Das Internet als Mobbing-Plattform
Langsam kommt eine Diskussion in Gang, die so keiner voraus gesehen hatte. Vor 25 Jahren waren es ein paar Pioniere, die die Grundlagen für das heutige Internet entwarfen. Das Wissen der Welt für Alle zugänglich machen, Fachdiskussionen über alle Grenzen hinweg, das war ein schöner Traum.
Heute fragen sich die Pioniere von damals, was sie angerichtet haben. Fake-News sorgen für Aufruhr, das Web wird als Waffe in der modernen Kriegführung verstanden und genutzt; einige wenige Großunternehmen spionieren uns aus und sammeln mehr Daten über jeden Einzelnen, als es sich die Geheimdienste früher hätten träumen lassen. Big Brother, Orwells Vision – längst Wirklichkeit.
Im Alltag sind wir es inzwischen gewohnt, tausenderlei Beurteilungen im Internet zu suchen. Selbst wer nicht bei Amazon einkauft – eine der Daten-Kraken -, schaut doch mal schnell auf die Bewertungen: Werde ich ein Problem bekommen mit dem Produkt meiner Wahl? Aber so hilfreich das zu sein scheint, so unübersehbar sind die Probleme – nicht mit dem Produkt, sondern mit den Beurteilungen. Das fängt an mit den Lobeshymnen, weil der Versender eine hübsche Verpackung genommen hat und dhl schnell geliefert hat, die klickt man als Müll weg. Aber schnell stößt man auf weit schwerwiegendere Punkte. Da wird unkundig bewertet, grob fahrlässig mit dem beurteilten Produkt umgegangen und super-subjektiv geurteilt; dem einen ist die Kaffeemühle zu laut, der andere lobt sie als besonders leise. Böswillig wird bewertet, mancher Troll ist unterwegs und erfüllt seinen Auftrag, Produkte seines Auftraggebers zu loben.
Nicht nur bei den Produktbewertungen, sondern ganz allgemein ist der Ton rau geworden. Das gilt nicht nur für die sozialen Netzwerke, die Schmähungen aller Art verbreiten. Bewertungsportale für Dienstleistungen sind entstanden, nicht nur für die Gastronomie, sondern auch für weit anspruchsvoller zu beurteilende Tätigkeiten. Den Investoren, die hinter solchen Portalen stehen, geht es nicht um Meinungsfreiheit und selbstlose Hilfestellung, sondern ganz schlicht um Profit. Wer im Portal werben will, muss zahlen. So kassiert Jameda zum Beispiel ganz kräftig, wenn niedergelassene Ärzte mit Foto und ergänzendem Text „gut aussehen“ wollen.
Jameda ist ein übles Beispiel für diese Branche. Beurteilungen werden anonym und ohne jede Kontrolle veröffentlicht, jeder kann sich hier austoben und schreiben was er will. In einem konkreten Fall verteilt der anonyme Beurteiler schlechte Noten für ärztliche Leistungen, obwohl er nie in der Praxis gewesen ist. Nur durch Zufall bekommt der Arzt das mit und kann die Spur verfolgen, wendet sich an Jameda mit der Bitte um Löschung.
Und dann: Jameda lässt sich Zeit, lässt sich sehr viel Zeit. Zwei Monate vergehen, bis Jameda sich meldet und dem Arzt die Stellungnahme des böswilligen Beurteilers zuschickt. Er könne keinen Nachweis hochladen, da er keine Behandlung erhalten habe, schreibt der anonyme Beurteiler jetzt; er hat dem Arzt zwei Monate vorher schlechte Noten erteilt für Behandlung, Aufklärung, Vertrauensverhältnis usw.. Einen weiteren Monat will Jameda sich nun nehmen für die Entscheidung, ob diese Falschbewertung endgültig gelöscht wird.
Ist allein schon dieser Zeitablauf eine Zumutung – ein Vierteljahr Bearbeitungszeit für den eindeutigen Fall einer Böswilligkeit! -, kommt es doch noch ärger.
Jameda zeigt im Profil dieses Arztes in der Zwischenzeit einen Platzhalter: Die Bewertung vom 19.2.2018 sei nicht online, weil der Arzt sie für rechtswidrig halte.
Etwas bleibt immer hängen, heißt es im Sprichwort, und genau damit will Jameda offensichtlich Ärzte abschrecken. Nicht an Jameda zahlen und sich dann noch gegen böswillige Beurteilungen wehren? Das geht gar nicht, meint Jameda wohl, dann setzen wir dem Doktor doch auf die subtile Weise zu. Denn was schließt der unbefangene Nutzer aus diesem Platzhalter-Hinweis? Der Doktor muss doch Dreck am Stecken haben, wenn er sich gegen seinen eigenen Patienten wehrt!
Und genau so reagiert der nächste böswillige Beurteiler. Unter all den 1,0-Bewertungen taucht wieder einer auf, der für alle Bewertungskriterien (Behandlung, Aufklärung, Vertrauensverhältnis usw.) schlechte Noten vergibt – und geradezu unverschämt offen bekennt „Ich habe [den Arzt] nicht kennengelernt, da ich während der Wartezeit wieder gegangen bin.“ Und was schreibt dieser Beurteiler noch? „… wird nun wohl auch meine Bewertung löschen lassen.“
Nun, der Arzt wird diese Bewertung nicht löschen lassen, sie disqualifiziert sich selbst. Auch Jameda disqualifiziert so etwas. „Diese Bewertung ist die subjektive Meinung eines Patienten und nicht die der jameda GmbH“ schreibt Jameda scheinheilig unter die veröffentlichten Bewertungen. Aber auch mit solchen billigen Freizeichnungsklauseln kann Jameda einen Eindruck nicht verwischen: Jameda geht nicht verantwortungsvoll mit den auf dem Portal veröffentlichten Bewertungen um. Hier findet noch nicht einmal ansatzweise eine Plausibilitätsprüfung der Bewertungen statt. Wer nicht beim Arzt war, kann den Arzt nicht beurteilen. Wer böswillige Bewertungen ohne Grundlage veröffentlicht, macht sich zum Handlanger. Und wer die böswillige Schlecht-Beurteilung nach der formellen Beanstandung durch den betroffenen Arzt in anderer Form stehen lässt – denn nichts anderes als eine Schlecht-Beurteilung ist der Platzhalter-Hinweis -, legt noch einen oben drauf.
Kommentare
Dr. Peter Gorenflos #
Das Echtheits-Postulat der Bewertungen durch Jameda und seine Pressesprecherin Kathrin Kirchler ist eine gezielte Desinformation. Wie „gefaket“ diese Bewertungen sind, beweist eine WDR Sendung vom 8.11.2017 und eine RBB Sendung vom 7.5. diesen Jahres. Beliebige Passanten einer Einkaufsstraße in Köln und Berlin haben Ärzte bewertet, die sie gar nicht kannten, und diese Bewertungen sind im Profil der Ärzte tatsächlich veröffentlicht worden.
Wenn Jameda die Echtheit ernst meinen würde, dann würde man bei jeder Bewertung einen Behandlungs-Nachweis verlangen. Das ist ganz einfach: man legt der Bewertung ein Smartphone-Foto von einem Rezept, einer Krankschreibung oder einer Überweisung bei und bei Nachfrage des betroffenen Arztes/Zahnarztes leitet man es anonymisiert an diesen weiter. Bewertungsfabriken sind nur die Spitze des Eisberges und wenn Jameda gegen diese vorgeht, macht man sich nur vom Bock zum Gärtner. Denn der ZEIT-Artikel vom 18.1.2018 legt nahe, dass nicht nur die Bewertungsdurchschnitte von Jameda manipuliert werden, er legt auch nahe, dass zahlende Kunden selbst für zahlreiche Positiv-Bewertungen sorgen. Das merkt man u.a. auch an der Einförmigkeit, der Standardisierung der Texte. Jameda kann also kein Interesse an der Echtheit der Bewertungen haben. Das wäre nicht im Interesse seiner Kunden, die ihren Ruf aufpolieren (lassen), nicht im wirtschaftlichen Interesse des Portals, dass von seinen Kunden lebt. Natürlich können das auch zwangsrekrutierte Kollegen im Portal tun und sei es aus Notwehr. Aber die Anzahl der schlechten Bewertungen – darin liegt der eigentliche Schlüssel der Bewertungsdurchschnitts-Manipulation – verringern sie nur signifikant, wenn sie „Schutzgeld“ bezahlen, wie das die Rechtsanwältin von Astrid Eichhorn formulierte. Es hilft alles nichts: Bewertungsportale und Werbeportale müssen getrennt werden. Andernfalls kommt das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) zur Anwendung, wie das der ehemalige Vorsitzende des Bundesgerichtshofes, Wolfgang Büscher, in seinem wegweisenden Artikel „Soziale Medien, Bewertungsplattformen & Co“ (Kapitel 3, S. 8 ff, GRUR Prax, 2017) formuliert. Wenn sich Jameda daran nicht hält und statt dessen Patienten täuscht und Kollegen korrumpiert, dann muss Jameda zerschlagen werden.
Es ist unerheblich, ob ein Patient sieht, ob ein Arzt Jameda-Kunde ist, obwohl das sehr einfach wäre. Entscheidend ist, dass Jameda Bewertungsdurchschnitte zugunsten seiner Kunden und auf Kosten der Zwangsteilnehmer manipuliert und damit Patienten flächendeckend täuscht. Bewertungen und Werbung müssen strikt getrennt werden. Andernfalls muss Jameda zerschlagen werden!
Die Frist für Kommentare zu diesem Artikel ist abgelaufen.