Hiltrup fürchtet Corona
Vor drei Tagen tobte noch die Schlacht ums Klopapier, heute ist Hiltrup Geisterstadt. Am späten Freitagnachmittag ist die Marktallee erstarrt, in Lähmung verfallen. Auf der Straße selten mal ein Auto, auf dem Bürgersteig sehr vereinzelt Passanten, um Abstand bemüht.
Aber dann, vor dm ist doch Bewegung – eine Täuschung. Zwei Personen stehen still, eineinhalb Meter voneinander entfernt.
dm ist verrammelt, eine Festung: Eine Tür ist geschlossen, ein Schild weist zur anderen Tür.
Vor der anderen Tür hatten die zwei auf Einlass gewartet. Maximal 20 Kunden dürfen gleichzeitig im Laden sein, so soll der Mindestabstand zur Vermeidung einer Ansteckung mit dem Virus notdürftig eingehalten werden. Drinnen steht eine Mitarbeiterin, sie überwacht als Zerberus den Zugang.
Die Marktallee entlang, überall: Leere. Geradezu eine Überraschung, auf der Bank an der Bushaltestelle wartet jemand. Die Läden dahinter verwaist.
Ralph Grosche grüßt auf dem Aushang an der verschlossenen Tür von momento „Bleiben Sie gesund!“, eine freundliche Ansprache in all der Schließungsbürokratie.
„Unsere Bitte: Unterstützen sie uns mit telefonischen Bestellungen und Mailbestellungen“ appelliert die Hiltruper Buchhandlung an ihre Kunden. Ja, Buchhandlungen haben es sehr schwer, auch ohne Corona. Die Hiltruper müssen sich entscheiden: All die kleinen Geschäfte und Angebote an der Marktallee, sie machen Hiltrup erst liebenswert – sie brauchen jetzt die Solidarität ihrer Kunden, sie brauchen Aufträge über Telefon und Internet. Wer sich jetzt für Amazon entscheidet, entscheidet sich gegen Hiltrup!
„Vorsicht“ und „Keine Panik“ ist die Botschaft des Superbiomarktes, Hygiene und vernünftiger Umgang mit Lieferproblemen. Der hysterische Run auf Klopapier hat gezeigt, wie wichtig Gelassenheit beim Einkaufen ist: Alles ist verfügbar, wenn nicht heute, dann morgen. Und auch im Superbiomarkt gilt: Nicht drängeln – das Personal regelt den Zugang, damit man sich nicht zu nahe kommt.
Das Reisebüro daneben hat eine ganz besondere Ausstrahlung. Reisen, Fliegen, hat diese unendliche Mobilität den Virus nicht erst so schnell um die ganze Welt verteilt? „Last Minute“ auf dem Display wirkt wie ein Hohn; erleben wir schon die letzte Minute, die letzte Minute der Lebenszeit so vieler Menschen?
Auch vor und im Schuhpark und den benachbarten Geschäften ist an einem normalen Freitagnachmittag viel los, seit heute ist es hier öde.
Das Plakat an der geschlossenen Ladentür hat dieselbe Botschaft wie die Buchhandlung: Liebe Kunden, lasst uns nicht allein, nutzt unseren Online-shop! Gerade hat das Unternehmen eine wirtschaftliche Krise überstanden, jetzt droht die nächste.
Das Gardinengeschäft bietet Hausbesuche an. Vielleicht können sie das Überleben sichern – im schlimmsten Fall aber auch den Virus weitertragen.
Auch das Sportgeschäft setzt auf Web-Shop und Hotline.
Und dann tedi. Ein ganz besonderer Fall. Hell leuchtet das Ladeninnere, so recht herunter gefahren ist der Betrieb nicht?
Die Westfälischen Nachrichten berichten (20.3.2020), dass tedi die Schließungsverfügung nicht eingehalten hat. Nachhilfe durch die Behörden war erforderlich, damit auch dieser Billigheimer den Gesundheitsschutz der Hiltruper respektiert. Brauchen wir solche bedenkenlosen Geschäftemacher in Hiltrup?
Dann gibt es noch andere, deren Verhalten Fragen aufwirft. Zwei laufen miteinander über die Marktallee, ohne Sicherheitsabstand: Leben sie in einem Haushalt miteinander? Oder ist es ihnen einfach schnurzegal?
Noch dürfen Zeitungen verkauft werden. Die verkürzten Öffnungszeiten lassen ahnen, welche wirtschaftlichen Konsequenzen die Seuche trotzdem haben wird.
Letzte Aufräumarbeiten laufen im Hintergrund, das Blumengeschäft ist Geisterlandschaft. Topf an Topf steht das Porzellan, geballtes Vakuum.
Im Nieselregen-Grau des Nachmittags lässt St. Clemens seine Lichter leuchten, links und rechts des Hauptportals geben sie ein Signal? Nein, diese Lichter geben keine Antwort, was uns noch bevor steht. Zwischen ihnen hängt ein Zettel: Aufgrund einer Baumaßnahme geschlossen.
Vor drei Tagen noch waren die Hiltruper munter unterwegs auf der Marktallee, fast alle Läden offen, die Einsicht in die Gefahr gering. Jetzt ist beinahe schon Schockstarre eingetreten. Wird das reichen, um die Welle zu stoppen? Die Landesregierung zögert, das soziale Leben wie in anderen Ländern noch stärker zu bremsen, wird damit kostbare Zeit verschenkt?