Das Hiltruper Hartsteinwerk Schencking
Das Dorf Hiltrup war nicht reich. Die Eiszeit hatte große Mengen Sand auf dem Geestrücken („Breiter Weg“, „Münsterstraße“ bzw. „Hohe Geest“) hinterlassen. In den umliegenden Dörfern hatten die Bauern besseren Boden. Sand bekam erst nach und nach Wert als Baustoff. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in der Hohen Ward Sand abgebaut. Ab 1913/1914 wurde mit dem Sand aus Heidhorns Fläche in der Hohen Ward der Bahndamm der Neubaustrecke von Münster nach Dortmund aufgeschüttet, aus dem Baggerloch entstand der Steiner See.
Sandiger Boden im heutigen Hiltrup gehörte auch zum Gut Hülsebrock. Der Kaufmann August Bernhard Schencking (1827-1903) investierte sein in Frankreich verdientes Geld in den Kauf des Gutes Hülsebrock. Einen Teil der sandigen Flächen konnte er weiterverkaufen an die Brüder Hanses, sie gründeten hier eine Forstbaumschule.
Schenckings Erbe Paul Schencking (1854-1939) hatte 14 Kinder. Sohn Leo Schencking (1901-1979) machte eine Ausbildung als Schmied bei der Firma Pieper in Sudmühle und arbeitete anschließend als Maschinenbauingenieur bei der Firma Windhoff in Rheine.
In Rheine war auch die 1898 gegründete Firma Cirkel ansässig. Sie entwickelte Verfahren zur Herstellung von preisgünstigen und hochwertigen Mauersteinen aus Kalksandstein und war an der Formulierung der Kalksandstein-Norm DIN 106 im Jahr 1925 beteiligt.
Nach dem Ende der Inflation 1923 belebte sich die Baukonjunktur. Leo Schencking sah die Perspektive, den Sand des Gutes Hülsebrock und weiterer Bauern in Hiltrup zu Kalksandsteinen zu verarbeiten. Das Gründungskapital für die Hiltruper Hartsteinwerk GmbH & Co KG in Höhe von 100.000 Reichsmark sammelte er 1928 bei Verwandten und bei Sandlieferanten ein, den Bauern Peperhowe (Telefonbucheintrag: Peperhove, August, Bach 15, Sandgrubenbesitzer) und Bornemann. Zwischen Glasuritwerk und Hiltruper Bahnhof entstand im Frühjahr 1928 das Werk auf Grundstücken von Peperhowe und Bornemann. Der Stundenlohn der Arbeiter betrug 70 Pfennig zuzüglich Prämie: 1 Pfennig pro Kopf und Stunde bei einer Tagesproduktion von über 12.000 Steinen, 12 Pfennig pro Kopf und Stunde bei einer Tagesproduktion von 24.000 Steinen. Für den Transport der Steine erhielt das Werk 1929 einen Bahnanschluss. Der Verkauf lief auch über den Hiltruper Baustoffhändler Dalhoff, der mit Schencking verschwägert war. Im Jahr 1933 einigten sich die Kalksandsteinwerke Hiltrup und Kinderhaus mit der konkurrierenden Ziegelindustrie unter dem Dach der Ziegelkontor GmbH (Münster, Ludgeristr. 5) auf feste Absatzquoten: 41% für die Kalksandsteinindustrie, 59% für die Ziegelwerke. (Kartelle zwischen Unternehmen waren in Deutschland bis zum Ende des II. Weltkriegs grundsätzlich erlaubt. Erst In den 1950er Jahren wurde mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nach dem Vorbild der USA ein grundsätzliches Kartellverbot eingeführt.)
Der Absatz entwickelte sich langsam. Im II. Weltkrieg wurde Leo Schencking zur Armee eingezogen, seine Frau Käthe führte den Betrieb mit Hilfe von 15 Gefangenen. 1944 wurde der Betrieb durch Bomben fast vollständig zerstört. Die Produktion startete 1946 wieder mit 12 Esten; nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1947 übernahm Leo Schencking die Geschäftsführung.
Der für die Produktion benötigte Sand wurde zunächst noch von Hand aus den Hiltruper Sandgruben gewonnen, dann mit Baggern und einer Feldbahn. Bis zur Währungsreform 1948 erhielten die Arbeiter für je 1000 hergestellte und verladene Steine vier Steine als Deputat. Sie arbeiteten freiwillig 10 bis 12 Stunden, manchmal 15 Stunden am Tag und konnten die Deputat-Steine gegen Lebensmittel oder Geld tauschen. Nach der Währungsreform verdiente ein Maschinenschlosser bei Schencking rund 400 Mark; als Werkmeister verdiente er 1954 550 Mark, die Miete für die Werkswohnung betrug 19 Mark.
Für den Wiederaufbau von Münster wurde Baumaterial gebraucht. Hiltrup lieferte Sand und war nach einem Bericht der Westfälischen Nachrichten (23.5.1953) das „Dorf der Sandgruben“. Mehr als die Hälfte des abgebauten Sands ging als Bausand nach Münster zum Wiederaufbau der zerbombten Stadt. Die Produktion von Mauersteinen in Hiltrup stieg bis auf 200.000 Stück am Tag. Bis zu 200 Mitarbeiter waren beschäftigt, darunter viele Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten.
An vielen Stellen Hiltrups wurde Sand abgebaut. Das Foto von 1956 zeigt die Aussandung der Mertensheide südlich der damaligen Polizeischule. Die Feldbahn bringt den Sand direkt zum Werk Schencking. Im Hintergrund ist die Baustelle des neuen Hauptgebäudes des Kardinal-von-Galen-Gymnasiums zu erkennen (Einweihung im März 1957).
Das Luftbild von 1958 zeigt links oben in Verlängerung der heutigen Heideggerstraße die Betriebsgebäude und Flächen der Baumschule Hanses, rechts (südlich) anschließend die Aussandungen des Kalksandsteinwerks Schencking und den Silbersee.
Das Werk lag am Rand des Betriebsgeländes von Glasurit.
Von 1956 bis 1967 kam der benötigte Sand aus dem „Schencking-See“ in der Hohen Ward, der später mit dem nördlich benachbarten Steiner See verbunden wurde.
Sand für die Produktion von Schencking kam auch aus dem auf dem Foto sichtbaren Baggerloch. Es wurde damals „Silbersee“ genannt, im Sommer badeten Hiltruper darin.
Das Baden im Silbersee war nicht ungefährlich, wie ein Zeitungsartikel von 1957 belegt.
Der „Silbersee“ ist im Flächennutzungsplan von 1963 als Baggerloch eingezeichnet und wurde später zum größten Teil verfüllt. Heute verläuft hier die Glasuritstraße, sie ist im Plan von 1963 als gestrichelte Planung nördlich der später realisierten Trasse eingezeichnet (die Gärtnerei Mertens wurde 1965 von der Gemeinde aufgekauft und überplant).
1969 stieg Wolfgang Schencking, der Sohn des Firmengründers, in den Betrieb ein. Als die Hiltruper Sandvorkommen erschöpft waren, wurde der benötigte Sand mit LKW von Telgte herangebracht. Das war auf Dauer unwirtschaftlich, das Werk Hiltrup wurde 1978 geschlossen. Die Firmengruppe Schencking hatte inzwischen 20 weitere Produktionsstätten in Deutschland, Italien, Kolumbien und Spanien gegründet. Im Jahr 2019 verwaltete Enkelin Franziska von Alvensleben die Beteiligungen, und Enkelin Michelina von Peterffy-Rolff war Geschäftsführerin der Kalksandsteinwerke Bienwald und Differten; ein Cousin leitete den Vertrieb.
(Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 24.01.2025.)