... und nun zu den 60er Jahren

Ausstellungsmacherin Rita Muschinski bei der Eröffnung: Blumen vom Museumsleiter, ihrem Mann Hans Muschinski (17.3.2019; Foto: Klare)
Ausstellungsmacherin Rita Muschinski bei der Eröffnung: Blumen vom Museumsleiter, ihrem Mann Hans Muschinski (17.3.2019; Foto: Klare)

Rita Muschinski zur Eröffnung der Ausstellung „Die 60er Jahre“ im Museum Hiltrup

Von der Spießigkeit der 50er Jahre wollte man sich im nächsten Jahrzehnt endgültig verabschieden. Keine Zeit unterlag so stark den Veränderungen wie die der 60er Jahre. Nach den Schrecken der Kriegs- und Nachkriegszeit war die Sehnsucht nach Glück und Zufriedenheit groß. Es war eine Zeit, die geprägt war von Umbruch, Revolution und Freiheit.

Besser und schöner leben wurde zum Motto. Wenn das Geld für eine komplette Wohnungseinrichtung noch nicht reichte, war schon ein neues Kaffeeservice mit abstraktem Muster oder auch nur ein Möbelstück der Anschluss an die neue Zeit. Außer Essen und Kleidung war in dieser Zeit nichts so wichtig wie die eigene Wohnung.

Das Wirtschaftswunderland Deutschland bot seinen Bundesbürgern in den 60er Jahren erstmals die Möglichkeit, sich einen gewissen Luxus zu leisten.

Vor allem das Auto stand ganz oben auf der Wunschliste. Plötzlich konnte man neben der Nord- und Ostsee auch an die Adria fahren, dem sog. Teutonengrill.

Das Auto begann sich vom reinen Fortbewegungsmittel zu einem Statussymbol zu entwickeln. Am Wochenende pflegte man sein Schmuckstück in aller Öffentlichkeit.

Das Familienleben fand nur noch am Wochenende und im Urlaub statt.

Die wöchentliche Arbeitszeit sank im Laufe der 60er Jahre von etwa 48 Std. auf 42 Std. je nach Beruf und Branche. Ebenfalls setzte sich die 5-Tage Woche langsam durch.

Haushalt war in den 60er Jahren noch ein Vollzeitjob. Das Zubereiten der Mahlzeiten war zeitaufwendig, das Geschirr wurde per Hand gespült und abgetrocknet. Wäsche wurde z.T. noch in einem großen Topf gekocht, auf der Wäscheleine getrocknet und anschließend gebügelt. Es wurde viel genäht und geändert – Socken wurden noch gestopft.

Nach dem Saubermachen und Staubwischen wurden die Möbel mit Politur und die Böden mit Bohnerwachs auf Hochglanz gebracht.

Samstag war dann Kehr- und Badetag. Nachmittags wurden die Höfe und Bürgersteige gekehrt. Abends wurde dann noch gebadet, damit am Sonntag alles sauber war.

Sonntagsmorgens ging der Vater mit den Kindern spazieren, damit die Mutter in Ruhe das Mittagessen vorbereiten konnte. Schweinebraten, Schnitzel, Hähnchen oder Rouladen waren nicht nur an den Feiertagen angesagt.

Nachmittags gab es Kaffee und Kuchen, natürlich selbst gebacken. Für die Erwachsenen gab es Bohnenkaffee und für die Kinder Malzkaffee. Das Kaffeetrinken fand entweder bei der Verwandtschaft statt, oder die Verwandtschaft kam zu Besuch.

Während sich die Erwachsenen unterhielten, durften die Kinder im Fernsehen Flipper, Bonanza oder die Augsburger Puppenkiste gucken.

Mädchen spielten gerne mit der auf der Spielzeugmesse in New-York vorgestellten Barbie-Puppe. Wenn auch bei den Pädagogen umstritten, trat sie ihren Siegeszug weltweit an.

Die Erziehung zu Beginn der 60er Jahre unterschied sich kaum von der in den vorherigen Jahrzehnten. Gehorsamkeit, Pflichtgefühl und Disziplin galten als oberste Tugenden und wurden den Kindern sowohl in der Schule als auch in den Familien eingeprägt. In den 60ern hatten die Kinder zu gehorchen. Widerspruch wurde nicht geduldet, Erklärungen gab es nicht.

Doch die Zeit des Wandels machte auch vor der Erziehung nicht Halt. Es kamen Zweifel an der Richtigkeit auf, und die Erziehung wandelte sich von autoritär bis hin zu antiautoritär. Persönlichkeit und Selbstbewusstsein waren Begriffe des neuen Erziehungs¬stils.

Kommen wir zur Musik:

Die Musik der aufbegehrenden Generation, die vor allem aus den USA herüberkam, wurde zum Sound der Revolution. Jugendliche und Studenten wurden nicht nur bei den DEMOs laut, sondern drehten auch zu Hause Plattenspieler und Radio auf.

Zum Leidwesen mancher Eltern dröhnten die Beatles oder Rolling Stones aus den Jugendzimmern. Musikgeschichte schrieben die vier „Pilzköpfe“ – die Beatles aus Liverpool. Sie traten erstmals 1962 u.a. im Hamburger Star-Club auf der Reeperbahn auf. Die Zeit der Dorfmusik war nun endgültig vorbei.

Modetanz der 60er Jahre war der Twist, vor allem bei den Jugendlichen sehr beliebt und populär. Bei der damals überwiegend prüden Gesellschaft wurden die Bewegungen jedoch oftmals als unanständig empfunden. Darüber hinaus warnten die Orthopäden eindringlich vor Knieverletzungen.

Der Wandel in politischen und gesellschaftlichen Ansichten äußerte sich auch in der Mode der 60er Jahre.

Die eher prüden Moralvorstellungen der 50er Jahre wurden über den Haufen geworfen und die Grenzen zwischen typisch weiblich und typisch männlich verschwanden immer mehr. Der elegante Look der 50er Jahre wurde durch einen sehr jugendlichen Stil ersetzt. Mode war nun mehr als Kleidung. Sie war Ausdruck einer Lebenseinstellung. Zu den wichtigsten Mode-Ikonen zählten Brigitte Bardot, Jacky Kennedy sowie die spindeldürre Twiggy. Seinen Durchbruch in der Modewelt hat der Mini-Rock auch der Feinstrumpfhose zu verdanken. Er wurde zum festen Kleidungsstück des Jahrzehntes.

Die Frisuren bei den Frauen gingen in die Höhe, die Röcke der Mädchen wurden kürzer und die Haare der Männer immer länger.

Plötzlich gab es quietschbunte Blumen auf Polyester-Kleidern sowie Schlaghosen für die Männer, je weiter je besser.

Die Hose trat einen Siegeszug in der Frauenmode an und eroberte sich darin einen festen Platz, der seitdem geblieben ist.

Für die Jungen gab es ein besonderes Kleidungsstück, die Seppelhose – eine kurze Lederhose, die von Mai bis Oktober getragen wurde. Abgelegt wurde sie nur zur Nacht oder an Sonn- und Feiertagen. Sie war robust und je abgetragener und speckiger, umso angesehener.

Mädchen dagegen trugen nur Kleider oder Röcke.

Aber es gab in den 60er Jahren auch gesellschaftliche und politische Ereignisse und Veränderungen.

In den frühen 60er Jahren wurden in Deutschland zahlreiche Gastarbeiter angeworben. Die meisten kamen aus dem Mittelmeerraum. Ihre Integration war und ist auch heute noch eine Herausforderung für Deutschland.

Demonstrierende Studenten, Straßenschlachten und freie Liebe – kaum ein Jahr prägte die Zeitgeschichte Deutschlands so stark wie 1968.

1968 wurde so zum Sinnbild und Schlagwort einer ganzen Generation. Jugendliche, die sich lautstark gegen das enge Korsett der Nachkriegszeit auflehnten, ebneten den Weg für eine neue Selbstbestimmung und Gleichberechtigung.

Es kam immer häufiger zu gewaltsamen Demonstrationen. Die APO kritisierte die Arbeit der Regierung hart, und in den kommenden Jahren gab es Anschläge und Entführungen.

Die ersten terroristischen Gruppierungen im neuen Deutschland – die RAF hatte sich bereits gebildet – sorgten in den nächsten Jahren immer wieder für Angst und Schrecken.

Andere Ereignisse dieser Zeit möchte ich noch kurz benennen:
1961 – der Mauerbau in Berlin
1961 – Die Anti-Baby-Pille kommt auf den Markt und leitet eine Revolution der sexuellen Selbstbestimmung der Frau ein.
1962 – Sturmflut-Katastrophe in Hamburg
1963 – Das Fernsehen startet seinen Siegeszug durch die deutschen Wohnzimmer. Ab 1963 kam zur ARD das ZDF dazu, und ab 1966 wurde das Bild farbig.
1963 – Wunder von Lengede
1964 – Olympiade in Tokio mit gesamtdeutscher Mannschaft
1965 – J.F. Kennedy in Berlin „Ich bin ein Berliner“
1969 – Mondlandung: „Ein kleiner Schritt für einen Menschen und ein großer Schritt für die Menschheit“

Nicht vergessen möchte ich ein besonderes Ereignis 1965: Nutella kam auf den Markt.

Dieses war jetzt nur ein kleiner Ausschnitt aus den 60er Jahren und erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Es gäbe sicherlich noch weitere wichtige und interessante Ereignisse.

Danke.

(Redemanuskript von Rita Muschinski zur Eröffnung der Ausstellung Die 60er Jahre am 17.3.2019 im Hiltruper Museum.)