Informationsabend am 27.2.2023 gut besucht
Bezirksbürgermeister Stein hatte vorgesorgt, am 27.2.2023 standen genug Stühle im Sitzungsraum der Hiltruper Stadthalle bereit. Die öffentliche Diskussion um eine Umbenennung der Heideggerstraße in Hiltrup hatte viele Anwohner, aber auch andere Hiltruper BürgerInnen mobilisiert. Geballte Emotionen lagen in der Luft, eine gewisse Lynch-Stimmung war nicht zu überhören. Durchaus aggressiv wurde nachgefragt, ob denn die Person anwesend sei, die mit ihrer Bürgeranregung das Verfahren rund um das Straßenschild „Heideggerstraße“ in Gang gesetzt hatte. Niemand meldete sich, die Verwaltung schwieg, wie das Gesetz es befiehlt. Es war auch besser so. Auf demselben Aggressionslevel gab es im Laufe der Sitzung einzelne Rufe, wer mit Heidegger auf dem Schild nicht einverstanden sei, solle doch wegziehen.
Deutlich wurde Kritik an der ursprünglichen Terminplanung der Bezirksvertretung geäußert. Welchen Sinn dieser Informationsabend habe, wenn die Bezirksvertretung schon drei Tage später, also noch vor einer gründlichen Aufarbeitung von Informationen und Argumenten entscheiden wolle – die Frage wurde zu Recht gestellt. Der für den Sitzungsplan verantwortliche Bezirksbürgermeister hatte die Brisanz verkannt, die Verschiebung der Entscheidung auf eine spätere Sitzung der Bezirksvertretung war zu spät gekommen.
Wer sich nach dieser Eröffnung zunächst auf einer AfD-Veranstaltung glauben mochte, wurde anschließend angenehm enttäuscht. Den Informationsteil der Veranstaltung bestritten sachkundig und souverän zwei Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Schnell war klar: Jede Einwohnerin oder jeder Einwohner der Gemeinde, die oder der seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde wohnt, hat nach § 24 der Gemeindeordnung das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen mit Anregungen oder Beschwerden in Angelegenheiten der Gemeinde an den Rat oder die Bezirksvertretung zu wenden. So war die Anregung „Es wird angeregt, die Heideggerstraße umzubenennen“ auf die Tagesordnung der Bezirksvertretung Hiltrup gekommen. Die weiteren Spielregeln waren schnell erklärt. Die Verwaltung hatte der Bezirksvertretung eine schriftliche Vorlage zu liefern, darin war das Problem zu beschreiben und eine Lösung vorzuschlagen. Heidegger ist bei allen sonstigen Verdiensten durch sein Verhalten in der NS-Zeit stärker kompromittiert, als dies 1975 bei Benennung der Straße gesehen wurde; die Straße musste damals wegen Hiltrups Eingemeindung nach Münster umbenannt werden, ein neuer Name musste her. Heideggers erst später veröffentlichte „Schwarzen Hefte“ zeugen von radikalem Antisemitismus, der von ihm in herausgehobener Stellung propagierte nationalsozialistische Führerkult ist mit Grundwerten der Demokratie unvereinbar. Heidegger war Nazi. Die Verwaltung schlägt deshalb vor, dem Beispiel von Freiburg zu folgen und die Straße umzubenennen. Die Kosten sind gering, den Materialwert der neuen Straßenschilder beziffert die Verwaltung mit 450 Euro. Namensvorschläge für die Benennung von Straßen und Wegen kommen von den politischen Vertretern. Der Gleichstellungsausschuss hat 2021 die grundsätzliche Vorgabe beschlossen, bei der Auswahl der zu ehrenden Personen Frauen zu bevorzugen (die bisher unterrepräsentiert sind). Die Entscheidung im Einzelfall liegt bei der Bezirksvertretung.
Die Entscheidung über das Ob und Wie einer Umbenennung liegt allein bei der Politik, das heißt bei der Bezirksvertretung Hiltrup – vielen TeilnehmerInnen der Veranstaltung war das offensichtlich bis dahin nicht ganz klar. Es brauchte wiederholte Nachfragen und Konkretisierungen durch Verwaltung und Bezirksbürgermeister, bis für alle feststand: Weder dieser Bürgertermin am 27.2.2023 noch die von der CDU vorgeschlagene schriftliche Befragung der Anwohner kann über die Benennung der Straße entscheiden. Es bleibt Aufgabe der Bezirksvertretung, also der gewählten Vertreter, die von der Verwaltung zusammengestellten Informationen und das Stimmungsbild des Bürgertermins zu bewerten und über den Straßennamen zu entscheiden.
Ein weiterer Punkt hatte im Vorfeld der Veranstaltung für aufgeheizte Diskussionen gesorgt: Was kostet eine Umbenennung, wie viel Aufwand verursacht das? Auch hier sorgten die Informationen der Verwaltung für Beruhigung. Dass Straßen umbenannt werden, ist kein Neuland, sondern kommt immer mal wieder vor. Ein eingespieltes Verfahren der Verwaltung sorgt für den Informationsfluss zum Beispiel zur Rentenversicherung, zu vielen anderen Versicherungen und Einrichtungen. Ein Jahr Übergangszeit erleichtert die Umstellung, für die als Problem angesprochene Umschreibung im Grundbuch gibt es einen automatischen kostenlosen Abgleich zwischen Kataster und Grundbuch, Hausnummern bleiben unverändert. All diese Verwaltungsaktivitäten sind für die betroffenen AnwohnerInnen kostenlos, der kostenlose Umtausch des Personalausweises bringt sogar eine Verlängerung der Ausweislaufzeit. Ein gewisser Aufwand bleibt danach zwar für die Betroffenen, hält sich aber doch in überschaubarem Rahmen.
Die inhaltliche Diskussion des Abends „würzten“ einzelne Beiträge. Der „andere“ angeblich unbelastete Heidegger wurde genannt, jemand verwahrte sich gegen eine Kommunalpolitikerin auf dem Straßenschild, es wurde gefragt, ob Heidegger jemanden umgebracht habe und was Hiltrup mit Freiburg zu tun habe (wo die Umbenennung längst erfolgt ist).
Vereinzelt wurde die Bedeutung von Straßenbenennungen als Ehrung der genannten Person in Frage gestellt. Die zur Begründung genannte Marktallee – der Markt wird schließlich nicht geehrt – konnte die Mehrheit der Anwesenden allerdings nicht überzeugen, der Unterschied zwischen Orts- und Personennamen ist zu offensichtlich.
Kaum jemand versuchte, Heideggers Nazi-Belastung wegzudiskutieren. Immer wieder wurde dagegen das philosophische Werk Heideggers hervorgehoben. Ein Diskussionsbeitrag brachte das Problem auf den Punkt: Die Nazi-Verstrickung ist unabweisbar, was sollen wir dann tun, wenn das Schild „Heideggerstraße“ bleibt – soll ein Zusatzschild angebracht werden mit der Inschrift „Nazi und Philosoph“? Ein Anwohner formulierte noch deutlicher. Heidegger sei ein strammer Nazi und Antisemit gewesen, er schäme sich für diesen Namen in seiner Adresse.
Mit spürbarer Ernüchterung und Versachlichung endete die Informationsveranstaltung am 27.2.2023 in Hiltrup. Die TeilnehmerInnen hatten Antworten bekommen auf die meisten Fragen, die vor Beginn der Veranstaltung gesammelt worden waren. Für dies schwierige Thema unseres Umgangs mit der Nazi-Vergangenheit ist das ein gut vorzeigbares Ergebnis. Heidegger in Hiltrup steht als Beispiel für einen veränderten Blick auf den Umbruch 1945. Die Euthanasie-Ärzte, Staatsanwälte, Verwaltungsbeamte und eben auch Philosophen des NS-Systems sind nicht durch Zeitablauf weiß gewaschen, auch wenn sie ihre sonstigen Verdienste haben mögen.
Das Spannungsverhältnis, die Verbindung zwischen NS-Belastung und anderer Lebensleistung ist nicht aufzuheben. Herausgehobene Funktionsträger sollten nicht nachträglich zu Mitläufern erklärt werden, sie sollten auch nicht in ehrender Erinnerung auf Straßenschildern bleiben, diesen Konsens auch in Hiltrup hat die ganz überwiegende Mehrheit der anwesenden BürgerInnen artikuliert.
Zu denken gibt höchstens die uneindeutige Positionierung der anwesenden CDU-Vertreter. „Sie als Anwohner entscheiden“, diese Erklärung der CDU-Fraktion in der Bezirksvertretung widerspricht klar der Gemeindeordnung. Alle Politiker der Bezirksvertretung müssen nach bestem Wissen und Gewissen die Entscheidung treffen. Wer sich wegduckt hinter AnwohnerInnen einer kleinen Straße, also hinter einer verschwindend geringen Zahl von Hiltruper BürgerInnen, sollte sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Andernfalls kann die Position der CDU nur so verstanden werden, dass sie nach wie vor Heidegger in Hiltrup ehren will. Diesen Eindruck könnten die Äußerungen des CDU-Ratsherrn an diesem Abend verstärken. Er verwies darauf, die münstersche Historikerkommission habe vor Jahre – vor den Schwarzen Heften – Heidegger nicht als Problemfall benannt, man solle dies Verfahren des Jahres 2012 abgeschlossen lassen. „Schwamm drüber?“ Ein höchst problematischer Ansatz. Stattdessen will er das Heideggerschild mit einem Zusatzschild und einem QR-Code versehen, nur: Was soll denn dann drauf stehen? Nazi und Philosoph? Und müssen die AnwohnerInnen sich nicht veralbert vorkommen, wenn die CDU eine schriftliche Befragung initiiert, gleichzeitig aber schon vor Durchführung der Befragung ein Zusatzschild andenkt?
Vor Jahren ist Münster gerade noch an der Lächerlichkeit vorbeigeschrammt. Derselbe Politiker führte eine Kampagne an, die Hindenburg zurück aufs Schild heben wollte, die Mehrheit der BürgerInnen Münsters musste ihn stoppen. In Hiltrup droht jetzt eine Neuauflage. Soll Hiltrup wirklich als braunes Nest öffentlich vorgeführt werden? Und wollen die AnwohnerInnen, die jetzt für „ihren“ Heidegger kämpfen, bei schlechter Presse allein im Regen stehen? Denn wenn’s schief läuft, waren es ja die AnwohnerInnen, nicht die weggeduckte CDU…
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