Moderne Märchen: Daimlers Diesel

Plötzlich soll es doch gehen: wird bei Daimler das Thermofenster geöffnet?

Jahrzehntelang haben wir uns als Mieter oder Eigentümer mit dem Thermofenster abgegeben. Holz oder Kunststoff war die Frage, mit oder ohne Sprossen war dazu noch für die Altbauten zu entscheiden, und drei Scheiben waren besser als zwei. Nun sind wir durch die Medien belehrt worden, dass es noch ein anderes Thermofenster gibt, und dadurch zieht es ganz übel. Es geht um das Thermofenster unseres Diesel-Autos.

Wenn es dem Auto zu warm oder zu kalt ist – und unser Auto ist ein Sensibelchen, immerzu ist ihm zu warm oder zu kalt -, macht es das Thermofenster zu, und dann kommt hinten noch mehr Gift raus. Motorschutz nennen das die Autohersteller: man muss den Motor schützen, wenn er nicht in Zimmertemperatur läuft, und dann kann man eben die Menschen nicht mehr schützen. Anders herum gesagt, der Menschenschutz unseres Dieselautos wird an vielen Tagen im Jahr abgestellt. Weil der Motor sonst an seinen eigenen Abgasen erstickt.

Diese Geschichte vom armen Motor und seinem Schutz könnte man ja zu glauben versuchen, wenn nicht der Dr. Zetsche von Daimler wäre. Der hat jetzt verkündet, dass 3 Millionen Daimler-Dieselautos mit „Servicemaßnahmen“ sauberer werden sollen (Pressemitteilung vom 18.7.2017).

Da freut man sich erst einmal, wenn man so einen Euro 5-Diesel hat und sich vor Fahrverboten fürchtet. Schön dass das so einfach ist: beim nächsten Service gibt’s kostenlos neue Software für den Diesel, und dann ist alles gut.

Wenn man sich dann zu Ende gefreut hat, kommt das Grübeln. Wie viel „Verbesserung des NOx-Emissionsverhaltens“ bringt die neue Software? Und wenn doch früher das offene Thermofenster des Diesels Tod war, wieso kann der Diesel dann plötzlich mit geschlossenem Fenster weiterfahren und verreckt nicht? Denn umbauen will Zetsche die alten Autos nicht, es soll nur neue Software geben. War das damals nur ein Märchen, die Geschichte vom Thermofenster? Oder verreckt jetzt die Karre, wenn sie mit offenem Fenster fahren muss – entweder mitten im Stadtverkehr nach dem 41. Winter-Kaltstart oder auf der Urlaubsfahrt bei 35°C auf der Autobahn? Und man kann dem Zetsche dann nichts beweisen, man kann ihn nicht drankriegen für den vorzeitigen Diesel-Tod?

Also: welches Märchen wollen wir glauben?

Zetsche nennt in seiner Pressemitteilung „aktuelle Erkenntnisse aus der Entwicklung der neuen Dieselmotorenfamilie“. Die neuen Motoren haben eine bessere Presse, von dem besseren Eindruck sollen die alten wohl etwas abbekommen. Der Laie steht ratlos davor. Kann er sich auf diese „Servicemaßnahme“ einlassen, ohne Probleme mit seinem alten Auto zu bekommen? Bringt das überhaupt eine nennenswerte Verbesserung? Und warum musste erst der Diesel-Skandal kommen, damit Zetsche die neue Software rausrückt – die neuen Motoren mit weniger Gift sind doch schon seit 2016 auf dem Markt? Wollten die das machen wie die Handy-Produzenten: nach dem Kauf gibt’s keine Updates, nur Neukauf?

Viele Fragen bleiben, und die Vokabel „Vertrauen“ hat sich aus der Diesel-Diskussion doch recht unsanft verabschiedet. Am Ende steht immer eine Frage: warum drücken Zetsche & Co. sich um eine echte Nachrüstung der alten Euro 5-Diesel, um die Hardware-Lösung mit AdBlue? Auch wenn man die als Autohalter nicht geschenkt bekommt, sie scheint doch wohl die einzige verfügbare Technologie zu sein, die eine echte Schadstoff-Reduzierung bringt und die Ehre des Diesel rettet. Sonst könnte auch Zetsches Aussage „Der Diesel wird … noch lange eine wichtige Rolle spielen“ schnell zum modernen Märchen werden.

Ohne Druck wird Daimler sich nicht bewegen, deshalb:

Schreiben Sie an Dr. Zetsche, an Bundesverkehrsminister Dobrindt und an Ihre Bundestagsabgeordneten und bitten Sie darum, eine echte, wirksame AdBlue-Nachrüstung für Ihr Auto möglich zu machen! Hier finden Sie höflich formulierte Vorlagen für Ihre Briefe an den Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG Dr. Zetsche, Bundesverkehrsminister Dobrindt und Abgeordnete des Deutschen Bundestags.