Die Vokabel begegnet uns inzwischen fast täglich. Nach dem Angriff Putins auf die zivilisierte Welt hat Kanzler Scholz im Februar 2022 die Zeitenwende ausgerufen. Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand dabei zunächst das Sondervermögen Bundeswehr, eine einmalige Finanzspritze von 100 Milliarden Euro zur Sanierung der Bundeswehr.
Inzwischen ist klar, dass es bei den einmaligen 100 Milliarden Euro nicht bleiben kann. Die Bundesregierung akzeptiert endlich das mit der Nato vereinbarte 2%-Ziel und damit auch die Führungsrolle Deutschlands in der europäischen Sicherheitsarchitektur. Deutschlands Verteidigungsbudget soll langfristig erhöht werden.
Es ist ein Kraftakt. Putins Angriff hat die Bundesregierung aufgerüttelt, alle Kräfte zu versammeln und in die Sicherheit unseres Landes zu investieren. Die Herausforderung wird darin bestehen, diese Kursänderung in den kommenden Jahren durchzuhalten. In der deutschen Geschichte hatten wir schon einmal die Situation, dass einem nüchtern-pragmatischen Kanzler Schmidt in der Nachrüstungsdebatte eine wehrunwillige Linke gegenüber stand. Im Jahr 2022 zeigt Putins Krieg in der Ukraine allerdings ganz frisch: Der will nicht nur spielen, der beißt. Diese Erfahrung ist der vorläufige Endpunkt einer langjährigen imperialen Großmachtpolitik Russlands. Polens Schicksal, Panzer gegen den Ungarnaufstand und die Niederschlagung des Prager Frühlings erscheinen als Ausdruck einer politischen Grundlinie Russlands. Sie scheint unabhängig von den Personen an der Spitze der russischen Regierung zu sein, Deutschland muss sich dauerhaft darauf einstellen.
Zeitenwende hat neben dem militärischen einen weiteren Aspekt. In seiner Rede im Februar 2022 hat Scholz auch die Sicherung der Gasversorgung angesprochen, er hat dies ausdrücklich als kurzfristige Maßnahme bezeichnet. Als langfristiges Ziel, was ohnehin gebraucht wird, hat er dagegen die Umstellung auf grünen Wasserstoff genannt. Dieser Zukunftstechnologie wird die Vokabel Zeitenwende gerecht.
In der Diskussion um die Zukunft der bisher russischen Erdölraffinerie PCK in Schwedt wird deutlich, dass die Konversion der Energieversorgung weg von fossilen Energieträgern den Bereich der Theorie verlässt. Mit der angekündigten Investition von 1 Milliarde Euro in die Raffinerie soll zunächst die Versorgung von Nordostdeutschland mit Mineralölprodukten sichergestellt werden. Scholz wird von der Süddeutschen Zeitung zitiert „Hier wird noch lange Öl verarbeitet werden“, gleichzeitig kündigt Scholz aber die Entwicklung hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft an, „die dem entspricht, was es bisher gegeben hat. Das ist eine wichtige Botschaft“.
Die aktuelle Verknappung und Verteuerung von Energie bringt einerseits gewaltige Risiken für unser Land. Nüchtern betrachtet erzwingt sie aber auch konkrete Schritte zur Umsetzung der Ziele, die jahrzehntelang eher unverbindlich formuliert worden sind: Verringerung der Energieverschwendung, Umstellung auf ökologisches Wirtschaften. Die Bürgerinnen und Bürger auf diesem Wege vor Schaden zu bewahren und sie „mitzunehmen“ ist die schwierigste Aufgabe in der Krise.