Kriegsende 1918

Hamsternde Kinder auf einer Landstraße bei Hiltrup, August 1918 (Foto: © Stadtarchiv Münster)
Hamsternde Kinder auf einer Landstraße bei Hiltrup, August 1918 (Foto: © Stadtarchiv Münster)

Regierung und Generalstab hatten mit einer schnellen Beendigung des Krieges gerechnet und keinerlei Vorsorge zur Versorgung der Bevölkerung getroffen. Schon 1914 verschlechterte sich die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung Münsters. Ab 1915 waren Lebensmittel rationiert und wurden auf Karten ausgegeben: Zum Beispiel täglich ein halbes Pfund „Kriegsbrot“ (Getreidemehl mit Kartoffelmehl gemischt). Die Lage der Bevölkerung wurde im Verlaufe des 1. Weltkrieges immer schlechter.

Eingezogen am 15.3.1915 als Ersatz=Rekrut, "am 23.8.1915 in den Vogesen in französische Kriegsgefangenschaft geraten" (Militärpaß Friedrich Klare; Privatbesitz Henning Klare)

Eingezogen am 15.3.1915 als Ersatz=Rekrut, "am 23.8.1915 in den Vogesen in französische Kriegsgefangenschaft geraten" (Militärpaß Friedrich Klare; Privatbesitz Henning Klare)

Die Armee zog immer mehr „Ersatz=Rekruten“ ein und schickte sie nach einer kurzen Grundausbildung an die Front.

"Deutscher Sanitäts-Kraftwagen in Suwalki" (Postkarte: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

"Deutscher Sanitäts-Kraftwagen in Suwalki" (Postkarte: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

Die Kriegspropaganda des Deutschen Reiches sorgte zunächst für harmlose Bilder. Unter der Bezeichnung „Östliches Kriegsbild“ o.ä. enthält zum Beispiel die Sammlung Kriegsdienst des Josef Enxing (Hiltruper Museum) Postkarten-Ansichten, die höchstens ansatzweise die Schrecken des Krieges zeigen.

Andacht durch den Popen im russ. Lazarett" (Postkarte: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

Andacht durch den Popen im russ. Lazarett" (Postkarte: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

In der Sammlung sind Postkarten versammelt, wie sie auch normale Sommerfrischler hätten verschicken können. Daneben ist dem modernen „Deutschen Sanitäts-Kraftwagen“ das Bild aus dem elenden russischen Lazarett gegenübergestellt: In einem großen Raum liegen viele Verwundete auf Stroh. Ein anderes Bild zeigt den Abtransport von 15000 russischen Gefangenen: Das Elend, suggerieren die Bilder, trifft nur die „Anderen“.

"Res. Feld Lazarett 103 Suwalki 1915" (Foto: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

"Res. Feld Lazarett 103 Suwalki 1915" (Foto: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

Das Gruppenfoto aus dem Jahr 1915 vom Reserve-Feldlazarett 103 in Suwalki bedient mit Feldküche, Mettwurst, Tabak, Ziehharmonika und einer Batterie von Bierflaschen noch das Klischee vom lustigen Soldatenleben, im Vordergrund ist eine große Kiste Schultheiß-Bier dekoriert. Nur im Hintergrund schaut der kleine „Russenjunge“ verängstigt in die Kamera. Dieses und andere Bilder wurden vor Ort als Postkarten vervielfältigt und in die Heimat geschickt.

Grab des Musketiers Heinrich Rieke, gefallen 18.9.1916 (Foto: Hiltruper Museum)

Grab des Musketiers Heinrich Rieke, gefallen 18.9.1916 (Foto: Hiltruper Museum)

Viele kamen um, darunter 124 Hiltruper. Den Angehörigen „verlieh“ der Kriegsminister ein Gedenkblatt als Erinnerungszeichen an den Heldentod auf dem Felde der Ehre. Das „Gedenkblatt“ mit der vorgedruckten Unterschrift des Kriegsministers war nicht personalisiert, nur ein Ausstellungsdatum war mit Schreibmaschine eingefügt. Viele wurden verstümmelt oder gerieten in Gefangenschaft.

"Und wenn dann erst mal der große Krieg vorbei ist": Feldpostkarte eines Soldaten an seinen "kleinen Feldgrauen" in Münster (Februar 1916; Privatbesitz Henning Klare)

"Und wenn dann erst mal der große Krieg vorbei ist": Feldpostkarte eines Soldaten an seinen "kleinen Feldgrauen" in Münster (Februar 1916; Privatbesitz Henning Klare)

Die Euphorie und Verniedlichung des Krieges, wie sie die Feldpostkarte von Anfang 1916 noch zeigt, schwanden. Die Seeblockade unterbrach Lebensmittelimporte, im Winter 1916/1917 brach eine Hungersnot aus („Steckrübenwinter“). Zum Ende des Krieges herrschten Hunger und Epidemien überall im Reich, Lebensmittel waren knapp und teuer. Die Stadt Münster betrieb im Rahmen ihres Kriegswirtschaftsbüros ein Lebensmittelbüro zur Bewirtschaftung von Lebensmitteln, es konnte nur den Mangel verwalten. Tuberkulose grassierte.

In Hiltrup wurde das Firmengelände der Hiltruper Cementfabrik F. M. Dalhoff, wo die Gründer der Hiltruper SPD gearbeitet hatten, im Laufe des I. Weltkriegs enteignet. Heinrich Dalhoff, Sohn des Firmengründers, gründete stattdessen eine Baustoffhandlung an der Bahnhofstraße. Auf dem ehemaligen Firmengelände zwischen Kanal und Bahnhof wurde ein Lager für Artilleriemunition angelegt.

"Hiltrup auf dem Granatenlager": Josef Wentrup posiert vor Artilleriemunition auf dem früheren Dalhoff-Werksgelände am Hiltruper Bahnhof (um 1917; Foto: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

"Hiltrup auf dem Granatenlager": Josef Wentrup posiert vor Artilleriemunition auf dem früheren Dalhoff-Werksgelände am Hiltruper Bahnhof (um 1917; Foto: Hiltruper Museum, Bearbeitung: Henning Klare)

Die zur Armee eingezogenen Männer fehlten zu Hause. Sie fehlten als Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und Industrie, und sie fielen mit ihrem Arbeitseinkommen in den Familien aus. Ihre Frauen blieben mit kleinen Kindern allein; wenn sie beim wohlhabenden Bürgermeister um Unterstützung (sogenannte Familienzahlung) baten, konnten sie auch zur Antwort bekommen, dass sie ja arbeiten könnten.

Klassenfoto mit Lehrer Wesseling in HIltrup 1918: Wenige "reiche", ganz überwiegend einfach gekleidete Jungen (Ausschnitt, Foto: Hiltruper Museum)

Klassenfoto mit Lehrer Wesseling in HIltrup 1918: Wenige "reiche", ganz überwiegend einfach gekleidete Jungen (Ausschnitt, Foto: Hiltruper Museum)

Durch den Krieg verarmte die Bevölkerung. Im Vergleich der Schulfotos vor und nach dem I. Weltkrieg fällt auf, wie einfach die große Mehrzahl der Hiltruper Jungen auf dem Klassenfoto von 1918 gekleidet sind. In krassem Gegensatz dazu zeigen zwei Schüler ihre Uhrketten an feiner Kleidung.

Kriegsgefangene wurden in Münster in drei riesigen Lagern untergebracht, eins davon im heutigen Stadtbezirk Hiltrup. Auf der Vennheide wurde 1914 ein großes Kriegsgefangenenlager angelegt.

Zeichnung des Kriegsgefangenenlagers, überlagert mit Stadtplan des 21. Jahrhunderts (Stadtarchiv Münster / Fritz von Poblotzki)

Zeichnung des Kriegsgefangenenlagers, überlagert mit Stadtplan des 21. Jahrhunderts (Stadtarchiv Münster / Fritz von Poblotzki)

Es stand auf dem Gelände der früheren Pferderennbahn ungefähr zwischen der heutigen Drachterstraße und dem Vennheideweg. Der Westfälische Reiterverein hatte das Gelände an die Militärverwaltung verkauft und seine Rennbahn etwas weiter nach Norden verlegt (an der Hammer Straße zwischen heutiger Umgehungsbahn und Preußenstadion). An das Lager Rennbahn erinnert heute eine Stele an der Drachterstraße.

Stele zur Erinnerung an das Kriegsgefangenenlager Rennbahn (Münster, Drachterstraße; Foto: 25.8.2024, Henning Klare)

Stele zur Erinnerung an das Kriegsgefangenenlager Rennbahn (Münster, Drachterstraße; Foto: 25.8.2024 Henning Klare)

Als es für die Ärmeren schon ein Erfolg war, Krankheiten zu überstehen und ein paar Kartoffeln nach Hause zu bringen, forderte die Industrie weiter das belgisch-französische Erzbecken, und der ostelbische Grundbesitz verlangte die Eroberung des Baltikums. Das Volk war den Krieg und das wachsende Elend leid. In Schlesien und im Ruhrgebiet kam es zu Massenstreiks. Allein im Jahre 1918 streikten im Reich eine Million Rüstungsarbeiter.

Auch Münster erschien im November 1918 wie eine Stadt „vor dem Sturm“. Durch die Novemberrevolution, in deren Verlauf die Monarchie ihren Bankrott erklärte und die verhängnisvolle Konkursmasse in die Hände von Friedrich Ebert (MSPD) überging, hatte die Sozialdemokratie in Münster zwar enorm an Bedeutung gewonnen, war aber hier nicht Motor der Novemberrevolution. Zum einen war sie gespalten in USPD und MSPD und organisatorisch zu schwach (nur etwa 20 Mitglieder), zum anderen hinderten sie ihre politischen Vorstellungen daran, da sie die Demokratisierung im Reich für unaufhaltsam hielt.

Am 29. Oktober 1918 verweigerten Matrosen der Hochseeflotte in Kiel und Wilhelmshaven den Gehorsam und stellten sich der Fortsetzung des Krieges in den Weg. Der Matrosenaufstand weitete sich innerhalb weniger Tage über ganz Deutschland aus. Zunehmend verlagerte sich dabei die Initiative zur Revolte von den Soldaten und Matrosen auf die Arbeiterschaft. Nun stellten die Aufständischen über den Waffenstillstand hinaus politische Forderungen. Der Ruf nach Abdankung des Kaisers und nach Umwandlung des Deutschen Reichs in eine demokratische Republik wurde lauter.

Ab 8.11.1918 verhandelte Mathias Erzberger als Vertreter Deutschlands im Wald von Compiègne über einen Waffenstillstand, am 11.11.1918 unterzeichnete er ihn zu harten Bedingungen.

Demonstration von Soldaten und Kundgebung auf dem Neuplatz 9.11.1918 (Foto: Stadtarchiv Münster, Fotosammlung Nr. 4298d)

Demonstration von Soldaten und Kundgebung auf dem Neuplatz 9.11.1918 (Foto: Stadtarchiv Münster, Fotosammlung Nr. 4298d)

Am Abend des 8. November brach in der Aegidiikaserne in Münster die „Revolte“ aus. Ein Arbeiter- und Soldatenrat bildete sich, der u.a. mit Sozialdemokraten und christlichen Gewerkschaftern durchaus paritätisch besetzt war. Später kam es zum Konflikt, als Sozialdemokraten, im Bewusstsein, die Revolution vorbereitet und durchgeführt zu haben, die Mehrheit im Arbeiterrat verlangten und die christlichen Gewerkschafter diesem Verlangen nicht folgten.

(Zum Nachlesen: 125 Jahre SPD in Münster: Münsters SPD in der Revolution von 1918/1919, Hrsg. SPD Unterbezirk Münster 2003.)

Am Morgen des 9. November erreichte die Revolution die Reichshauptstadt. Zu Hunderttausenden formierten sich Berliner Arbeiter zu Demonstrationszügen. Noch am selben Tag gab Reichskanzler Max von Baden den Thronverzicht des Kaisers bekannt. Wilhelm II. floh in die Niederlande. Mehr noch: Der letzte kaiserliche Reichskanzler übergab die Regierungsgeschäfte an den Vorsitzenden der SPD, Friedrich Ebert. Ziel der sozialdemokratischen Führung war es, sich an die Spitze des Kampfes um die Demokratie zu stellen und ein Blutvergießen zu verhindern.

Ausrufung der Republik am 9. November 1918: Philipp Scheidemann spricht vom Westbalkon des Reichstagsgebäudes aus

Ausrufung der Republik am 9. November 1918: Philipp Scheidemann spricht vom Westbalkon des Reichstagsgebäudes aus

Eine Menschenmenge verfolgt an der Reichskanzlei Scheidemanns Ansprache. (Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1972-030-51 / CC-BY-SA 3.0)

Eine Menschenmenge verfolgt an der Reichskanzlei Scheidemanns Ansprache. (Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1972-030-51 / CC-BY-SA 3.0)

Am selben Tag noch rief Philipp Scheidemann von einem Fenster des Reichstages aus die „Deutsche Republik“ aus, während Karl Liebknecht vor dem Berliner Stadtschloss die „Freie sozialistische Republik“ proklamierte. Die doppelte Ausrufung der Republik verdeutlichte die zunehmende Polarisierung der Revolutionsbewegung. Bei diesem Machtkampf stand die SPD auf Seiten einer demokratischen Verfassung, freier Wahlen und eines parlamentarischen Regierungssystems.

Kaiser Wilhelm II. war am 29. Oktober zunächst ins Große Hauptquartier im belgischen Spa geflohen. Als die Novemberrevolution am 9. November 1918 Berlin erreichte, verkündete Reichskanzler Prinz Max von Baden die Abdankung des Kaisers, ohne von diesem dazu autorisiert worden zu sein. Daraufhin floh Wilhelm II. weiter in die Niederlande und bat um politisches Asyl.

Auch in Hiltrup entstand ein Arbeiter- und Soldatenrat. Unter dem Vorsitz des Sozialdemokraten Ferdinand Möllmann und unter Mitarbeit von Hermann Feldmann und Ludwig Kumbrink, der nicht Mitglied der SPD war, wurden Berechtigungsscheine für Lebensmittel und Feuerungsmaterial an die ärmere Bevölkerung verteilt, um „Hamstern“ und Plünderungen und somit ein Absinken dieser Bevölkerungsgruppe in die Illegalität zu vermeiden. Wie Hiltruper Sozialdemokraten berichteten, war der damalige Pfarrer Unckel darüber so erbost, dass er diesen Männern die Exkommunizierung androhte.

SPD-Wahlplakat von 1919: "Wählt die Mehrheits-Sozialdemokraten"

SPD-Wahlplakat von 1919: "Wählt die Mehrheits-Sozialdemokraten"

Ende November beschloss der von Friedrich Ebert einberufene Rat der Volksbeauftragten die Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung. Für den 19. Januar 1919 wurden die Wahlen angesetzt. Wahlberechtigt waren alle mindestens 20 Jahre alten Männer und – zum ersten Mal in der deutschen Geschichte – auch die Frauen. Mit 83 Prozent war die Wahlbeteiligung sehr hoch.

Prinzipalmarkt Münster. Unruhen am 17.6.1919 (Foto: Hiltruper Museum)

Prinzipalmarkt Münster. Unruhen am 17.6.1919 (Foto: Hiltruper Museum)

Unruhige Zeiten brachten auch die Münsteraner auf die Straße.

Heimkehrlager Rennbahn in Münster: Entlassungsschein des Landsturmmanns Friedrich Klare nach viereinhalb Jahren Kriegsgefangenschaft und Arbeit auf einem französischen Bauernhof (2.3.1920; Privatbesitz Henning Klare)

Heimkehrlager Rennbahn in Münster: Entlassungsschein des Landsturmmanns Friedrich Klare nach viereinhalb Jahren Kriegsgefangenschaft und Arbeit auf einem französischen Bauernhof (2.3.1920; Privatbesitz Henning Klare)

Währenddessen strömten immer noch aus der Kriegsgefangenschaft entlassene deutsche Soldaten in das „Heimkehrlager Rennbahn“ in Münster zurück. Bis 1918 waren in diesem Lager Rennbahn vor allem Soldaten aus Frankreich, Russland, Belgien, Italien, Serbien, England und Portugal untergebracht gewesen. Von hier aus brachen jetzt die zurückkehrenden deutschen Soldaten in ihre Heimatorte auf.

Ein Teil des Lagers Rennbahn brannte Ende 1920 ab; Baracken des Lagers wurden ab 1921 auch für den Bau der Kriegerheimstättensiedlung verwendet, die nördlich und südlich der Bahnlinie Wanne-Bremen entstand. Diese und andere Siedlergenossenschaften wurden durch die staatliche Wohnungspolitik unterstützt (zum Beispiel in Form der 1918 gegründeten Westfälischen Heimstätte): Wohnraum war knapp; um den Einfluss der „Roten“, also Sozialdemokraten und Kommunisten einzudämmen, wollten bürgerliche „Wohnreformer“ Wohnraum schaffen.

1919 marschierten Spartakisten nach Hiltrup. Eine Zeitzeugin berichtet, eine große Gruppe sei aus dem Ruhrgebiet gekommen, an der Kanalbrücke sei sie von vielen Polizisten zurückgehalten worden.

Als Reaktion auf die unruhigen Verhältnisse bildeten sich im Laufe des Jahres 1919 in vielen Orten aus dem bürgerlich-konservativen Milieu heraus Volkswehren (Einwohner- bzw. Bürgerwehren). Die Mitglieder der Einwohnerwehr der westfälischen Provinzialhauptstadt Münster, 1919/1920 immerhin mehr als 1700 Mann, zeichneten sich mehr durch ihren guten Willen denn durch ihre Kampfkraft aus, es handelte sich bei ihnen mehrheitlich um „ältere Herren“ (Gerd Krüger, Von den Einwohnerwehren zum Stahlhelm, Westfälische Zeitschrift 1997, Bd. 147 S. 405 ff).

Die Coesfelder Bürgerwehr zum Beispiel verfügte im August 1919 über 248 Mann und 240 Gewehre, an der Werbung weiterer Mitglieder beteiligte sich u.a. der geistliche Präses des katholischen Arbeitervereins. Vom späten Nachmittag an sollten zwei Nachtschutzleute vor den Toren der Stadt Felddiebstähle verhindern, und für die Anzeige von Diebstählen wurde eine Prämie ausgesetzt. Die Coesfelder Bahnbeamten, die im Bahnhofsbereich Eisenbahndiebstähle, Schiebungen, gewerbsmäßigen Schleichhandel und Bestechungen bekämpfen sollten, erhielten im März 1920 Schusswaffen.

Im März 1920 erschütterte der Kapp-Putsch die junge Republik. Die „Nationale Vereinigung“, eine im Oktober 1919 gegründete und von einigen Großindustriellen wie Hugo Stinnes unterstützte rechtsgerichtete, antirepublikanische Organisation unterhielt Kontakte zu rechtsstehenden Militärs, insbesondere zu dem Reichswehrgeneral Walther von Lüttwitz. Dieser befahl der Marine-Brigade Ehrhardt den Marsch auf Berlin. Die Marine-Brigade Ehrhardt war ein Freikorps, im Januar 1919 in Wilhelmshaven von 300 Offizieren und Berufssoldaten der früheren Kaiserlichen Marine unter Beteiligung von Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt gebildet. Sie hatte unter dem Kommando der Reichswehr dort zunächst eine von Putschisten ausgerufene Räterepublik beseitigt und bei den Kämpfen gegen die Münchener Räterepublik zahllose Verbrechen begangen. Sie sollte deshalb im März 1920 aufgelöst werden. Am 12. März 1920 besetzte sie mit 2000 bis 6000 Mann das Regierungsviertel in Berlin.

Kapp-Putsch: Zeitungsbericht vom 13.3.1920 (Bundesarchiv, Bild 183-R27712 / CC BY-SA 3.0)

Kapp-Putsch: Zeitungsbericht vom 13.3.1920 (Bundesarchiv, Bild 183-R27712 / CC BY-SA 3.0)

Die sozialdemokratischen Mitglieder der Reichsregierung mussten am 13.3.1920 erst nach Dresden und dann nach Stuttgart fliehen.

Kapp-Putsch: Aufruf von Reichspräsident und Reichsregierung am 13.3.1920

Kapp-Putsch: Aufruf von Reichspräsident und Reichsregierung am 13.3.1920

„Deutsches Volk, schare dich um deine verfassungsmäßige Regierung!“: SPD-Reichspräsident Ebert, die SPD-Minister der Reichsregierung und die SPD riefen am 13.3.1920 zum Generalstreik auf, die KPD schloss sich einen Tag später an.

Demonstration in Berlin gegen den Kapp-Putsch (März 1920)

Demonstration in Berlin gegen den Kapp-Putsch (März 1920)

Der Generalstreik erfasste am Sonntag, dem 14. März, bereits vollständig Berlin, breitete sich am Montag über die ganze Republik aus und führte zur völligen Lahmlegung der öffentlichen Versorgung.

15.3.1920: Münsters SPD und christliche Gewerkschaften rufen zum Generalstreik auf

15.3.1920: Münsters SPD und christliche Gewerkschaften rufen zum Generalstreik auf

Auch in Münster rief der „Vorstand der soz. Partei für das westliche Westfalen“ am 15.3.1920 im Mitteilungsblatt des Aktionsausschuss Münster vom 15.3.1920 zum Generalstreik auf: „Zum tatkräftigen Protest gegen die Gegenrevolution muß heute die Arbeit ruhen. … sorgt selbst für Ruhe und Ordnung. … Zeigt Euch würdig der ernsten Stunde.“

Münster: Streikaufruf von Beamtenbund und christlichen Gewerkschaften im März 1920

Münster: Streikaufruf von Beamtenbund und christlichen Gewerkschaften im März 1920

Die münsterschen Beamten schlossen sich dem Generalstreik an. Schon am 17.3.1920 wurde der Aufruf zur Beendigung verbreitet, da der „Generalstreik [den] Zweck erreicht“ hatte: Kapp war geflohen, Lüttwitz verließ die Reichskanzlei.

Im Rahmen des Generalstreiks übernahmen in den größeren Orten des Ruhrgebietes spontan gebildete lokale „Vollzugsräte“ die politische Macht. Sie wurden meist von der USPD dominiert, die KPD war ebenfalls vertreten. Arbeitersoldaten bewaffneten sich (nach Kriegsende waren viele Waffen von rückkehrenden Soldaten im Umlauf), kämpften gegen die anrückende Reichswehr und die Freikorps und kontrollierten die Städte.

In Münster waren starke Verbände der Reichswehr stationiert mit den Freikorps Münsterland, Pfeffer, Severin, Hindenburg, Gabke, Oldenburg und Göttingen, paramilitärischen Verbänden unter dem Kommando der Reichswehr. Im März 1920 kam auch die Akademische Wehr Münster zum Einsatz, ein 1919 gegründetes Freikorps. Es bestand aus Mitgliedern münsterscher Studentenverbindungen. Die Akademische Wehr sicherte Bahnhöfe und Brücken rund um Münster gegen aufständische Ruhr-Arbeiter.

Einige Arbeiterwehren unternahmen von der Lippe aus Vorstöße auf Münster, um dies Gebiet von Putschisten zu säubern und dort lagernde Waffen zu beschlagnahmen. Sie besetzten kurzzeitig Dülmen, Lüdinghausen und Bork, bei Hiltrup soll es am 23.3.1920 ein wichtiges Gefecht gegeben haben (Dreetz, Geßner, Sperling: Bewaffnete Kämpfe in Deutschland, Berlin 1988).

Parallel dazu wurde in Bielefeld verhandelt. Am 24. März 1920 unterschrieben Vertreter der Reichsregierung, der USPD, der SPD und der KPD das Bielefelder Abkommen. Grundlage war das zwischen Reichsregierung und Gewerkschaften ausgehandelte Neunpunkteprogramm. Es enthielt u.a. Aussagen zum Einfluss der Gewerkschaften, zur Entwaffnung der Putschisten, zur „Sozialisierung der dazu reifen Wirtschaftszweige“, zur Entwaffnung der Roten Ruhrarmee und Rückkehr an die Arbeit. Weitere Verhandlungen fanden am 31. März 1920 in Münster statt, im „Abkommen von Münster“ (Dreetz, Geßner, Sperling a.a.O.) wurde das Bielefelder Abkommen nochmals anerkannt.

Teile der Roten Ruhrarmee lösten sich daraufhin auf. Der regionale Militärbefehlshaber von Watter war in diese Verhandlungen nicht eingebunden. Er provozierte eigenmächtig einen erneuten Generalstreik im Ruhrgebiet und schlug den Ruhraufstand brutal nieder. Mit Erinnerungs-Stelen wird heute der Toten gedacht, die zum Beispiel in der Schlacht von Pelkum, bei Olfen, in Gelsenkirchen umkamen.

Die Stärke der „Roten Ruhrarmee“ wurde aus der Zahl der später abgegebenen Gewehre auf etwa 50.000 Angehörige geschätzt.

(Dieser Artikel wurde zuletzt am 21.11.2024 aktualisiert.)

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