Schweriner See
(Fortsetzung von 2021: Camping in Deutschland III)
Nächstes Ziel ist der Schweriner See. Schwerin ist zu entdecken, und eine alte Liebe soll besucht werden: Wismar ist immer eine Reise wert. Auf der Suche nach einem ruhigen und möglichst naturnahen Campingplatz fällt die Wahl auf Flessenow am Nordostufer des Schweriner Sees. Die Anfahrt von Ratzeburg geht zunächst über Land, zuletzt aber doch über die wenig einladende Autobahn 20, dann nach Bad Kleinen. 1993 hat es hier eine tödliche Schießerei mit der RAF gegeben, hat man noch in Erinnerung, mehr fällt einem nicht ein: Hässlich ist der Ort, wenn man ihn nur auf der Durchreise beguckt. Über schmale Straßen geht es weiter, die Landschaft präsentiert sich als weite Agrarwüste – hier soll es schön sein? Immer rumpeliger wird die Straße. Flessenow ist nur wenige Häuser groß, die „Hauptstraße“ wegen Bauarbeiten gesperrt; die Umleitung führt über einen Sandweg, sanft setzt das Auto auf einer Bodenwelle auf, wo sind wir denn hier gelandet?
Seecamping Flessenow zieht sich unter Bäumen am See entlang und ist voll. In anderen Jahren sind um diese Zeit nur noch 20% der Plätze belegt, aber 2021 ist alles anders. Die vorsichtshalber im Voraus reservierten Plätze neben einem angejahrten, aber sauberen Waschhaus-Container werden bald von Wohnmobilen eingekreist.
Der nächste Morgen versöhnt mit frischen Brötchen und Zeitungen, auf nach Schwerin! Auf einem großen Parkplatz nicht weit von Schloss und See bleibt das Auto, es sind nur wenige Schritte bis zum Marstall.
Der Reitstall aus dem 19. Jahrhundert ist strahlend renoviert und heute Sitz von zwei Ministerien. Daneben blickt man über den kleinen Hafen der Ausflugsschiffe auf das Schloss.
Hier sind am Sonntag im September durchaus Touristen unterwegs, aber der Andrang hält sich sehr im Rahmen. Das Schloss ist der Hingucker, nicht umsonst wird es auch Neuschwanstein des Nordens genannt.
Romantischer Historismus ist die Bezeichnung dieser Architektur. Der im 19. Jahrhundert vom Landesherrn beauftragte Architekt sah sich erst in Frankreich um und entwarf dann ein Konzept für die umfassende Neugestaltung.
Seit hundert Jahren ist das Schloss in Staatsbesitz, heute residiert hier der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern in einem außerordentlich gepflegten Umfeld mit makellosen Gartenanlagen.
Auf der anderen Seite der Schlossinsel blickt Friedrich Franz II. vom Denkmal wohlgefällig auf „sein“ Schloss. Reizvoll wäre es gewesen, am Fuß des Schlosses zu sitzen und beim Kaffee auf den See zu schauen – die Idee haben auch viele andere, draußen einen Tisch des Schloss Restaurants zu ergattern erfordert Glück. So macht man sich auf den Weg zum St.-Marien-Dom, vorbei an der Prachtarchitektur von Museum, Staatstheater und Staatskanzlei. Hier muss es doch auch am Sonntag ein offenes Café geben? Café Prag in der Schlossstraße ist ausgeschildert, es muss gut sein: Die Schlangen vor dem Café sind lang, vielleicht schaut man doch besser gleich Rathaus und Dom an.
Das altstädtische Rathaus im Rücken schaut man über den Marktplatz auf den Dom. Davor die Säulen der ehemaligen Markthalle, des Krambudengebäudes: Herzog Friedrich hatte im 18. Jahrhundert die Nase voll vom Gestank des Marktes und dem Lärm, er verbannte die Krambuden in eine neu gebaute Markthalle.
Ein ordentliches Städtchen zeigt auf dem Marktplatz auch moderne Bronze. Schwerin holte für sein Löwendenkmal den Künstler Peter Lenk, einen sozusagen plastischen Spötter. In Konstanz am Bodensee steht von ihm die Imperia, gegenüber in Meersburg die magische Säule.
Der Dom hinterlässt auf den Betrachter einen gemischten Eindruck. Nach der romanischen Klarheit und Wucht des Ratzeburger Doms mit seinem Wechselspiel von Ziegelflächen und weißem Putz wirkt der Schweriner Dom – ganz subjektiv betrachtet – weniger stimmig. Schwer zu beschreiben, was diesen Eindruck hervorruft; ist es die Vielzahl von Fürstengräbern im Chorumgang?
Oder ist es die grobe Machart von Bodenbelag und neuzeitlichem Altar?
Die sparsamen Farbakzente entsprechen angeblich der neusten Forschung und sollen exakt die ursprünglichen Farben sein. Über Geschmack und Farbempfinden lässt sich wunderbar streiten, insbesondere der Grünton tut manchen Betrachtern in den Augen weh.
So geht es zurück auf den Marktplatz, zum Löwendenkmal; Peter Lenk hat mit dem Vergnügen des Spötters die Bardowicker Gesäßhuldigung dargestellt, den Zorn der Bardowicker auf Heinrich den Löwen. Der Tourist zeigt dem Denkmal das Gesäß und durchschreitet das mittelalterliche Tor im Rathaus.
Auf der Rückseite hat man sich Mühe gegeben, die neuen Fassaden an das alte Stadtbild anzupassen. Ein letzter Blick, und dann die Frage: Wo jetzt einkehren? Auf dem Rückweg zum Auto passiert man die alte fürstliche Dampfwäscherei, hier kann man jetzt unter Bäumen draußen sitzen mit Blick auf den Marstall. Es ist ein wenig fröstelig im September, umso freundlicher die Bedienung. Wenig Betrieb, gutes Essen: Schwerin kann man in guter Erinnerung behalten.
(Fortsetzung: Wismar.)