Von Kressbronn nach Hard
(Fortsetzung von Rad-Reisen: Donau-Bodensee IV. Zum Startpunkt der Reise in Ulm geht es hier.)
Heute gibt es wenig zu fahren, dafür viel zu sehen: So schön der Weg von Ulm bis Kressbronn gewesen war, so langweilig ist er nach Südosten um den See; hier ist nicht die Landschaft interessant, sondern die Architektur. Das Frühstück in Buchers Gästestube hat der Redefluss der alten Dame begleitet, die Abfahrt nach Gattnau und weiter herunter führt entspannt in ein überhaupt nicht sehenswertes Kressbronn. Der Ort leidet durch die alte Straße und die Eisenbahn, und auch der Uferbereich am Schiffsanleger hat keinen wirklichen Charme. Das Seeufer ist recht dicht besiedelt, die Radroute führt über kleine Sträßchen, die eher an eine Vorortsiedlung erinnern als an eine Seelandschaft.
Erstes Zwischenziel ist Wasserburg. Am Ende der Wasserburger Bucht ist aus der Ferne erst einmal nur ein Kirchturm zu sehen, aber aus der Nähe erweist sich die schmale Landzunge als sehenswert.
Schloss, St. Georg-Kirche, Pfarrhaus und Gericht bilden ein schönes Ensemble, an dem man nicht vorbei fahren sollte. Die Fugger haben hier ihre Spuren hinterlassen, haben angebliche Hexen im Gerichtsgebäude eingesperrt und die ursprüngliche Insel durch einen Damm mit dem Festland verbunden.
Schnell ein Blick in die Kirche, den barocken Hochaltar registriert und an anderer Stelle die kleine kitschig-bunte Pietà, liebevoll mit frischen Sonnenblumen dekoriert.
Auf der Westseite hat sich vor den historischen Gebäuden ein kleiner Ramschmarkt aufgebaut, aber direkt neben der Seebrücke mit Schiffsanleger findet man Kunst!
Eine goldene Münze als Fährlohn zwischen den Zähnen, so ist der Tote gut vorbereitet für die Überfahrt über den Styx – oder war es doch der Bodensee?
Das Pfarrhaus hat seine eigene Bootszufahrt.
Lindau ist nicht mehr weit, aber die Wegweisung meint es nicht gut mit den Radlern. Der Weg ist gesperrt, und so fahren sie unfreiwillig Umwege, bis sie endlich die Insel vor sich liegen sehen.
Verschlungene Wege führen schließlich auf den Marktplatz der Insel.
Ein guter Platz, um die Fahrräder anzuschließen und von hier aus in Ruhe die Insel zu erlaufen! An den Marktplatz grenzt das „Haus zum Cavazzen“, die bemalte Fassade kontrastiert wunderlich mit dem bunten Plakat der Macke-Ausstellung.
Am alten Rathaus vorbei – dem die Bauarbeiter ein schmuckes Dixi-Klo vor die Fassade gestellt haben – führt der Weg durch die rummelige Maximilianstraße erst einmal zur Peterskirche.
Die ehemalige Fischerkirche ist heute Gedenkstätte, der schlichte Innenraum hat mit seiner Gestaltung und seinem Licht eine beeindruckende Wirkung.
Auch die alten Fresken in der Peterskirche sind einen Blick wert.
Touristen zieht es von hier zum Hafen, hier ist es schön – und furchtbar touristisch.
Auf der Hafenpromenade ballen sich die Touristenströme, Café an Café, alle paar Meter steht oder sitzt jemand und möchte Geld für seine Musik oder seine Kunststücke. Trotzdem bleibt es ein ganz besonderer Ort, er lädt ein zu bummeln, zu verweilen, zu beobachten.
Im Hafen sind neben den kleinen Sportbooten die Ausflugs- und Fährschiffe unterwegs, und wer will, kann sich auf dem „Salon-Dampfboot Felicitas“ herum schippern lassen, das nach alten Plänen nachgebaut wurde.
Die Vegetation erinnert daran, dass der Bodensee sein eigenes mildes Klima hat – auch wenn es an diesem Tag nicht sehr sonnig ist.
Neben all dem Café-Gewusel müssen auch die Kinder beschäftigt werden, die anderes im Kopf haben als Sightseeing.
Ob die Stadtväter und -mütter wohl diese Verwendung der Plastik im Auge hatten?
Lindau bietet nicht nur den Hafen-Rummel. Bevor die Radler sich an die Weiterfahrt machen – die Übernachtung in diesem Touristen-Brennpunkt ersparen sie sich lieber -, sind noch das Münster Unserer Lieben Frau und die Stephanskirche mit ihrer reformatorisch-schlichten Rokoko-Ausstattung einen Blick wert.
Und auf geht’s! Die Strecke von Lindau nach Bregenz hat den Charme eines Industriegebiets, aber es ist zum Glück nicht weit. Auch die Seestraße, die Bregenzer Hauptstraße parallel zur Bahnstrecke unten am See, hat wenig Einladendes. Der Radwanderführer weist nach oben, die Herz-Jesu-Kirche wird als Sehenswürdigkeit aufgezählt – ein offensichtlicher Irrtum, wie die Radler nach steilem Anstieg feststellen.
Dann eben zum Martinsturm, dem Wahrzeichen in der Oberstadt! Der liegt ein Stück weiter auf der Höhe, hinter ihm auf einer Art Plateau eine kleine in sich geschlossene Siedlung, der alte Stadtkern; der Martinsturm ist ein Überbleibsel der alten Stadtbefestigung aus dem 13. Jahrhundert.
Hier ist es steil, Treppen führen zwischen Mauern herab; auf der anderen Seite geht es wieder hoch zu St. Gallus.
Dem Minnesänger Graf Hugo von Montfort ist ein Denkmal errichtet, schmachtenden Blickes greift er in die Zither; auf dem Sockel unter ihm ein nüchternes Schildchen „Trinkwasser“.
Nah dabei der Martinsturm, ein massiger viereckiger Turm, angeblich frühestes Beispiel des Barock im Bodenseeraum mit der größten Turmzwiebel Mitteleuropas. Die oberen Etagen des Wohnturms und (nach späterem Umbau) Prunkgebäudes sind nur über eine hölzerne Treppe außen zu erreichen, im Erdgeschoss hält er einen beeindruckend schlichten Raum für die Besucher bereit.
Weiter geht’s zur Seebühne.
Jetzt am Nachmittag sind hier noch die Schulklassen und einige Touristen unterwegs, um sich Bühne und Zuschauerränge anzusehen. Für Carmen am Abend sind fast keine Tickets mehr erhältlich.
Vor dem Eingang kokettiert man mit Literatur, aufgemacht als riesige Plakatständer, und auf dem Vorplatz haben es sich ein paar Leute bequem gemacht rund um einen flachen alternativen Bodensee.
Es wird Zeit, sich um Quartier für die Nacht zu kümmern. In Hard, kurz hinter Bregenz, sind eine Reihe von Zimmern verfügbar; nach den Auskünften am Handy scheint die Pension Köhlmeier ruhig gelegen zu sein und bekommt den Zuschlag. Auf dem Weg dahin gibt es noch das Kloster Mehrerau zu besichtigen.
Besonders sehenswert sei die Klosterkirche, schreibt der Radwanderführer, und das ist sie auch. Allerdings enthält der Wikipedia-Beitrag zu Mehrerau neben einer wechselvollen Geschichte und Prozessen um sexuellem Missbrauch keinen Hinweis auf diese neue Kirche, sollte es dafür einen Grund geben?
In einem betongrauen turnhallenartigen, schmucklosen Raum (der Konvent der Zisterzienserabtei nennt es „erhabene Schlichtheit“) gibt es mit der Mehrerauer Gnadenmutter ein Schaustück, das mit Beleuchtung effektvoll inszeniert ist. Umso heftiger die Erschütterung, betrachtet man genauer die Fassade der Kirche.
An der Fassade ist die „Vision der apokalyptischen Frau aus der Offenbarung des Johannes“ in Beton gegossen. Unter grauem Himmel wirkt der angeschmutzte Beton schäbig, der kahle Vorplatz und die Treppe eher abweisend, und der Eingang verbirgt sich wie eine dunkle Höhle – ein heftiger Kontrast zu der benachbarten Barockarchitektur.
Von hier ist es nur noch ein Katzensprung über die Bregenzer Ach nach Hard, die Pension Köhlmeier ist schnell gefunden. Sie ist zweckmäßig-schlicht-sauber, für die Räder gibt es einen sicheren Platz. Die Gastronomie in Hard ist überschaubar, teilweise geschlossen oder übervoll, so wird es das China-Restaurant am Bootshafen. Zum Drinnen-Sitzen ist den Radlern nach nur 33 Kilometer Fahrtstrecke noch nicht zumute, aber wirklich angenehm ist die Temperatur auch nicht mehr, von drohenden Wolken ganz abgesehen.
Also geht es nach dem Essen noch einmal zurück zum Italiener, der jetzt freie Plätze hat: Einen italienischen Kaffee zum Aufwärmen am Abend.
(Die vorhergehende Etappe dieses Reiseberichts finden Sie hier, und hier geht es zur Fortsetzung am nächsten Tag.)