Von Hard nach Konstanz
(Fortsetzung von Rad-Reisen: Donau-Bodensee V. Zum Startpunkt der Reise in Ulm geht es hier.)
Köhlmeiers Pension in Hard bietet ein nüchtern-praktisches Frühstück am Morgen. Ein Blick nach draußen: Es ist trüb, die Straßen sind noch nass vom Regen, aber es tröpfelt wenigstens nicht mehr.
An einem Rad ist der Kettenschutz gebrochen; eine Kleinigkeit, nur ein neues Loch muss in den Kunststoff gebohrt werden, in fünf Minuten zu erledigen. Die dafür erforderliche Bohrmaschine gehört nicht zum Reise-Werkzeug, aber es gibt ja Fahrradgeschäfte in Hard. In dem kleinen Laden an der Seestraße ist ein wenig Überzeugungsarbeit nötig: Einen ganzen Tag will sich der gute Mann von Radwelt Hard für die Minireparatur gönnen, erst nach einigem Geknurr greift er zum Werkzeug.
Danach kann es ans Packen gehen. Die Regenjacke am Haken im Fahrradschuppen bleibt versehentlich hängen – ein bleibender Verlust, denn auch nach einem späteren Telefonat mit Köhlmeier bleibt sie verschollen.
Am Ortsrand von Hard sind gleich drei Gewässer zu überqueren, die parallel in den Bodensee münden; ein Bach, ein kleiner Kanal und ein keineswegs romantischer neuer Rhein, domestiziert zwischen hohen Hochwasserdämmen.
„Respektiere deine Grenzen“ steht auf dem Schild im Naturschutzgebiet Rheindelta, die Radler fühlen sich sofort angesprochen: Wird die Kondition reichen? 65 Kilometer bis Konstanz in ebenem Gelände, das ist doch eigentlich keine Herausforderung, bei näherem Hinsehen wird allerdings nur um Schonung der Natur gebeten.
Es ist eine ganz eigenartige Landschaft zwischen dem eben überquerten Neuen Rhein und dem Alten Rhein westlich davon. Große Schilfflächen und eine weite Stille, dazwischen einige wenige Bauernhöfe; das ist nach dem lieblichen Allgäu ein weiterer bemerkenswerter Abschnitt dieser Radtour, jedenfalls für die Wanderer, die ein Auge dafür haben.
Auf Feldwegen geht es abseits der Autos zum Alten Rhein.
Mit seinem dunkelgrünen stillen Wasser sieht der Alte Rhein wenig spektakulär aus. Die Route folgt kurz einer Schnellstraße, dann gibt es noch einmal einen kleinen Eindruck ländlicher Idylle.
Danach fährt man bis Romanshorn fast ständig durch städtisch geprägte Zivilisation. In Altenrhein ist es ein Industriegebiet mit Fliegermuseum, am Ortsrand Kommerz-Kunst.
Der Flieger aus dem Museum scheint die bunte Markthalle von Hundertwasser anzugreifen, davor braust der Verkehr.
Rorschach präsentiert sich ansehnlich-städtisch zum See hin, da muss man einkehren! Die Stühle des Gartencafés mit Seeblick sind noch nass vom Regen, aber die Wolken verziehen sich: Sonne!
Außer Sonne hat Rorschach mit dem Kornhaus noch eine Sehenswürdigkeit am Wasser zu bieten.
Das Badehaus wenige Meter weiter bestätigt zweifelsfrei, dass hier nicht immer Wolken am Himmel sind.
Arbon ist das nächste Zwischenziel.
Über eine Bucht hinweg gibt es einen schönen Ausblick auf Arbon, markanter Punkt ist der Turm von St. Martin.
Selbst die Vegetation ist hier von Seefahrt und Fischfang bestimmt; ein Steuerrad darf auf dem Blumenkübel nicht fehlen, und „Fischbeiz“ war mal der Inhalt.
Die Sonne brennt auf den Schlosshof von Arbon, selbst für kurze Pausen geht man lieber in den Schatten.
Auch in der Hitze lohnt ein Rundgang durch Arbon. Das Haus mit den ungewöhnlichen Klappläden, die nach oben geklappt und mit einer Stange gestützt werden, nennt sein Alter auf der Fassade: „Ein unbekannter Meister schuf mich anno 1471. Baumeister Künzler restaurierte mich 1987. Dem Handwerk zur Ehr‘, den Arbonern zur Freud‘“.
Von Arbon bis Kreuzlingen führt der Weg nun fast durchgehend an einer Bahnlinie entlang. Lockere Streubebauung, Grünflächen und Stadt wechseln sich ab, und in der Sonne wird es immer heißer. Irgendwo muss es hier doch ein Café geben – in Kesswil steht ein Wegweiser zum Seegasthof Schiff.
„Tafelgesellschaft zum goldenen Fisch“, das Schiff wirbt mit seiner Fischküche, aber es hat zu. So sind alle Plätze an den Tischen frei, auch ein Sonnenschirm ist aufgespannt, was will man mehr?
Im Schatten ist die Aussicht auf das andere Seeufer gut zu genießen, Wasser und Brötchen sind noch ausreichend in den Packtaschen und am Rad.
Linker Hand die Bahn, auf der rechten Seite fallen Wiesen zum See ab. In der Sonne leuchtet das Luftschiff über dem See.
Durch Kreuzlingen geht es hindurch, die Grenze Schweiz-Deutschland ist kaum zu merken, und die beiden Radler sind mitten im Gewühl. Naturmuseum, Bahnhof, Hafen – hier ist Fahrradfahren nicht nur verboten, sondern wegen des Menschengedränges auch gar nicht möglich.
Ziel ist jetzt aber erst einmal das Hotel; von unterwegs ist ein Zimmer im Hotel am Fischmarkt reserviert. Es liegt mitten in der Altstadt, für die Räder gibt es einen Platz unter einem Vordach. Ein altes Haus, das Zimmer ist winzig; Toilette an der Rezeption vorbei auf dem Flur, Dusche auch, aber mit den gestellten Bademänteln für müde Wanderer kein Problem.
Es ist früh genug, um noch vor dem Essen schnell einen Blick in das Münster zu werfen. Den zwei stumpfen Türmen und der Maßwerkspitze in der Mitte ist anzusehen, dass diese Kirche und ihre Ausstattung im Laufe der Jahrhunderte viele Veränderungen erfahren hat; es lohnt, die Details zum Beispiel in Wikipedia nachzulesen.
Die geschnitzte Kanzel trägt Skulpturen der Apostel.
Die Kanzel ruht auf dem Kopf einer weiteren Skulptur.
Urvater Abraham trägt die Kanzel als Vertreter des Alten Bundes, auf dem die Lehre der Evangelisten und des Neuen Bundes aufbaut. Diese Bedeutung der Skulptur aus dem 17. Jahrhundert wurde später vergessen. In dieser Kirche war Jan Hus 1415 als Ketzer zum Tode verurteilt worden, im 18. Jahrhundert hielten die Konstanzer die Skulptur für ein Abbild von Hus, bespuckten sie und bearbeiteten sie mit Nägeln.
So viel Konstanz auch zu bieten hat, nach dem Blick in das Münster geht es zunächst ums Essen. Das Wetter ist zu schön, um drinnen zu sitzen, und beim Gang durch die Altstadt findet sich ein Tisch vor dem Lokal.
Der Service ist nicht der schnellste, aber man kann entspannt draußen sitzen und zuschauen, wie sich die Sonne in der Gasse verabschiedet.
In der beginnenden Dämmerung ist noch Gelegenheit zu einem kurzen Rundgang.
Revolutionäre hat es hier gegeben, man mag es in dieser Stadt kaum glauben, wo die ersten Eindrücke eher südländisch-freundlich sind; vom Balkon des Konstanzer Stadthauses soll Friedrich Hecker 1848 die Republik ausgerufen haben.
An der Wand gegenüber geht es nicht um Sozialismus und Republik, sondern um ganz andere Probleme.
Die Altstadt leert sich um diese Zeit, aber am Hafen ist noch viel Betrieb.
An dem milden Sommerabend genießen viele Menschen die Atmosphäre am Hafen. Die schöne Imperia, Titelfigur einer köstlichen Kurzgeschichte von Balzac zum Konstanzer Konzil 1414-1418, dreht sich leuchtend über dem Wasser; ihr gegenüber steht das Konzilgebäude, in dem sich jetzt ein Restaurant befindet.
Das Hotelzimmer ist heiß, unter dem Fenster sind alle Tische besetzt; nach einem vollen Tag können die beiden Radler trotzdem schlafen.
(Die vorhergehende Etappe dieses Reiseberichts finden Sie hier, und hier geht es zur Fortsetzung am nächsten Tag.)