Sicherheit und Wahlkampf

Der Attentäter von Berlin: kein Vorwurf war bislang zu billig, um das fürchterliche Verbrechen von Anis Amri nicht doch als Wahlkampfmunition für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen einzusetzen. Nach all dem Lärm liegt jetzt das Gutachten des Strafrechtsprofessors Dr. Bernhard Kretschmer vor, den die Landesregierung NRW mit der Bewertung der Abläufe beauftragt hatte. Der anerkannte Jurist schreibt kurz und trocken in der Zusammenfassung: „… keine durchgreifenden Anhaltspunkte für ein relevantes Fehlverhalten oder für relevante Versäumnisse von Stellen und Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen … Das betrifft sowohl die strafrechtliche, aufenthaltsrechtliche als auch polizeiliche Beurteilung.“

Es lohnt durchaus, sich das Gutachten näher anzusehen: was wussten die Behörden, was konnten sie für Verwaltungs- und Gerichtsverfahren verwerten, ohne ihre „Vertrauenspersonen“, ihre Informanten in Lebensgefahr zu bringen? Lesenswert auch die eigentlich selbstverständliche Mahnung, bei der Beurteilung all der Abläufe nicht den Standpunkt „ex post“ einzunehmen, also aus dem Kenntnisstand von heute heraus; gab es „ex ante“, also aus der Sicht des vorigen Jahres, vor Amris Verbrechen, wirklich belastbare Hinweise auf die bevorstehende Tat?

Aber die Schockstarre bei den Parteien im Wahlkampf dauerte nicht lange. Den Grünen ist der Schreck in die Knochen gefahren, die Umfragewerte schwächeln, da kann ein wenig Profilierung mit Sicherheitsthemen nicht schaden? Also wird die unterste Lade gezogen: der Professor habe einen Ruf an die Universität Bielefeld, da bekomme er sein Geld von der NRW-Landesregierung, der ist gekauft!

Und der CDU-Bundesinnenminister wärmt prompt den Ladenhüter von FDP-Lindner auf: wenn es auch keine Rechtsgrundlage für eine Verhaftung des Amri gegeben habe, so habe man es dennoch wenigstens versuchen müssen. Ade Rechtsstaat: ausgerechnet der Bundesinnenminister – man nennt ihn auch den „Verfassungsminister“ – rät zu Verhaftung ohne Rechtsgrund. Einfach erst einmal einlochen und dann schauen, was die Gerichte dazu sagen? Nicht in Deutschland.

So bleibt ein doppelt übler Geschmack zurück. An erster Stelle steht nach wie vor das Entsetzen: Nizza, Berlin, London. An zweiter Stelle das Entsetzen über den Umgang einiger Parteien mit diesem Thema, diese billige Wahlkampf-Nummer daraus zu machen. Bloß nicht ins Detail gehen, immer feste druff – wer so holzschnittartig redet, der ist nicht geeignet Verantwortung für unser Land zu übernehmen.