NRW-Landesregierung stellt sich gegen die Justiz
Können wir nicht alle froh sein? Endlich hat der Staat es geschafft, einen von diesen üblen Terroristen außer Landes zu schaffen! Eine Gefahr weniger, da sollen sich die Gerichte nicht so anstellen!
Wir in Nordrhein-Westfalen erleben gerade, wie diese Meinung von Landespolitikern der FDP und CDU verbreitet wird. Der angebliche Terrorist Sami A. ist ins Flugzeug nach Tunesien gesetzt worden, obwohl über die Klage dagegen noch nicht entschieden war. Das Gericht ist von der Verwaltung getäuscht worden: Nein, die geplante Abschiebung sei storniert worden. Das Gericht hat die Abschiebung untersagt. Die Entscheidung wurde dem Minister bekannt, als der „Terrorist“ noch im Flugzeug saß. Nach Recht und Gesetz hätte der „Terrorist“ im Flugzeug sitzen bleiben und nach Deutschland zurückfliegen müssen. Aber man hat ihn an die tunesischen Behörden übergeben.
Die Landesregierung hat jetzt ein Problem. Denn sie hat sich über eine wesentliche Grundlage unseres Rechtsstaates hinweggesetzt. Gewaltenteilung ist das Stichwort, Verwaltung darf nicht machen sie will, sie hat die Entscheidungen der Gerichte zu respektieren. Denen hat sich auch der König zu beugen, sagt schon die Legende des Müllers von Sanssouci.
Nun darf jeder mal Fehler machen, das muss man auch der Verwaltung zugestehen. In Nordrhein-Westfalen mangelt es der Landesregierung nur fatal an Fehlerkultur.
Ministerpräsident Laschet ging mit schlechtem Beispiel voran. Statt den Fehler einzugestehen, versuchte er sich mit Rhetorik nach dem Muster „regt euch ab, es hat doch den Richtigen getroffen“. Wörtlich sagte er: Und ich denke, im Ergebnis können wir froh sein, dass der Gefährder nicht mehr in Deutschland ist.
Dann legte der NRW-Innenminister noch eine Schippe drauf: Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen.. Was scheren mich Recht und Gesetz – der Kerl muss abgeschoben werden. Oder so ähnlich.
Es hat den Richtigen getroffen, Rechtsempfinden der Bevölkerung: Solches Reden ist Populismus pur. Solches Reden ist unverantwortlich, egal von wem es kommt. Ein klarer Rechtsbruch, unwürdig einer Landesregierung.
Der zuständige Minister klebt, das überrascht nicht bei der Vorgeschichte und dem Rückenwind vom Ministerpräsidenten, wie angenagelt auf seinem Ministersessel. Minister Stamp vertritt mit der FDP eine Partei, die früher bekannt war für ihre profilierten Bürgerrechtler und Rechtspolitiker. Aber das ist Schnee von gestern, die FDP von heute hat sich zu einer Partei des Rechtsbruchs entwickelt. Im letzten Landtagswahlkampf war das schon deutlich geworden, als Lindner über Verhaftungen von Abzuschiebenden räsonierte.
Man mag die aktuelle Diskussion um die rechtswidrige Abschiebung nach Tunesien als Sommertheater einstufen; es ist Ferienzeit, traditionell eine Zeit der allzu flotten Politikersprüche.
Allein die Grundlinie irritiert nachhaltig. Recht und Gesetz, die Gewaltenteilung sollen zurückstehen vor der Meinung von ein paar Politikern und vor dem Rechtsempfinden der Bevölkerung – wer legt denn heute fest, was das „Rechtsempfinden der Bevölkerung“ ist? Hatten wir nicht schon einmal das gesunde Volksempfinden? Das war die Vokabel für Willkür und Diktatur. Wenn das gemeint ist, dann müssen wir sofort auf die Barrikaden.
Übrigens: Von der alten Bürgerrechtspartei FDP sind ein paar profilierte Politiker noch da. Lesenswert ist das Interview des Deutschlandfunks mit Gerhart Rudolf Baum zum Thema!