Voll die Härte

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Brennstoffhilfe im IT-Dschungel

Ukraine-Krieg und Energiepreise, da war doch was im vorigen Jahr? Richtig, 2022 wurde Gas knapp, und die Preise explodierten. Mit den Gas- und Strompreisen stieg auch der Ölpreis. Wer im Sommer und Herbst 2022 auf fallende Ölpreise gewartet hatte, musste extra teuer kaufen, um warm durch den Winter zu kommen.

Die jetzt viel geschmähte Bundesregierung schaffte es damals in einem beispiellosen Kraftakt, die Preise für Gas und Strom zu „deckeln“. Wer teuer mit Öl heizte, ging zunächst leer aus. Aber auch für diese Bürger wurde Hilfe organisiert. Nach langen Verhandlungen einigten sich Bund und Länder, den privaten Haushalten „Härtefallhilfen wegen stark gestiegener Energiekosten für nicht leitungsgebundene Energieträger“ zu gewähren.

Im konkreten Einzelfall ist das eine willkommene Entlastung. Gerade alten Menschen fehlen oft sowohl das Geld als auch die zeitliche Perspektive, in die energetische Sanierung ihres Hauses zu investieren; da muss die alte Ölheizung einfach weiterlaufen.

Den langen Verhandlungen über das Geld folgten lange Verhandlungen über die technische Abwicklung des Antragsverfahrens. Die Mehrzahl der Bundesländer entschied sich schließlich, die Antragsplattform der Kasse.Hamburg (DRIVEPORT) zu nutzen. Ein Klick im Serviceportal sollte reichen. Nur Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen waren klug genug, auf eigene Lösungen zu setzen.

Die alte Dame lebt in Niedersachsen, mit ihren 107 Jahren wohnt sie noch im eigenen Heim und heizt mit Öl. Die Rechnung im Herbst 2022 war astronomisch. Zu Anfang Mai 2023 ging DRIVEPORT an den Start, am 8. Mai 2022 erledigte der Bevollmächtigte der alten Dame die paar Klicks bei DRIVEPORT und beantragte die Härtefallhilfe. Als Ausweisdokument lud er ein Foto des unbefristeten Schwerbehinderten-Ausweises der alten Dame hoch. Denn wegen ihres Alters ist sie schon lange nicht mehr im Bürgerbüro der Kommune gewesen und hat keinen gültigen Personalausweis mehr.

Danach passierte erst einmal gar nichts. DRIVEPORT war offensichtlich überfordert. Nicht jede schicke Klick-Sache im Internet hält, was sie verspricht. Nach zwei Monaten meldete sich DRIVEPORT. Die Nachricht kam immerhin schon elektronisch, also per Email, aber der Inhalt war – na ja, unter aller Sau. Vielleicht war der DRIVEPORT-Computer falsch programmiert; möglicherweise nutzt DRIVEPORT ja künstliche Intelligenz, sie hat bekanntlich nicht den besten Ruf. Jedenfalls monierte DRIVEPORT den hochgeladenen Ausweis: „Sie haben uns am 08.05.2023 … ein Ausweisdokument für [die alte Dame] hochgeladen. Leider ist Ihre Identifikationsprüfung aus folgendem Grund fehlgeschlagen: Sie haben uns Identifikationsdokumente der vertretungsberechtigen Person übermittelt. Wir benötigen jedoch die Identifikationsdokumente der antragsstellenden Person.“ Diese Email von DRIVEPORT hatte als Absender-Angabe die Zeile „Fragen? Bitte wenden Sie sich an info@driveport.de“.

Das ließ sich doch leicht aufklären, dachte der Bevollmächtigte, und korrigierte per Email den Fehler von DRIVEPORT: Die alte Dame sei doch die Antragstellerin.

Jetzt ging es schnell. Eine Woche später meldete sich Frau S. von DRIVEPORT per Email und forderte 3 Bilder: 1. Vorderseite Ausweis, 2. Rückseite Ausweis, 3. Selfie mit Personalausweis in der Hand.

Nun, auch das müsste sich doch aufklären lassen, dachte der Bevollmächtigte, und mailte an Frau S. von DRIVEPORT: „Die Antragstellerin … ist 107 Jahre alt. Sie verbringt ihr Leben in ihrem Haus und hat seit vielen Jahren keine Amtsstube mehr von innen gesehen. Die Stadt … hat darauf verzichtet, sie per Bußgeld zur Beantragung eines neuen Personalausweises zu nötigen, wofür sie ins Fotogeschäft und in das Bürgeramt müsste.“

Gleichzeitig erinnerte sich der Bevollmächtigte, dass Bürger diesen Alters zum Geburtstag ein persönliches Glückwunschschreiben des Bundespräsidenten bekommen. Wenn der Bundespräsident an die 107jährige denkt, vielleicht tut es auch der Ministerpräsident Herr Weil? Also wurde ein freundlicher Brief an Herrn Weil geschrieben: „… Ich würde es begrüßen, wenn noch vor dem nächsten Geburtstagsgruß des Bundespräsidenten eine Lösung gefunden werden könnte.“

Nun mahlen die Mühlen der Verwaltung bekanntlich langsam, und nicht immer ist der tiefere Sinn leicht zu verstehen. So war es kein Wunder, dass Tage später eine weitere Email von DRIVEPORT eintrudelte: „Leider ist Ihre Identifikationsprüfung aus folgendem Grund fehlgeschlagen: Ihre Identität konnte anhand der eingereichten Dokumente nicht eindeutig festgestellt werden (z.B. wichtige Angaben nicht lesbar oder unvollständig). Bitte achten Sie darauf, dass Sie die Identitätsdokumente korrekt einreichen.“ Diese Email hatte wieder die Absenderangabe „Fragen? Bitte wenden Sie sich an info@driveport.de“. Offensichtlich hatte sich die KI selbständig gemacht.

Weitere sechs Tage später kam die nächste Email von DRIVEPORT, diesmal zur Abwechselung mit der Absenderangabe „A. S. Freie und Hansestadt Hamburg Kasse.Hamburg DRIVEPORT Härtefallhilfen für nicht leitungsgebundene Energieträger“. Frau S. hatte die Email des Bevollmächtigten der alten Dame gelesen und schrieb: „Wenn die Antragstellerin von der Ausweispflicht befreit ist, besteht die Möglichkeit, den Nachweis darüber, anstelle der 3 geforderten Dokummente, hochzuladen“ (Rechtschreibfehler aus dem Original übernommen).

Das war ein Wort, eine Lösung des Ausweisproblems schien greifbar. Der Bevollmächtigte der alten Dame forderte den Nachweis der Befreiung von der Ausweispflicht beim Bürgerbüro an und lud ihn auf DRIVEPORT hoch. Auf dem Computerbildschirm meldete DRIVEPORT zurück, das Hochladen sei erfolgreich.

Und was glauben Sie, der Geldbetrag, den DRIVEPORT im klick-mich-schnell-Verfahren ausgerechnet hat, er ist sicher inzwischen auf dem Konto der alten Dame? Dringlich könnte sie das Geld gebrauchen, denn aktuell hat sie erhöhten Pflege- und Betreuungsbedarf! Aber nein, nicht mit DRIVEPORT. DRIVEPORT schickt eine neue Email, diesmal wieder nur mit dem Absender „Fragen? Bitte wenden Sie sich an info@driveport.de“. In dieser Email schreibt – es muss wirklich KI sein, man hört so viel darüber! – DRIVEPORT mal wieder: „Leider ist Ihre Identifikationsprüfung aus folgendem Grund fehlgeschlagen: Ihre Dokumente sind unvollständig. Bitte laden Sie ALLE Fotos unter folgendem Link erneut hoch, die bisher übermittelten Fotos werden überschrieben: …“.

So wird das nichts mehr.

Digitalisierung der Verwaltung – wenn das so aussieht, möchten wir das nicht. Wir wollen Papier, und dazu echte Sachbearbeiter. Wir wollen eine Verwaltung, die bürgernah und ansprechbar ist. Leute aus Fleisch und Blut, sie können ruhig doof und langsam sein, aber man muss mit ihnen reden können, dann gibt es Lösungen für einfache Probleme.

Ach, der Ministerpräsident Weil war ja auch um Hilfe gebeten worden – der ist natürlich sehr beschäftigt. Klar kriegt der so einen Brief nicht zu sehen, sein Stab sortiert den aus und reicht ihn weiter. So ging das auch hier, immerhin zeitnah und per Email: „… an das in der Sache zuständige Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung mit der Bitte abgegeben, Ihr Anliegen zu prüfen. Sie werden von dort in Kürze weitere Nachricht erhalten.“

Schau’n wir mal, ob das Ministerium (inzwischen von der Staatskanzlei ein zweites Mal gebeten) schneller ist als der Bundespräsident. Der wird der alten Dame aller Voraussicht nach demnächst wieder zum Geburtstag gratulieren, zum 108.. Der wenigstens.

Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen aber kann man gratulieren, dass sie sich nicht auf DRIVEPORT eingelassen haben, Sie wissen schon: „Fragen? Bitte wenden Sie sich an info@driveport.de“.

Nachtrag: Am 7.8.2023 schlug um 6.51h eine neue Email von DRIVEPORT auf. Diesmal nicht von „Fragen? Bitte wenden Sie sich…“, sondern von Frau S.: „Ich habe das Dokument legitimiert, somit ist Ihre Identifikation nun erfolgreich abgeschlossen.“ Mal sehen, was das bei DRIVEPORT bedeutet – und was die vollautomatische DRIVEPORT-Intelligenz jetzt wieder daraus macht…

Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung jedenfalls hat am selben Tag telefonisch reagiert, es geht voran – und wie: Noch am selben Tag ist der Bewilligungsbescheid der Investitions- und Förderbank Niedersachsen per Email da. Geht doch!

(Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 7.8.2023.)

Kommentare

  1. Wie im Text steht, eine Heizungssanierung ist teuer und viele Menschen haben nicht derartige Rücklagen, um mal eben eine neue Heizungsinstallation vornehmen zu lassen. Da bringen dann leider auch Zuschüsse nicht viel.

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