Was die Plakate sagen
Die Hiltruper Marktallee füllt sich wieder mit Plakaten: ach ja, es ist Wahlkampf, im September wählen wir einen neuen Bundestag. Man geht rund und schaut sich um; wie heiß wird denn hier gekämpft? Die Hitze ist doch noch nicht so recht zu spüren, auch die Veranstaltung der AfD in der Hiltruper Stadthalle hatte nur mäßig Bewegung in die hiesige Szene gebracht.
Was bieten denn dann die Plakate an, womit wird geworben?
Zunächst fällt bei dem Gang über die Marktallee auf, dass einiges nicht auffällt. Wo die CDU in der üblichen Materialschlacht überhaupt noch Lücken gelassen hat, finden sich ganz vereinzelt die Grünen, noch weniger FDP und ÖDP, und gar nicht: die SPD.
Die CDU nutzt natürlich den Amtsbonus. Merkel strahlt uns an, „Die Kanzlerin kommt“ – ungeschrieben leuchtet vom Plakat „Die ewige Kanzlerin“. Und sie leuchtet wirklich, Fotograf und Retusche haben ihr Bestes getan: die Falten sind kunstvoll minimiert, und die Augen strahlen, ja so blau so blau, und mitten in den Pupillen glänzen die Spitzlichter. Und dies Lächeln erst einmal, so siegesgewiss und spöttisch: soll der Schulz ruhig strampeln, der schafft’s nicht. Da hat sie starke Verbündete, Westfälische Nachrichten und FAZ, viele Medien schreiben Schulz nach unten.
Aber was hat Merkel uns denn über das staatstragende Schwarz-Rot-Gold hinaus zu sagen, wenn sie nach Münster kommt? So blau die Augen strahlen, so dünn sind da die Plakat-Texte.
Wollen wir nicht alle gut und gerne leben? Ja, da ist unsere Kanzelerin mit uns. Lasst es uns gut gehen – nennt man das nicht Hedonismus? Carpe diem oder so ähnlich, Friede Freude Eierkuchen? Nun, Merkel ist ehrlich, in der Politik meidet sie gern die konkrete Aussage. Steuern senken, Soli abschaffen? Merkel sagt lieber nichts dazu, soll der Schulz doch die Arbeit machen und konkrete Pläne für eine Steuersenkung vorlegen; schließlich muss sie meistens erst den Seehofer fragen, was sie meinen darf…
Irgendwie muss in diesem ich-bin-die-ewige-Kanzlerin-Spiel auch eine Partei vorkommen; als Volkspartei muss man für alle und jeden wählbar sein, also darf Merkels Partei die Vokabeln „Arbeit“ und „Wirtschaft“ plakatieren. Man hätte auch „schönes Wetter für alle“ nehmen können, auch damit macht man nichts falsch: bloß keine inhaltlichen Aussagen!
Natürlich gibt es auch noch örtliche Kandidaten. Blaß ist das Foto, blass auch die Kandidatin? Auch sie folgt dem Rezept der Kanzlerin, bloß keine Inhalte bitte!, aber irgendetwas soll doch auf dem Plakat stehen, also: „Natürlich“. Was zum Teufel soll das eigentlich heißen? Natürlich ist in der Politik gar nichts – oder ist das etwa so ein ganz besonders pfiffiger Text, hochintellektuell um die Ecke gedacht und auf die Grünen gemünzt: wenn hier eine mit Natur was am Hut hat, dann bin ich das? Und nicht Klein-Schmeing von den Grünen, die genau diagonal gegenüber angeklebt ist?
Schwarze Kandidatin mit schwarzem Hund im grünen Wald, das ist doch eindeutig!
Schulz (an der Hohen Geest) erweist sich auch in der Plakatierung Merkel ebenbürtig. Er lächelt nicht weniger siegesgewiss als Merkel vom Plakat, seine Augen sind nicht weniger blau und voller Licht – 1:1!
Die SPD verzichtet anders als die CDU darauf, das Foto des örtlichen Kandidaten noch mit irgendwelchen Füllwörtern „anzureichern“. „Ich bin jung und die Zukunft“ sagt das Foto, das muss reichen.
Dafür plakatiert die SPD inhaltliche Aussagen auf getrennten Plakaten. „Fördern und Fordern“ klingt hier an, Fachleutemangel, Ausbildung als Weg zur Integration der Einwanderer, auch die peinlichen von der schwarz-gelben Landesregierung eingeführten Studiengebühren für Ausländer … aber reicht „etwas Anstrengung“ aus? Darf’s nicht ruhig ein bisschen mehr sein?
Peinlich können natürlich auch Allgemeinplätze sein. Man sollte sich nicht dabei erwischen lassen, wenn man einen alten Spruch recycelt. Auch wenn das Recycling ein Thema ist, das den Grünen am Herzen liegen müsste: diesen Spruch haben wir schon in zu vielen Varianten gelesen und gehört. Und die Grafik, na die war schon im Landtagswahlkampf verbesserungsfähig. Gegen rot-grün ist ja vielleicht nichts einzuwenden, aber diese roten Dinger: auf diesem Plakat steht der rote Kreis wohl für „Alles“ (oder für „Nichts“?), und der rote Eisbär auf anderen Plakaten erst einmal – ob der wohl Sonnenbrand hat?
Der örtlichen Kandidatin ist das passiert, was sonst nur im Slapstick vorkommt. Eine große Brille sollte den Akzent setzen – und die CDU-Kandidatin auf der Straßenecke gegenüber hat auch schon so eine auf! Immerhin hat man die für das münstersche Umfeld richtige Farbe gewählt, Schwarz ist bei Grün gerade sehr gefragt. Aber im Bundestag?
Wen gibt’s dann noch? Richtig, Herr Lindner ist wieder unterwegs. Dass er keine Bedenken hat, haben wir im Landtagswahlkampf schon gesehen; erst mal einlochen und dann schauen, was der Richter dazu sagt, mit dem Rechtsstaat hatte er es da nicht so sehr. Jetzt inszeniert er sich als Trump-Aufguss, „Digital first“ als Variante von „USA first“ – ob das wohl so wirklich zieht? Oder ist das gleich für die Tonne, wie der Plakat-Standort suggeriert?
Last not least: der Wandel. Er ist ein ausgesprochener Untoter, in jedem Wahlkampf taucht er aus der Versenkung auf, manchmal auch in der Verkleidung als „Wechsel“, den man wählen soll. In dieser reinen Form ist eine edle Größe enthalten: auf absehbare Zeit wird, wenn eine Prognose gewagt werden darf, weder diese Partei noch dieser Kandidat irgendeinen Wandel in der Politik des Bundestags bewirken.
So steht der Wahlbürger wieder einmal zweifelnd vor dem, was ihm aus Plastik oder Papier vor die Nase geklebt wird. Plakatkunst, das war einmal. Aber irgendwie plakatieren, das müssen wohl alle.