Desinformation, Abzocke?
Amazon-Bewertungen gehören allzu oft in die Sondermüll-Entsorgung. Inzwischen weiß man das. Im besten Fall ist die Bewertung belanglos, wenn sie den guten Pappkarton lobt und die Geschwindigkeit des Paketdienstes. Auch wenn deklariert ist, dass die Ware kostenlos zur Verfügung gestellt, dem Bewerter also geschenkt wurde, ist die Interessenlage klar; dem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Etwas schwieriger wird es schon, wenn in der Bewertung tiefgehende Sachkunde behauptet wird; das behauptete Fachchinesisch muss man schon etwas genauer ansehen, um den Unsinn zu enttarnen. Dann gibt es natürlich die gekauften Lobhudeleien – im Dutzend billiger – und das Gegenteil, die Troll-Schmähkritik.
Bei Elektronik und anderen Hartwaren ist man das gewohnt. Die Amazon-Sterne kann man gut ignorieren. Und bei Ärzten?
Arzt-Portale sind schwer angesagt. Wer als Arzt Werbung machen will, nutzt sie. Gegen ein stattliches Entgelt können Ärzte sich zum Beispiel bei Jameda selbst anpreisen. Das wirkt natürlich noch besser, wenn ein ganzer Schwarm angeblich zufriedener Patienten den Doktor in den Himmel lobt. Sie beurteilen die Qualität der ärztlichen Leistung frei Schnauze – aber nach welchen Maßstäben? Der Arzt schreibt nicht das Medikament auf, das der Patient unbedingt haben will, die Behandlung ist deshalb mangelhaft?
Aber es ist nicht nur die in vielen Fällen mangelnde Kompetenz und das manchmal überzogene Anspruchsdenken der Beurteiler. Auch die Ärzte selber haben ihre Trolle, die Fake-Bewertungen fabrizieren. Fünf Bewertungen hintereinander, fünfmal fast identischer Text mit größtem Lob für die kurze Wartezeit? Da stimmt doch etwas nicht, egal ob der Arzt der Auftraggeber war oder sich ein Kegelklub abgesprochen hat.
Noch schwieriger wird es für ratsuchende Patienten, wenn Arzt-Portale behaupten, sie hätten einen behördlichen oder sogar ärztlichen Hintergrund. Die Bertelsmann-Stiftung hat es geschafft, ihrer Weißen Liste das Etikett des Bundesgesundheitsministers zu verschaffen – brauchbarer werden die Auskünfte davon nicht. Das Beispiel zeigt noch eins: Die Bezeichnung „Stiftung“ ist kein Qualitätssiegel. Stiftungen sind nicht automatisch wohltätig oder gemeinnützig, man denke nur an den Discounter Lidl in der Form der Stiftung & Co. KG. Eine Stiftung ist auch leicht zu gründen, oft reichen – wie bei der GmbH – 25.000 Euro Grundkapital.
Noch skurriler wird es, wenn Stiftungen sich den weißen Kittel des Arztes anziehen. So betreibt eine „Stiftung Gesundheit“ auch ein Portal „Arzt-Auskunft“. Schaut man dort nach, findet man vor allem Telefonbuch-Wissen und daneben Beurteilungen von Ärzten, die offensichtlich keinerlei Tatsachen-Grundlagen haben. „Patientenservice: Bronze“ lautet zum Beispiel ein (abwertender) Eintrag, ohne dass dies Urteil näher erläutert wird. Fragt man schriftlich den „Vorstandsvorsitzenden“ dieser Stiftung, nach welchen Maßstäben und auf welcher Tatsachengrundlage dies Urteil zustande gekommen ist, erhält man keine Antwort von ihm. Er ist laut Homepage der Stiftung freier Journalist, „Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit“ ist eins seiner Themen.
Dass der weiße Kittel keine Garantie für gute Arzt-Auskunft ist, zeigt leider auch der Ärzteverein MEDIS in Münster. Auch er betreibt eine Arzt-Auskunft – man kann es kaum glauben, neben all den anderen Portalen! Und auch MEDIS zeigt, dass es nicht trivial ist, eine wirklich seriöse und verlässliche Auskunftsplattform aktuell zu betreiben. Wählen Sie ihren Arzt, unter dieser Überschrift verspricht MEDIS „mit unserer Arztsuche finden Sie garantiert den richtigen Arzt in Münster und Umgebung“. Gern würde man es glauben, aber – warum eigentlich listet diese Internetseite ungefragt so viele Arztpraxen der verschiedensten Fachgebiete auf, bevor man überhaupt eine Anfrage formuliert hat? Eine mögliche Antwort auf diese Frage findet sich am Fuß der Seite: „Warning: array_filter() expects parameter 1 to be array, null given in /var/www/vhosts/medismuenster.de/…“. Oops, da stimmt wohl was nicht mit der Programmierung.
Aber man kann es ja trotzdem probieren. Also gibt man eine Fachrichtung an. Und wundert sich erneut. Da fehlen doch Ärzte! Da sind Praxen nicht gelistet, die nachweislich in Betrieb sind! Man kommt ins Grübeln, dann geht einem langsam ein Licht auf. Man muss Mitglied bei MEDIS sein (und Beiträge bezahlen), damit man hier als richtiger Arzt gelistet wird; die anderen Ärzte sind wohl nicht richtig? Weil sie keine Lust haben, Beiträge an MEDIS zu zahlen zusätzlich zu den Mitgliedschaften in Ärztekammer, Kassenärztlicher Vereinigung, Virchowbund, medizinischen Fachgesellschaften und so fort? Die Arztsuche von MEDIS deklariert diese Vorauswahl nicht. Für Patienten ist so eine unvollständige Arzt-Auskunft wertlos. Eine Anfrage dazu haben die bei MEDIS in Münster Verantwortlichen, Dr. Schuster und Dr. Mittmann, nicht beantwortet.
Aber sind die von MEDIS präsentierten Daten denn wenigstens aktuell? Schnell eine Probe aufs Exempel, und autsch, auch das geht schief. Die Arztpraxis, die man als Beispiel gewählt hat, ist doch schon vor Jahren im Ort umgezogen, die von MEDIS präsentierte Adresse ist falsch!
Auskunftssysteme sind, das zeigen die Beispiele, viel schwieriger und teurer zu organisieren als gedacht. Am Anfang steht die Frage, welche eigenen Interessen der Betreiber verfolgt: Geht es wie zum Beispiel bei Jameda hauptsächlich darum, Werbemöglichkeiten an die angeblich Beurteilten zu verkaufen? Welches andere wirtschaftliche Interesse steckt dahinter? Oder geht es um Standes-, Verbands- oder Vereinspolitik? Und auch bei den hehrsten Motiven der Betreiber ist es eine Sisyphusarbeit, den für ein verlässliches Auskunftssystem erforderlichen Datenberg immer tagesaktuell zu halten. Das klappt schon mit den Adressen bei dem örtlichen Ärzteverein nicht, wie soll das mit weiteren Angaben gehen?
Sucht man den münsterschen Ärzte-Verein im Internet, hat man übrigens eine beachtliche Trefferquote. Unter dem Stichwort „Medis“ findet man geowissenschaftliche Forschung, integrative Schulen, Computerreparaturen, Software, ambulante Pflege, Kosmetikpuder, Anatomiegeräte, Pharmahandel, …
Welche eigenen Interessen der Betreiber verfolgt, diese Frage stellt sich bei allen „Auskunftsseiten“ im Internet. Auch bei den „Arztportalen“ gibt es immer neue Anbieter mit höchst unklarem Hintergrund. Einer davon ist WorldOrgs.com. Die Internetseite hilft angeblich, „einen Fachmann in einem bestimmten Tätigkeitsbereich oder eine Organisation zu finden, entsprechend den Bewertungen“, „Mit immer aktuellen Kommentaren können Sie den besten Service auswählen“. WorldOrgs.com kennt sich angeblich in allen Branchen aus, gern macht man mal die Probe aufs Exempel und ruft die Branche „Büroflächenvermietung“ auf. Angeblich sind hier vier Firmen gelistet, tatsächlich wird kein Treffer angezeigt. Liegt es daran, dass man der Seite nicht erlaubt hat, mit yandex.ru Verbindung aufzunehmen, einem russischen Unternehmen? Am Fuß der Internetseite tauchen stattdessen Empfehlungs-Links auf. Der Link „Nepomuk-Statue“ führt zu einem Restaurant, der Link „Tante Emma“ zu einem Bekleidungsgeschäft: Es hat angeblich auch am Sonntag (??) geöffnet, und die Bewertungen sind fantastisch gleichartig – ob da wohl ein Troll am Werk war?
WorldOrgs.com listet auch Ärzte. Die Öffnungszeiten der Praxis sind fantastisch falsch angegeben, ebenso die Angaben zum Personal. Die „Rezensionen“ sind typisch für diese Art von (Des)Informationsportalen. Sie reichen von „unhöflich, verantwortungslos, unsympathisch und zeigte keine fachliche Kompetenz“, „unverschämt und herablassend“ bis zu „beste Praxis“, „nettes und kompetentes Team“. Zwischen ganz offensichtlich böswilligen und den anderen „Rezensenten“ tobt eine Diskussion, sie macht exemplarisch deutlich, worum es bei den „Arztportalen“ eigentlich geht. Brauchbare und verlässliche Information ist es jedenfalls nicht.
WorldOrgs.com ist ein besonders krasses Beispiel. Abgesehen von dem Hinweis auf das russische Unternehmen Yandex gibt die Internetseite nämlich nicht preis, wer die Seite betreibt. Wer hier verleumderisch „bewertet“ wird, kann sich nicht wehren: Es gibt kein Impressum. Auch die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen kann nicht helfen: „Unsere Recherchen ergaben keine Anhaltspunkte, die auf eine eindeutige Anbieterschaft hinweisen.“
(Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 07.12.2021.)