Politisches Radfahren
Radfahrer war ja mal ein Schimpfwort: Nach oben buckeln, nach unten treten. Aber das ist Vergangenheit. Jetzt haben es doch alle mit dem Radfahren, vor allem vor der Wahl. Am Acker in Rinkerode sollen wir das Auto stehen lassen und mit dem Rad zu Karstadt – nein, heißt neu Galeria – in Münsters Innenstadt düsen. In Rinkerode hält nämlich nicht jeder Zug, und in Hiltrup gibt es keine Parkplätze. Die sind alle belegt von den Leuten, die sonst auf der roten Max-Winkelmann-Straße geparkt haben. Und autofreie Innenstadt, das ist doch super. Hauptsache, die anderen fahren mit dem Rad. Oder mit dem Bus. Und teilen sich da die Corona-Keime. Aber selber will man doch – seien wir doch ehrlich – gern grün wählen, ist gerade in, und mit dem Auto ins Parkhaus. In der Stadt. Da ist dann Platz, wenn die anderen radfahren.
So weit wollen wir aber gar nicht gehen – nein, radfahren. Es ist doch Wahl, und vor der Wahl müssen die Kandidaten immer radfahren. Das ist so ein münstersches Gesetz. Leute kommen dann mit dem Rad nach Hiltrup, die hat man sonst noch nie gesehen. Echte Oberbürgermeister kommen nach Hiltrup. Mit Hiltrup, oder noch besser: mit Berg Fidel haben die sonst nichts am Hut. Aber es ist ja Wahl. Ich sag du bist ein Radfahrer in Hiltrup (frei nach Janosch), und dann muss er. Muss in Hiltrup aufs Rad.
Was so ein Bürokrat ist, der hat es ja mit dem Schreiben. Sie kennen doch den Witz von den pensionierten Beamten? Der eine schreibt jeden Tag eine Seite Telefonbuch ab. Und der andere unterschreibt. Also muss in der Pressemitteilung von dem Oberbürgermeister seinen Radfahrern auch was vom Schreiben stehen: In Hiltrup eine klare Handschrift der CDU. So druckt die WN (7.9.2020) das ab.
Ob die sich das wohl gut überlegt haben? Sicher sind die Radfahrer auch über die Marktallee gekommen. Weil die CDU hier so lange das Sagen hatte, hat Hiltrup nie einen richtigen Ortskern bekommen. Nur eine Durchgangsstraße. Da stehen immer wieder die Läden leer. Die einen wollen nur Ärzte als Mieter. Die anderen wollen lieber abreißen. Und noch anderen ist das ganz egal, was aus der „Flaniermeile“ wird. Das muss wohl die klare Handschrift der CDU sein.
In Ost ist die kleine Radtruppe auch gewesen. In der Pressemitteilung stand wohl, dass mit dem neuen Baugebiet auch Infrastruktur entwickelt werden soll. Das ist doch ein schönes Beispiel von Selbstkritik. In Ost ist nämlich, so infrastrukturmäßig, der Hund verfroren. Zuletzt hat der Oberbürgermeister die Filiale der Sparkasse in Ost zugemacht. Natürlich nicht persönlich, aber dafür hat man den Vorstand der Sparkasse. Das nennen die Radler dann „klare Handschrift der CDU“.
Auf dem Rückweg mussten die dann zwangsweise am Bahnhof vorbei. Eine echte Problemecke in Hiltrup. Der Aufzug stinkt von Urin, in der Unterführung stand jahrelang das Wasser, jetzt kommt das Pflaster hoch. Die Wände sind beschmiert. Da sind die Radfahrer der CDU schnell vorbei gefahren, riecht ja auch nicht gut, und sieht nicht gut aus. Und haben sich mit den Federn der Ehrenamtlichen geschmückt, die diesen Kulturbahnhof möglich machen. Was das wohl mit der CDU zu tun hat, und ihrer klaren Handschrift? Die wollte den alten Bahnhof einfach nur los werden und hat ihn verkauft.
Ein kleiner Schlenker führte am kleinen Schulzentrum vorbei. „Der Rat hat die Vierzügigkeit der Paul-Gerhardt-Schule beschlossen“, das war wohl das Thema der radfahrenden Schulleiterin. Ein Beispiel für die klare Handschrift des Rates – oh, war da nicht was mit der klaren Handschrift der CDU? Die hat aber keine eigene Mehrheit im Rat, da müssen doch wohl die Grünen oder die SPD, oder noch schlimmer: beide mitgestimmt haben? War das vielleicht einfach nur die klare Handschrift des sachlich Gebotenen, ganz ohne CDU und Oberbürgermeister und Ratsherr und Ratsfrau und das übrige schwarze Brimborium?
Am Ende sind die Radfahrer auf dem Bauernhof gelandet und bei den Reitern. Einen „interessanten Blick in den laufenden Voltigier-Kurs“ gab es dort, das war sicher auch die klare Handschrift der CDU.
Wo sie nicht gewesen sind: Berg Fidel. Macht ja auch keinen Spaß. Das kleine vollsynthetische Stadtteilzentrum funktioniert nicht mehr. Und die Sparkasse ist weg. Siehe Ost. In Berg Fidel haben die Leute sich gewehrt, mehr als 1500 Unterschriften haben sie gesammelt für den Erhalt der Sparkassenfiliale. Die Unterschriften haben sie dem Radfahrer von der klaren Handschrift – nein, man soll nicht boshaft sein, dem Oberbürgermeister übergeben. Was der dazu gesagt hat? Nicht ja, nicht nein. Und dass das kleine Zentrum von Berg Fidel ein Problem hat, da müsse doch vielleicht das Planungsamt mal drauf schauen. Die schauen immer noch. Und die Sparkasse ist weg. Da fährt man mit der klaren Handschrift besser nicht hin.
Genauso wenig wie zur Stadthalle in Hiltrup. Ein schönes Beispiel für entschlossene Unentschlossenheit. Vor lauter klarer Handschrift jahrzehntelang vergammelt. Und dann wird ein bisschen herum repariert. Sagte doch schon Karl Valentin: Mögen hätten wir schon gewollt, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.
Wahlkampf kann doch recht peinlich sein.