Auf der Rückfahrt Deutschland mit neuen Augen sehen: Markgräflerland
Die Journées du patrimoine haben den Mistral nicht daran gehindert, kräftig durchs Luberon zu blasen; so kräftig, dass er auch Zelte in Le Plan zum Fliegen bringt. Aber wir wollen ohnehin fahren, wollen in kleinen Etappen zurück nach Deutschland. Reiseproviant haben wir in Lourmarin auf dem Biomarkt gekauft, wunderbar dunkles Brot aus Roggen und Weizen und Tomaten abseits aller EU-Normen, und machen uns früh auf den Weg.
Cadenet ist die letzte Herausforderung in der Region der extra schmalen Wege. Im alten Ortskern – verboten für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen – geht es mit dem Wohnwagengespann so gerade um die Ecken und durch die Sträßchen, und dann haben wir uns eigentlich nur 250 Kilometer für diesen Tag vorgenommen: noch einen letzten Tag milde südfranzösische Luft genießen, so hatten wir überlegt, wir wollen noch südlich von Lyon Station machen. Denn Lyon ist die Wetterscheide, nördlich von Lyon erwartet uns eher deutsches als südfranzösisches Wetter. Aber südlich von Lyon stellen wir fest, der Wind bläst kalt, da bleiben? Ein Blick auf die Uhr, und weiter.
Badenweiler, Markgräflerland, das Navi hält das für möglich, und wir lassen uns von Fred Vargas chauffieren, nein unterhalten; Hannelore Hoger muss wieder ran, sie macht mit ihrer Stimme die Krimi-Klamotte erträglich. Als der Mörder gefasst ist und alle unwahrscheinlichen Wendungen abgespult sind, tut sich ein neues Rätsel auf: wie kommen die Postkarten mit der französischen Marke noch in den französischen Kasten? Auch das löst sich, und wir kommen in Badenweiler noch zu einem warmen Essen, und am nächsten Tag nach: Staufen.
Warum gerade Staufen? Ist doch so touristisch, oft so voll, so oft schon angesehen – magische Kräfte ziehen uns immer wieder hier hin.
Hier gibt’s den Anfang vom Urlaub, auch für das Ende ist Staufen gut – das musste Dr. Faustus schon erfahren -, und man sieht immer wieder neu.
Staufen ist nach der missglückten Erdwärmebohrung in Bewegung, Häuser heben sich und reißen, wie sieht man in dieser merkwürdigen Unsicherheit? Rathaus und Marktplatz spiegeln sich in den Schaufenstern. Das Spiegelbild des Rathauses in der Mitte des Fotos erzählt von dem Beben, das unaufhörlich durch den Ort geht, auch die Besucher des Cafés – rechtes Schaufenster – sind nicht ausgenommen. Real erscheinen nur die Touristen ganz links im Bild; sie werden noch kommen, wenn alles in Trümmern liegt.
Dagegen steht das Rathaus.
Goldenes Ornament, gepflegter Anstrich, der Versuch der Unvergänglichkeit – der Schattenwurf dahinter sagt etwas anderes, er spricht die Sprache der Technik, redet von Stützen und Streben, die den Verfall aufhalten sollen. Noch ist es nicht so weit.
Aber es gibt auch das Solide, das von den Fehlern der Bau- und Bohrleute nicht zu beeindrucken ist. Süßer Kuchen ist das zu gesalzenen Preisen, die Suppe aus den Kürbissen, die man in den Dörfchen der Umgebung gestapelt sieht.
Das solide Unbeeindruckbare spielt sich auf dem Marktplatz ab. Stehen zwei Frauen zusammen, speisen aus der geradezu übernatürlich leuchtenden blauen Plastikdose, reden, stehen, und man denkt: ja, so ist das, mal sehen, wann es mehr werden – und die nächste kommt dazu.
Man spricht sich Mut zu und klebt Aufkleber über die Risse. Große rote Aufkleber leuchten von den Fassaden „Staufen darf nicht zerbrechen“. Und das gebrochene Sehen der Spiegelbilder sagt ganz leise, dass es auch anders kommen könnte, da verlieren auch Häuser die Form.
Im Hintergrund steht die Ruine der Staufener Burg.
Man braucht eine Weile, bis man sich an den Fassaden satt gesehen hat und vor seine Füße blickt.
Dann begreift man erst richtig den Unterschied. Die Landschaft im Luberon ist geprägt durch die Sonne, und durch den Mangel an Wasser. Im Luberon sieht man ausgetrocknete Flussläufe, in denen früher Boote unterwegs waren – hier in Staufen gibt es so viel Wasser, dass es nicht nur das Flüsschen Neumagen, sondern auch diese Rinnsale in den Straßen füllt.
So erinnern die alten Platanen durchaus an französische Dorfplätze, aber das Grün daneben lässt kein Missverständnis aufkommen: auch wenn im Hintergrund eine Touristenherde angetrampelt kommt, dies ist eine ganz andere Landschaft, ohne die extreme Härte Südfrankreichs.
Wem dieser Unterschied bis jetzt nicht so bewusst geworden ist, muss nur ein paar Kilometer weiter nach Laufen fahren. Die Landschaft lieblich, die Dorfkirche hell gestrichen, und davor eine blühende Vielfalt von Stauden, Knollen und Zwiebeln. Muss man da noch erklären, warum es einen immer wieder hier hin zieht?