Die Infrastrukturgesellschaft und die Autobahnbaustellen

Ein bürokratischer Dinosaurier

„Investitionen beschleunigen und beim Ausbau überregionale Schwerpunkte absichern“ – die Westfälischen Nachrichten (1.5.2018) berichten über das Autobahn-Chaos und garnieren das Desaster mit ein paar offiziellen Euphemismen. Aber Vorsicht, wir reden hier nicht über kaputte Brücken und Schlaglöcher; wir reden über Verwaltungsstrukturen und Machtansprüche von Ministerien.

Aktuell werden neue Bürokratien geschaffen. Wo vor Jahren das Hohelied der Privatisierung gesungen wurde, schlägt das Pendel gerade mal in die andere Richtung aus. Nordrhein-Westfalen hat vor fast 20 Jahren den Anfang gemacht, als Clement – ja wer kennt den denn noch? – als Landesministerpräsident seine Partei erpresste und die ehemals kommunal organisierte Straßenbauverwaltung verstaatlichte. Mehr Staat, mehr Zentralisierung, der Gedanke fand auch in Berlin offene Ohren. Eine Infrastrukturgesellschaft in der Form einer bundeseigenen GmbH kommt jetzt, sie soll zentral organisiert von Berlin aus alle Autobahnen in Deutschland planen, bauen und unterhalten; das nötige Personal möchte sie von den Bundesländern übernehmen, die bislang den Job im Rahmen der Auftragsverwaltung gemacht haben. Vorgesehen sind zudem zehn regionale Niederlassungen mit Außenstellen. Und natürlich muss die Infrastrukturgesellschaft kontrolliert werden, dazu soll es eine neue Aufsichtsbehörde geben, das Fernstraßen-Bundesamt in Leipzig mit vier Außenstellen in Hannover, Bonn, Gießen und an einem vierten Standort im Süden.

Was soll’s bringen?

Jede Änderung von Strukturen kostet zunächst einmal Effizienz. Der ganze Laden muss sich neu sortieren, unzählige Anlauf- und Übergangsprobleme müssen gelöst werden. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt, die Bauingenieure und Straßenwärter müssen von den Landesverwaltungen weg in die GmbH gelockt werden, und die GmbH muss eine zentrale Steuerung für diesen riesigen Verwaltungskoloss aufbauen. Unternehmensberater sollen dabei helfen, mindestens 24 Millionen Euro werden allein diese Aufträge verschlingen. Und dann?

Wer Investitionen beschleunigen will, muss sich zwei Fragen stellen lassen. Die erste Frage ist, ob eine Beschleunigung überhaupt nötig ist. Bei Autobahnen wie Bundesstraßen kommen die Planungsaufträge und das Geld vom Bundesverkehrsminister. In Abstimmung mit dem Parlament regelt er, wohin das Geld fließen soll, das der Bundesfinanzminister zur Verfügung stellt. Über Beschleunigung muss man dann reden, wenn das Geld vor Ort nicht umgesetzt werden kann – da braucht Nordrhein-Westfalen sich bisher nicht zu schämen, wenn Geld da war, wurde es auch verbaut.

Das zweite Fragezeichen bezieht sich auf die Möglichkeiten, Straßenbauprojekte zu beschleunigen. Münsteraner kennen das Thema aus eigener Anschauung: Wie lange hat es gedauert, die Ortsumgehung Wolbeck oder den Ausbau der Umgehungsstraße in Mauritz von der Planungsidee bis zur Verkehrsfreigabe zu bringen? Jahrzehnte kann es in einem Rechtsstaat dauern, Planungen in Bedarfs- und Ausbauplänen zu priorisieren, Entscheidungen der Parlamente sind dafür erforderlich (und werden es auch in Zukunft sein). Dann muss entschieden werden: Ist das Projekt zusammen mit vielen anderen nicht finanzierbaren Projekten nur proforma in den Plan aufgenommen worden, um zum Beispiel einem wichtigen Abgeordneten gefällig zu sein, aber in Wirklichkeit eine Karteileiche? Dann steckt keine vernünftige Verwaltung, aber auch keine Infrastrukturgesellschaft Geld in die Planung. Denn Planung bindet Kapazität und kostet einfach Geld, ob man nun selbst plant oder einen Auftrag an ein „freies Büro“ formuliert, ausschreibt und vergibt (die Vergabeordnung muss eingehalten werden).

Wenn das Projekt dann wirklich angefasst wird, dann dauert es erst recht. Denn die technische Straßenplanung muss Rücksicht nehmen auf alle anderen öffentlichen Belange – das sind nicht wenige. Umweltschutz, d.h. europaweit verbindliche Standards müssen eingehalten werden, die Kommune muss mitspielen genauso wie die betroffenen Grundeigentümer, usw. usw.. All diese Belange sind abzuwägen, der Planfeststellungsbescheid legt schließlich fest, was und wie gebaut werden darf. Daran können sich noch Klageverfahren anschließen, auch das dauert. Und wenn der Planfeststellungsbescheid bestandskräftig ist, braucht es Ausführungsplanung und Ausschreibung der Bauaufträge. Die reine Bauzeit macht am Ende noch den kleinsten Anteil der Gesamtlaufzeit aus, und auch hier sind die Einflussmöglichkeiten begrenzt: Hat die Bauindustrie nach Jahrzehnten des Personalabbaus überhaupt die Kapazität für einen temporären Bauboom? Ist der Bundesverkehrsminister bereit, die Zuschläge für Nachtarbeit zu bezahlen? Im Hintergrund steht der Bundesrechnungshof mit kritischem Blick.

Langer Rede kurzer Sinn: Viele Teilschritte eines Planungs- und Bauprojektes brauchen einfach ihre Zeit, große Projekte brauchen Jahrzehnte. Das steht in einem scharfen Kontrast zu den Besonderheiten der Steuerung durch den Bundesverkehrsminister. Der ist daran gebunden, wie viel Geld im Haushalt zur Verfügung steht – und das wechselt kurzfristig von Jahr zu Jahr, da sind Sprünge um 100 Prozent keine Besonderheit. Wer also als Bundesverkehrsminister im Jahr 2015 fünf Milliarden und im Jahr 2019 zehn Milliarden Euro für den Straßenbau ausgeben will, der muss 20 Jahre vorher die entsprechenden Planungsaufträge erteilt haben. Hat er aber nicht, weil 1999 kein Geld da war, und weil 1999 alle Verwaltungen Personal abbauen mussten – eben weil kein Geld da war.

Die große Beschleunigung entpuppt sich also beim näheren Hinsehen als Papiertiger. Und sie bleibt es, weil aktuell auch keine Bauingenieure auf dem Markt verfügbar sind, die man zusätzlich einstellen und mit der Planung schneller kleiner Projekte beauftragen könnte.

Das ganze Projekt der Infrastrukturgesellschaft leidet an seiner eigenen Entstehungsgeschichte. Die ist so lang wie die Planung einer Autobahn und reicht zurück in die Zeiten, als „privat vor Staat“ schick war. Die GmbH sollte das Vehikel sein, um sich von den schwankenden Steuereinnahmen unabhängig zu machen und Banken, Bauindustrie und Kapitalanleger mit ins Boot zu holen. Dieser Ansatz ist in der jahrelangen politischen Diskussion auf der Strecke geblieben. Geblieben ist die GmbH, ein Dinosaurier aus längst vergangenen Zeiten.

Ach, nicht zu vergessen: Das aktuelle Chaos beruht auf handwerklichen Fehlern des Bundesverkehrsministers. Die Verfassung muss für die GmbH noch einmal geändert werden. Aber wenn so ein Projekt erst einmal auf der Schiene ist…

(Aktualisiert am 2.5.2018.)