Die Lust am Untergang

SPD auf Corbyn-Kurs

So eine große Partei wie die SPD ist ein teures Unternehmen. Die Organisation mit vielen Hauptamtlichen kostet viel Geld, den für die aktive Politik nötigen Sachverstand muss auch die SPD teuer einkaufen, von den Ausgaben für Werbung ganz abgesehen. Das Geld dafür kommt zum größten Teil von den Mitgliedern. Bei einem Wirtschaftsunternehmen würde man sagen, für diese Klein-Aktionäre muss shareholder value dabei heraus kommen.

Zurzeit bekommen diese Anteilseigner nur schlechte Nachrichten heraus, und das gibt ihnen zu denken. Missmanagement nennt man es, wenn sich die Unternehmensspitze öffentlich zerfleischt. Das hat Tradition, der SPD-Vorsitz ist noch gefährlicher als das Extremklettern ohne Seil und Helm, und nur in Ausnahmefällen können die abgestürzten Vorsitzenden wenigstens nachträglich auf Gnade hoffen. Die Anteilseigner können dies Schmierentheater nur noch mit Entsetzen zur Kenntnis nehmen.

Die deutschen Industrieunternehmen zeigen zwar ein ähnliches Bild, auch hier wechseln die Führungsfiguren inzwischen immer schneller, aber es gibt einen Unterschied. Weder bei VW noch bei BMW und Daimler darf die Meute der Nachrücker monatelang öffentlich die Mitarbeiter verunsichern mit dem Austausch von allerlei unverbindlichen Ideen. Wollen wir graue Dreiräder oder grüne Einräder verkaufen, Flugzeuge vermieten oder Krückstöcke fabrizieren – Unternehmen, die so auftreten, verschwinden schnell vom Markt.

Die große alte SPD meint, sie könne sich solche Spektakel leisten. Die große alte SPD will einen Co-Vorsitzenden, der einerseits gegen die große Koalition ist, aber andererseits … ja, was will er eigentlich? Wasch mir den Pelz und mach mich nicht nass? In England macht Corbyn das vor, statt GroKo geht es da um den Brexit, und mit dem keine-Meinung-Haben macht Labour sich dort einfach nur lächerlich.

Und sonst? Einen massiven Investitionsschub mit Kreditaufnahme plant der neue Co-Vorsitzende, Straßen und Infrastruktur sollen saniert werden. Abgesehen von der Kreditaufnahme könnten auch Laschet und Scheuer das gesagt haben, und alle zusammen ignorieren eins: Die Baufirmen können sich zurzeit vor Aufträgen nicht retten. „Einen höheren Auftragseingang in einem September hatte es zuletzt vor 24 Jahren gegeben …. Damit bleibt das Auftragseingangsvolumen seit Dezember 2018 auf Rekordniveau. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stiegen die Auftragseingänge in den ersten neun Monaten 2019 nominal um 9,6%“, schreibt bauletter.de. Auch der Zentralverband Deutsches Baugewerbe ist hoch zufrieden mit dem aktuellen „Investitionshochlauf“ des Bundes und sieht den Bedarf ganz woanders: Sorgen mache das Investitionsverhalten der Kommunen, ihnen gelinge es nicht, den Verschleiß ihrer öffentlichen Infrastruktur aufzuhalten und abzubauen – will die SPD jetzt etwa Bundesgeld in kommunale Kassen leiten, zweckgebunden für Straßen und Brücken? Eine Revolution in der Finanzverfassung des Bundes, oder doch nicht so gemeint?

Zusätzliche Bauingenieure zum Planen, Ausschreiben und Bauen zusätzlicher Projekte sind übrigens auf dem Markt nicht verfügbar. Dazu kommt der erforderliche zeitliche Vorlauf; wer heute groß bauen will, hätte vor 15 Jahren mit der Planung anfangen müssen, nicht umsonst fordert die Bauwirtschaft eine Verstetigung der öffentlichen Aufträge. Aber so kleinlich darf man offenbar in der „großen“ Politik nicht denken.

Opposition ist Mist, hat einer der abgestürzten Vorsitzenden mal gesagt, und er hat Recht. Mindestlohn, Mindestrente, um nur zwei Hausnummern zu nennen, solche originär sozialdemokratischen Themen konnten nicht trotz GroKo, sondern wegen GroKo umgesetzt werden. Die Gewerkschaften wissen, warum sie die SPD vor dem Verlassen der GroKo warnen: Wer als Opposition gewaltige Forderungen erhebt, erreicht nichts. Demokratie lebt von Koalitionen, vom Aushandeln von Kompromissen.