diesen Platz. Studieren die Karte, geben ihre Bestellung auf. Jetzt werden sie plötzlich angesprochen, dieser Tisch sei doch reserviert! Die Bedienung will nachsehen, ab wann die Reservierung gilt, dann kommt sie mit Verstärkung zurück. Die Gäste werden zur Rede gestellt, wieso sie sich an den reservierten Tisch gesetzt hätten; als diese darauf hinweisen, dass die Reservierung nicht kenntlich gemacht war, werden ihnen Vorwürfe gemacht: Sie hätten doch gesehen, dass der Tisch für fünf Personen eingedeckt sei. Die Gäste machen gute Miene zum unangenehmen Spiel und bitten die beiden Servicemitarbeiterinnen, sie an einem anderen Tisch im Lokal unterzubringen. Inzwischen ist nur noch am Stammtisch Platz, hier gibt es keine Tischdecke. Der bestellte Ruländer wird gebracht mit dem Hinweis, der habe eine Holznote, ob der Gast ihn trotzdem haben wolle. Der Gast akzeptiert zögernd und bereut sofort. Der Wein hat keine Holznote, er ist schlicht verdorben. Man hat offensichtlich darauf spekuliert, dass die dummen Touristen keinen Weingeschmack haben. Das Essen entspricht der Vorgeschichte. Rinderzunge ohne besonderen Geschmack, eine winzige Portion undefinierbare Soße, Spätzle mäßiger Qualität, ein Salat des unteren Durchschnitts. Dazu unendliches Biertischpalaver der anderen Gäste am Tisch. Alles wissen sie besser, angefangen bei der Geothermie-Katastrophe von Staufen bis hin zu Umweltschutz und Klimawandel – es wendet sich der Gast mit Grausen. Zum Glück hat der örtliche Supermarkt noch offen und ist einigermaßen sortiert mit regionalen Weinen, den Eindruck des verdorbenen Hirschen-Ruländers kann man so nicht stehen lassen.

Zurück bleibt ein merkwürdiger Nachgeschmack. Diese Gegend stand früher für ordentliches Essen und trinkbaren Wein, jetzt scheint sich das auseinander zu sortieren. Am einen Ende der Skala stehen die Straußenwirtschaften, da gibt es nach wie vor einfach-deftiges Essen und ordentlichen Wein. Am anderen Ende stehen die „besseren“ Restaurants, die nur noch nach vorheriger Reservierung zugänglich sind (weil sie einfach voll sind) und gehobene Qualität zu gehobenen Preisen bieten. Die gutbürgerliche Mitte dazwischen scheitert an der Quadratur des Kreises. Ordentliche Qualität und ordentlicher Service lassen sich ganz offensichtlich mit den über die Jahre konstant gehaltenen Preisen nicht mehr bieten. Schade, es hätte so schön sein können!

Das Markgräflerland bleibt aber trotzdem einen Besuch wert, und bei Kaffee und Kuchen können die meisten Wirte nichts falsch machen!

Vorher: Plombières-les-Bains: Verblichener Glanz