Telekom gefährdet alte Menschen

Wiederholter Ausfall des Internet-Telefonanschlusses blockiert Hausnotruf

Ihren einhundertundzweiten Geburtstag feiert die alte Dame im Dezember 2017 – wenn ihre Gesundheit und die deutsche Telekom mitspielen. Die Gesundheit ist nach Meinung des Hausarztes ganz okay, das Problem ist die Telekom.

Seit Jahren drängt die Telekom ihre Festnetzkunden in die Internet-Telefonie. So war es auch bei der alten Dame. Sie lebt allein in ihrer gewohnten Umgebung, bis zum 100. Geburtstag ging das mit etwas Hilfe durch eine Putzfrau und die Nachbarn ganz gut. Dann wollten die Beine nicht mehr so recht. Damit aus dieser Unsicherheit kein Drama wird, mussten ein Hausnotrufsystem und eine polnische Hilfe her. Die polnische Hilfe braucht Internet und eine eigene Telefonnummer, um den Kontakt zur Familie in Polen zu halten. Früher hätte man das alte Festnetztelefon auf ISDN mit drei Rufnummern umgestellt, diese Technik bietet die Telekom nicht mehr an. Stattdessen wurde der Telekom-Anschluss auf Internet-Telefonie umgestellt. Die ländliche Wohngegend ist miserabel ans Internet angebunden, deshalb musste es ein Hybrid-Router sein; er schafft die Internetverbindung sowohl über den Draht als auch per Mobilfunk.

So weit, so gut. Die Technik kam per Post, technisch begabte Verwandte richteten den Anschluss ein, auch das vorhandene Hausnotrufsystem wurde an die neue Technik angepasst.

Gut ist aber überhaupt nichts. Denn die Internet-Telefonie ist unzuverlässig. Ein kleines Gewitter in der Region oder irgendeine andere Unpässlichkeit des sensiblen Telekom-Routers, und schon funktioniert nichts mehr.

Das Schlimme daran ist, dass diese Ausfälle einem alten Menschen zunächst überhaupt nicht auffallen. Er wundert sich nach zwei Tagen, dass er überhaupt nicht mehr angerufen wird. Er wundert sich noch mehr, wenn er selbst anrufen will und nichts geht. Das Telefon ist für jemanden, der kaum noch sehen und kaum noch laufen kann, der einzige verbliebene Draht zur Welt: zu Verwandten, zu Bekannten, zu den Nachbarn um Hilfe zu rufen. Panik bricht dann aus. Und diese Panik kann sich niemandem mitteilen.

Dass es da ein Problem gibt, das fällt auch den Verwandten nicht sofort auf. Sie kommen mit ihren Anrufen nicht durch und denken, die alte Dame telefoniert gerade. Oder hat den Hörer nicht richtig aufgelegt, das wird sie oder ihre polnische Hilfe morgen schon merken. Nur: Die polnische Hilfe versteht überhaupt nichts von Internet-Telefonie. Die weicht für ihre Kontakte nach Hause auf ihr Handy aus.

So lebt die alte Dame im Risiko. Die polnische Hilfe ist nicht immer im Haus, sie geht Einkaufen, sie hat Freizeit. Fällt die alte Dame jetzt und drückt den Notrufknopf, dann ist dieser nutzlos. Keine Internetverbindung, kein Telefon, kein Hausnotruf.

In diesem Herbst hatte die alte Dame schon zweimal dies Problem. Beim ersten Mal waren die technisch begabten Verwandten weit weg in Urlaub. Mehrere Tage hatte der Ausfall schon gedauert, bis sie eine hilfsbereite, aber technik-unkundige Nachbarin telefonisch erreichten. Es hatte gewittert, in der Straße waren reihenweise die Telefone ausgefallen. Das Service-Telefon der Telekom – vonwegen Service! – hatte „Kundennummer“ oder „Buchungskontonummer“ wissen wollen und ohne diese Nummer jede Hilfe abgelehnt. Fragen Sie mal eine alte Dame von 101 Jahren nach ihrer Buchungskontonummer! Zum Glück hatten die Verwandten auch diese Unterlagen mit in den Urlaub genommen, sie konnten aus dem Urlaub die Telekom anrufen und die Überprüfung des Anschlusses veranlassen. Ergebnis: Den Stecker des Routers aus der Steckdose ziehen, warten, Stecker wieder rein und fertig. Trivial. Trivial für einen alten behinderten Menschen? Trivial für eine polnische Hilfe, die mäßige Deutschkenntnisse mitbringt und der man die Prozedur über das Handy der hilfreichen Nachbarin erklären muss? Stecker, ja, was für ein Stecker? Vom Router, was ist ein Router? Das weiße Ding im Bücherrregal unter dem Telefon?

Gerade haben wir die Neuauflage dieses Theaters hinter uns. Wieder zwei Tage keine Telefonverbindung und die Frage: Wie kommen wir am Abend an die alte Dame heran? Das Telefon der polnischen Hilfe ist ja auch tot, deren Handynummer kennen wir nicht, und das Handy der alten Dame, das hört sie nicht. Vielleicht doch? Man ruft das Handy der alten Dame an, sie hat es als gut ablesbare Uhr neben ihrem Sessel liegen, nur telefonieren kann sie damit nicht mehr, weil es für ihre Ohren einfach zu leise ist. Aber sie hört es bimmeln. Nimmt ab und versteht nichts. Beim dritten Mal nimmt sie ab und gibt es an die polnische Hilfe weiter – jetzt ist es eine andere, sie muss die Prozedur mit dem Stecker erst erklärt bekommen, ihr Deutsch ist auch nicht das beste, aber schließlich klappt es.

Was passiert eigentlich, wenn der alten Dame etwas passiert? Wenn die polnische Hilfe einige Stunden außer Haus ist und die alte Dame in dieser Zeit fällt? Und das schöne Internet-Telefon gerade mal wieder streikt und den Notruf nicht an die Hausnotrufzentrale weitergibt?

Der Chef der Telekom wird sich nicht bei der alten Dame entschuldigen für seine miese Technik. Er wird sie nicht im Krankenhaus besuchen. Er ist verhindert, muss die Quartalszahlen mit den neusten Gewinnerwartungen verkünden…

(Zum Nachlesen: Die Antwort der Telekom und die Antwort der Bundesnetzagentur auf die Beschwerde.)