Wofür man eine Zeitung braucht
Auf dem Markt braucht man Zeitungen. Fische und Gemüse brauchen eine Verpackung, dafür ist die Zeitung von gestern gut. Ob man sie aber vorher lesen sollte?
Man kommt manchmal doch ins Grübeln. In Münster ist 2025 gewählt worden, und in Hiltrup ist mal wieder Ungeheuerliches geschehen. Die CDU hat wieder nicht die Mehrheit in der Bezirksvertretung geschafft. Schlimm, wirklich schlimm.
Noch schlimmer: Die Erzählung vom „bürgerlichen Lager“ funktioniert nicht mehr. In den guten alten Zeiten erklärte man das Doppelpack von CDU und FDP zum „bürgerlichen Lager“, und diese Erzählung hatte nur zwei Kapitel. Im ersten Kapitel wurde die FDP ganz selbstverständlich dazu verdonnert, auf Gedeih und Verderb mit der CDU zu stimmen, „keine Widerrede“. Im zweiten Kapitel wurden alle anderen Parteien zu „nicht bürgerlich“ erklärt – die sollte man auf keinen Fall wählen.
Im Jahr 2025 bröckelt jetzt schon die CDU auseinander. So eine große alte „Volkspartei“ muss viele verschiedene Gruppen und Lager mitnehmen und zusammenhalten, das klappt nicht mehr. Zu schlecht performt die Spitze, zu krass wandern einzelne Gruppierungen immer weiter zum rechten Rand des politischen Spektrums. Zu viele Konflikte mit den Kirchen kochen hoch, das „C“ im Parteinamen erodiert. Das verschreckt inzwischen auch die FDP, denn liberal ist an der CDU nicht mehr viel.
Und dann gelten ganz einfach die Spielregeln der Demokratie. Niemand hat ein Abo auf die Macht. Wenn mehrere Parteien im Spiel sind, müssen sie sich absprechen und in irgendeiner Art Bündnisse verabreden. Das mag diejenigen ärgern, die in der Minderheit landen, aber so ist das eben. So kann auch Bezirksbürgermeister werden, wer nicht der größten Fraktion angehört. Das ist alles nicht neu, die Hiltruper CDU müsste diese Lektion schon in der vergangenen Wahlperiode gelernt haben.
An dieser Stelle kommt das Fisch-Einwickelpapier ins Spiel. Da gibt es viel Platz für einen Frust-Leserbrief der CDU – nein, es ist nur der Autohändler Wiesmann aus Amelsbüren. Ja, was erlauben Wiesmann sich denn da? “Wir in Amelsbüren” sind, wenn man genau hinschaut, in historischer Dimension beleidigt. Schon vor 100 Jahren musste Amelsbüren zähneknirschend ansehen, wie Hiltrup mit seiner Industrie reich wurde und am Nachbardorf vorbeizog. Und dann musste Wiesmann von der Spitze des Amelsbürener Gewerbevereins abtreten. Tief sitzt der Groll, der Leserbrief ist – um im Gewerbe zu bleiben – die Retourkutsche. Wenn ich abtreten musste, dann soll der da auch nichts werden – der Kandidat der anderen Parteien für das Amt des Bezirksbürgermeisters. Reiner Zufall natürlich, dass dieser Leserbrief in der Wochenendausgabe 31.10.2025, wenige Tage vor der am 4.11.2025 anstehenden Wahl des Bezirksbürgermeisters an prominenter Stelle gedruckt wird.
Aber so ein Fisch-Papier hat mehrere Blätter. Da versteckt man sich nicht hinter dem Format des Leserbriefs. Da kommentiert das Blatt den Sachverhalt: „… politisch wird das zumindest in den Reihen der enttäuschten CDU als „Wählerbetrug“ empfunden.“ Nun ist „Wählerbetrug“ eine starke Vokabel, üblich ist sie eher bei AfD und Co. Mal ehrlich: Wer hat hier eigentlich wen betrogen? Die Wahlversprechen der CDU zur Bundestagswahl wollen wir hier lieber nicht bewerten.
Alle wollten in Münster die Mehrheit, alle haben sie nicht erreicht, alle haben verloren. Verloren hat auch die CDU-Kandidatin, sie hat’s nicht geschafft. Also muss man sich arrangieren. Waren die „neuen Ideen“ der CDU-Kandidatin vielleicht nicht neu genug, nicht anziehend genug, um Partner zu finden?
Knackige Kommentare würzen so ein Blatt. Aber: In den Formulierungen haben sich die Maßstäbe verschoben. In der Überschrift einen Wahlbewerber als „Verlierer“ zu bezeichnen, wo alle verloren haben – das ist schon eine mehr als eigenartige Sichtweise. Sie hat so verdammte Ähnlichkeit mit den Äußerungen Trumps in Amerika: Wer ihm nicht passt, den tituliert er „Verlierer“. Diesen Umgangston sollten wir nicht übernehmen.
Der „Wählerbetrug“ ist eine Grenzüberschreitung.
2024 wurde die AfD in Thüringen stärkste Landtagsfraktion. Regierungschef wurde der „Verlierer“ Vogt von der CDU, er wurde von einer Brombeerkoalition gewählt. “Wählerbetrug”? Was meint das münstersche Blatt dazu?
Wie wird der Kommentar der WN lauten, wenn die nächste Bundestagswahl die AfD zur größten Fraktion machen sollte? Wird sich dann die CDU mit der AfD verbünden (Ansätze gibt es ja schon)? Oder wird die CDU dann mit anderen Parteien koalieren, um – wie in Thüringen – den AfD-Kandidaten für das Kanzleramt zu verhindern? Wird das Blatt dann auch von Wählerbetrug schreiben?
Manchmal könnte man wirklich meinen, dass Zeitungen nur für Fische und Gemüse gut sind.
Vor allem, wenn man am Tag der Wahl (4.11.2025) in dasselbe Blatt schaut. Nachdem man am Wochenende mit „Leserbrief“ und „Kommentar“ Werbung für die Kandidatin der CDU gemacht hatte, kommt am Tag der Wahl noch ein Artikel mit der Aufmachung „Bericht“. Unter diesem Etikett wird schnell der Zorn eines Amelsbürener Tischlermeisters nachgereicht. Es ist ein zweiter Aufguss des Leserbriefs vom Wochenende. Die FDP habe sich nicht mehr verpflichtet gefühlt, mit der CDU zu stimmen, sagt der Mann – man kann nur staunen über so ein Demokratieverständnis. Keine Partei ist zu irgendeiner Zusammenarbeit verpflichtet. Der Tischlermeister bringt dann aber doch noch einen neuen Aspekt in die Debatte. Wenn sich alle Parteien gegen die CDU stellten, dann müsse diese sich nach Koalitionsalternativen umsehen. Man muss ein wenig nachdenken, was gemeint sein könnte: Wenn alle anderen nicht mit einem spielen wollen, dann gibt es eigentlich keine „Koalitionsalternative“, dann muss man eben schmollend in den Winkel. Oder soll das heißen, dass man dann gemeinsame Sache mit der AfD machen will? Soll das eine Empfehlung für die politische Zukunft des Landes sein?
Um es nicht zu vergessen:
Die CDU-Kandidatin für das Amt des/der Bezirksbürgermeisters/in war auch in der vergangenen Wahlperiode Mitglied der Bezirksvertretung Hiltrup. Sie hatte dort jede Gelegenheit, ihre „neuen Ideen“ vorzustellen. Eine davon bekommt jetzt gerade eine „Beerdigung erster Klasse“ (Westfälische Nachrichten 31.10.2025). Die Hiltrup-Amelsbürener CDU hatte sich 2024 vehement für ein Bauprojekt von Aldi eingesetzt und war zum Glück von Rat – einschließlich CDU – und Verwaltung ausgebremst worden. Der Bebauungsplanvorentwurf liegt jetzt vor, einen Riesen-Supermarkt sieht er nicht vor. Die Erläuterung zum Bebauungsplanvorentwurf spricht Klartext: Stadtplanung muss „lebendige Zentren im Stadtgebiet sicherstellen“, das heißt in Hiltrup das Stadtbereichszentrum Hiltrup-Mitte. Hiltrup hat mehr Supermärkte als nötig, das weiß man schon lange. Ein neuer großer Supermarkt an der Westfalenstraße würde Kaufkraft „aus der Umgebung“, also von der Marktallee abziehen. Die Marktallee hat schon Probleme genug – nein danke.
Die „neue Idee“ der CDU-Kandidatin und ihrer Genossen war doch nur: Mottenkiste.
(Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 4.11.2025.)
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