Lothringer Hans im Glück und andere Sehenswürdigkeiten
Nein, das Foto zeigt nicht den Lothringer Hans im Glück! Es ist wohl in Lothringen entstanden, im Parc animalier Ste. Croix bei Rhodes, aber die Plastikkuh heißt nicht Hans, und das Kind darunter wahrscheinlich auch nicht. Es ist der kinderfreundliche Startbereich des Tierparks, hier können die Kinder mit Begeisterung Wasser aus den Gummizitzen der Kühe melken.
Hans lebt in dieser weiten Landschaft mit Wasser, offenem Land und Wald; Hans ist hier der Platzhirsch, und man kann annehmen, dass er sich im Glück fühlt.
Der glückliche Eindruck liegt nahe, wenn Hans würdevoll durch die Scharen von Gänsen schreitet, er würdigt sie keines Blickes. Das sieht schon anders aus, wenn sich das Rudel in der Nähe der Futterstelle versammelt; da reicht eine kurze Geste, um Mitglieder des Rudels beiseite zu scheuchen.
Der Tierpark ist weit größer als normale Zoos, er umfasst neben den Freiflächen große Wasserflächen und auch Wald. Für die Besucher ist es ungewohnt, wenn das Hirschrudel sich in dem großen Areal relativ frei bewegt, also auch einmal die Elektrozäune elegant unter- oder überquert und dabei die Wege der Besucher kreuzt.
Auch die vier Bären haben ein abwechslungsreiches großes Gelände für sich mit viel Wasser. Nur durch eine Glasscheibe getrennt kann man ihnen in ihrer massigen Kraft auf Augenhöhe begegnen – schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn man auf der Besucherseite der Glasscheibe die Bärenspuren im Beton und daneben eine leere Kinderhose sieht: Da wird doch wohl nicht…
Wer sich auf den (nicht billigen) Besuch dieses großen Parks einlässt, sollte auf jeden Fall Zeit mitbringen. Für Kinder und Picknick-Gepäck können Bollerwagen gemietet werden.
Der Weg nach Westen zum Étang de Lindre führt durch eine trockene weite Weidelandschaft.
Nach wenigen Kilometern Fahrt ist die Kirche von Guermange erreicht.
Der äußere Anblick ist zunächst wenig anziehend. Das alte Bruchsteinmauerwerk ist mit grauem Verputz überzogen, und auf der anderen Straßenseite rottet das ehemalige Herrenhaus der Herren von Guermange vor sich hin. Sie hatten die Kapelle gestiftet, aus der die heutige Kirche nach und nach entstanden ist.
Innen wird man überrascht durch die vollständige Ausmalung. Vor ungefähr 100 Jahren hatte der kunstbegeisterte Dorfpfarrer nach und nach eine interessante Mischung gemalt: Biblische Geschichte, gemischt mit Nationalstolz und Dorfleben. Da finden sich viele sorgfältig porträtierte Kleriker seiner Zeit wieder, die mitten in biblischer Geschichte ihre Brillen und Kneifer tragen. Viele Figuren tragen die Gesichter von namentlich bekannten Dorfbewohnern, insbesondere die Malweise der Kinderporträts erinnert heftig an Darstellungsmuster aus Kinderbüchern dieser Zeit, und selbst der Hund des Pfarrers ist in der Kreuzigungsdarstellung vertreten. „Große Kunst“ ist das nicht, eher naive Malerei, aber doch sehenswert.
Auch der Pfarrer selbst ist auf den Bildern vertreten zusammen mit anderen Dorfbewohnern.
Nationaler und örtlicher Geschichte ist eine große Darstellung gewidmet.
„Unsere Beschützer 1914-1918“ ist die Überschrift über der Ansicht des Dorfes Guermange, darunter marschieren nebeneinander die Jungfrau von Orléans und französische Soldaten des I. Weltkriegs auf; unter ihnen sind die Heiligen St. Martin, St. Barbara und St. Michael abgebildet. Die Schlacht von Saarbourg hat nicht weit entfernt stattgefunden, ein riesiger Soldatenfriedhof erinnert heute noch daran.
Im Vorraum der Kirche werden die weiteren Sehenswürdigkeiten von Guermange angepriesen, ein altes Waschhaus und zwei Torrelles; es sind niedrige Rundtürmchen mit einer Barockhaube, die von der früheren Herrlichkeit der Herren von Guermange zeugen. Gegenüber rottet an der Straße ein altes Bauernhaus vor sich hin, es ist anders als die meisten Gebäude ein Fachwerkbau. Davor hält der rollende Tante-Emma-Laden. Den stattlichen Fahrer kennen die Besucher schon von einem früheren Einkauf, als er mit seinem Wagen auf dem Campingplatz in Rhodes stand. Er spricht den rheinfränkischen Dialekt der Region, im Angebot hat er Lebensmittel der Grundversorgung: Wurst, guten Käse, Quiche, Kuchen, Konserven, Wein und Crémant d‘Alsace – zusammen mit dem Bäcker aus Bourdonnay, der auch über die Dörfer fährt, sichert er die Grundversorgung der wenigen Menschen. In Guermange bedient er eine alte Frau; wie wird sie über die Runden kommen, wenn er aufhört? Er ist schon im Rentenalter, erzählt er, und er arbeitet weiter, weil er nicht zu Hause sitzen will. Man unterhält sich gut, vielleicht ist er ja auch der einzige Gesprächspartner für einsame alte Menschen? Dass seine Waage nicht mehr geeicht ist, übersieht man da gern.
Auf der anderen Seite des Étang de Lindre liegt das winzige Dorf Tarquimpol abgeschieden auf einer Halbinsel. Der Rundturm der (verschlossenen) Kirche wirkt auf den ersten Blick wie eine Festung, wenn man sich dem Ort nähert. Tatsächlich liegt auf dem Kirchhof ein General begraben, ein Kind des Dorfes!
Im Ort stößt man auf die Rue du Théâtre – man reibt sich die Augen: Ein Theater, hier, in einem Ort mit 63 Einwohnern? Es sind Spuren der Geschichte, in der Römerzeit gab es hier ein Amphitheater mit 12.000 Plätzen. Mauerreste sind nicht mehr vorhanden, man hat vor Jahrzehnten mit Luftaufnahmen Spuren festgestellt. In der Nähe des Ortes zeigt die Karte einen Flurnamen „Le vieux château“, im Ortsteil Alteville kann man sogar Zimmer im Schloss mieten.
Im Ort finden sich die typischen kleinen Häuser, mal sorgsam renoviert, mal eher vernachlässigt.
Am Ortsrand steht ein hölzernes Wegekreuz mit Blick auf Vieh und See; der Torso des Gekreuzigten ist ganz praktisch mit grünem Bindedraht angebunden.
Es ist eine beschauliche Tour durch eine beschauliche Landschaft, so nimmt der Tourist diese Landschaft wahr. Geht er der Frage nach, ob die vielen Seen in dieser Landschaft natürlichen Ursprungs sind, wird er mit der Geschichte einer Kulturlandschaft konfrontiert. Die Landschaft war sumpfig, ab dem 10. Jahrhundert haben vornehmlich Mönche die Seen angelegt und Fische gezüchtet. Fischzucht wird hier heute noch betrieben, dazu kam die Funktion einiger Seen als Wasserreservoir für den Canal des Houillers; in trockenen Sommern wie 2019 wird Wasser aus dem See in den Kanal gepumpt, der Wasserstand des Étang du Stock ist dadurch einen Meter abgesenkt.
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