Notfall Pflegeberatung

Die Situation ist alltäglich: Ein alter Mensch kommt aus dem Krankenhaus zurück in seine Wohnung. Aber nichts ist mehr wie vorher: Die gewohnte Mobilität fehlt. Selbständiges Aufstehen, Stehen und Gehen ist nicht mehr möglich. Gutwillige Helfer sind genug vor Ort, sei es Familie oder 24-Stunden-Kräfte. Der gute Wille kommt bloß schnell an seine Grenzen. Wie hebt, stabilisiert und bewegt man jemanden, der selbst kaum noch mithelfen kann?

Kein Problem, sagt die 24-Stunden-Hilfe, ich habe Muckis! Und mit Hau-Ruck geht es vom Bett auf den Toilettenstuhl (der immerhin ist schon vorhanden), dann durch den Flur und auf den dicken Teppich im Wohnzimmer. Schwierig ist das, der Teppich hat eine dicke Kante und dicken Flor, da rollt nichts. Dann der gewohnte gute alte Sorgensessel: Mit Hau-Ruck vom Toilettenstuhl hochgehievt, gedreht, über die starre Sessel-Lehne geschwenkt und – Plumps! – ab in den Sessel. Später alles rückwärts.

Es dauert nicht lange, bis die Helferin Rücken hat. Da helfen auch die Hebe-Tricks nicht, die der professionelle Pflegedienst gezeigt hat. Noch ein paar Tage später kippt das ungleiche Paar einfach um; ein Wunder, dass keine weiteren Knochenbrüche dazu kommen.

Trauriges Schicksal. Ein Fall fürs Pflegeheim?

Pflegeberatung ist das Zauberwort. Alle sechs Monate ist sie zwingend vorgeschrieben. Regelmäßig war die Fachfrau vom Pflegedienst da, hat das – zum Glück schon behinderungsgerecht umgebaute – Badezimmer besichtigt und „alles in Ordnung, kein weiterer Bedarf“ in das Formular eingetragen. Ein Anruf, und es gibt viele gute Lösungen für die schwierige Situation?

Ach, wenn es doch so wäre!

Beratung, wie man mit solchen Situationen umgehen und alten Menschen ein anständiges Leben ermöglichen kann, ist Mangelware.

Im Krankenhaus fängt das an, oder besser gesagt: Fängt nichts an. Der Assistenzarzt redet von Entlassung. Er meint, die alte Dame könne mit dem Taxi nach Hause fahren. Die Schwestern winken hinter seinem Rücken ab. Lass ihn reden, den Anfänger, er hat keine Ahnung.

Die Physiotherapeutin testet am Krankenhausbett die verbliebenen Kräfte. Viel ist da nicht. Kein Wunder, wenn man über 100 Jahre alt ist.

Der Sozialdienst des Krankenhauses bietet sich an, Rezepte zu besorgen. Sagen Sie, was sie brauchen, ich besorge das Rezept. Nur was braucht man?

Die Familie ordert über den Sozialdienst ein Pflegebett. Eine spezielle Dekubitus-Matratze. Ein Stechbecken. Einen Beistelltisch. Damit ist das – dürftige – Krankenhaus-Versorgungsniveau gewährleistet. Im Krankenhaus dürfen die Pflegefachkräfte ihren Rücken mit dem Heben der Patienten verschleißen, ohne alle Hilfsmittel. Offensichtlich sind Pflegefachkräfte immer noch billiger als eine mechanische Hebehilfe.

Die Familie überlegt: Ein motorisch verstellbarer Sessel mit Aufstehhilfe könnte hilfreich sein. Wenn der auch noch Räder hat, könnte man doch vom Bett zum Wohnen und zum Essen kommen? Und vielleicht bei gutem Wetter auf die Terrasse? Stiftung Warentest hat noch keine Aufsteh-Sessel getestet, also googelt man sich durchs Internet. Der eine hat keine Rollen. Der andere sieht perfekt aus, passt aber durch keine Tür. Der nächste hat sechs Wochen Lieferfrist. Schließlich findet man ein Modell, dass passt und sofort geliefert werden kann, der Lutra easy Lift 2 von Devita mit einem Akku als Stromversorgung ist sogar mit Anti-Dekubitus-Polsterung sofort verfügbar. Als Zubehör wird für 244 Euro ein abnehmbares, drehbares und höhenverstellbares Speisebrett bestellt, ein am Sessel befestigtes Tischchen – es erweist sich sofort als unbrauchbar: Die kleine Tischplatte kippelt, der Mechanismus hat zu viel Spiel und lässt den Kaffee in der Tasse schwappen. Devita will die Reklamation des unbrauchbaren Tischchens nicht akzeptieren und erweist sich damit im konkreten Fall als wenig empfehlenswerter Lieferant.

Die Pflegeberatung muss her! Die Profis wissen doch am besten, welche Hilfsmittel und Tricks in dieser vertrackten Lage helfen. Und es eilt! Noch zwei Tage, dann kommt um 12h das neue Pflegebett und um 14h die alte Dame.

Die Fachfrau vom Pflegedienst der Diakonie ruft zurück – und kommt nicht. Bevor die alte Dame wieder nach Hause gekommen ist, will sie nicht tätig werden. Wie soll das gehen? Soll die alte Damen erst mal ein paar Tage oder Wochen in ihrem Bett liegen? Man ruft wieder an und gibt die Information durch, wann die alte Dame nach Hause kommt. Keine Antwort, keine Reaktion, totes Telefon.

Die – in diesem Fall private – Pflegeversicherung bietet doch auch noch eine Pflegeberatung an? Die Debeka wird angerufen und verweist an die compass private pflegeberatung GmbH. Compass kann man telefonisch durchaus erreichen, das ist aber auch schon alles. Drei Wochen Zeit braucht Compass, bis jemand zum Hausbesuch kommen kann. Vielen Dank. Hilfe sieht anders aus.

Hilfe kommt vom Pflegedienst der Diakonie. So ausgebucht und überlastet er auch ist, hier ist Verlass. Aus dem Stand. Die Grundpflege ist damit schon einmal gesichert.

Dann die Physiotherapie: Wenn dieser alte Mensch jemals wieder auf die Beine kommen soll, müssten die Reste von Beweglichkeit und Kraft dringend erhalten werden. Hausbesuche sind erforderlich, nicht gerade die Lieblingsaufgabe der Physiotherapeuten. Wenn sie so schlecht bezahlt werden wie die Hausbesuche der Ärzte, ist das auch kein Wunder. Einzelne Termine werden zusammengekratzt bei zwei verschiedenen Praxen, mit viel gutem Zureden.

Und dann das Heben. Wie bewegt man diesen hilflosen Menschen, ohne dass die Helfer in die Knie gehen? Wenn es nicht eine internet-affine Familie gäbe … bliebe es bei purer Verzweiflung. So gräbt ein Enkel die Firma Arjo aus, die Hebezeuge für Hilflose anbietet. Zur Miete oder zum Kauf. Ein schwedischer Hersteller ist das, kurzfristig kann er mit dem Vorführgerät kommen, die Physiotherapeutin kommt dazu.

Schaun wir mal, ob das die Lösung ist. Schön, dass die Familie sich selber helfen kann. Schrecklich, wie hilflos alte Menschen ihrem Schicksal überlassen werden, wenn es keine Familie gibt.

Wo man anfangen muss?

Im Krankenhaus natürlich, hier sieht man die Person, kann ihre Lebensumstände erfragen und aktiv Hilfe organisieren – Rezepte reichen nicht.

In der Pflegeversicherung. Die Pflegeversicherung muss aus dem Stand beraten, nicht erst mit mehreren Wochen Verspätung. Die Pflegeberatung der privaten Krankenversicherer ist das Geld nicht wert, wenn sie so viele Wochen braucht.

Und wie ging es weiter?

Der Außendienstler des schwedischen Herstellers von Hebe-Hilfsmitteln kam schon wenige Tage nach der telefonischen Terminvereinbarung. Er nahm Rücksicht auf die Terminplanung der Physiotherapeutin, die er wohl auch als mögliche Kundin im Blick hat. Der Sara Stedy der Firma Arjo entpuppte sich als gute Lösung, im Privathaushalt genauso gut einsetzbar wie im professionellen Bereich, einfach zu handhaben und zu bewegen. Mit Interesse begleitete die Physiotherapeutin die Vorführung: Das müsste es auch im Krankenhaus geben. Gibt es aber nicht. Auch die 24-Stunden-Hilfe überwand schnell ihre anfängliche Skepsis, auch sie lobte dies Hilfsmittel.

Nach einigen Wochen erschien dann auch die Pflegeberaterin der privaten Pflegeversicherung vor Ort. Leicht beleidigt reagierte sie darauf, dass Angehörige der alten Dame – in Deutschland verstreut wohnend – nicht extra für sie angereist waren. So musste ihr erst am Telefon erläutert werden, dass es ihre Aufgabe sei, sich vor Ort selbst umzusehen und im Gespräch mit der alten Dame und ihrer Betreuerin den Bedarf für weitere Hilfen zu ermitteln. Unter der telefonischen Anleitung durch einen Angehörigen der alten Dame sah sie sich um – und erklärte alles für perfekt. Weitere Hilfen seien nicht erforderlich.

Mit solcher „Beratungsqualität“ der Pflegeberatung hatte die Familie gerechnet, deshalb hatte sie vorsorglich noch zwei Fragen auf Lager. Wie wäre es mit einem Beckengurt zur Sicherung der alten Dame im vorhandenen Rollstuhl? Ja, das fand die Frau von compass auf Nachfrage auch ganz gut. Und dann vielleicht noch eine Mini-Rampe, um mit Pflegesessel oder Sara Stedy über die Schwelle der Schiebetür auf die Terrasse zu kommen? Ja, auch das sei eine gute Idee, meinte die Beraterin. Wie man denn dann an solche Dinge komme? Und vielleicht auch an eine Kostenbeteiligung für den Sara Stedy? Ratlosigkeit breitete sich aus. Die Debeka müsse man dazu befragen, ein Rezept des Hausarztes müsse her – aber was auf dem Rezept stehen muss, also welche genaue Bezeichnung, Hilfsmittelnummer oder ähnliches, das wusste die Beraterin nicht. Gern wolle sie das heraussuchen und per Email schicken, erklärte sie am Telefon, und dabei blieb es. Die Email kam nie.

Eine klapp- und faltbare Rampe aus Aluminium hilft über die Schwelle (7.9.2023, Foto: Henning Klare)

Eine klapp- und faltbare Rampe aus Aluminium hilft über die Schwelle (7.9.2023, Foto: Henning Klare)

Hilfe kam auch hier allein von der Familie. Eine Enkelin der alten Dame recherchierte nach einfach faltbaren Rampen für die Terrassentür. Gebraucht war sie per Kleinanzeige für 80 Euro zu haben, wenige Tage später war sie schon geliefert. Der Pflegesessel hat genug Bodenfreiheit und kann – mit der alten Dame – über die Rampe auf die Terrasse geschoben werden.

Ob es für all diese Dinge jemals eine Kostenerstattung oder -beteiligung der Pflegekasse geben wird? Diese Frage war in diesem Fall zweitrangig, weil die Familie sich selbst helfen konnte. Aber wer hilft den alten Menschen, die auf sich allein gestellt sind?

Die Debeka als private Pflege-Pflichtversicherung fällt in diesem Fall besonders unrühmlich auf. Eine Höherstufung des Pflegegrades steht an. Der Pflegeaufwand der alten Dame ist nach dem Krankenhausaufenthalt drastisch gestiegen, entsprechend drastische Rechnungen des Pflegedienstes sind zu erwarten. Beantragt wurde die Höherstufung des Pflegegrades am 31.7.2023. Danach erfolgte zunächst keine Reaktion der Debeka. Es dauerte exakt einen Monat, bis die Debeka mit Schreiben vom 31.8.2023 antwortete, und diese Antwort hat es in sich: Einige Formulare zum Ausfüllen, und die Erklärung „In Ihrem Interesse möchten wir Medicproof [den medizinischen Dienst der privaten Pflegeversicherung] so schnell wie möglich beauftragen“. So schnell wie möglich, man muss sich die Formulierung auf der Zunge zergehen lassen. So schnell wie möglich heißt bei der Debeka, dass man allein für die Zusendung von Formularen einen Monat braucht. So schnell wie möglich sollen allein die Versicherten sein, denn – so droht die Debeka – sie verlieren Geld, wenn sie nicht schnell antworten.

Die Debeka hat dazu noch ein paar Gemeinheiten parat. Wer das auszufüllende „Pflegeprotokoll“ nicht von Hand ausfüllen und dann für seine Unterlagen kopieren will, kann sich bei der Debeka ein ausfüllbares .pdf herunterladen – und tappt in die nächste Falle. Das ausfüllbare .pdf ist grob falsch programmiert, einzelne Felder sind automatisch falsch miteinander verknüpft: Trage ich in Feld X einen Wert ein, taucht er automatisch auch in Feld Y auf; lösche ich ihn in Y, verschwindet er auch in X, dies Spielchen mit mehreren Feldern ist überhaupt nicht lustig.

(Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 10.9.2023.)