Münsters Innenstadt autofrei
Münster im Aufruhr: Die wollen uns das Autofahren verbieten, auf die kurze Formel könnte man die aktuelle Diskussion reduzieren. Überraschen kann dieser Sturm niemanden. Die Grünen spielen seit Jahren das Zünglein an der Waage in Münsters Rat, in ihrem Programm zur vorigen Kommunalwahl steht die „autofreie Altstadt“. Mit diesem Programm sind sie von 30 Prozent der Wähler in den Rat gewählt, jetzt wollen sie es in den Koalitionsgesprächen mit der SPD umsetzen.
Wie, das haben wir so nicht gewollt? Nun, wer Grün schick findet und wählt, muss mit den Folgen leben. Aber ist das wirklich so fürchterlich?
Die münstersche Rats-CDU beschwört den Untergang des Einzelhandels, in Corona-Zeiten sei das ein Tritt in die Knie. Auch die SPD hat offensichtlich heftige Bauchschmerzen, und: Wo kommen wir eigentlich hin, wenn wir so etwas zulassen?
Nun, ab und zu muss man auch einmal das Undenkbare denken. Denn das ist die eigentliche Tradition in einer Traditionsstadt wie Münster. Diese Stadt hat immer schon das Undenkbare auf den Weg gebracht: Einen für damalige Verhältnisse gigantischen Dom zu bauen, war das im Jahr 805 für die wenigen Einwohner denkbar? Und diesen Dom und dann auch den Nachfolgebau wieder abzureißen, um den jetzigen Dom noch prächtiger zu errichten? Ein anderes Beispiel aus der Neuzeit: War es für die braven Bürger denkbar, mitten in ihrer Stadt moderne Kunst aufzustellen? 1977 waren die Skulptur Projekte eine Herausforderung, inzwischen sind sie gute und anerkannte Tradition.
Aber vielleicht muss man gar nicht so weit gehen. So undenkbar ist das schließlich nicht, was die Grünen da voran treiben. Man muss nur über den Gartenzaun schauen. Die Innenstadt von Basel ist seit 2015 autofrei; kommt man zum Beispiel als Radwanderer nach Basel, kann man nur begeistert sein. Und der Baseler Einzelhandel: Beklagt nur, dass die erwartete Umsatzsteigerung nicht eingetreten ist. Wem Basel mit 170000 Einwohnern als Beispiel zu klein ist, sollte nach München schauen: „Wir müssen auch mal was beschließen“, da geht der Oberbürgermeister voran, und auch in Frankfurt und Hamburg läuft diese Diskussion.
Was Münster daraus lernen kann: Es gibt immer gute Gründe, nichts zu tun. Aber Städte sind für Menschen gemacht, die „autogerechte Stadt“ war ein Irrweg. Das Undenkbare denken ist Pflicht in der Tradition. Um vom Denken zum Handeln zu kommen, muss das Undenkbare verhandelt werden. Wie in Basel muss der Einzelhandel mit ins Boot, Expertise und Erfahrungen anderer müssen genutzt werden, alle Beteiligten müssen eingebunden werden.
Auf diesem Weg haben die Grünen in Münster bislang wenig Geschick gezeigt. Sie haben das Klima vergiftet mit einer Personalpolitik, die alle Vorurteile über „Hinterzimmer-Politik“ zu bestätigen scheint. Erst wurde der in Kiel nicht wieder gewählte grüne Planungsdezernent Todeskino mit einem Geschäftsführerposten bei der münsterschen Westfälischen Bau-Industrie versorgt; der Wikipedia-Eintrag zu seiner Person ist so grotesk-peinlich, dass er schon wieder lesenswert ist. Dann musste er erneut versorgt werden, da er bei der Wahl des Oberbürgermeisters in Münster verloren hatte; er soll jetzt nicht nur Parkhäuser verwalten, sondern gleich ein neues Preußen-Stadion bauen. Und schließlich profilierten die münsterschen Grünen sich mit dem Posten-Geschacher rund um die grüne Kämmerin, das für sich allein schon toxisch ist.
Im Umgang mit den Bürgern haben Münsters Grüne mit roter Farbe und Parkverboten auf einigen Straßen viele Bürger vor den Kopf gestoßen.
Wenn es mit der autofreien (oder autoarmen?) Innenstadt etwas werden soll, helfen aber statt Ideologie nur Glaubwürdigkeit, Überzeugungsarbeit – und Kompromissbereitschaft.
Die Positionen der münsterschen Grünen scheinen allerdings die Kompromissbereitschaft der möglichen kommunalpolitischen Partner überzustrapazieren. Nicht anders kann man die Nachricht der SPD vom 21.1.2021 werten, dass Mathias Kersting sein Amt als Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rat und auch sein Ratsmandat aufgibt. Es ist ein weiteres Kapitel in der langen und schlimmen Geschichte vom Umgang der Grünen mit ihren Lebensabschnittspartnern in Münster. Aber auch die münstersche SPD wird plausible Antworten geben müssen, wie sie es mit der vertrauensvollen Zusammenarbeit innerhalb ihres kleinen Teams hält.