Umständliches Impfzentrum
Was ist das für ein gutes Gefühl, die Buchungsbestätigung für die Corona-Impfung in der Hand zu halten! Impfzentrum NRW Standort Stadt Münster, das hört sich doch gut an, dorthin lädt die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe ein. Die Terminbestätigung kommt per Email, man kann sie ausdrucken und zum Termin mitbringen.
Aber halt, was ist das? In der Mail erscheint ein Grafikfeld, freundlich mit „QR-Code“ beschriftet, nur der QR-Code als Türöffner zum Impfzentrum fehlt. Kein Problem, denkt man, da gibt es in Thunderbird doch eine Schaltfläche, um die standardmäßig blockierten externen Inhalte in dieser Nachricht anzuzeigen. Aber die Schaltfläche zeigt sich nicht, irgendwie müssen die Absender der Mail da wohl was falsch gemacht haben? Also doch direkt auf die Internetseite des Mailproviders, von dort lässt sich auch der QR-Code ansehen und ausdrucken. Komisch, dass das in Westfalen so hakelig ist! In Niedersachsen geht das nämlich anders, sozusagen besser: Da kommt die Terminbestätigung als Anhang zu einer Email und kann als .pdf-Dokument problemlos ausgedruckt werden, mit QR-Code.
Ein QR-Code allein macht noch keine Impfung, da muss es doch noch mehr Formulare geben? Richtig, die KVWL verlangt den Aufklärungs- und den Selbstauskunftsbogen, die zumindest sind der Mail im Anhang beigefügt. Die Niedersachsen schicken nur den Link zum Download mit, ist auch o.K.. So setzt man sich an den Tisch und füllt aus.
Und setzt sich ins Auto – halt, wohin genau? Auch hier haben die Niedersachsen die Nase vorn: An der niedersächsischen Terminbestätigung hängt gleich die genaue Beschreibung, wie man zum Impfzentrum hinkommt, und ein Lageplan. Schön, da muss man nicht rumsuchen; die Westfalen liefern mal gerade eine Hausnummer.
Der Eintritt ins münstersche Impfzentrum gerät dann zum Sicherheitserlebnis. Sicherheitspersonal überall, den Personalausweis muss man aus der Hand geben, den Damen wird in die Handtasche geschnüffelt – was ist denn in den Köpfen los, die das organisiert haben? Ist man über 70 verdächtig, als Agent der Cosa Nostra einen Überfall aufs Impfstofflager zu versuchen? Die Erfahrungen in Niedersachsen waren deutlich anders. Zugegeben, Hannover ist langweilig, vielleicht war das der Grund: Die alte Dame, die dort geimpft wurde, hatte noch nicht einmal einen Ausweis, ihr letzter Pass stammte aus den 50ern, und sie durfte trotzdem rein. Dafür ist Münster international aufgestellt, „Counter“ steht am Empfangstresen, an einer Stelle, die man kaum wahrnimmt.
Weiter geht’s durch ein Törchen in die umfunktionierte Halle. Na schön, so eine angegraute Provinz-Messehalle kann sich nicht messen mit der Hannover-Messe, wo in anderen, luftigen hellen Größenordnungen geimpft wird. Aber warum müssen die Kunden sich hier in unübersichtlichem Gewusel orientieren? Eher zufällig rät ein Helfer, dann doch mal die Warteschlange 3 zu nehmen, und das ist wirklich eine Schlange, alte Menschen stehen sich hier die Beine in den Bauch, im Hintergrund klebt ein eher unauffälliges Schild „Impfstraße 3“ an einer Wand.
Wie haben die Niedersachsen das bloß hingekriegt, dass das dort so völlig zweifelsfrei, eindeutig und glatt läuft? Eigentlich ist die niedersächsische Lösung ganz einfach, vielleicht für Münster zu einfach: In Hannover läuft der Besucherstrom zuerst auf einige Empfangsschalter zu, an denen gibt es eine schnelle Vorprüfung mit wenigen Fragen. An der nächsten Station wird – wieder sehr zügig – gefragt, ob man alle Formulare ausgefüllt hat, bei Bedarf gibt’s Blankoformulare in die Hand; dahinter ist viel Platz für Tische und Stühle, Kugelschreiber und Helfer. An der nächsten Station werden die gesamten Unterlagen geprüft, dann gibt es eine Nummer: „3“ zum Beispiel. Mit dieser Nummer geht man zum Eingang der Impfstraße mit dieser Nummer und setzt sich wie beim Hausarzt in einen Wartebereich.
Hört sich recht kompliziert an, hat aber einen großen Vorteil: Der Ablauf ist völlig klar – und es gibt fast keine Wartezeiten, weil die einzelnen Prüfschritte entkoppelt, vereinfacht und dadurch beschleunigt sind.
In Münster stehen die Kunden ratlos in einer Schlange (und es sind alte Menschen, die hier stehen müssen). Dann plötzlich ein Heranwinken mit dem Zeigefinger, was ist das denn? Neben der Schlange steht ein nicht weiter gekennzeichneter Bistrotisch, die dahinter stehende Frau will etwas von einem? Das ganze entpuppt sich als medizinischer Checkpoint, in Hörweite der Warteschlange wird der medizinische Status abgefragt. So machen die Kassenärzte das, Arztgespräch in der interessierten Öffentlichkeit. Danach wird man in die Schlange zurückgeschickt, „dann reihen sie sich mal wieder in die Schlange ein“.
Die Schlange steht, genauso wie die Ärztin am Bistrotisch. War das komfortabel in Hannover! Vor den Wartenden ist unübersichtliches Gewusel, Leute in Zivil und Leute in Kitteln laufen durcheinander. Endlich geht es weiter, man wird durch den Vorhang in ein Kabuff dirigiert, auf dem Tisch liegt noch ein herrenloser Gesichtsschild. Jetzt erschließt sich der Grund des Gewusels. Die Impfenden kommen zu den Impflingen, wandern von Kabuff zu Kabuff, auf den Wegen gibt es viele Beinahe-Kontakte zwischen Menschen, die eigentlich Abstände einhalten sollen. Der wehende Vorhang, von vielen Leuten schon angefasst, verdeckt nur mangelhaft den Blick auf die sich Ausziehenden.
Besser geht’s nicht? In Hannover haben sie die Impfstation als Durchlauferhitzer konzipiert. Aus dem Sitz-Wartebereich geht es durch das Arztzimmer – mit Tür – auf der anderen Seite wieder heraus zum Impfen. Viele Impfkabinen, blickgeschützt und kontaktlos geht es um die Ecke herein und auf der anderen Seite wieder heraus mit der klaren Ansage: 10 Minuten noch warten, dann nach Hause.
In Münster gibt es keine Ansage, wie lange man noch warten soll. Man findet den Ausgang, lange Stuhlreihen stehen hier. Nanu, was soll das? Mittendrin einige Schildchen in Briefpapiergröße, „Noch 30 Minuten“ steht drauf. Da hat man sich wohl gedacht, die Alten, die sich nicht mehr gut orientieren können, werden wohl Begleiter mit haben. 30 Minuten? Warum 20 Minuten länger warten als in Niedersachsen?
30 Minuten sind lang, wenn man einfach nur sitzen soll. Wie wäre es mit einem Kaffee zwischendurch – ach, ist ja Corona, geht nicht. Man blickt sich um. Da laufen im Hintergrund an der Wand bunte Bilder. Münster hält zusammen, alles jovel-schovel, was ist das denn? Schreiende Farben, von der Handykamera mit ihrer „Bildverbesserung“ ist man ja schon einiges gewohnt, das hier sprengt alle Grenzen, tut weh in den Augen. Münster above, na das ist das Niveau der „Impf-Counter“, was soll das? Man schaut näher hin. Die Stadtverwaltung wirbt für sich als Arbeitgeber. Nur junge Leute arbeiten da, bekommt man zu sehen, kann das denn stimmen? Aber auch eine alte Hand fummelt an alten Aktenordnern, doch, so ist Verwaltung? Das Video ist überdreht schnell, die Jobangebote fliegen vorbei, die Passanten auf dem Prinzipalmarkt zappeln vor Eile, einige wenige Autos rasen um den Ludgerikreisel – hier muss man schlucken. Schönfärberei mit kreischebunten Ziegeldächern, knallblauen Himmeln und knallgrünen – manchmal auch knallgelben – Wiesen mag ja Geschmackssache sein, und warum soll so eine kleine Großstadt nicht mal ihren schlechten Geschmack vorzeigen? Ludgerikreisel als Ort der Idylle, das geht aber eindeutig zu weit, zu heftig ist die Grenze von der Schönfärberei zur offensichtlichen Lüge überschritten. Man schaut noch näher hin. Ja, da kommt ja auch Hiltrup vor, herrlich bunt von oben, das ist doch das Freibad, und dann der Hiltruper See mit seinen Sandstränden – Moment, da gibt es doch fast keinen Sandstrand, was ist das denn? Beim Segelclub liegen Boote auf dem Sand? Dann klickt es im Hirn. Das ist das verdammte Grünzeug, das den See zuwuchert und die Boote festhält! Das sieht von oben aus wie wunderbarer Strand, die ultimative Drohnen-Fotografie-Dröhnung. Alles Schwindel.
Ein letzter Frust wartet noch. Beim braven Warten kann man schon die Schlangen vor den Ausgängen beobachten: Was ist denn da los? Auch dort stehen die Menschen in Schlangen, und es geht nicht wirklich weiter. Hat man sich an diese Schalter herangewartet, traut man seinen Augen nicht. Da sitzen Menschen hinter Computern und tippen was ein, das kostet Zeit. Und dann müssen diese armen Menschen für jeden Besucher, der endlich nach Hause will, von ihrem Platz hinter dem Schalter aufstehen, und was machen die denn da? Sie nehmen all den Papierkram, der sich in der Hand der Kunden angesammelt hat, gehen nach hinten und jagen ihn durch einen Scanner. Blatt für Blatt. Drehen sich um, setzen sich wieder, reichen den Papierkram durch die Luke und wünschen einen guten Tag.
Wieder die Erinnerung, warum ging das in Hannover so schnell? Die Niedersachsen haben den Ablauf vorher durchdacht. Sie fragen die Kunden zwischendurch, ob sie eine Kopie von dem Papierkram haben wollen – und behalten das Original-Papier einfach. Die weitere Verarbeitung kann dann hinter den Kulissen stattfinden, ohne die Leute im Impfzentrum aufzuhalten. Zum Auschecken gibt man im Vorbeigehen ein einziges letztes Blatt ab, behält nur die Impfbescheinigung, das war’s. 30 Minuten gegen 85 Minuten in Münster.
Ja, wer impft eigentlich die KVWL? Eine Impfung mit Professionalität von Organisation und Ergonomie, wer kann denn die verabreichen? Aber schön ist es doch, endgültig geimpft zu sein.