Radträume und Realität
Mit dem Fliegen haben manche es ja. Alle paar Monate nach Mallorca, zum Kampfpreis, die Zeche zahlen die Umwelt und die Finanziers von Münster-Osnabrück (war da nicht was?). In Corona-Zeiten wird tiefer geflogen, da darf es auch mal in fünf Meter Höhe ein Flyover für Radfahrer sein. Flieg von der Promenade zum Aasee, Münsters Stadtbaurat hat so seine Brücken-Träume.
Mit den sogenannten Kunstbauwerken hat es allerdings eine besondere Bewandtnis. Sie sind meistens teuer, aber nicht nur der Bau, sondern auch die laufende Bauunterhaltung verschlingt eine Menge Geld; sie wollen ständig gehätschelt und repariert werden. Wenn sie erst einmal da sind, mag man sie nicht mehr abreißen, auch wenn sie im Wege sind und Probleme machen. Und Probleme machen sie. Das fängt bei der Zielgruppe an: Wer soll eigentlich darüber? Nur Fahrräder, oder werden auch Fußgänger hier lang wandern und mit schnellen Radlern kollidieren? Wenn diese Brücke die Berufspendler animieren soll, am Morgen und am Abend das Auto stehen zu lassen, wie viele von ihnen sind denn auf dieser Strecke unterwegs? In der Ratsvorlage V/0156/2020 von 2020 sagt der Stadtbaurat nichts dazu und verweist nur auf das geplante regionale Veloroutennetz. Das will Radverkehr aus Albachten und Mecklenbeck über die Bismarckallee leiten – wenn die Albachtener und Mecklenbecker denn wirklich zur Promenade bzw. zur Aegidiistraße wollen. Ein paar kleine Zweifel am Veloroutennetz sind durchaus angebracht, wenn man sich mal die anderen Routen anschaut; hat man die Hammer Straße nicht gerade erneuert mit nadelöhrschmalen Radwegen, die mit „Veloroute“ nun wirklich nichts zu tun haben?
Oder sind mit dieser neuen Brücke die Studis und Rentner gemeint? Egal, wer gemeint ist, es wird auch Probleme mit dem Tempo geben. Wo früher nur das Fahrverhalten von Kampfradlern beklagt wurde, ist dieser Konflikt inzwischen deutlich schärfer geworden. Mit dem Aufkommen von Kinderanhängern, Lastenrädern und Pedelecs neben den „normalen“ Fahrrädern sind die Unterschiede in Raumbedarf und Geschwindigkeit der Radfahrer stark gestiegen. Wer jetzt neu plant, muss sehr viel mehr Platz für die Räder einplanen, und noch viel mehr, wenn auch Fußgänger beteiligt sind.
Und was ist, wenn es kracht? Wenn randaliert wird, wenn Straßenräuber unterwegs sind? Brücken und Tunnel sind Angsträume; die Animationen in der Ratsvorlage zeigen, dass hier keine kurze Brücke geplant ist mit kurzen Wegen zur nächsten Straße. Tatsächlich denkt der Stadtbaurat an eine Art lange Hochstraße. Also muss bei Breite und Tragkraft des Bauwerks berücksichtigt werden, dass es auch Krankenwagen und Polizei tragen muss. Der Stadtbaurat hat also durchaus Recht mit der Vokabel „Leuchtturm-Dimension bei Radverkehrs-Bauwerken“. Das gilt auch für das Leuchten, denn den langen Flyover wird man beleuchten müssen, es wird eine neue leuchtende Schneise durch dies einmalige Szenario von Aasee und Promenade geben.
Es ist ein Projekt, dessen Nutzen sich nicht ohne weiteres erschließt. Es ist ein Projekt, das durch widersprüchliche Gutachterpapiere in Verruf gekommen ist, frei nach „Wes Brot ich ess, des‘ Lied ich sing“. Und es ist ein teures Projekt. Daran beweist sich einmal mehr Bigotterie von Kommunalpolitik: Ist doch egal, das Geld kommt von Land und Bund. Sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende im Rat der Stadt Münster, der sich „die 94-Prozent-Bezahlung durch Bund und Land von anderen Städten [nicht] wegschnappen lassen“ will (zitiert nach Westfälische Nachrichten vom 5.5.2021).
Oder geht es um etwas ganz anderes? Über den Aasee führt eine große Brücke, die nach einem ehemaligen Stadtbaurat von Münster benannt ist – soll es 100 Jahre später jetzt eine Denstorff-Brücke geben? Jedem sein Denkmal?
Radfahrer in Hiltrup können sich über solche Planspiele nur ärgern. Der bucklige Radweg entlang der Hülsebrockstraße zum Beispiel ist das beste Argument fürs Auto, das daneben auf wunderbar glattem Asphalt rollt. Lasst uns doch nur wenigstens einen Bruchteil der Flyover-Millionen nehmen und die vorhandenen Radwege ertüchtigen!