Kulturdenkmal und Touristenmagnet im Luberon
Lourmarin im französischen Südluberon schmückt sich im Michelin-Atlas mit einem Stern. Ein Stern heißt, man kann sich da was ansehen, wenn man nichts Besseres zu tun hat. Wer hier hin reist, hat oft nichts Besseres zu tun. Wenn also der Kaffee im Touristenbistro in der Touristenstraße von Lourmarin getrunken ist, ist das Schloss dran!
Schloss und Dorf begegnen sich mit einer gewissen Reserviertheit. Zwischen beiden liegt die „Prairie“, eine Art riesige Wasser-Rinne mit Wiesen links und rechts, betreten darf man sie nicht. Ein schmaler Gehweg entlang der Straße ist die Verbindung, und wenn man durch eins der historisch korrekt restaurierten Fenster des Schlosses auf den Ort schaut, wächst die Distanz weiter. Nicht nur, dass man dem Schloss vor 200 Jahren die reformierte Kirche vor die Füße gestellt hat: die welligen Glasscheiben des Schlosses, nach alter Art hergestellt, verzerren das Dorf und lassen es ein wenig tanzen, wenn man die Position wechselt.
Und das Dorf ist tatsächlich aus der mittelalterlichen Reihe getanzt. Hier steppt der Bär, der Tiger ist los. Größer kann der Kontrast kaum sein.
Die Herren d’Agoult hatten sich dagegen zunächst das alte Schloss gebaut. Erhalten ist der markante Treppenturm; anders als die Joghurt, die ja bekanntlich ein linksdrehendes Innenleben hat, dreht sich die alte Wendeltreppe der d’Agoults rechts herum nach oben, und die schlauen Erklärungspapierchen für die Besucher machen gleich einen Reim darauf: wer hier mit dem Schwert in der rechten Hand eindrang und unbedingt nach oben wollte, sollte möglichst viel Ärger mit der zentralen, tragenden Säule der Treppe haben. Diese Raffinesse war es vielleicht, die vor fast 100 Jahren einen vermögenden Industriellen aus Lyon dazu brachte, sich in das abgewrackte Gemäuer zu verlieben und sein Geld in den Wiederaufbau zu stecken?
Der Industrielle brachte sein Vermögen in eine Stiftung ein, sie finanziert bis heute Restaurierung und laufenden Betrieb. Jedes Jahr wohnen Künstler-Stipendiaten in den Studios am „italienischen Hof“, Räume im „neuen Renaissance-Schloss“ stehen ihnen für Aufführungen und Ausstellungen zur Verfügung.
Wer diesen Weg vom alten zum neuen Schloss gehen will, muss allerdings an ein paar Wächtern vorbei. Im Oratorium hängen sie an der Wand, verdiente Persönlichkeiten von nah und fern blicken kritisch oder wohlwollend auf die Besucher, und auch die Mutter Gottes mit dem Kind hat sich, freundlich geschminkt, in diese Gruppe der Wichtigen eingereiht.
Das neue Renaissance-Schloss ist intern klar gegliedert, jede der drei Etagen enthält einen großen „Saal“. Im Erdgeschoss wird gerade geprobt für den Auftritt eines Kammermusik-Trios am Abend, wir genießen als einzige Zuhörer den Klang des Konzertflügels.
Hier geht es in der I. Etage rechts in das Damen-Zimmer, links in den Saal, der früher als allgemeiner Aufenthaltsraum diente (Sallestre).
Eine mächtige Balkendecke, darunter ein Kamin, der Boden mit glasierten Fliesen aus der Region, und allerlei zusammengesuchte Möbelstücke; in der II. Etage darüber der „Musiksaal“ mit verschiedenen historischen Musikinstrumenten, im Nebenraum aber auch ein moderner Blüthner-Flügel für die Stipendiaten. Und, nicht zu vergessen: ringsum die Aussicht auf das Dorf und auf das Luberon-Gebirge; von Lourmarin aus quält sich eine sehr kurvige Straße durch ein malerisch enges Gebirgstal des Luberon-Gebirges herüber nach Apt, ein lohnendes Wandergebiet.
Nach einem Rundgang von immerhin 1 ½ Stunden nehmen wir die schöne Wendeltreppe und denken an die Männer, die diese Besichtigung möglich gemacht haben: ein Neureicher, der sich für das kulturelle Erbe begeistert hat, und viele einfache Leute. Im großen Saal der I. Etage hängt eingerahmt eine Liste, ein Architekt, viele Handwerker und auch die Transportarbeiter sind namentlich aufgezählt.