nebenan.de – Klaus von der Marktallee oder die Nachbarn von der Bodelschwinghstraße
Diesmal sind es nicht die Nachbarn von der Bodelschwinghstraße. Stephan und Alexandra aus der Bodelschwinghstraße wollten 2017 die Tüte Mehl bei uns ausleihen, 2016 hatten sie schon einmal bei uns angeklopft. Offensichtlich haben sie jetzt genug Mehl im Schrank. 2022 läuft die Werbung für die Internet-Plattform nebenan.de aber immer noch nach demselben Muster, „Klaus aus der Marktallee“ wird diesmal als Absender präsentiert. Es ist fast derselbe Werbezettel wie 2017. Graues Papier, Layout und Text fast identisch, als Absender präsentiert sich ein angebliches „Sozialunternehmen“ (was soll das denn sein?) und promotet eine „kostenlose Online-Plattform zum nachbarschaftlichen Austausch“. 2017 waren in „Hiltrup-Mitte“ angeblich schon 120 Nachbarn mit dabei, 2022 angeblich 429. So recht in die Gänge kommt das Projekt wohl nicht – oder soll mit den kleinen Zahlen nur das Image des Selbstgemachten, in Eigeninitiative der Nachbarschaft Entstandenen hergestellt werden?
Ein Nachbarschaftsprojekt ist nebenan.de sicher nicht, wenn man darunter eine örtliche Initiative versteht. Hinter nebenan.de steht als Mehrheitseigentümer der Medienkonzern Hubert Burda Media. Burda hat Ehrgeiz: Ziel ist der Aufbau einer europäischen Alternative zu US-amerikanischen Netzwerken, also ein europäisches facebook. Ableger in Frankreich, Italien und Spanien existieren bereits. Burda will langfristig ein erfolgreiches Geschäftsmodell aufbauen, das durch Werbung Gewinn erwirtschaftet, nebenan.de soll langfristig profitabel werden. Wie heißt es doch so schön auf der Internetseite von nebenan.de: „Die Investoren haben im Gegenzug Anteile am Unternehmen erhalten. Über diese Unternehmensanteile sind sie an zukünftigen Gewinnen (sollte es diese jemals geben) beteiligt.“
Vor diesem Hintergrund erscheint die Werbestrategie von nadann.de plausibel. In den vergangenen Jahren wurde unter einem „mildtätigen“ Etikett erst einmal der Kontakt zu Kunden aufgebaut. Bewusst unprofessionelle Aufmachung, Firmierung als „Sozialunternehmen“ und Beschränkung auf nachbarschaftliche Freundlichkeiten – die Tüte Mehl, das ausrangierte Fahrrad – suggerierten in der Werbung von 2017 Harmlosigkeit. 2022 erscheint eine inhaltliche Verschiebung im Werbezettel, jetzt heißt es „Kleinmöbel verkaufen, … ein gebrauchtes Rad finden“ – hier geht es um Werthaltiges nach Art von Kleinanzeigen. Nutzer sollen eigene Interessen angeben, Gewerbetreibende sollen über Beiträge und Direktnachrichten eine nachhaltige Beziehung zu potenziellen Kunden aus der direkten Umgebung aufbauen. Natürlich sollen die Gewerbetreibenden für ihre Werbung auf nebenan.de bezahlen, gegen eine geringe Gebühr dürfen sie auf ihre Angebote aufmerksam machen. Wo Werte umgeschlagen werden, werden üblicherweise Provisionen fällig in der einen oder anderen Art. „Impact und Profit“ sind die Schlüsselwörter zu nadann.de auf www.tbd.community, schöner kann man es nicht sagen.
Das ist alles nichts besonderes. Wer irgendwo Mitglied wird oder sich als Nutzer registriert, muss selber wissen was er tut. Wer im Internet Profit machen will, tut nichts Verbotenes. Aber muss das unbedingt unter dem Etikett des Sozialunternehmens geschehen? Passt das Etikett?
Einer der Gründer von nebenan.de ist der Gründer von Betterplace sowie – laut www.tbd.community – „Serial Entrepreneur“ Christian Vollmann. Betterplace? Auf dieser Plattform präsentiert sich die nebenan.de Stiftung gGmbH mit der Erfolgsmeldung Wir haben 16,12 € Spendengelder erhalten / Aleksandra Bednarska vor 2 Monaten (abgerufen am 13.3.2022). Ein soziales Mäntelchen für sehr kleines Geld? Betterplace dient auch anderen zur schönen Selbstdarstellung, Domfreunde Münster und was abgeben e.V. lassen grüßen.
Schaut man sich im Internet ein wenig um, stößt man bei Trustpilot auf viele Kommentare zu nebenan.de. Sie sind in der Mehrzahl nicht freundlich, 71% der Bewertungen entfallen auf die Note Ungenügend (abgerufen am 15.3.2022). Erstaunlich oft taucht darin das Stichwort „Datenklau“ auf und/oder Beschwerden, dass nebenan.de eine Kopie des Personalausweises fordert oder Bankdaten, dass Werbung verschickt und Geld gefordert wird, dass nicht nachvollziehbar zensiert wird usw..
Wenn solche Bewertungsportale auch generell kritisch zu hinterfragen sind, fällt die überwiegend negative Tendenz doch auf. Genau wie für Amazon sind auch für Trustpilot positive Bewertungen zu kaufen, fivestar zum Beispiel fordert 275,95 Euro für 20 positive Beurteilungen auf Trustpilot (abgerufen am 15.3.2022). Bei einer Häufung negativer Beurteilungen erscheint es jedoch tendenziell wenig wahrscheinlich, dass hier jemand in den Kauf negativer Fake-Bewertungen investiert (wer sollte das sein? facebook?).
(Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 15.3.2022.)