Man braucht einen Hausarzt, wenn man alt wird. Kleine Gesundheitsreparaturen fallen an, manchmal auch größere. Dieses und jenes muss regelmäßig kontrolliert, Werte ermittelt und interpretiert, Anweisungen an Pflegedienste gegeben werden.
Nun gibt es den einfachen Hausarzt nicht mehr, den guten alten Onkel Doktor, der einfach „Arzt“ an seine Tür schreibt und sich kümmert. Stattdessen preist sich jeder, der sein medizinisches Examen bestanden und auf Pump eine Praxis gekauft hat, nach Leibeskräften als Spezialist an. Der eine verkauft Naturheilverfahren, als ob die Kollegen nur Unnatürliches machen. Der nächste ist Homöopath, also staatlich zugelassener Kügelchen-Zauberer. Wieder andere werben damit, dass sie etwas von den Säften im Inneren des Menschen verstehen, das sind die Internisten; und von denen behaupten ein paar, dass sie auch vom Äußeren des Menschen eine Ahnung haben, die nennen sich „Hausärztlich tätige Internisten“.
An so einen – nennen wir ihn Doktor Igel – geriet der alte Mensch, der hoch betagt am Vormittag gerade aus dem Krankenhaus entlassen war. Ganz schlecht war es ihm gegangen, jetzt reichte es gerade, um wieder nach Hause zu gehen. Auf ihn wartet um 12 Uhr mittags der Pflegedienst: Zucker messen, Insulin berechnen und spritzen. Dafür braucht der Pflegedienst die entsprechenden Unterlagen, die das Krankenhaus neben dem Arztbericht in einem verschlossenen Umschlag mitgegeben hat.
Ein hilfsbereiter Nachbar trägt den verschlossenen Umschlag zu Doktor Igel und übermittelt zwei Wünsche des alten Menschen: man möge bitte den Pflegedienst informieren, also entweder dem Nachbarn das Blatt Papier aus dem Umschlag mitgeben zur Weitergabe an den Pflegedienst oder das Papier direkt an den Pflegedienst übermitteln. Außerdem braucht der alte Mensch ein Rezept, damit er die vom Krankenhaus verordneten neuen Medikamente aus der Apotheke holen und pünktlich am Abend dem Pflegedienst aushändigen kann.
Hinter Doktor Igels Praxistür wartet Jungfer Schnippisch auf den Nachbarn. Sie hat offensichtlich nur einen einzigen Auftrag: Abwimmeln. Nein, für den Pflegedienst gibt sie nichts heraus. Nein, dass der Pflegedienst die Info am Mittag braucht, ist ihr egal. Nein, Doktor Igel werde sich das erst nach dem Ende der Sprechstunde ansehen, nach 13 Uhr (wenn der letzte Patient gegangen ist, also vielleicht nach 14 Uhr) – zu spät für den Pflegedienst.
Ging es nicht eigentlich um die Versorgung eines schwer kranken alten Menschen? Aber der Nachbar erinnert sich: Auf der Homepage von Doktor Igel steht „… liegt ein Schwerpunkt unserer Arbeit neben der allgemeinmedizinischen Versorgung in der Diagnostik und Versorgung Internistischer Krankheitsbilder“. Für Doktor Igel ist die Aufgabe als Hausarzt Nebensache.
Was macht man, wenn der Doktor nicht hilft? Hilf dir selbst, ist die Parole. Jungfer Schnippisch den Umschlag mit dem Arztbrief wegnehmen, zurücklaufen zu dem alten Menschen, mit ihm zusammen (weil er nicht sehen kann) die Unterlagen durchsehen, das Insulin-Papier und den Medikamentenplan kopieren, die Kopien für den Pflegedienst bereitlegen und vorsichtshalber per Fax an den Pflegedienst schicken; und der alte Mensch macht sich danach selbst auf den Weg zu Jungfer Schnippisch, um noch einmal den Arztbrief und seine Bitte um ein Rezept vorzutragen. Und so wie Jungfer Schnippisch gestrickt ist, wird entweder der alte Mensch oder der hilfsbereite Nachbar am Nachmittag ein drittes Mal zur Arztpraxis laufen müssen, um dann das Rezept abzuholen und die neuen Medikamente zu kaufen.
So etwas gibt’s gar nicht? Doch. Mitten in Hiltrup, im April 2018. Und Sie, Sie suchen einen Hausarzt, der sich wirklich kümmert? Gehen Sie besser zu einem Facharzt für Allgemeinmedizin. Wenn Sie Glück haben, kennt er die „internistischen Krankheitsbilder“ genauso gut – und hilft.