„Randalierer sticht mit Schere zu“ vor Münsters Bahnhof am Samstag, berichten die Westfälischen Nachrichten am Montag. „Von hinten zugestochen“ in Kinderhaus am Sonntag, berichten die Westfälischen Nachrichten am Dienstag, wieder im Lokalteil. „Schon wieder zugestochen“ steht am Mittwoch auf Seite 1 der Westfälischen Nachrichten. Schlimm ist das, ein Ende muss das haben, und man schlägt den Lokalteil auf. „Erneut zwei schwere Angriffe am Wochenende“ heißt es hier, und langsam wird dem Leser klar: Hier gibt es einen schweren Angriff auf die Glaubwürdigkeit und den Ehrenkodex der Presse. Denn mit der irreführenden Überschrift „Schon wieder zugestochen“ auf Seite 1 wird eine alte Nachricht recycelt und dem Leser als neu verkauft; mit dieser Dublette wird der offensichtlich falsche Eindruck vermittelt, dass in Münster jetzt täglich mit Messern oder Scheren zugestochen wird.
Dass diese Fake-Nachricht kein Versehen ist, macht die Hauptüberschrift im Lokalteil am Mittwoch klar. „Das Messer wird schneller gezückt“, als klare Tatsachenmeldung steht sie über einem Artikel, der frei ist von Fakten. Denn die Polizei führt bisher keine Statistik, mit welchen „Tatmitteln“ Körperverletzungen begangen werden, und will sich erst in Zukunft die Fälle genauer anschauen. Bis dahin hat die Polizei nur ein Bauchgefühl: Gefühlt nähmen die schweren Stichverletzungen zu, heißt es.
Die Sicherheit der Bürger ist viel zu wichtig, das Thema viel zu ernst, als dass man die öffentliche Diskussion dermaßen unverantwortlich anheizen dürfte. Da wundert es auch nicht, wenn in diesem Zusammenhang schnell die Videoüberwachung ins Spiel gebracht wird. Videoüberwachung hat Konjunktur; auch der Bundesverkehrsminister zündelt mit dieser Vokabel, um von seinen Versäumnissen in der Dieselaffäre abzulenken.
Bei aller Betroffenheit über schwere Straftaten in unserer Stadt: Die Vernunft gebietet, sorgfältig mit den Fakten umzugehen. Für das Handeln der Polizei ist Bauchgefühl keine brauchbare Grundlage. Bürgerrechte dürfen nicht vorschnell durch Videoüberwachung und ähnliche Maßnahmen eingeschränkt werden, und so schön es wäre: Absolute Sicherheit ist nicht möglich. In der Politik wird aus Bauchgefühl allzu schnell eine populistische Forderung, keiner will beim Thema Sicherheit zurückstehen, lieber fordert man neue Stellen für Sicherheitskräfte – für das Sicherheitsgefühl. Auch hier muss Vernunft vorgehen.