Unterschriften für Bürgeranregung
Die Max-Winkelmann-Straße in Hiltrup wird rot, weil Grün es so will. Die schmale Wohnstraße ohne Durchgangsverkehr ist seit Jahren Fahrradstraße. Es ist eine stille Allee, ihre alten Bäume stehen teilweise inzwischen auf wackligen Füßen. Die Häuser sind auch nicht mehr die jüngsten. Sie wurden überwiegend in einer Zeit ohne Stellplatzverordnung gebaut, Autos von Anwohnern und ihren Besuchern teilen sich den Platz mit den Radfahrern und dem Müllauto.
Nun soll die Straße rot werden. Ein Herzensanliegen der münsterschen Grünen, von denen einige an dieser Straße wohnen, wird wahr. Eine dünne rote Splitt-Schicht wird mit einer Art Klebstoff, einem Epoxid-Harz (=Kunststoff), ab 30.6.2020 aufgebracht. Zur Begründung verkündet die Stadtverwaltung, die Straße werde kaum als Fahrradstraße wahrgenommen.
Sinn und Unsinn dieser Maßnahme ist in der Vergangenheit breit diskutiert worden, letztlich haben sich die Betroffenen in ihr Schicksal gefügt. Dann soll die Straße eben rot werden. Untergegangen ist dabei eine Klitzekleinigkeit. Auf einem großen Teilstück ist in Zukunft Parken verboten, ein absolutes Halteverbot soll kommen. Das haben die Anwohner erst vor Kurzem erfahren, vom 26.6.2020 datiert die Pressemitteilung der Stadtverwaltung.
Das ist für die Anwohner schon ärgerlich genug. Aber nicht nur, dass sie sich nicht ernst genommen fühlen: Die Anwohner werden auch noch auf den Arm genommen. In der Pressemitteilung heißt es nämlich zum Thema Parkverbot ganz süffisant: „Damit die Anwohnerinnen und Anwohner sich auch nach der Rückkehr aus Urlaubsreisen in den Sommerferien noch nach alternativen Parkmöglichkeiten umsehen können, werden die Halteverbotsschilder erst zum 1. Oktober aufgestellt.“
Selbst den Anwohnern von der grünen Partei ist ohne weiteres Umsehen klar, dass es keine alternativen Parkmöglichkeiten gibt. Eine Parallelstraße ist die Marktallee – Parken illusorisch. Die Heideggerstraße als die andere Parallelstraße ist – anders als die Max-Winkelmann-Straße – heute schon so dicht zugeparkt, dass kein Platz für weitere Autos bleibt. Und die Querstraßen? Am Klosterwald ist Schulweg, Parken ist hier nur sehr eingeschränkt zugelassen; durch die neuen Wohnungen, die hier entstanden sind bzw. noch entstehen, ist der Parkdruck trotz Tiefgaragen stark gewachsen. Leibniz- und Hanses-Ketteler-Straße sind voll, hier konkurrieren Anwohner und Kunden der Geschäfte an der Marktallee; sobald Woolworth im Sommer öffnet, wird sich die Situation hier noch verschärfen.
In diesem Umfeld sollen sich die Anwohner der Max-Winkelmann-Straße „nach alternativen Parkmöglichkeiten umsehen“?
Die Verschiebung des Parkverbots in den Herbst soll den Anwohnern in Wirklichkeit nicht das Umsehen nach Parkplätzen erleichtern. Tatsächlich geht es nur darum, den Ärger mit den Anwohnern in die Zeit nach der Kommunalwahl zu verschieben. Zu offensichtlich ist der miese Trick: Am 13. September wird der neue Rat gewählt. Nach der Wahl können sich die Bürger ruhig ärgern.
Wer hier wohnt und Arzt oder Pflegedienst braucht, was soll der tun? Das geplante absolute Halteverbot würde auch solche Hilfe verhindern.
Aber es geht nicht nur darum, dass die Anwohner Hilfen und Dienstleistungen in Anspruch nehmen können. An der Max-Winkelmann-Straße gibt es auch den umgekehrten Fall: Körperlich schwer beeinträchtigte Patienten kommen mit dem Auto, um die Praxis eines Physiotherapeuten aufzusuchen. Mehrere Mitarbeiter sind hier beschäftigt, entsprechend groß ist die Zahl der Patienten – und damit auch der Bedarf an Parkmöglichkeiten.
Die Anwohner haben nicht so viel Humor, dass sie solche Scherze mit Gleichmut hinnehmen. Per Flugblatt kündigen sie an, Unterschriften für eine Bürgeranregung gemäß § 24 der Gemeindeordnung NRW gegen diese Maßnahme zu sammeln. Organisatoren der Unterschriftensammlung sind Pamela und Volker Smolnik, Max-Winkelmann-Straße 46, 48165 Münster (info@architekt-smolnik.de.
Die münsterschen Grünen haben gerade die Zusammenarbeit mit der CDU aufgekündigt, nachdem sie zuvor die Zusammenarbeit mit der SPD aufgekündigt hatten (in der Vergangenheit war die FDP für solche Wendemanöver bekannt). Wollen die Grünen rechtzeitig vor der Kommunalwahl die Verantwortung für allerlei Kapriolen loswerden und als unbelastete Oppositionspartei in den Wahlkampf ziehen? Die Diskussionen um die Prinzbrücke in Hiltrup und das Strotmann-Projekt im Hansaviertel sind keine Referenz für den Wahlkampf, auch die Max-Winkelmann-Straße könnte Stimmen kosten. Vielleicht nimmt die Rats-CDU ja den neu gewonnenen politischen Spielraum wahr und kommt wenigstens den Anwohnern der Max-Winkelmann-Straße entgegen?
Fragt man die Stadtverwaltung nach technischen Details des angewandten „Klebeverfahrens“, bekommt man keine Antwort. Stattdessen bekommt man den Link zur Internetseite des Herstellers Possehl genannt. Dass der Hersteller sein Produkt in den höchsten Tönen lobt, wen wundert das? Wie lange das rote Wunder hält, wann dieser Dünnschichtbelag erneuert werden muss, dazu sagt die Stadtverwaltung nichts. Der Hersteller sagt „lange“. Will man mehr wissen, muss man sich schon die Ratsvorlage von 2018 heraussuchen, sie enthält einige wenige Angaben: Nach dem Stand von 2018 werden dort als Herstellungskosten des Dünnschichtbelags 30 € pro Quadratmeter angegeben, die voraussichtliche Lebensdauer wird auf 10 Jahre geschätzt. Die Vorlage gibt auch in aller Kürze die fachliche Einschätzung des Landesverkehrsministers wieder: eine Roteinfärbung gehe über den erforderlichen Standard hinaus und werde deshalb nicht bezuschusst.
Ein Zwei-Komponenten-Kunstharz wird hier verwendet, um die farbigen Splittkörnchen auf die Straße zu kleben. Wie sieht es mit dem Rollwiderstand aus, ein für Radfahrer nicht unwichtiger Punkt? Der Hersteller Possehl bewirbt sein Produkt mit gesteigerter Griffigkeit. Raue Beläge, das weiß jeder Radler, kosten Kraft beim Fahren.
Wie sieht es mit dem Abrieb dieses Kunststoffs aus, werden sich die Kunststoff-Partikel in der Umwelt verteilen? Ist das ein Beitrag zur Vermehrung von Mikroplastik? Und wie recycelt man das Zeug? Nichts hält ewig, normaler Asphalt wird aufbereitet und wieder verwendet – wie sieht das mit dem Kunstharz aus? Die Stadtverwaltung schweigt, genauso wie der Hersteller in seinen Reklametexten.
Die verwendeten Chemikalien sind nicht unproblematisch. „Vor der Entscheidung für Systeme auf Epoxidharz-, Polyurethan- oder MMA-Basis sollte die Möglichkeit der Anwendung von Ersatzstoffen geprüft werden“, schreiben das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und die Bayerische Architektenkammer in ihrem Baustoff-Informationssystem. Weiter heißt es dort: „Eine sortenreine Trennung ist kaum vorstellbar. Damit sind die Voraussetzungen für ein stoffliches Recycling nicht erfüllt. Die mit Kunstharzbeschichtungen behafteten mineralischen Baustoffe werden in ihrer Recyclingfähigkeit beeinträchtigt. Dies kann zu Qualitätseinbußen von Sekundärbaustoffen führen.“
Umwelt, Anwohnerparken, Chemie und Baustoffe sind nicht die einzigen Themen bei dieser Baumaßnahme.
Hiltrup ist nicht gerade reich an erhaltenswerter Architektur. Mit dem Haus Am Klosterwald 2 ist gerade einer dieser Schätze mit Müh und Not gerettet worden, der nächste steht in der Max-Winkelmann-Straße 10 unter Denkmalschutz. Ein schönes Beispiel von Bauhaus aus dem Jahr 1932, das Haus begeistert mit seinen reduziert-klaren Formen, auch der Garten ist dazu passend schön erhalten. Eine rote Kunststoff-Rollbahn soll hier in Zukunft das Bild beherrschen? Kaum vorstellbar.
Am Donnerstag, 02. Juli 2020, 17 Uhr haben die Anwohner Gelegenheit, die Situation mit dem OB-Kandidaten der SPD zu erörtern. Treffpunkt: Eingang zum Schulhof der Johannes-Gutenberg-Realschule, Am Klosterwald 30, 48165 Münster.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 1.7.2020.)