Frankreich im Herbst IV

Die letzten Luberon-Trauben (Foto: Klare)
Die letzten Luberon-Trauben (Foto: Klare)

Luberon

Schlechtes Wetter ist angesagt. Dieser eine graue Tag ist der ideale Reisetag, um sich von La Roche-sur-Grane zu verabschieden. Vorräte sind eingekauft (Jambon de Bayonne, Comté und Schafskäse, Rotwein: ein Côte du Rhône aus Laudun) – eine kleine Odyssee, in den Dörfchen gibt es keine Läden, der nächste Supermarkt ist 12 km entfernt in Crest. Zum Frühstück also die Frage: wohin? Die Wahl fällt auf den Luberon, genauer gesagt den südlichen Luberon: Cucuron, ein Nest südlich des Luberon-Gebirges.

Der Chef der Magerie freut sich über unser Lob (nichts verändern, das ist hier etwas ganz Besonderes! Und die Gäste gehen so angenehm miteinander um!), und wir rollen mal wieder über die allerschmalsten Straßen weiter. Über den Berg, durch die ländliche Ebene – das Postauto kann zum Glück ausweichen, die Fahrbahn ist nur so breit wie der Wohnwagen – und schließlich hinter Montélimar wieder Autobahn. Der Himmel wird immer grauer und feuchter, wir hören den Rest von Disches Großmama, Hannelore Hoger liest vom Leben und vom Tod.

Was da so entspannt reist, wird durch ein plötzliches Ärgernis erschüttert. Becker Map-Pilot, das im Auto eingebaute Navi spielt verrückt. Mal wieder, muss man sagen. In Charleval lotst es in ein Wohnviertel, das für sich allein ist noch nicht verdächtig. Auf den ersten 1.000 Kilometern dieser Reise kam das schon vor, es führte problemlos zum Ziel. Aber jetzt sitzen wir in der Sackgasse, und das Navi fordert immer noch dazu auf, einfach weiterzufahren, mit dem Auto durch die Wand, wo seit Jahren eine massive Mauer im Weg steht. Mit dem Gespann wenden, es geht gerade noch, und Google Maps kennt den richtigen Weg, aber: Misstrauen ist angesagt. Und Zorn: können die für das viele Geld nicht mal ein anständiges Navi in ihre Autos einbauen?

Misstrauen ist auch angebracht bei der Auswahl des Campingplatzes. Wir sind zwar nicht weit gefahren, aber wir wollen es ganz langsam angehen lassen und in Cucuron bleiben. Wir fahren den ersten Camping an und wenden uns mit Grausen. Der Platz könnte ja ganz nett sein, wenn: Die einzelnen Stellplätze sind eng und dicht belegt. Es muss sich um den Geheimtipp in einem holländischen Campingführer handeln. Schnell weg! Nur so schnell wie gedacht funktioniert das nicht. Ein accident en route, der Wagen hat einen Telegrafenmasten getroffen, liegt als Wrack quer über die Straße und versperrt den Weg. Zehn Meter vorher geht links ein Weg – wieder so ein ganz schmaler – in die Landwirtschaft, ein Ortskundiger schickt uns hinein: geradeaus, links, rechts, das gehe. Wir wagen es. Rumpeln an einsamen Häusern vorbei, im Hohlweg kommen wir mit dem Wohnwagen gerade so um die Ecke, und tatsächlich landen wir am Ende wieder auf einer richtigen Straße.

Ankunft unter grauem Himmel: Le Plan (Foto: Klare)

Ankunft unter grauem Himmel: Le Plan (Foto: Klare)

Ein kleiner Wegweiser an der Seite: Camping Le Plan. Die deutschen Camping-Führer kennen ihn nicht, nur der französische erwähnt ihn. Wir stoppen vor einem offenen Tor. Kein Schild, wir blicken in eine tiefe dunkle Einfahrt, am Ende ein Haus. Sollte das richtig sein? Der Regen hat aufgehört, wir gehen zu Fuß zum Haus, gehen drum herum. Keine Klingel, aber drinnen sitzt ein alter Mann im Sessel. Als wir uns ratlos weiter umsehen, öffnet er freundlich, ja, wir sollen uns einen Standplatz aussuchen.

Unter grauem Himmel eine sonnenverbrannte große Camping-Wiese, dahinter das Bauernhaus (Foto: Klare)

Unter grauem Himmel eine sonnenverbrannte große Camping-Wiese, dahinter das Bauernhaus (Foto: Klare)

Und davon gibt es genug. Zwei Wohnwagen sehen wir, solo auf einer großen sonnenverbrannten Wiese, dahinter ein Weinfeld. An den Reben der vorderen Reihe hängen noch dunkelrote Trauben, alles andere ist schon abgeerntet. Der Boden: nur Schotter, rotbraune Steine, die nachts die gespeicherte Wärme des Tages an die Reben abgeben.

Camping im Sommer: nur im Schatten unter diesen Bäumen (Foto: Klare)

Camping im Sommer: nur im Schatten unter diesen Bäumen (Foto: Klare)

Wir sehen uns um: der eigentliche Campingplatz ist nicht die Wiese, sondern der Wald dahinter. 15 Plätze für Camper hat die Präfektur hier zugelassen, bis Ende Oktober. Im Sommer wird es so furchtbar heiß, dass man nur im Schatten der Bäume campen kann; bei grauem Himmel sind diese Plätze düster. Jetzt im September haben wir nichts gegen Sonne und entscheiden uns für die Wiese.

Das Mehrzweck-Häuschen (Foto: Klare)

Das Mehrzweck-Häuschen (Foto: Klare)

Wer „Camping auf dem Bauernhof“ sagt, muss auch „kein Komfort“ sagen. Am Rand der Wiese steht ein multifunktionales Häuschen: kalte Dusche, Toilette, Spülbecken und zwei Steckdosen. Etwas weiter unter den Bäumen gibt es ein ganz normales Sanitärgebäude, alt und schlicht, mit warmen Duschen, das wesentliche funktioniert. Im Übrigen ist man auf sich gestellt: kein WLAN, keine Croissants am Morgen, kein gar nichts.

Le Plan: Das Bauernhaus (Foto: Klare)

Le Plan: Das Bauernhaus (Foto: Klare)

Der Rundgang zeigt ein ansehnliches verwinkeltes Bauernhaus aus Bruchsteinen, die Reste einer ehemals funktionierenden Landwirtschaft, davor ein abgedecktes Schwimmbecken.

Stillleben auf der Camping-Wiese (Foto: Klare)

Stillleben auf der Camping-Wiese (Foto: Klare)

Beim Weitergehen stolpert man mitten auf der Camping-Wiese über einen großen Knochen. Wirklich sehr ländlich hier!

Einen Tag später: Die Sonne läßt die Landschaft leuchten (Foto: Klare)

Einen Tag später: Die Sonne läßt die Landschaft leuchten (Foto: Klare)

Über Nacht kommt heftiger Wind auf, der Mistral vertreibt die Regenwolken und lässt den südfranzösischen Himmel mit seinem ganz besonderen Blau leuchten. Kein Wunder, dass vor mehr als 100 Jahren die Maler hier die Farben gesucht haben. Heute streichen die französischen Anstreicher immer noch dies Blau auf die Fensterläden.

Pinie und Oliven (Foto: Klare)

Pinie und Oliven (Foto: Klare)

Wir genießen die Ruhe. Sehen zu, wie verlorene Camper den Platz inspizieren und weiterfahren: zu einfach hier, kein Schickimicki.

Wir gehen eine erste Runde durch die Landschaft, freuen uns an mächtigen Solitär-Pinien – die mit den riesigen Zapfen! – und Oliven, auch Mandeln wachsen am Wegesrand, und natürlich Wein, überall Wein. Wie geht das überhaupt in dieser Landschaft, die kaum Wasser hat, in der jeden Sommer Wassernotstand ausgerufen wird bei Temperaturen bis über 40°C? Manche Weinfelder haben Lücken, knorrige Reben sind nur noch vertrocknete Strünke, und daneben grünt es auf Teufel komm raus.

Bewässerungsanlagen für den Wein (Foto: Klare)

Bewässerungsanlagen für den Wein (Foto: Klare)

Technik macht’s möglich. Die Reben bekommen das Wasser per Schlauch direkt auf die Füße. Ein Akt der Verzweiflung, möchte man sagen: Wein aus dem Luberon ist nicht gerade der Spitzenreiter auf der Qualitätsrangliste, auch wenn es seit dreißig Jahren eine Appellation d’origine contrôlée (AOC) Luberon gibt. Wer hier Wein anbaut, liefert entweder Tafeltrauben zum Essen an die Supermärkte oder produziert relativ einfachen Wein. Wenn dann die Natur nicht mehr mitspielt – 2017 war es in der Region von Juni bis August trocken – und mit Bewässerung nachgeholfen werden muss, kommen harte Arbeit und sehr begrenzte Einkommen zusammen. Mit der Provence-Romantik der Reiseprospekte hat das nichts zu tun. Selbst die Lavendelfelder der Postkarten sind weitgehend aus der Wirklichkeit verschwunden; wer einmal die Arbeiter in glühender Hitze bei der Pflege gesehen hat, kann sich Gründe vorstellen. Und auch die Vorstellungen von ländlicher Weinlese, mit der Schere in der Hand und der Trage auf dem Rücken, kann man getrost vergessen; erst kommt der Trecker mit dem „Rasierapparat“ und beschneidet das Weinlaub, danach kommt der Ernteroboter.

(Wer eine ähnlich schlichte Alternative in der Nähe sucht: Camping à la ferme Lou Rouvamagi, 6 Stellplätze, Esel für Wanderungen.)

(Fortsetzung)