Microsoft schürt Strom-Ängste in Deutschland

Unverantwortliche Panik-Mache auf MSN

Versehentlich auf das Internet-Portal von Microsoft geraten? Besser nicht, könnte man sagen. Manche Netzwerkanbieter lotsen den Kunden auf https://www.msn.com/de-de, ein Webportal von Microsoft. Am 17.9.2022 schockt MSN den Leser mit einer aktuellen Katastrophenmeldung: „Netze überlastet: Verdreifachung der Preise und Stromabschaltungen drohen“ knallt als Überschrift, haut den Leser erst einmal um. Das Thema ist sensibel, alle Welt redet von drastischen Preissteigerungen beim Strom, und jetzt das. Verdreifachung der Preise! Und Stromabschaltung, keine Luft mehr für Patienten am häuslichen Sauerstoffgerät, unabsehbare Folgen. Ohne Strom keine Heizung, Zusammenbruch der gesamten Infrastruktur, noch nicht einmal mehr Wasser aus der Leitung (weil die Pumpen im Wasserwerk nicht mehr laufen).

Kann das denn wahr sein, fragt man sich, und schaut in den mageren Meldungstext. Ganze zwei Zeilen Text, sie haben mit der fetten Überschrift nur wenig zu tun. Es geht um die Netzentgelte, also den Preis, den die Betreiber der Stromnetze dafür verlangen, dass sie Strom – egal aus welcher Quelle – durch ihre Leitungen vom Erzeuger bis zum Endabnehmer befördern. Die Netzentgelte machen nur einen Teil des Strompreises aus, den der Endabnehmer zahlen muss. Für die Netznutzung in Münster (Stand 1.1.2022) macht das zum Beispiel netto 3,72 Cent pro Kilowattstunde Strom bei Haushaltskunden. Auch die Betreiber der Überlandnetze wie Amprion erheben Netznutzungsentgelte, aber festzuhalten ist, diese Kostenanteile sind nicht identisch mit den von den Endabnehmern zu zahlenden Endpreisen.

Die Schlagzeile auf MSN entpuppt sich also als Irreführung, als krasse Falschmeldung, aber wer hat sie in Umlauf gesetzt? MSN nennt Sat 1 als Quelle. Folgt man dem Link, landet man auf der Programmseite des Fernsehsenders Sat 1, von Textnachrichten keine Spur. Man muss schon die Suchmaschine bemühen, dann findet man die krude Nachricht auf www.ok.de. ok.de, wer ist das denn?
ok.de bezeichnet sich selbst als Dienstleister, sozusagen als verlängerten Arm der Fast Finance 24 Holding AG („Schnelles Geld AG“), diese weist als Hauptaktionär eine Gaetano Limited aus. Dann verliert sich die Spur, www.deraktionaer.de berichtet nur, dass Fast Finance von 2016 bis 2020 weder Umsatz noch Gewinn gemacht hat – als Anbieter von Mikro- und Konsumentenkrediten.

ok.de scheint also nicht gerade ein Urgestein seriösen Journalismus’ zu sein. Dementsprechend behauptet die ok.de-Meldung auch keine eigene Kenntnis, sondern beruft sich schlicht auf „BILD soll erfahren haben“. Nicht „BILD hat erfahren“, sondern „BILD soll erfahren haben“, eine Erzählung vom Hörensagen sozusagen.

Nur stille Post also, und der Kampf eines Finanzdienstleisters um Aufmerksamkeit?

Es geht bei dieser vergleichsweise kleinen Geschichte um ein großes Thema. Deutschland steht in den nächsten Monaten und Jahren vor gewaltigen Herausforderungen. Russisches Gas muss durch andere Energieträger ersetzt werden, Haushalte und Industrie müssen diese Zeit heil überstehen. Für berechtigte Sorgen müssen Antworten gefunden werden. Sorgen und Ängste lassen schnell die Emotionen hochkochen, und es gibt genug Akteure, die einen heißen Herbst anheizen wollen. Eine verlässliche Berichterstattung der öffentlichen Medien ist in dieser Lage außerordentlich wichtig. Saubere Tatsachen-Recherche hilft uns, mit Vernunft und Augenmaß die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die großen Tageszeitungen wie Süddeutsche und FAZ und die öffentlich-rechtlichen Medien bieten die Grundlage – nicht MSN, ok.de und ähnliche Anbieter.