Von Kehl bis Rastatt
(Fortsetzung von Von Itterswiller bis Kehl)
In Straßburg gibt es so viel zu sehen – die beiden Radwanderer starten nach dem Frühstück in ihrem Hotel in Kehl noch einmal über den Rhein. Die Place de la République ist das erste Ziel. Ehemals als Kaiserplatz geschaffen, ist das Denkmal des deutschen Kaisers längst demontiert. Ein Kriegerdenkmal ist zu sehen, so heroisch-falsch wie viele. Es erinnert seit 1936 an den ersten Weltkrieg, „Mutter Straßburg“ trauert um den französischen und den deutschen Sohn, die sich im Tod die Hände reichen. Darunter ist Platz für die Fortsetzungen: Zweiter Weltkrieg, Indochinakrieg, Algerienkrieg, und man hat Platz gelassen für weitere Einträge … Die Taube auf dem Haupt von „Mutter Straßburg“ schert es wenig.Weiter geht es zu Jung-Sankt-Peter – Jung was? Es gibt drei dem heiligen Petrus geweihte Kirchen in der Stadt: Die ganz alte Saint-Pierre-le-Vieux / Alt-Sankt-Peter, ein Kirchenkomplex aus einer römisch-katholischen und einer evangelisch-lutherischen Kirche; die katholische Saint-Pierre-le-Jeune aus dem 19. Jahrhundert und die protestantische Saint-Pierre-le-Jeune protestant aus dem 14. Jahrhundert.
Die liegt recht unscheinbar versteckt, der enge Platz ist mit Autos zugeparkt.
Architektur und Farbgebung im Inneren sprechen eine andere Sprache. Der prächtige Lettner verrät nicht, dass er vom 17. bis ins 19. Jahrhundert Grenze zwischen den Religionen war; er trug in dieser Zeit eine Mauer, sie trennte die Katholiken im Chor von den Protestanten im Langhaus der Kirche.
In einem Bogen des Lettners entdeckt man mönchisch wirkende Figuren, durchaus andächtig stehen sie dort, als sei das ihre Klosterkirche.
An einem Pfeiler steht eine kleine Gruppe, ein älterer Mönch mit zwei Novizen?
Ekstatisch dagegen die Pose des Versinkenden (?) vor der Kreuzwegszene der Wandmalerei – was geht hier vor?
Im Kreuzgang des ehemaligen Klosters trifft man auf weitere Figuren der Ausstellung Marcher vers la lumière (bis 31.10.2019) der Künstlerin Gaby Kretz. Étapes d’un cheminement personnel, Stationen einer persönlichen Entwicklung auf dem Weg zum Licht.
Im Klosterhof steigen wie Seifenblasen lauter kleine Gesichtchen aus dem Brunnen auf, beobachtet von stillen Gestalten im Kreuzgang.
Weiter! Noch schnell einen blick aufs europäische Parlament, …
…, eher banal wie eine unfertige Baustelle von der einen Seite.
Von der anderen Seite ein durchaus beeindruckender Anblick.
Wie soll es weiter gehen nach Norden? Der Radführer will die Wanderer linksrheinisch auf eine voraussichtlich stark befahrene Straße ohne Radweg leiten, warum nicht direkt am Rhein entlang, wie es eine alte Karte empfiehlt? Den Quai Jacoutot entlang geht es direkt in den Hafen, hier ist wenig Verkehr. Man folgt der Straße, die Route de Glaserswoerth führt am Rhein entlang.
Hier ist man fast allein auf der Straße. Sie endet vor einem Wasserlauf, deshalb wechselt man in Höhe der Straßburger Kläranlage nach rechts auf den hohen Rheindamm.
Der Rhein ist hier gestaut und deutlich höher als das Umland. Die Straße am Fuß des Rheindamms ist streckenweise unzugänglich eingezäunt und als Automobilteststrecke beschildert; ein Stück vor der Schleuse Gambsheim geht es vom Damm wieder herunter auf die Straße, um das Sperrtor am Schleusengelände führt ein Trampelpfad herum.
Der Bistro auf dem Schleusengelände ist um die Mittagszeit voll, es dauert, bis die beiden Radwanderer ihren Kaffee bekommen.
Sie fahren über die Schleuse und rechtsrheinisch weiter.
Hier stehen zunächst ca. 10 Kilometer Fahrt durch schöne Landschaft an. Im Naturschutzgebiet hinter Freistett quert der Weg den Rheinniederungskanal, danach geht es bis zur Staustufe Iffezheim am Rhein entlang: Geschätzt 20 Kilometer öder Rheindamm mit unangenehmem Kies.
Rastatt ist das Tagesziel, aber Rastatt macht es den Radwanderern nicht leicht. Radwegweiser gibt es nicht, und das erste kurze Stück auf der stark befahrenen B500 (ohne Radweg) ist scheußlich. Die Strecke über Wintersdorf und Ottersdorf nach Rastatt ist nicht angenehm zu fahren, das Reisetagebuch vermerkt „ca. 10 Kilometer blöde Straßen / schlechte Wegweisung“.
Nach 70,5 Kilometern Fahrstrecke insgesamt erreichen die Radwanderer das Hotel Schiff, ihr Nachtquartier in Rastatt. Hier ist die Zeit stehen geblieben, das Restaurant geschlossen, aber das Zimmer ist sauber und preiswert (Doppelzimmer mit Frühstück 85 Euro).
Jetzt tobt sich auch das schon lange drohende Gewitter aus, dementsprechend kurz fällt danach der Stadtrundgang aus: Ein kurzer Blick auf eine bemalte Hausfassade, wo sich schäbige Gegenwart und vornehme Geschichte Rastatts ein wenig unglücklich begegnen; das Schloss links liegen lassen, der Empfehlung der Einheimischen folgen und die Poststraße hinauf zum Schnitzel-Bräu. Früher hieß das mal Hofbrauhaus, so steht es heute noch an der Fassade. Das Bier wird inzwischen in Karlsruhe gebraut, und aus der Brauerei ist eine Vermögensverwaltungsgesellschaft geworden.
Gut trinkbares regionales Bier, ordentliches Essen, angenehme Atmosphäre – und in der Mitte des Gastraums der Baum des Lebens? Mythologie und Symbol der kosmischen Ordnung am Bierzapfhahn?
Eine dicke Säule in der Mitte der Kneipe, aus glasierten blauen Kacheln sprießt im Himmelsgewölbe der Decke eine Baumkrone?
Nein, hier geht es weder um Mythologie noch um Religion oder Philosophie. Das lustige Soldatenleben findet sich an der Säule, bekanntermaßen besteht es ja aus Saufen, Singen und Musizieren – jedenfalls aus Sicht derjenigen, die hier das Infanterieregiment Nr. 40 verewigt haben (und Feld-Artillerieregiment 30, Fuss-Artillerieregiment 14 und Infanterieregiment M.L.W. 111). Das Regiment hatte von 1910 bis 1919 seinen Standort in Rastatt. Was es mit den Plastiken auf sich hat, das können die Leute vom Schnitzel-Bräu nicht sagen, sie sind erst seit 2018 hier. Ortskundige können auf Anfrage Auskunft geben: „Schnitzelbräu“ war die Brauereigaststätte der ehemaligen, 1863 gegründeten Brauerei „Hofbrauhaus Hatz“. Da Rastatt bis 1890 Bundesfestung und auch danach bis 1918 Garnisonsstadt war, gab es zu dieser Zeit immer viel Militär in der Stadt. Im Braustüb´l wollte man die Soldaten wohl auch willkommen heißen und hat daher – vermutlich zwischen 1910 und 1919 – die Säule im Gastraum errichtet.
Die vorhergehende Etappe dieses Reiseberichts aus dem Jahr 2019 finden Sie hier: Von Itterswiller bis Kehl.
Fortsetzung – 11. Tag: Von Rastatt bis Germersheim.
(Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 30.01.2020.)