Medien: Coach und Richter
Merkel und Schulz haben öffentlich miteinander geredet. Journalisten haben das Gespräch organisiert, hatten es aber nicht in der Hand; Merkel diktierte die Bedingungen, die Medien kuschten. Und?
Wer hat gewonnen? Das ist die Frage, für die das unspektakuläre Spektakel veranstaltet wurde. Die kann (und muss) jeder für sich selbst entscheiden. Vorab vielleicht auch, ob die Antwort überhaupt irgendeine Relevanz hat. Sie sind Bayern-Fan, und die Bayern haben ein Spiel verloren? Macht nichts, Fan bleibt Fan. Im Fußball gilt das, anderswo auch.
Ein Gewinn ist so ein TV-Straßenfeger für die politische Kultur. Millionen haben zugeschaut und zugehört, das allein hat den Aufwand gelohnt: wann schaffen Politiker es sonst, so viele Menschen wenigstens für kurze Zeit für Politik zu interessieren?
Spannender als das Gespräch zwischen zwei vernünftigen Leuten war die Diskussion davor und danach. Die Medienleute spielen sich zu Kampfrichtern auf. Wie viel Punkte gibt die Bild am Sonntag, was meint die Zeit? Die ARD darf das Endurteil fällen? Ein Zirkus der medialen Überheblichkeit dreht sich da, er verwurstet Themen, Positionen und Menschen als Objekte der täglichen Meldungs-Meinungs-Fabrikation. Als erstes wird die Lostrommel gedreht: wen erklären wir denn heute zum Verlierer des Tages? Denn Schadenfreude, Gier auf Katastrophen treibt Medienkonsumenten.
Kohl konnte ein Lied davon singen, erst war er der übermächtige Einheitskanzler, dann hieß es „Kohl muss weg“, dann waren alle Missetaten vergessen und die Beerdigung eines großen Mannes entsprechend pompös. Die Medien: immer aktuell, immer nah am Ball, oder besser gesagt: traten sie den Ball nicht selbst?
Gabriel war bis vor kurzem der dümmste Politiker Deutschlands. Schrieben die Medien. Nein, wie kann man nur, jeden Fettnapf nimmt er mit – jetzt ist er Außenminister und hat offensichtlich eine Gehirnwäsche erlitten. Keine Spur mehr von dem Dummerchen. Seinen Platz in der Lostrommel hat Schulz übernommen. Wer hat ihn denn vor Monaten zu Batmanns großem Bruder aufgebaut? Die Medien haben ihn hochgeschrieben, hoch, immer höher, bis plötzlich jedem klar werden musste: zaubern kann der nicht. Jetzt hat er die Rolle des dummen Verlierers an der Backe. Und Stoiber steht nicht mehr zur Verfügung in diesem Wettbewerb.
So wurde nach dem Plausch mit Merkel diskutiert, zwischen den Medienleuten. Eigenartig: Merkel kam in dieser Diskussion nicht vor. Was sie macht und sagt oder nicht sagt, spielt fast keine Rolle. Die gesamte Manöverkritik konzentriert sich stattdessen auf eine einzige Frage: warum kann der Schulz nicht zaubern? Und dreifachen Salto? Er habe im Duell nicht genug neue Positionen verkauft, kritisiert einer. Der andere kritisiert, dass er neue Positionen verkauft hat; das gehöre sich nicht, einfach so ohne Vorwarnung Frau Merkel öffentlich mit Neuem zu konfrontieren. Zu aggressiv, mäkelt der dritte, nicht bissig genug der vierte. Ja was erwartet ihr denn? Medien haben das Event angeheizt; das sei die letzte Gelegenheit für Schulz, vielleicht werde er ja einen triumphalen Aufschlag machen, so sind die Erwartungen der Medienkunden gepuscht worden. Hinterher sind alle enttäuscht, weil es den ultimativen Krawall vor laufenden Kameras nicht gegeben hat, nicht geben konnte. Wer wird dafür öffentlich an den Ohren gezogen? Der Schulz natürlich. Und die Merkel? Na, die ist eben wie sie ist, das reicht.
Medien sind wichtig. Sie sind unantastbar, weil für die Demokratie unverzichtbar. Aber sie sind auch eine hochkommerzielle Industrie: Nachrichten, Meinungen, Einstellungen produziert und verkauft sie en gros und en detail. Die Geschwindigkeit, mit der sie Inhalte und Personen aufbläst und entsorgt, das ist das eigentlich Spannende an dem Merkel-Schulz-Gespräch. Die nächsten Wellen werden schon aufgetürmt: Lindner hat sein Surfbrett schon auf der Welle, von Guttenberg läuft sich noch am Strand warm. Mal sehen, wann sie als Strandgut abgeladen werden.