Körper und Seele

Kino-Film mit Nebenwirkungen

Das Feuilleton ist immer eine Wundertüte, Raum für abgehobenes Textgeklingel und Interessantes zugleich. „Unglaublicher Liebesfilm“, „wunderbare Liebesgeschichte … feine Komödie“, „Rettung der Menschlichkeit … bezwingende Sinnlichkeit … eine Intensität, dass eine Zuschauerin bei der Berlinale-Vorführung im Friedrichstadtpalast eine Kreislaufschwäche erlitt“ liest man da über den rumänischen Film „Körper und Seele“.

Man lässt sich ins Kino locken von so viel Lobpreisung. Und landet mit der ersten Einstellung des Films im Wald, beobachtet das Wild. Dann im Schlachthof. Das Blut der Tiere fließt in Strömen. Autismus schreibt ein Kritiker der weiblichen Hauptrolle zu, Asperger-Syndrom der nächste. Dann ist die Heldin dran, sie will sich umbringen, ihr Blut fließt in Strömen. Dann ist der Zuschauer dran.

Wie in Berlin. Eine Zuschauerin im münsterschen Cinema trifft es. Blutbad, künstliche Geschichte, schlechte Luft im Kinosaal – sie bricht zusammen. Gibt es hier einen Arzt? und Licht! schreit einer, die Saalbeleuchtung geht an, man bettet die Frau im Gang auf den Boden – und der Film läuft weiter. Läuft weiter, the show must go on, und die Zuschauer bleiben sitzen. Schauen. Schauen Film-Fiktion und echtes persönliches Drama, angeleimt, angenagelt in ihren Sitzen.

Gaffer gibt es hier genug, Helfer sind am Werk, wir gehen hinaus. Irgendwann wird endlich der Film angehalten, der Rettungswagen kommt. Manche wollen weiter Kino sehen, hören wir später; bezahlt ist bezahlt, der Filmvorführer verspricht den Rest des Films zu liefern.

Rettung der Menschlichkeit, so sieht die also aus. Wunderbare Bildregie, kunstvoll eingesetzte Farbigkeit, Schauspielerei auf hohem Niveau, Esoterisches in Wald und Traum – wir diskutieren im Garbo den Film. Ich muss zugeben: ja, ich kann mich von dem Geschehen im Film nicht so weit distanzieren, dass ich die besonderen künstlerischen Aspekte der Schlachtung und Zerlegung von Tieren oder eines detailliert vorgeführten Selbstmordversuchs goutieren kann. Ja, das ist vielleicht die Sichtweise eines Sechsjährigen, ich muss noch viel lernen. Nein. Nein, ich will das nicht lernen. Ich will dies kreischebunte Gemetzel, diesen Potpourri von Blut, Esoterik, Sex, seltenem Asperger-Syndrom nicht sehen. Alles in mir sträubt sich dagegen, einem Menschen in höchster Not bei dem Versuch der Selbstvernichtung zuzuschauen, als zahlender Zuschauer zu gaffen, wo ich handeln müsste, wenn ich schon einmal unfreiwillig zum Zeugen werde.

Ist diese Reaktion so abwegig? Oder ist Gemetzel inzwischen Bestandteil unserer Kultur? Habe ich zu wenig Serien gesehen, muss ich eine Lektion nachlernen, die für andere selbstverständlich ist? Eine Zuschauerin hatte vielleicht ähnliche Gefühle, ihr gilt mein Mitgefühl.