Sorglos auf intensiv?
Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben, und wenn man den ganz billigen mit viel Zucker heiß macht, wollen alle davon. Vor Broecker an der Hiltruper Marktallee steht am Sonntagnachmittag die Glühweinbude, und ringsum ist es voll. Gerade hat man Bilder aus Köln gesehen: Verkaufsoffener Sonntag steht noch auf den Transparenten, aber die Läden sind geschlossen, und die Passanten im Wohnviertel tragen Masken.
Und Münster, der Hort der Glückseligkeit? Hat die WN nicht gerade verkündet, die ganze Welt komme nach Münster und frage, wie Münster es schafft, Corona einzugrenzen? Nein, auch in Münster gehen die Zahlen nach oben, und mit der viel gerühmten Selbstdisziplin ist es nicht weit her.
Glühwein to go, anderswo werden die Buden zu gemacht, weil die Betreiber sich nicht an die Auflagen halten. Abstand halten, Maske tragen, vor dem ersten Schluck 50 Meter weg gehen? Zwischen Broecker und St. Clemens etabliert sich eine Feier-Meile. Ganz verschämt steht ein Pärchen 20 Meter weiter auf dem Gehweg, aber die meisten bleiben direkt vor der Glühweinbude stehen.
Wenige Schritte gehen sie in Richtung Kirchplatz, bleiben dann stehen – und reden miteinander.
Andere suchen den St. Clemens-Segen: Auf dem Transparent an der Kirche steht noch „Du für den Nächsten“ (Frauen haben es ja bekanntlich immer schwer bei der Kirche), aber von Fürsorge für die Nächsten in Form von Abstand kann auch hier keine Rede sein. Man steht in Grüppchen beieinander.
An der Straße kann man die Logistik beobachten. Was früher auf dem Bau der Bierholer war, das sind jetzt die Glühwein- und Bierträger.
Es ist doch nett, diese Nähe und Wärme. Alte und Junge stehen nah beieinander, wer will etwas gegen den Zusammenhalt der Generationen sagen? Nur der Hausarzt sagt nebenbei: Erst waren es die 30jährigen, die ich positiv getestet habe, jetzt geht es weiter und auch die Älteren werden krank.
Auch die Älteren. Vor St. Clemens sieht man sie noch munter. Und gegenüber?
Sicher, eine Eisdiele im Winter hat ihre besonderen Probleme. Venedig war einige Zeit geschlossen, „wegen Umbau“, heute ist Venedig offen. Der Laden hell erleuchtet, drinnen sitzen Leute, draußen stehen Leute dicht gedrängt.
War was? Nein, keine besonderen Vorkommnisse. Nur die ganz normale Sorglosigkeit. Und auf der Intensivstation wird sich niemand verplappern, dass er oder sie vor St. Clemens gewesen ist.