Reichenau und Konstanz
(Fortsetzung von Rad-Reisen: Donau-Bodensee VI. Zum Startpunkt der Reise in Ulm geht es hier.)
Viel zu schade zum Weiterfahren: An dem wunderbaren Sonnentag bietet es sich an, das Gepäck in Konstanz im Hotel zu lassen und mit dem Rad die Insel Reichenau zu erkunden. Mit dem Kloster Reichenau ist sie UNESCO-Welterbe als „Zeugnis der religiösen und kulturellen Rolle eines großen Benediktinerklosters im Mittelalter“.
Von der Konstanzer Altstadt über den Seerhein geht es recht langweilig an einer Bahnlinie entlang bis zu dem Damm, der die Reichenau mit dem Festland verbindet. St. Georg ist das erste Ziel mit seinen Wandmalereien aus dem 10. Jahrhundert. Der Weg dahin zeigt schon die ganze Spanne zwischen früher christlicher Kultur und heutigem Leben: Gemüsefelder links und rechts, Gewächshäuser und als weißer Turm aufgestapelte Gemüsekisten am Straßenrand, mittendrin leuchtet die Kirche in der Sonne. Aber sie ist noch geschlossen; um die Wandmalereien vor Beschädigung durch Luftfeuchtigkeit zu schützen, ist die Besichtigung nur im Rahmen einer Gruppenführung möglich.
Der Weg zum Münster St. Maria und Markus führt an ein bisschen Wein vorbei.
Der größte Teil der Reichenau wird für einen intensiven Gemüsebau genutzt. Fruchtbarer Boden, Klima und Bewässerung sorgen für Wachstum im Freiland und unter riesigen Glasdächern; idyllische, naturbelassene Landschaft darf man hier nicht erwarten.
Dass hier nicht nur Gemüse wächst, zeigt ein Häuschen am Rande.
Das Benediktinerkloster aus dem 8. Jahrhundert mit dem Münster aus dem 11. Jahrhundert liegen als mächtige Anlage vor einem, wenn man sich von Nordosten nähert.
Die Wirkung dieses Kirchenraums auf den Besucher lässt sich nur schwer in Fotos oder in Worte fassen.
In der Schlichtheit der Architektur liegt eine – gefühlt – ungeheure Kraft; Pfeiler, Mauern und offener Dachstuhl sind eine stimmige, ungestörte Einheit. Hier spielt sicher auch eine Rolle, dass diese Kirche von vielfältigen Umbauten folgender Jahrhunderte und Bauherren verschont geblieben ist.
Das barocke Chorgitter ordnet sich der mächtigen Architektur unter.
Die früheren Klostergebäude dienen heute ganz profan als Rathaus.
Man muss sich Zeit nehmen, muss diese Gebäude in Ruhe auf sich wirken lassen.
St. Peter und Paul auf der Nordwestspitze der Insel wartet, und der Weg führt zunächst wieder durch Gemüse. In einem Garten zeigen Palmen, wie südlich das Klima hier ist, auch wenn sie in Kübeln stehen und im Gewächshaus überwintern.
St. Peter und Paul zeugt vom Ehrgeiz späterer Generationen. Die romanische Basilika aus dem 12. Jahrhundert erhielt im 18. Jahrhundert eine Rokoko-Gewölbedecke. Wer zuvor das Münster gesehen hat, ist nicht unbedingt überzeugt von dieser „Verschönerung“…
In St. Peter und Paul begegnet man einem Motiv, das auch in anderen Kirchen der Region zu sehen ist.
Zwei Männer im Disput: Apostel Petrus mit den zwei Schlüsseln in der rechten Hand für das Binden und Lösen auf Erden und im Himmel, das Evangelium in der anderen Hand; ihm gegenüber der Apostel Paulus mit Stirnglatze und gesträhntem Bart wie bei antiken Philosophen, den ausgestreckten Zeigefinger auf einer Textstelle des Evangeliums: „Hier steht’s!“ scheint er zu sagen.
Noch ein Blick auf Schloss Windegg auf dem Nordwestzipfel der Insel, und die Radler kehren zu ihrem Ausgangspunkt auf der Reichenau zurück: Die Führung durch St. Georg steht an.
Hauptgegenstand der Führung sind die vollständig erhaltenen Wandmalereien aus dem 10. Jahrhundert, sie stellen Stationen aus dem Leben Christi dar. Daneben ist ein Bild zu sehen, dessen Bedeutung sich aus dem gemalten Text ergibt.
Die Rede ist vom „Blabla dummer Weiber“, das offensichtlich auf keine Kuhhaut geht – Vier Teufel drehen die Kuhhaut im Kreis („Ich wil hie schribvn von diesen tvmben wibvn was hie wirt plapla gvsprochvn vppigs in der wochvn was wirt allvs wol gvdaht so es wirt für den richtvr braht“).
Ein ruhiger Nachmittag in Konstanz wartet auf die Radwanderer.Ferienatmosphäre herrscht im Hafen. Auf der einen Seite sind die Fährschiffe unterwegs, und gegenüber sitzen die Radler im Schatten und beobachten den Betrieb.
Bei einem alkoholfreien Weizen („Konstanzer Brautradition“) ist der warme Tag gut auszuhalten.
Wenige Meter weiter vergnügen sich Kinder am Rand des Hafenbeckens, …
… und die Hafeneinfahrt wird (links im Bild) von der schönen Imperia bewacht. Näher betrachtet hat sie, freizügig gekleidet, sowohl die geistliche als auch die staatliche Obrigkeit in ihren Händen und dreht sich triumphierend um sich selbst.
Der Hafen beherbergt nicht nur die Fährschiffe und Segeljachten; in einem anderen Teil können auch Tretboote gemietet werden.
Wenn man noch ein Stück weiter Richtung Seerhein geht, lässt man die Touristenhorden hinter sich. Im Bereich der Einheimischen ist es ruhig, hier wird außerhalb des Hafens vor der Seepromenade Boot gefahren und gebadet.
Hier ist auch noch Platz für die Kanarien, …
… und für Hobby-Artisten „Auf der Insel“.
Am Ende des Rundgangs landen die Radwanderer wieder am Konzil.
Die Seitenfassade des historischen Gebäudes bedeckt ein Banner mit einer etwas verfremdeten Darstellung der historischen Versammlung.
Die Geschichte des Konzils von 1414-1418 ist in den verschiedensten Formen überall präsent.
Ehrwürdiges Gebäude, verfremdete ehrwürdige Versammlung, nüchterne Informationstafeln – auch die Imperia gehört dazu. Selbst wenn sie während des Essens auf der Terrasse der „Hafenmeisterei“ vorübergehend aus dem Blick gerät, spätestens in der Nacht strahlt sie weithin über die Stadt.
Am Ende eines so entspannten Tages bietet es sich an, die Weinstube im Erdgeschoss des Hotels wenigstens einmal auszuprobieren – warum sich oben im Zimmer über Lärm ärgern, wenn man auch draußen sitzen kann?
Den besorgten Lesern sei versichert: Ein Glas Wein, nicht mehr! Die Schräglage des Fotos hat andere Gründe!
(Die vorhergehende Etappe dieses Reiseberichts finden Sie hier, und hier geht es zur Fortsetzung.)